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Sadie Plant:
DIE SUCHE NACH DEM PSYCHOAKTIVEN GLÜCK
- Die Philosophin Sadie Plant über Drogen, Macht und Sexualität -
Über Drogen zu schreiben gleicht einem Eintauchen in
eine Welt, in der nichts so ist wie es erscheint. Alles schimmert
und mutiert wenn Du es festhalten willst. Fakten und Figuren tanzen
wild durcheinander, scheinbare Gewißheiten verflüchtigen
sich wie Staub im Wind. Drogen bestimmen Gesetze und prägen
die Weise wie sie gebrochen werden, sie würfeln die Kodes durcheinander
und eröffnen das Wechselspiel von Wunsch und Notwendigkeit,
Euphorie und Schmerz, Normalität, Perversion, Wahrheit und
Künstlichkeit ...
Mit diesen Worten beginnt Sadie Plant in ihrem Buch Writing
in Drugs eine Reise durch die jüngere Kulturgeschichte
von Drogen am Beispiel einer ganzen Reihe von SchriftstellerInnen,
die sich literarisch mit psychoaktiven Substanzen auseinandergesetzt
haben. So schrieb Charles Baudelaire über die nur vermeintlich
künstlichen Paradiese seiner Haschisch-Erfahrungen,
Sigmund Freud setzte sich in Theorie und Praxis mit Kokain auseinander,
Jean Cocteau veröffentlichte tagebuchartige Aufzeichnungen
über Opium, Aldous Huxley beschrieb an Hand seiner psychedelischen
Reisen mit Meskalin die Pforten der Wahrnehmung und
nicht zuletzt William S. Burroughs offenbarte in seinem Werk immer
wieder all die Höhen und Tiefen unterschiedlichster psychoaktiver
Erlebnisse... Die Auflistung ließe sich noch lange fortsetzen,
all diesen Schriftstellern ist gemeinsam, dass sie das Bild von
einzelnen Drogen mitgeprägt und die Wirkungen der entsprechenden
Substanzen zum Teil auch einem größeren nicht-konsumierenden
Publikum vermittelt haben. Manchmal erscheint es aber auch so, dass
nicht die AutorInnen der eigentlich aktive Part waren, sondern vielmehr
die Drogen die Arbeit der entsprechenden SchriftstellerInnen phasenweise
so sehr geprägt haben, dass diese selbst wie ein von den Drogen
geschriebenes Buch erscheinen. Sadie Plant beschreibt pointiert
derartige Wechselbeziehungen und nimmt die LeserInnen dabei auf
eine Reise durch die psychoaktiven Welten der Literatur. Writing
on Drugs läßt in diese Wirklichkeiten eintauchen
ohne zum gegebenen Zeitpunkt die Bedeutung des Auftauchens zu vernachlässigen.
Sadie Plant wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere durch
das cyber-feministische Buch Nullen und Einsen bekannt.
Wortgewandt zeigt sie darin auf, dass die Geschichte moderner Technologien
keineswegs nur von Männern geprägt wurde. Plant arbeitete
als Professorin für Philosophie und Neue Technologien an verschiedenen
Universitäten in England und ist inzwischen als freie Publizistin
tätig. Im folgenden Email-Interview antwortet sie auf Fragen
von Wolfgang Sterneck.
W.: Die Auswahl eines Themas für ein Buch hat immer auch einen
persönlichen Hintergrund. Niemand wählt ein Thema zufällig
aus. (John Cage war da wohl eine Ausnahme). Was war Deine persönliche
Motivation über Drogen zu schreiben?
S.: Einer der Hauptgründe war die schlichte Erkenntnis, dass
es das Buch über Drogen, das ich selbst gerne lesen würde,
wohl nicht gibt. Also habe ich mich irgendwann hingesetzt und versucht
es selbst zu schreiben. - Ich bin sicher, dass viele SchriftstellerInnen
das schreiben was sie selbst gerne lesen würden. - Viele der
erhältlichen Bücher stehen dem Gebrauch von Drogen entweder
völlig feindselig gegenüber oder sind viel zu enthusiastisch.
Vielfach konzentrieren sie sich auch auf eine bestimmte Zeit oder
eine bestimmte Droge, währendessen ich ein Buch schreiben wollte,
das einige grundlegende Fragen stellt, was psychoaktive Substanzen
überhaupt ausmacht, wie sie wirken und warum deren Gebrauch
zumeist so entschieden unterdrückt wird. Ich wollte ein Buch
schreiben, das all die falschen Behauptungen entlarvt mit dem der
sogenannte War on Drugs geführt wird, während
ich mich gleichzeitig mit den Ambivalenzen und vielfältigen
Bezügen beschäftigen wollte, die Drogen umgeben. Aber
ich habe dieses Buch auch geschrieben um für mich selbst verschiedene
Themenbereiche zu durchdenken und Ideen auszuführen, die mich
schon lange Jahre beschäftigen.
W.: Siehst Du den Gebrauch von psychoaktiven Substanzen im wesentlichen
als ein Weg der Flucht oder eher als eine Möglichkeit persönlicher
bzw. darüber hinausgehend einer gemeinschaftlichen Weiterentwicklung?
S.: Auf einer individuellen Ebene gibt es so viele verschiedene
Wege - und Gründe - wie es Personen gibt. Auf einer gesellschaftliche
Ebene, in einem größeren historischen Zusammenhang betrachtet,
scheint es so, dass es viele Beispiele dafür gibt, dass sich
Gesellschaften durch den Gebrauch bestimmter Drogen weiterentwickelt
haben. Es gibt Theorien, die besagen, dass die menschliche Intelligenz
oder gar das menschliche Bewusstsein durch den Gebrauch psychoaktiver
Pflanzen einen wesentlichen Anschub erhalten haben. Wenn man Gemeinschaften
betrachtet, die psychoaktive Substanzen im Kontext schamanistischer
Rituale nutzen, dann ist es relativ einfach zu erkennen wie wesentlich
die Bedeutung dieser Erfahrung für eine Gesellschaft sein kann.
Es gibt ähnliche Zusammenhänge in der westlichen Welt,
auch wenn man darüber streiten kann, wie positiv diese tatsächlich
sind. So hat beispielsweise im 19. Jahrhundert die Elektrifizierung
ein Gefühl erzeugt, dass die ganze Welt quasi unter Strom stehe.
Der Umstand, dass damals Kokain sehr populär wurde war kein
Zufall. Man sagte ganz klar: Synchronisiere deinen Kopf mit den
Forderungen der Außenwelt. Oder nimm als Beispiel Speed, das
gerade in einer Zeit noch nie dagewesener Geschwindigkeit im Bereich
der Fortbewegung und der Kommunikation etc. eine besondere Verbreitung
erlangte. Das eine folgt nicht aus dem anderen, aber es bestehen
Zusammenhänge.
W.: Die berühmtesten literarischen Veröffentlichungen
über Drogen stammen fast durchgängig von Männern.
Welche Gründe siehst Du dafür? Glaubst Du, dass Frauen
Drogen in einer anderen Weise als Männer nutzen und dass sie
andere Arten von Erfahrungen machen?
S.: Keine einfachen Fragen zu denen es viele Antworten gibt...
Seit der Hexenverfolgung wurde die Verbindung von Frauen und Drogen
als etwas bedrohliches angesehen. Und es besteht zweifellos ein
wesentlich größeres Tabu hinsichtlich des Drogengebrauchs
bei Frauen als bei Männern. Mädchen machen soetwas
nicht. ... Es ist außerdem so, dass viele Drogenerfahrungen
mit einer Auflösung von Barrieren, einem Aufgeben von Kontrollmechanismen
und einem veränderten Verständnis der Parameter der Realität
zu tun haben. Und all dies fällt in der Regel Männern
dramatisch schwerer.
W.: Die staatliche Politik gegenüber Drogen basiert in den
westlichen Ländern auf einer Reihe von Widersprüchlichkeiten,
die im unterschiedlichen juristischen Umgang mit Cannabis und Alkohol
besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Vielfach ist ein taktischer
Umgang festzustellen. So werden beispielsweise illegalisierte Substanten
offiziell bekämpft, dann aber gerade in einigen gegenkulturellen
Strukturen geduldet, um die entsprechenden Szenen intern zu schwächen.
Es gibt gerade aus der HausbesetzerInnenbewegung in Italien und
Holland im Zusammenhang mit der Heroin-Problematik viele Beispiele
hierfür. Wie siehst Du die derzeitige Funktion von Drogen in
den westlichen Staaten?
S.: In der gegenwärtigen Situation wird es zugelassen, dass
Drogen zu einem hohen Prozentsatz über den Schwarzmarkt gehandelt
werden und einen hohen Anteil an der Weltwirtschaft haben. Andererseits
bildet der Drogenmarkt immer wieder die Begründung für
zahllose militärische Interventionen im Ausland und eine repressive
Politik im Innern. Der Drogenhandel führte zu einer vermögenden
kriminellen Schicht, gleichzeitig erlaubt er manchen Staaten einen
nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung ins Gefängnis
zu stecken und er bildet eine Grundlage von Militärdiktaturen
... Von einer rein politischen Perspektive aus betrachtet sind die
Funktionen kaum überschaubar vielfältig und tatsächlich
voller Widersprüche.
W.: Und die Funktionen in der Zukunft, wird es die perfekte
Droge geben? Wird das Soma aus Aldous Huxley Schöne neue
Welt als glücklich machende, aber auch in einem gesellschaftlichen
Sinne ruhigstellende Droge für jede Situation Realität
werden?
S.: Die perfekte Droge - daran glaube ich nicht. Eine perfekte
Droge müßte so fein abgestimmt sein, dass es im Grunde
keine Droge mehr wäre, sondern etwas, das im neurologischen
System in einer ganz anderen Art und Weise wirkt.
W.: Drogen und Sexualität gehören noch immer zu den größten
Tabus in unserer Gesellschaft. Hast Du eine Erklärung dafür?
Wie schätzt Du das Verhältnis zwischen diesen beiden Bereichen
ein?
S.: Ich bin mir nicht sicher, ob Sexualität tatsächlich
noch immer solch ein großes Tabu in den westlichen Gesellschaften
ist. Aber Drogen zweifellos in vielerlei Hinsicht. Auch wenn wir
ständig darüber sprechen, so gibt es noch immer einige
große Einschränkungen in dem was diskutiert werden kann
und wie man es formuliert. Und wenn dann jemand Drogen und Sex miteinander
verbindet, dann ist es zweifellos noch immer eine äußerst
provokative Kombination. Ich glaube, dass sich dies aus verschieden
Faktoren ergibt. Die moderne westlichen Welt ist an Arbeit und Leistung
ausgerichtet und nicht an der Erfahrung von Glück und Freude.
Es gibt aber auch Zeiten, Plätze und Wege in denen eine Verbindung
von Drogen und Sex von Teilen der Gesellschaft moralisch akzeptiert
wird. So zum Beispiel beim Gebrauch von Kokain im Bett - man gehört
dann ja nicht zu den normalen Drogen-Usern, man ist ja etwas besseres...
Im traditionellen Verständnis sollen Drogen und Sex jedoch
dazu dienen, das Bestehende aufrecht zu erhalten, Drogen wenn überhaupt
als Medizin, Sex als Reproduktion. Wenn jemand Drogen und Sex aus
Vergnügen verbindet, dann wird es kontrovers weil dies im Widerspruch
zu diesen noch immer tief verwurzelten Positionen steht.
W.: Es gibt mehrere Wege die inneren Grenzen (die auch äußere,
gesellschaftliche sind) zu überwinden und in einer tieferen
Weise zu fließen als dies im vorgegebenen Alltag
möglich ist. Es gibt beispielsweise den ekstatischen, trancehaften
Tanz, es gibt Sexualität und es gibt psychoaktive Substanzen
um in veränderte Bewusstseinszustände zu gelangen. All
diese Methoden wurden über einen langen Zeitraum in der westlichen
Welt zum Teil nachhaltig unterdrückt. Worin siehst Du die Wurzeln?
Und welche Wege siehst Du diese Situationen zu überwinden und
einen Zustand des Fließens zu erlangen?
S.: Ich glaube nicht, dass diese Wege einfach nur unterdrückt
wurden, aber zweifellos wurden sie in den vergangenen Jahrhunderten
sehr eingeschränkt und in andere Bereiche kanalisiert. Doch
es ist zweifellos so, dass sie inzwischen wieder verstärkt
genutzt werden, vielleicht weil die moderne historische
Epoche zu einem Ende kommt und wir in eine andere Art der Realität
übergleiten.
Der Westen ist eine sehr individualisierte Kultur, die auf starken
Egos und klaren Grenzen basiert. Wenn nun versucht wird diese Grenze
aufzulösen, dann werden auch die Konzepte des eigenen Selbst
aufgelöst und meist als ein gefährlicher Verlust von Kontrolle
wahrgenommen. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit in der diese
Grenzen durch die Möglichkeiten, die uns heute Drogen oder
Sex bieten, etwas durchlässiger werden. Aber zweifellos sind
diese Möglichkeiten keine Garantie dafür, dass die Leute
sie auch benutzen um zu fließen...
W.: In der Techno-Kultur haben Drogen bis heute eine bedeutende
Funktion. Wie schätzt Du die Wechselbeziehung von Ecstasy und
der Entwicklung der Szene ein?
S.: Ich habe diese Szene in ihrer Anfangszeit geliebt. Die Verbreitung
von Ecstasy in Verbindung mit der Musik, die Technologie, die ganze
Szene - all dies waren auch Faktoren, die mich inspirierten über
Drogen zu schreiben. So beschäftigte mich beispielsweise der
Umstand, dass es Ecstasy schon Jahrzehnte gab, aber erst in den
neunziger Jahren eine derartige Verbreitung fand. Mir erscheint
es so, als habe Ecstasy geradezu auf solch einen technologischen
Moment gewartet - digitale Technologien, insbesondere der Sampler,
aber selbstverständlich auch das Internet und die ganze Idee
des Cyberspace - bevor es wirklich einen Sinn machen konnte.
Ecstasy veränderte Empfindungen und die Erfahrungen von Realität
wie es auch die UserInnen dazu anregte sich mit dieser neuen digitalen
Welt zu beschäftigen. Und es offenbarte vielen UserInnen neue
Wege des Umgangs miteinander und auch neuen Betrachtungsweisen von
sich selbst. Auch dass der Umgang mit Sex viel selbstverständlicher
und umverkrampfter wurde hing viel mit Ecstasy zusammen. Ecstasy
eröffnete in dieser Anfangszeit vielen Leuten tatsächlich
ein verändertes Verständnis von Glück.
Sadie Plant / Writing on Drugs.
Faber and Faber; ISBN 0-571-19616-0.
Sadie Plant
Thanks to Sadie Plant.
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