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Wolfgang Sterneck:
DAS NEUE SELBSTVERSTÄNDNIS
- MUSIKPROJEKTE VON FRAUEN -
- Die Entwicklung der Frauenmusik -
- Ova und die Unabhängigkeit -
- Mourning Sickness und die Kraft des Zorns -
- Die Yeastie Girlz und die Offenheit -
- Libana und der Kreislauf -
- Diamanda Galas und der Schrei -
- Canaille und die Welt der Klänge -
In Westeuropa und Nordamerika gelang es in den achtziger Jahren
vielen Musikerinnen sich immer größere Freiräume
in den verschiedensten Musikgattungen zu erarbeiten. Eine Reihe
unterschiedlicher Projekte von Frauen wurden dabei zu einem Ausdruck
einer selbstbestimmten Kultur von Frauen und waren damit ein Symbol
der Rebellion gegen die erdrückende männliche Dominanz
in der Musik wie auch in der gesamten Gesellschaft.
DIE ENTWICKLUNG DER FRAUENMUSIK
Die Frauenmusik der achtziger Jahre basierte auf den Errungenschaften
der neuen Frauenbewegung, die auch kulturell einen Ausdruck fanden.
Insbesondere in den USA, aber auch in anderen westlichen Staaten
traten seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend Frauen mit von ihnen
selbst komponierten und getexteten Stücke auf, die ausdrücklich
eine weibliche Perspektive einnahmen, feministische Positionen vertraten
und gleichermaßen die Unterdrückung im privaten und im
öffentlichen Bereich aufzeigten.
Die Verbreitung der Frauenmusik war mit der Entwicklung entsprechender
Strukturen, wie beispielsweise der Gründung von Labels, Vertrieben
und Studios, sowie der Organisation von Tourneen, Festivals und
Workshops, an denen oftmals nur Frauen teilnehmen konnten, verbunden.
Es gelang dadurch vielfältige Freiräume in einem zuvor
fast ausschließlich von Männern kontrollierten Bereich
zu entwickeln. Musikalisch orientierten sich die meisten Musikerinnen
an der nordamerikanischen Folk- und Rockmusik. Teilweise wurde diese
Ausrichtung jedoch innerhalb der Frauenbewegung als eine Orientierung
an patriarchalen Ausdrucksformen kritisiert.
Im Gegensatz zu den Entwicklungen in den siebziger Jahren ließ
sich im folgenden Jahrzehnt nicht mehr von einer verhältnismäßig
fest gefügten Frauenmusik-Szene sprechen. Vielmehr gingen nun
verstärkt in fast allen Stilbereichen Frauen einen eigenständigen
Weg. Musikalisch lösten sie sich zumeist von den verhältnismäßig
ruhigen und sanften Elementen, welche die siebziger Jahre bestimmt
hatten, und wendeten sich gezielt experimentellen und aggressiveren
Klängen zu, die gleichermaßen Zorn und Wut wie auch eine
rebellierende Grundhaltung widerspiegelten. Zu den wesentlichen
Voraussetzungen für die Zunahme der von Frauen getragenen Projekte
gehörte ein neues Selbstverständnis, daß im Zusammenhang
mit der Frauenbewegung entstanden war. Die musikalischen Tätigkeiten
reduzierten sich nicht länger auf den Gesang und das Spielen
einiger weniger Instrumente, sondern schlossen nun auch Instrumente
ein, die zuvor weitgehend Männern vorbehalten waren. Wie im
musikalischen Bereich bestand auch in den inhaltlichen Aussagen
eine große Vielfalt verschiedener Ausrichtungen. Neben klar
feministisch ausgerichteten Aussagen standen experimentelle oder
auch magisch-rituelle Texte, wobei die Musikerinnen generell ihre
eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen selbstverständlicher
als in den vorgegangenen Jahren formulierten.
OVA UND DIE UNABHÄNGIGKEIT
Die Londoner Band Ova, deren Kern nach mehreren Besetzungswechseln
Jana Runnalls und Rosemary Schonfeld bildeten, wurde in den späten
siebziger Jahren mit der Absicht gegründet Musik gezielt für
Frauen zu machen. Frauenmusik bedeutet, etwas neues zu schaffen
und die Maßstäbe selbst zu definieren. Natürlich
ist es schwer, Frauenmusik klar abzugrenzen; zu sagen, ist das jetzt
noch Frauenmusik oder benutze ich jetzt schon wieder männliche
Strukturen. Einer der wichtigsten Punkte ist die Herangehensweise.
Frauen, die sich fragen, was sie eigentlich mit der Musik wollen
und Musik aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachten. Nicht:
was wird erwartet, was ist gerade in, was ist gerade
kommerziell erfolgreich? Wichtig ist, wofür diese Musik steht:
woher kommt diese Musik, die ich mache, und wie arbeite ich mit
anderen zusammen? Es geht auch um den Prozeß, nicht nur um
den Sound, der dabei herauskommt. (...)(1)
Im Gegensatz zu den meisten anderen Musikgruppen strebte Ova keineswegs
an, vor möglichst vielen Menschen aufzutreten. Die Musikerinnen
legten vielmehr großen Wert auf überschaubare Konzerte,
die eine Kommunikation mit dem Publikum ermöglichten. Um ihre
Unabhängigkeit und ihre Identität als feministische Musikerinnen
zu bewahren bzw. um nicht aus finanziellen Gründen im musikalischen
Bereich Kompromisse eingehen zu müssen, veranstalten die beiden
Frauen Workshops und arbeiten zeitweise auch in anderen Bereichen.
Einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit
von der Musikindustrie bildete die Gründung von Ovatones, einem
eigenen Studios für Frauen innerhalb des Music Resource Centre
for Women and Girls in London. Einer der wichtigsten Punkte
war, etwas neues zu schaffen und die gesamte Kontrolle über
die eigene kreative Arbeit zu behalten, den ganzen Prozeß
in den eigenen Händen zu haben. Darum wollten wir Frauen mindestens
die Gelegenheit geben, ihre Musik aufzunehmen. Uns war auch klar,
daß es zu wenig Tontechnikerinnen gab. Das ist eines der größten
Hindernisse im Zusammenhang mit der Kontrolle über die eigene
Kreativität. Als Musikerin mußt du heute schon etwas
von Tontechnik verstehen, sonst ist das Endprodukt einer Aufnahme
etwas komplett anderes, als was du wolltest. Dies ist ein höchst
politisches Thema. Tatsache ist, daß die Medien und vor allen
die Musikindustrie klar von Männern kontrolliert werden.(2)
Die musikalische Basis der Veröffentlichungen, die zumeist
von einer positiven und fröhlichen Ausstrahlung geprägt
waren, die sich allerdings nicht immer mit den Inhalten deckte,
bildete im wesentlichen die Rock- und Folk-Musik. Das Spektrum der
Texte reichte von sehr persönlichen Beschreibungen bis zu klaren
gesellschaftspolitischen Aussagen, die allerdings oftmals auf floskelhafte
Losungen reduziert blieben. Eines der ausdrucksstärksten Stücke
Ovas war das 1988 entstandene Who gave birth to the universe,
in dem die beiden Musikerinnenen den patriarchalen Charakter der
Weltreligionen und die damit verbundene Unterdrückung von Frauen
angriffen: Church and myth and their religion. Nothings
in our hands. All the gods in all the ages belong to man. How many
secrets lie in the Vatican? How many women died in Islam? The ancient
Greeks decided we came from the head of Zeus. Then Pallas Athene
let all the men loose. Remember Lilith, she wouldnt do as
she was told. What about the witches burned? Where in all the history
books are the women bold? Written out, theyve been written
out. Their stories never told...
MOURNING SICKNESS UND DIE KRAFT DES ZORNS
Prudence Clearwater, Lynna Landstreet und Konnie Lingus vereinten
in den Veröffentlichungen ihres Projektes Mourning Sickness,
wie sie selbst sagten, eine abgedrehte Musik mit den
Idealen einer schwesterlichen Politik.(3) Musikalisch
verknüpfte die Band Elemente aus dem Rockbereich und experimentelle
Ansätze, während sie sich gleichzeitig von der traditionellen
Frauenmusik abgrenzte. Frauenmusik ist gewöhnlich nett,
angenehm und friedlich, aber niemals geräuschvoll, aggressiv,
wütend oder störend. Ich höre mir jedoch, wie viele
andere Feministinnen, lieber jemanden an, der auf Metall hämmert
als jemanden, der an einer akustischen Gitarre zupft...(4)
In einem 1987 verfaßten Manifest, das die inhaltliche Grundlage
der Texte der Band bildete, beschrieben die Musikerinnen ausdrucksvoll
in einer teilweise assoziativen Form den angestauten Zorn und Haß
gegenüber der alltäglichen patriarchalen Unterdrückung,
aber auch die Kraft des Widerstandes. Ich hörte ihn verkünden:
Sie ist so kalt wie die Titten einer Hexe. - Ich habe
schon aus geringfügigeren Gründen gemordet. Unser Ausdruck
des Zorns auf die Männer als Gruppe für die Verbrechen,
die sie an uns begangen haben, darf nicht als starre Ideologie des
Männerhasses verstanden werden. Trauernde Übelkeit ist
das, was eine Frau fühlt, nachdem sie ihren Ehemann auf dem
Höhepunkt des sexuellen Wahnsinns getötet hat. Sie verschluckte
ihn ganz mit ihrer Killerfotze. Strukturelle Gynäkologie: Führe
uns nicht in ein weiteres Patriarchat, sondern befreie uns von Adam.
Unser Blut wird von deiner Hand verbreitet und unsere Tränen
wurden vergossen für deinen Wahnsinn. In Verbindung mit den
vergifteten Flüssen werden sie zu einem Strom, der tödlicher
sein wird als du es dir vorstellen kannst...(5)
Die Texte von Mourning Sickness pendelten zwischen humorvollen
Beschreibungen, realistischen Darstellungen und assoziativen Bildern.
So wurden in dem Stück Flesh voller Zynismus die
Verbindungen zwischen zwei wesentlichen Merkmalen der westlichen
Gesellschaften dargestellt, dem Verzehr von Tierfleisch und der
Reduzierung von Frauen auf ihren Körper. The flesh you
eat could be mine... Look me over. Your eyes carve me up. I am flesh.
I am your sustenance. I am the spring lamb, tender and sweet. My
blood runs out so bright. Does it please you? I live only to provide
for you. Your teeth tear my flesh. I have my soul.... You remake
my body in your image. Mold my flesh to your desire. Sterilize me.
Hide my secretions and smells. Do I please you? Am I fit for your
consumption? Am I tasty? Do you love me? I have no thought of freedom.
You have bred me to perfect submission. In your bedrooms, your slaughterhouses,
your meatmarkets, your whorehouses. I await your appetite.
Der Text von Blowfarts beschrieb die alltäglichen
verbalen Angriffe auf Frauen, aber auch die Möglichkeit einer
entschiedenen Entgegnung. I walk down the street. Past young
boys and men. Excreting masculinity on the sidewalk like a disease.
Their shrill and screeching sounds invade my world. Hey baby.
I said, hey, baby. You got nice legs. Wanna fuck? Dont be
so stuck up, fuckin bitch. This is done as a compliment.
Not for my benefit but for theirs. Theyre expressing their
jaded, faded, and distorted power which they assume is their sexuality...
- Listen to me, little man. Im not your bitch, rubber doll,
fuckpig, or pussy. Youre trying to invade me, subjugate, degregate
and rape me. I know who I am. And what I want. I dont pick
up my lovers up off the street like leftover luncheon meat.
DIE YEASTIE GIRLZ UND DIE OFFENHEIT
Die Yeastie Girlz traten meist zu dritt auf und trugen dabei rappend
ohne musikalische Begleitung Texte vor, die sich in einer äußerst
offenen Weise fast ausschließlich mit dem Verhältnis
der Geschlechter und dem weiten Bereich der Sexualität beschäftigten.
Sie selbst beschrieben ihre Musik selbst als A-Cappella-Vaginacore-Rap.
Die Gruppe entstand im Sommer 1987 im Umfeld des Gilman Street Projects,
einem gegenkulturellen Zentrum in Berkeley. Wir lachten, unterhielten
uns über Hefeinfektionen, umarmten uns und die Yeastie Girlz
waren geboren.(6) Einige Tage später trafen sich die
Frauen während eines Konzertes vor dem Gebäude des Zentrums
und texteten spontan Yeast Power, das erste Stück
der Gruppe, welches in einer humorvollen Weise die Gespräche
über die Hefeinfektion, einer Geschlechtskrankheit, zusammenfaßte,
um dann in der Pause zwischen zwei Auftritten auf die Bühne
zu gehen und den Text vorzutragen.
Rückblickend sagte Jane, eine der Gründerinnen der Gruppe,
dazu: Wir taten es aus Spaß, aber auch um zu schockieren.
Es gibt so viele Dinge, die den Leuten unangenehm und peinlich sind,
auch mir, obwohl sie so normal sind. Es wäre großartig,
wenn wir an einen Punkt kämen, wo Frauen laut in der Öffentlichkeit
fragen würden: Hat irgendjemand einen Tampon für
mich?, anstatt zu flüstern... In einem anderen
Gespräch fügte Joyce hinzu: Nicht zuletzt war es
auch eine Antwort auf die ganzen Hardcore-Bands, die in der Gilman
Street ständig auftreten. Die ganze Sache ist ziemlich männlich
und umso mehr schockierten wir als Frauen, die von Sex und Verhütung
singen.(7)
Nach den positiven Reaktionen auf den ersten Auftritt entstanden
weitere Stücke, die nach mehreren Konzerten als Kassette und
später als Single veröffentlicht wurden. Charakteristisch
für fast alle Texte war eine humorvolle Grundhaltung, sowie
bewußte Überspitzungen und karikierende Formulierungen,
die insbesondere bei den Auftritten gleichermaßen den Rapperinnen
wie auch den ZuhörerInnen halfen, die Hemmschwellen aufzubrechen,
die mit den angesprochenen Tabuthemen verbundenen waren. Die inhaltliche
Offenheit führte jedoch auch zu Zensurmaßnahmen durch
Radiostationen, die auf Grund der textlichen Aussagen die Stücke
nicht spielten.
Ein wesentlicher Aspekt der Veröffentlichungen der Yeasties
bildete die Vermittlung von Wissen über den weiblichen Körper,
das sie als wesentliche Voraussetzung für die Überwindung
der Abhängigkeit von Ärzten und damit als einen ersten
Schritt auf dem Wege zur Überwindung der patriarchalen Fremdbestimmung
ansehen. So gaben die Rapperinnen im Rahmen der Stücke und
in den begleitenden Ausführungen auf dem Cover ihrer Single
verschiedene Hinweise in Bezug auf natürliche Verhütungsmittel,
sie beschrieben Methoden zur Heilung von Geschlechtskrankheiten,
zeigten psychosomatische Zusammenhänge auf und informierten
über notwendige Schutzmaßnahmen gegen AIDS.
In vieler Hinsicht aufbrechend war das Verhältnis der Yeastie
Girlz gegenüber der Sexualität. In den Texten sprachen
die Musikerinnen zumeist in einer selbstironisch überspitzten
Weise vorbehaltlos über sexuelle Praktiken und ihre eigenen
Bedürfnisse, während sie gleichzeitig das selbstherrliche
und sexistische Verhalten vieler Männer, die sie als Spermbrains
(Spermaköpfe) bezeichneten, vorbehaltlos aufzeigten
und angriffen. Beispielhaft war das Stück You suck,
indem die Yeasties detailliert beschreiben, wie sie oral befriedigt
werden wollen, und von ihren Freunden verlangten, daß sie
auf ihre Bedürfnisse eingehen. In Put a lid on it,
einem anderen beispielhaften Text, stellten die Yeasties nachdrücklich
klar, daß sie nur bereit sind mit Männern zu schlafen,
wenn diese ein Kondom benutzen. I say I wanna fuck ya now
but first we better talk about a little piece of rubber that fits
on your cock. The only thing about fuckin that makes me afraid
is I dont wanna get pregnant and I dont wanna get AIDS.
So Im telling you to take responsibility. You say you used
em before and didnt like the way they felt but put a
lid on it boy, right now!... Put a rubber on your dick without being
asked. Unless you wanna sit at home masturbating. Wear a rubby every
time without complaining. Its your damm sperm juice that causes
all the trouble. So put a lid on it boy!... Theres a whole
lotta ways to have sexual fun. The old in and out is not the only
one. You can kiss me, you can suck me, you can finger me too. But
you better wear a rubber if you wanna screw.
LIBANA UND DER KREISLAUF
Die aus dreizehn Frauen bestehende Gruppe Libana hat es sich zur
Aufgabe gemacht, Lieder von und über Frauen aus verschiedenen
Kulturen und Epochen zu sammeln und zu veröffentlichen. Auf
der Bühne führen wir als Libana Musik und Tänze auf,
welche die weibliche Traditionen und Überlieferungen mannigfaltiger
Kulturen hervorheben: keltische, afrikanische, jüdische, osteuropäische,
mitteleuropäische und lateinamerikanische. In den Auftritten
fassen wir diese Traditionen thematisch zusammen, um die Universalität
weiblicher Erfahrungen antiker Zeiten bis zur Gegenwart zu vermitteln.
Wir interessieren uns für die musikalischen Besonderheiten
der Kulturen und arbeiten fleißig daran, als Ensemble die
regionalen Klangfarben zu porträtieren. Durch die Musik versuchen
wir einen Einblick in die Kulturen zu bekommen und der noch nicht
erzählten globalen Geschichte der Frauen ein weiteres wertvolles
Stück beizufügen.(8) Entgegen des umfassenden Anspruchs
beschränkt sich allerdings die Auswahl der Lieder, die zumeist
a-cappella oder mit nur minimaler musikalischer Begleitung vorgetragen
werden, insbesondere auf Stücke, die eine spirituelle Naturverbundenheit
beschreiben, während sich die Unterdrückung und die Ausbeutung
von Frauen wie auch ihr Widerstand in den Liedern bestenfalls unterschwellig
widerspiegelt. Im Vordergrund steht der Ausdruck einer inhaltlichen
und melodischen Harmonie.
Eine wesentliche Bedeutung für die Musik von Libana und darüber
hinaus für die innere Entwicklung der Gruppe haben Rituale
als Verbindung unterschiedlichster Ausdruckformen, wie Gesang, Tanz
und Dichtung, zur bewußten Konzentration von Energien. In
einem einleitenden Text zu einigen speziell für Rituale konzipierten
Stücken auf ihrer Kassette A circle is cast, die
der Sängerin in uns allen gewidmet ist, bezeichnen
die Musikerinnen die von ihnen selbst entwickelten und gemeinsam
durchgeführten Rituale als Quelle ihrer Kreativität und
Inspiration. Um ein meditatives und konzentrierendes Einlassen zu
ermöglichen, sind die Lieder einfach aufgebaut und basieren
auf monotonen, gleichmäßigen Wiederholungen. Inhaltlich
beschreiben sie natürliche Kreisläufe, wie zum Beispiel
den Wechsel der Jahreszeiten, und vermeintlich göttliche Kräfte
und Energien. In diesem Zusammenhang beispielhaft ist The
earth is our mother, ein von Libana oftmals vorgetragenes
traditionelles Lied nordamerikanischer IndianerInnen.The earth
is our mother. We must take care of her. Her sacred ground we walk
upon with every step we take. The earth is our mother, she will
take care of us. Hey yanna, ho yanna, hey yan yan.
Auch der Rundgesang A circle is cast, der sich im übertragenden
Sinne auf den Kreis als eine harmonische, gleichmäßige
Form bezieht, basiert auf der ständigen Wiederholung einer
einzigen Textzeile, die von einem gleichmäßigen Summen
unterlegt wird. Libana schrieb dazu: Ein Kreis ist das Symbol
von Einheit und Ganzheit. Im Kontext von Gruppenversammlungen ermöglicht
die Benutzung des Kreises allen Personen sich als integrierte gleichberechtigte
TeilnehmerInnen zu fühlen. Das Lied kann als ritualisierender
Prozeß der Bildung eines Kreises gesungen werden, bei der
bewußten Bestimmung eines Raumes, in dem Energie hervorgerufen,
umfaßt und konzentriert werden kann.
DIAMANDA GALAS UND DER SCHREI
Zu den ersten Solo-Projekten der Sängerin Diamanda Galas gehörte
ein Programm, das sich mit der Terrorherrschaft der griechischen
Militärjunta auseinandersetzte. Wie in den meisten ihrer Produktionen
beschränkte sich Galas dabei nicht auf das Bestreben bestimmte
Vorgänge darzustellen und aufzuzeigen, sondern versucht diese
auch selbst, soweit dies möglich ist, während ihrer Auftritte
zu durchleben. Die Lieder beziehen sich nicht nur auf die
griechische Junta. Solche Militärjuntas gibt es überall
auf der Welt. Wenn ich den Song from the blood of those murdered
aufführe, werde ich zu der Person, die gefoltert wurde, die
diese Erfahrung gemacht hat. Ich durchlebe die Situation. Es ist
also nicht in erster Linie eine Analyse der politischen Situation,
sondern eine schmerzhafte Darstellung der Realität. Ich gehe
weit weg von meiner eigenen Realität, erlebe das Leiden, die
Ungerechtigkeit. Das ist manchmal sehr gefährlich, wenn man
sich intensiv konzentriert.(9)
Als Tochter griechischer EinwanderInnen, die selbst als MusikerInnen
tätig waren, wuchs Galas in New York mit vielfältigen
musikalischen Einflüssen auf. Später arbeitete sie nach
einer klassischen Gesangsausbildung mit dem Avantgarde-Komponisten
Iannis Xenakis, verschiedenen Theater- und Performance-Gruppen und
mit dem Jazz-Musiker Ornette Coleman zusammen. In den späten
siebziger Jahren begann Diamanda Galas, die sich selbst als elektroakustische
Schauspielerin bezeichnet, mit der Realisierung eigener Projekte,
die bis in die Gegenwart von der Auseinandersetzung mit menschlichen
Verhaltensweisen unter extremen Bedingungen bestimmt sind. Durch
die musikalische und inhaltliche Kompromißlosigkeit ihrer
Aufführungen wurde sie bald einem größeren Publikum
bekannt.
1986 führte Galas mit Divine Punishment den ersten
Teil ihrer Musikperformance Masque of the red death
auf, die sich mit der Immunschwäche AIDS auseinandersetzt.
Neben eigenen Texten benutzte die Sängerin dabei Bibelpassagen
und die Litaneien des Satans von Charles Baudelaire.
die konzeptionell in einen Zusammenhang mit der Krankheit gestellt
und als Metapher für das Leiden, aber auch als Angriff auf
die gesellschaftliche Ignoranz und die ausgrenzenden Positionen
der katholischen Kirche und konservativer Gruppen verwendet wurden.
Es geht um die Hexenverfolgung, die Kreuzigung der Unschuldigen
und den langsamen Tod. Was können diese Menschen fühlen,
die ich mit einer verdammten Nadel im Hals im Krankenhaus sah. Sie
waren menschliche Skelette, die nur durch schmerztötende Mittel
am Leben gehalten wurden. Ich werde dies nie vergessen. Niemals.(10)
Über die Trauer um die Verstorbenen und den Zorn gegenüber
den regierenden PolitikerInnen und deren Haltung zur AIDS-Problematik
hinausgehend, versteht Galas die Trilogie als Aufforderung zum Handeln.
Du bist entweder ein Teil des Widerstandes oder ein Kollaborateur.
Es gibt keine andere Wahl. Ich war im finnischen Fernsehen und ein
Journalist fragte mich: Wann wird es deiner Meinung nach eine Heilung
geben? Ich antwortete: Wenn du das fragen mußt, dann bist
du ein Teil der Ursache, weshalb wir noch keine Heilung haben...
- Ich habe nicht den Anspruch, eine Sprecherin der AIDS-Community
zu sein. Ich bin nur eine kleine Stimme, die gibt was sie kann.
Aber ich sage dir: Mach etwas! Selbst wenn du dich nur eine Stunde
in der Woche mit der AIDS-Krise beschäftigst, mach etwas! Frage
mich nicht nach einer Heilung, sei ein Teil davon!(11)
Neben den Auftritten und Schallplattenveröffentlichungen der
Sängerin erregte in der Mitte der achtziger Jahre ihr Black Leather Beavers-Manifest Aufsehen, in dem sie
in der Tradition von Valerie Solanas radikal-feministischen S.C.U.M.-Manifest
die Notwendigkeit der Bildung von Frauengruppen beschreibt, die
Vergewaltiger aufspüren und kastrieren. Zudem sprach sich die
Sängerin für die Bewaffnung von Frauen aus, damit sie
sich gegen Übergriffe von Männern zur Wehr setzen können.
Bewußt provokant fordert sie, daß jeder Mann, bevor
er das erste Mal mit einer Frau schläft, anal penetriert werden
sollte, damit er zumindest ansatzweise die Empfindungen einer Frau
nachvollziehen kann, in deren Körper ein Mann eindringt.
CANAILLE UND DIE WELT DER KLÄNGE
Frauen nahmen in der Geschichte des Jazz fast durchgängig
nur eine Randposition ein. Sozialisationsbedingt waren die wenigen
Frauen, denen es gelang aus dem Schatten der Männer zu treten,
fast ausschließlich als Sängerinnen tätig. Erst
seit den siebziger Jahren sind Frauen in einem größeren
Ausmaße auch als Instrumentalistinnen in der Jazz-Szene vertreten.
Einen Höhepunkt der männlichen Dominanz bildeten die fünfziger
Jahre, als sich die rückschrittlichen politischen Entwicklungen
in den westlichen Staaten und die dadurch geprägte soziale
Stellung der Frau im Jazz niederschlugen. Der Free Jazz der sechziger
Jahre änderte an dieser Situation anfangs nur wenig. Als Ausbruch
aus rückständigen Konventionen im musikalischen, sowie
im übertragenen Sinne auch im gesellschaftlichen Bereich bildete
der Free Jazz allerdings die Grundlage für das Selbstverständnis
vieler Musikerinnen in der Folgezeit.
In den späten siebziger Jahren schlossen sich verschiedene
Musikerinnen aus dem Bereich der Improvisierten Musik, darunter
Maggie Nicols, Lindsay Cooper und Irène Schweizer, zur wegweisenden
Feminist Improvising Group zusammen. Im Gegensatz zu vielen anderen
Gruppen aus dem Bereich der Frauenmusik orientierten sie sich nicht
an den traditionell Frauen zugewiesenen Ausdruckselementen, sondern
entwickelten einen eigenständigen Stil. Die Cellistin Cooper
schrieb dazu: Männer benutzen Rhythmus, Technologie und
Improvisation, um dieselbe Macht und sexuelle Dominanz auszudrücken,
welche die Frauen unterdrückt. Wenn jetzt die Frauen so darauf
reagieren, daß sie sich selbst auf melodische und akustische
Formen beschränken, statt auch andere Elemente in einer nichtunterdrückenden
Art zu gebrauchen, dann bestätigen sie lediglich die alte Definition
von Weiblichkeit.(12)
Durch die Einbeziehung theatralischer Elemente gelang es der Gruppe
einen direkten Bezug zum eigenen Alltag und zu dem der meisten Zuschauerinnen
herzustellen. Maggie Nicols, die auch zu den Gründerinnen der
Band Ova gehörte, beschrieb dies wie folgt: Die Frauen
im Publikum identifizierten sich mit den Rollen, die wir darstellten,
musikalisch hinterfragten und gegen die wir rebellierten. Die gequälte
Mutter und Hausfrau, die prüde Lady, das wütende, beschützte
Kind, das ausgeflippte Mädchen... Einige der Männer fühlten
sich dadurch angegriffen. Es war eine Kampfansage gegen die trockenen,
intellektuell abstrahierenden Stücke vieler improvisierender
Musiker. Wir stellten die Beziehung zwischen dem privaten und dem
politischen dar. Wir erforschten das Verhältnis des konkreten
und abstrakten. Wir improvisierten theatralische Sketche, machten
persönliche und politische Aussagen. Wir griffen die patriarchalen,
bürgerlichen Standards an, die vorgeben, wie Musik sein sollte.(13)
Die Musikerinnen der Feminist Improvising Group bildeten auch den
Kern des 1986 gegründeten Frauenprojekts Canaille. In wechselnder
Besetzung treffen sich seitdem jährlich in verschiedenen westeuropäischen
Städten Jazz-Musikerinnen und seit einer Öffnung 1996
auch Musiker, um gemeinsam nach musikalischen Wegen im weiten Bereich
der Improvisierten Musik zu suchen. Die meisten Canaille-Stücke
sind von den gängigen Aufbauschemen weit entfernt und nur selten
im herkömmlichen Sinne eingängig. Sie setzen vielmehr
als eine Reise in die vielfältige Welt der Klänge eine
Offenheit gegenüber experimentellen Ausdrucksformen von Seiten
der ZuhörerInnen voraus. So werden in einem Stück ständig
wechselnde Klavierrhythmen von schrillen Saxophonklängen begleitet,
in einem anderen ergänzen sich metallische Schlagzeugtöne
und ein lauthafter Gesang.
In einem begleitenden Text zu einer CD-Veröffentlichung von
Aufnahmen eines Canaille-Festivals wurden die Grundgedanken der
Gruppe, die sich auch auf viele andere Frauenprojekte übertragen
lassen, programmatisch festgehalten: Canaille - ist wie das
Wort: frech, spontan, aufbrausend und kreativ. Canaille - ist eine
sich immer wieder verwandelnde Tradition von Spielfreude, Spontanität
und Zuneigung. Canaille - das sind Frauen der Improvisierten Musik,
zu deren allerersten Qualitäten das Zuhören, das Aufeinandereingehen,
das Miteinander anstelle des Gegeneinanders gehören. Das läßt
sich an jeder Stelle, ob im Duo, Trio oder Sextett, hören:
Eine Musik, die sich auflehnt gegen alle Stereotypen, die Spannung
gebiert, aushält, auflöst. Immer wieder neu und immer
noch ungezähmt...(14)
(1998)
Anmkerkungen:
1) Aus einem Interview mit Rosemary Schonfeld. In: Lesbenstich Nr.
2 / 91. Berlin, 1991.
2) Aus einem Brief von Konnie Lingus an den Autor. Januar 1989.
3) Landstreet, Lynna / The other womyns music. In: Kick It
Over No. 18. Toronto, 1987.
4) Auszug aus einem Manifest von Mourning Sickness. Veröffentlicht
im Beiheft zur Kassette: Mourning Sickness / A delectible detriment.
(Radical Cunts Anonymous / KomistA). 1987.
5) Aus einem Interview mit Cammie, Jane und Joyce (Yeastie Girlz).
In: Maximum Rocknroll No. 61. Berkeley, 1988.
6) Aus einem Gespräch des Autors mit Joyce und Kate (Yeastie
Girlz) am 3.12.1988 in Hanau.
7) Paffrath, Marytha / A circle is cast. In: Libana / A circle is
cast. (Libana). Cambridge (USA), 1986.
8) Aus den Anmerkungen von Libana zu dem Lied A circle is
cast in: Libana / A circle is cast. (Libana). Cambridge (USA),
1986.
9) Aus einem Interview mit Diamanda Galas in: Landolt, Patrik und
Wyss, Ruedi (Hrsg.) / Die lachenden Außenseiter - MusikerInnen
zwischen Jazz, Rock und Neuer Musik. (Rotpunktverlag). Zürich,
1993.
10) Aus einem Interview mit Diamanda Galas in: Forced Exposure No.
15. Waltham (USA), 1989.
11) Aus einem Interview mit Diamanda Galas in: Vale, V. und Juno,
Andrea (Hrsg.) / Re/Search No. 13 - Angry Women. (Re/Search
Publications). San Francisco, 1991.
12) Cooper, Lindsay / Improvisation fällt nicht vom Himmel.
(1977). In: Landolt / Außenseiter. (Siehe 9).
13) Aus einem Brief von Maggie Nicols an den Autor. Februar 1994.
14) Aus dem Begleittext zur CD: Canaille / Canaille 91. (Canaille).
1991.
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
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