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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Autonomia:

KEIMZELLEN

Dies soll der Versuch sein, ein Modell zu entwerfen. Ein Modell nach dem für uns ein anderes Leben und die Entwicklung einer autonomen Kultur vorstellbar wäre und anzustreben ist.

Modell kann einerseits heißen: abstraktes, kaltes Muster, idealisiert und ohne Bezug zur Realität. Modell kann aber auch heißen: ein gewisses Maß an Abstraktion und Idealisierung, jedoch mit Ansätzen bei den eigenen Erfahrungen und Möglichkeiten. In der Umsetzung soll dies bedeuten: konsequente Weiterentwicklung von bestehenden Strukturen, die zum Teil schon stärker waren, von denen Keime aber immer noch existieren bzw. immer wieder neu entstehen.

Wir wollen ein solches Modell formulieren, weil wir immer wieder an uns selbst erleben, daß zähe Diskussionsprozesse, Einzelinitiativen und mühsame Kleinarbeit ohne Zusammenhang erscheinen. Eine Perspektive, die darin liegt, wird oft so winzig, daß mensch der Resignation nahe kommt. Wenn es dann mal wieder nicht sichtbar weitergeht, werden Gruppen aufgegeben. Dem ”das bringt doch alles nichts” zu verfallen liegt Einzelnen oft näher als jedesmal neu bzw. erneut damit anzufangen Gruppenzusammenhänge aufzubauen.

Ein Modell kann dieses Problem natürlich nicht lösen. Es kann keine Auseinandersetzungen um unser Scheitern und Weiterkommen ersetzen. Es kann aber helfen, gemessen an unseren Ansprüchen und Utopien, eine Orientierung an einer möglichen Perspektive neu oder wieder neu zu benennen.

Bedingung für das Funktionieren organisierter Strukturen sind die einzelnen Menschen. Menschen, die in kollektiven Zusammenhängen politische Identität und solidarisches menschliches Verhalten als untrennbar miteinander verbunden sehen, sowie darüber hinaus Menschen, die diese Vorbedingungen (kollektive Zusammenhänge - politische Identität - solidarisches Verhalten) als Basis für eine mögliche soziale Ausweitung autonomer Politik begreifen.

Tatsache ist, daß abweichende und ungleichzeitige Sozialisation uns zu verschiedenen Individuen mit jeweils eigenem Charakter gemacht hat; mit Verhaltensweisen, die von dieser Gesellschaft geprägt sind. Die Vielfalt und Verschiedenheit ist auf der einen Seite Quelle der Auseinandersetzung, von gesellschaftlicher Bewegung, von Leben überhaupt. Auf der anderen Seite verhindern kapitalistisch-industrielle Normen wie Konkurrenz- und Hierarchiedenken, die uns auch anerzogen und aufgezwungen worden sind, ein solidarisches Miteinander. Lern-, Wissens- und Erfahrungsunterschiede sind immer vorhanden, sie sind aber keine unveränderbare Bedingung, die zwangsläufig zu Ansätzen von Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen führen müssen.

Deshalb muß es uns immer darum gehen, die Grenzen zwischen den ”Dominanten und Dominierten” einzureißen. Dabei sind beide Seiten gefordert; beide müssen sich in diesem Prozeß ernst nehmen und Verantwortlichkeit entwickeln. Grundstruktur für diesen langwierigen Prozeß sind Gruppen, deren Mitglieder sich gut kennen, aufeinander eingehen können und sich gemeinsam organisieren: Kämpfende Kollektive als Keimzellen der neuen Gesellschaft.

Kampf findet aber nicht nur auf der Ebene von Massenmilitanz oder nächtlichen Aktionen statt, Alltagsorganisierung muß genauso wesentlicher Bestandteil autonomer Organisierung und Gegenmacht sein. Auch wenn wir in diesem Text eine Aufteilung zwischen Alltagsorganisierung als existenzieller Voraussetzung und politischer Organisierung machen, so geht es uns im Grunde darum, die Trennung zwischen kollektiven Lebens- und Widerstandsformen aufzuheben.

ALLTAGSGEMEINSCHAFTEN

Wir müssen alle in dieser kapitalistischen Gesellschaft in irgendeiner Form unsere Existenz sichern, unseren Alltag organisieren. Dabei unterliegen wir alle mehr oder weniger bestimmten Zwängen: Schule, Lehre oder Uni, Sozial- und Arbeitsamt, befristete oder Teilzeitjobs vom Sklavenhändler bis hin zur ”garantierten” Arbeit im Achtstundentag. Auch selbstverwaltete Betriebe, die in ihren Ansätzen sicherlich richtig sind, unterliegen in dieser Gesellschaft Marktzwängen und laufen von daher Gefahr, nur in der Illusion selbstverwaltet zu sein.

Kollektive Alltagsorganisierung im Reproduktionsbereich begreifen wir dagegen als Milderung des täglichen Zwangs zur Arbeit durch verschiedene Formen von Wiederaneignung, gegenseitiger Hilfe und Zusammenarbeit.

Unsere eigenen Erfahrungen in den letzten zehn Jahren haben uns allerdings deutlich gemacht, daß auch wir immer mehr von gesellschaftlichen Zwängen eingeholt werden von denen wir uns gerade lösen wollten. Frühere Ansätze von gemeinsamen Lebens- und Wohnformen, sowie die damit verbundenen Ansprüche sind in einigen Fällen entweder von der Realität eingeholt oder immer weiter eingeschränkt und letztlich aufgegeben worden.

Das Persönliche politisch, das Politische persönlich machen war und ist ein Kernstück autonomer Identität. Organisierung muß entsprechend darauf abzielen, den täglichen Kampf besser zu bestehen, was gleichzeitig bessere Ausgangsmöglichkeiten für die politische Arbeit schafft. Für uns müßte das heißen: Anstrengungen zur Organisierung des Alltags nicht als wenig lohnende Kraftakte anzusehen, sondern zur Verbesserung unserer eigenen Lebenssituation, wie auch als wichtigen Bestandteil autonomer Gegenmacht.

Mit den drastischen Kürzungen bzw. Streichungen der Soziallöhne hat sich der Zwang zur Arbeit ziemlich verschärft. Diese Arbeit, mit mehr oder meist weniger Identifikation ausgeführt, nimmt einen wesentlichen Teil unserer Zeit in Anspruch. Unser Alltag, unser Bewußtsein ist davon geprägt, Kraft und Energie werden abgezogen und nicht selten werden wir darüber in die Zwangsjacken gesellschaftlicher Abläufe gedrückt.

Abendliches Abhängen vor dem Fernseher, ”notwendige” häufig individualisierte Wochenenderholung und Konsumkompensation sind nur beispielhaft Ausdrücke eines Entfremdungs- und Isolationsprozesses. Von diesem sind wir vielfach selbst betroffen, was unsere Möglichkeiten von vornherein erstickt, zumindest stark begrenzt, was ja auch das Ziel dieser Zerstörungsstruktur ist.

Es fällt auf, daß die Verschärfung dieses Problems meistens privatisiert, individualisiert angegangen wird. JedeR versucht für sich oder höchstens noch mit den BeziehungspartnerInnen so gut es geht damit klar zu kommen. Es scheint auch erstmal bequemer. Intakte Wohngemeinschaften oder ähnliche Bezüge bestehen kaum noch, politische Gruppenzusammenhänge werden mit solchen Problemen nicht ”belastet” und auch in engeren Freundschaften sind Entfremdungsprozeße meist kein Thema. Es ist notwendig Zusammenhänge neu zu schaffen oder wiederzubeleben, die gerade diese uns täglich betreffende Problematik aufgreifen und miteinbeziehen.

Objektiv gesehen, sind die Möglichkeiten entsprechenden Wohnraum für kollektive Wohnformen zu finden, total eingeschränkt. Subjektiv gesehen gibt es schon im Vorfeld Ängste vor unklaren Entwicklungen, zum Teil bestehen auch Unsicherheiten auf Grund von schlechten Erfahrungen. Eigene Widersprüche im Zusammenleben waren oft so groß geworden, daß sie als nicht lösbare Probleme angesehen wurden.

Trotz alledem spüren die meisten von uns, daß es eigentlich nicht anders geht, daß Alltagsgemeinschaften, Wohngemeinschaften und intensive Gruppenzusammenhänge, die über das herkömmliche Maß hinausgehen, unverzichtbare Bestandteile einer Perspektive für ein anderes Lesen darstellen.

Persönliche Ängste, Psychos, Beziehungsprobleme, Mann-Frau-Strukturen sind zwar auch in engen Gemeinschaften nicht unbedingt auf die Gruppe übertragbar, können aber zumindest als allgemeine und nicht nur individuelle Probleme erkannt und von daher auch anders gelöst werden.

Der Arbeitszwang und finanzielle Probleme lassen sich mindern, indem sozialstaatliche Einrichtungen gemeinsam genutzt werden, aber auch indem Aneignungsaktionen verschiedenster Art (Schwarzfahren, Klauen, Wohnungs- und Hausbesetzungen, ...) zusammen entwickelt bzw. verbessert werden.

Dabei muß eine gemeinsame Kinderversorgung ermöglicht werden, welche die Eltern von ihrer traditionellen Rolle zumindest entlastet und dadurch versucht eine gemeinschaftliche Verantwortung zu schaffen. Auch um den zwangsweisen Rückzug der Eltern ins ”Private” aufzuheben.

Natürlich wäre dies noch an unzähligen Beispielen zu vertiefen. Vom gemeinsamen Lebensmitteleinkauf bis hin zum Anbau im gepachteten Garten, vom Workshop zur Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten bis hin zum Auto-Pool. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

KLEINGRUPPE, PLENUM UND ZENTRUM

Ein weiterer Punkt wäre die Existenz von Räumen, die gemeinsam getragen und genutzt werden, ein Kommunikations- und Kulturzentrum oder wie auch immer mensch das nennen mag. Gemeint ist ein offener, nicht kommerzieller Freiraum als lokale Möglichkeit vielfältiger persönlicher, kultureller, politischer Initiativen.

Es wird darauf ankommen, unter uns ein Bewußtsein zu schaffen (Verantwortlichkeit, Kontinuität, Identifikation), das es ermöglicht vorhandene Bedürfnisse zu äußern bzw. umsetzen zu können. Um letztendlich diesen Freiraum für Gruppen, Initiativen, Veranstaltungen, Filme, Parties, Konzerte, Feste, Sport, Kindergruppe, Volksküche, Öffentlichkeitsarbeit, Archiv, Kopier- und Druckgeräte etc. etc. nutzen zu können und als Kommunikationszentrum zu verankern. Als Anlaufpunkt für ”neue” oder interessierte Leute kann dieses Zentrum wieder zurück auf die gesamte Struktur wirken. Von einer stabilen Grundlage ausgehend steckt darin eine wirkliche Möglichkeit zur sozialen Ausweitung.

Eng verbunden, aber nicht notwendigerweise identisch mit bestehenden Alltagsgemeinschaften bilden Kleingruppen die Kernstruktur für eine politische Organisierung. Über längere gemeinsame Erfahrungen und Diskussionsprozesse entsteht in den Kleingruppen eine weitgehende Vertrauensbasis. In diesem Rahmen von wenigen, vielleicht drei bis acht Leuten kann der Anspruch, ein politisches Kollektiv selbstbewußter, verantwortlicher und gleichberechtigter Individuen zu entwickeln, am ehesten umgesetzt werden. Indem sich jedeR offen einbringen kann, ermöglicht die Intensität der Auseinandersetzung inhaltliche und praktische Prozesse. Ein Nebeneffekt ist dabei, daß Spitzel hier keine Chance haben.

Im Idealfall wären lokale Plenen erst die nächste Stufe einer politischen Organisationsstruktur. In den Plenen müßte die Arbeit der Kleingruppen zusammenfließen, danneben ermöglicht es einen Informationsaustausch und die Koordination von Aktivitäten und bildet einen Diskussionsrahmen für allgemeine und weiterführende Einschätzungen.

Allerdings kann nur in seltenen Fällen davon ausgegangen werden, daß sich solche Kleingruppen irgendwie finden. Eine stärkere politische Sozialisation beginnt meistens über bestimmte Themen und Aktionen, also gerade in diesen vorbereitenden Treffen und Plenen. Entsprechend arbeiten in den Plenen, soweit solche regelmäßig bestehen, viele Einzelpersonen mit, die nicht in kleineren Gruppen organisiert sind.

Wir glauben allerdings, daß ab einer Gruppenstärke von zehn bis fünfzehn Leuten bestimmte Auseinandersetzungen kaum oder nur schwierig stattfinden können. Unsicherheiten können in kleinen vertrauteren Gruppen wesentlich besser abgebaut werden, Gespräche sind eingehender und offener. Gerade ”stillere” Leute lernen sich mehr zuzutrauen und offener ihre Meinung darzulegen wenn die Gruppe kleiner ist.

Angesichts einer mehr oder weniger ”natürlichen” Fluktuation, einem Kommen und Gehen, mit dem ein offenes Plenum bis zu einem gewissen Maß leben muß, kann auch die inhaltliche Diskussionsarbeit nicht in der Kontinuität und Genauigkeit laufen, wie das in kleinen Gruppen möglich ist.

Bei praktischen Überlegungen wird diese Problematik noch deutlicher. Eine Zwischenlösung hin zu den nötigen stabilen Kleingruppenstrukturen wären bestimmte Arbeitsgruppen, die sich auch ohne weiteren kontinuierlichen Anspruch zu spezifischen Themen einarbeiten, daran genauer diskutieren, Flugblätter oder Veranstaltungen vorbereiten. Ähnlich einer Kleingruppe könnte hier an bestimmten Themen intensiv gearbeitet und dies dann ins Plenum eingebracht werden.

Über die Bearbeitung verschiedener inhaltlicher Themenfelder im Plenum kommen wir dem Ziel, eine gesamtgesellschaftliche Einschätzung, Widerstandsmöglichkeiten und gemeinsame Perspektiven zu erarbeiten, Stück für Stück näher. Öffentliche Veranstaltungsreihen, eigene Flugblätter und Zeitungen könnten darauf aufbauen und versuchen Inhalt und Praxis unserer Arbeit zu vermitteln.

Erst diese einigermaßen stabilen theoretischen Grundlagen und halbwegs klaren praktischen Vorstellungen eröffnen uns einen inhaltlichen Einfluß und eine praktische Mobilisierung, also die Möglichkeit der politischen Ausweitung mit der allein wir überhaupt erst zu einem politischen Faktor werden.

Wir halten diese beschriebene Grundstruktur, also Alltagsgemeinschaften und politische Kleingruppen, Zentrum und Plenum, in ihrer lokalen / örtlichen Vernetzung für eine von uns vorrangig anzugehende Aufgabe. Der Weg dahin ist kein linearer und es wäre falsch einen Schritt zur absoluten Voraussetzung für einen anderen zu machen. Vielmehr stehen diese Elemente in Wechselwirkung zueinander und es eröffnen sich aus jedem kollektiven Schritt neue Möglichkeiten, so kann das Eine auf dem Anderen aufbauen.

Die Struktur lebt gleichzeitig unabhängig jeglicher politischer Konjunktur als gegenkulturelles Netzgeflecht mit stabilen Zusammenhängen und handlungsfähigen Kernen, sowohl für die Einzelnen als auch für den gemeinsamen Kampf.

Das wir die lokale Struktur als vorrangig bezeichnen hat absolut nichts mit Lokalpatriotismus zu tun. Uns geht es um stabile Zusammenhänge als Fundament für eine weitere regionale / überregionale / landesweite / … Organisierung. Die Funktion überregionaler Treffen, zum Informationsaustausch, als Impulsgeber und Diskussionsplattform oder für die Zusammenfassung bestehender Kräfte zu aktuellen Kampagnen, ist damit keineswegs bestritten. Eine Umsetzung und Ausweitung der Ergebnisse hängt aber wiederum von den lokalen Strukturen ab.

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