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Konrad Lischka:
DIE LINIE ZUM MENSCHENPARK
- Bevor über Regeln für Genetik gesprochen wird, sind
Psychopharmaka und Drogen dran -
Zum Ausruhen Valium, zum Ausgehen Kokain. Gerade mit diesem beiläufigen
Detail beschreibt Bret Easton Ellis in seinen Romanen über
die frühen 80er (Unter Null) und frühen 90er
Jahre (Glamorama) ein Phänomen, dass in Richtung
Menschzüchtung weist die Anpassung des Körpers
an gesellschaftliche Gegebenheiten mittels Psychopharmaka und Drogen.
Wie sehr die Grenzen zwischen Medikament und Droge verschwimmen,
wird an der aktuellen Diskussion um Methylphenidat in den USA und
Großbritannien deutlich. Als Medikament wird der Amphetamintyp
seit 1957 von Ciba Geigy unter dem Namen Ritalin vertrieben. Ärzte
verschreiben das Psychopharmakon vor allem hyperaktiven Kindern,
die unter Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung
(ADHD) leiden. Auf sie wirkt das eigentlich aufputschende Mittel
beruhigend. Wie genau, ist nicht erforscht. Fest steht nur, dass
Ritalin den Spiegel des Neurotransmitters Serotonin, einem Botenstoff,
der Informationen zwischen Nervenzellen überträgt, im
Gehirn erhöht.
Ein erhöhter Serotoninspiegel bringt enorme Glücksgefühle
nicht anders wirkt der Ecstasy- Wirkstoff MDMA. Deshalb ist
Ritalin in den USA als Droge sehr begehrt. In Phoenix müssen
sich inzwischen Eltern Entziehungstherapien unterzeihen, nachdem
sie das Ritalin ihrer Kinder schluckten. Die US-Drogenbehörde
DEA (Drug Enforcment Administration) hat das Medikament neben Kokain
und Methadon als Stufe 2 Droge auf die Bekämpfungsagenda genommen.
Hier stellt sich die Frage, ob die Gründe aus denen Kindern
und Erwachsene Riatlin konsumieren so unterschiedlich sind. Die
von der DEA verfolgte Nutzung dient meist dem Aufputschen, um im
Job oder danach Leistung bringen zu können, die dem Körper
eigentlich nicht möglich ist. Die Nutzung auf Rezept ermöglicht
Kindern, die sonst nicht ruhig sitzen und sich konzentrieren könnten,
den erfolgreichen Schulbesuch. Ob Ritalin bei ihnen tatsächlich
die Ursache, also eine Veränderung der Gehirnchemie, oder nur
das Symptome bekämpft, ist nicht mit letzter Sicherheit zu
sagen. ADHD wird in den USA häufiger diagnostiziert als in
der Restwelt, die Zahl der Ritalinverschreibungen hat sich zwischen
1991 und 1995 verdoppelt. In Großbritannien ist die Zahl der
Verschreibungen von 2.000 im Jahr 1991 auf 92.000 im Vorjahr gestiegen.
Weltweit ist der Ritalin-Gebrauch 1998 laut einem Bericht der WHO
in 50 Staaten um 100 Prozent gewachsen. Die Experten mahnen, mögliche
ADHD Überdiagnostizierungen zu verfolgen und exzessiven Gebrauch
der Substanz zu zügeln".
Tatsächlich aber besteht enormer Bedarf nach Ritalin, ob er
nun aus einer plötzlich global auftretenden Fehlfunktion der
Gerhirnchemie resultiert oder aus anderen Gründen. Dr. Harvey
Marcovitch vom britischen Royal College of Paediatrics and
Child Health kritisierte im Independet: Viele von uns
sind sehr skeptisch, was die Gründe für Hyperaktivität
angeht. Einige meine, das sei ein Produkt des Lernens, der Beziehungen
und von zuviel TV-Konsum.. Ähnlich äußert
sich Dr. Duncan Keeley vom Royal College of General Practitioners:
Ernsthafte emotionelle Störungen sind extrem verbreitet
bei Kindern. Alle Umfragen zeigen dies und doch wird es oft übersehen.
Soziale Dienste für bedürftige Kindern sind verschwunden,
die Kindesarmut steigt, ebenso die Familientrennungen. Alls diese
Umstände führen gewöhnlich zu Verhaltens-Störungen
bei Kindern." Ob die Ritalin-Anwendung in dem Fall legitimer
ist als bei working poor, die sich durch eine 80-Stunden
Woche kämpfen und nebenbei vielleicht ein Kind mit Lernschwierigkeiten
zu versorgen haben, ist fraglich.
Die Entwicklung ist nicht so neu. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts
verschwimmt die ohnehin nie klare Grenze zwischen illegalen Drogen
und legalen Medikamenten. Mit der Entdeckung des Neuroleptikums
Chlorpromazins 1952 brach das Zeitalter der modernen Psychopharmaka
an. Es setzte eine Euphorie ein, die Tranquilizer zu medikamentösen
Konfliktlösern machte.
Tranquilizer bekämpfen Angst, Spannungszustände, dämpfen
Zwangsvorstellungen, helfen bei Stressbewältigung, besänftigen
innere Unruhe, mildern Frustration kurz gesagt: Sie entspannen.
Und sind wohl deshalb nach Alkohol zur zweiten Volksdroge geworden.
In den USA heißt Diazepam Markenname Valium - auf der
Straße Mother's Little Helper. Das Mittel war
eines der ersten Benzodiazepane, es kam in den frühen 60er
Jahren auf den Markt. Heute machen in den USA Medikamente dieses
Typs 30 Prozent aller Verschreibungen kontrollierter Substanzen
aus. Ein anderer Tranquilizer, das synthetische Opiat Propoxyphene,
vor allem als Schmerzmittel Darvon verschrieben, ist laut DEA regelmäßig
für einen der Top Ten Plätze bei Drogentoten verantwortlich.
100 Tonnen Darvon werden jährlich in den USA produziert, 25
Millionen Rezepte ausgestellt. Das liegt nicht nur daran, dass die
Medikamente ab den 60er Jahren besser und verfügbarer geworden
sind es resultiert vor allem daraus, dass die Menschen sie
brauchen. Drogen haben zwei Hauptfunktionen: Die Leistungssteigerung
oder die Entspannung. Valium entspannt: Die Hand-Augen-Koordination
verlangsamt sich, ebenso die Reaktionszeit. Der Mensch gewinnt subjektiv
Zeit. Ähnliches leistet Cannabis.
Wie ausgeprägt das kollektive Bedürfnis nach Glück
und Entspannung ist, zeigte der Prozac-Hype in den USA Anfang der
90er Jahre. Fluoxetine Markenname Prozac - ist ein Antidepressivum
des Herstellers Eli Lilly. Das 1974 vorgestellte, 1987 in den USA
zugelassene Mittel erhöht gezielt den Serotoninspiegel. Es
gehört zur Klasse der so genannten selective serotonin
reuptake inhibitors (SSRIS). Über Jahre hinweg widmeten
Magazine wir Time, Fortune, Newsweek dem Mittel Titelgeschichten.
Es war und ist hip, Prozac zu nehmen, ein Mittel, das offenbar gegen
alles gut ist: Depression, Panik, Sozialphobie, Übergewicht.
Eine ähnliche Funktion wie Prozac und Valium erfüllt Ecstasy.
Der Wirkstoff MDMA erhöht grob gesagt den Serotoninspiegel.
Folgen: Glückseeligkeit, Offenheit, das Gefühl von Nähe
zu anderen Menschen. Deswegen wird in den USA Ecstasy auch hug
drug genannt. Auffällig ist, dass in einer Gesellschaft,
die immer mehr die Isolierung des Individuums von den Mitmenschen
beklagt und massiv an der Volkskrankheit Depression leidet, der
illegale Ecstasykonsum enorm steigt. Die DEA nannte 1999 Ecstasy
die sich am schnellsten ausbreitende Droge des Jahres. Wie schnell,
ist nur zu schätzen. Fest steht: Seit Anfang des Jahres wurden
in den USA acht Millionen Ecstasy-Pillen beschlagnahmt. 1998 waren
es im gesamten Jahr nur 400000 ein Zwanzigstel.
Prozac, Valium und Ecstasy kurieren Folgen des Leistungsdrucks,
den andere Drogen wiederum zu bewältigen helfen. Nicht ohne
Grund machen die Berichte des UN Drogenkontrollprogramms immer wieder
die meisten der weltweit 13 Millionen Kokainnutzer in den USA aus.
Kokain ist eine Leistungsdroge. Kaum eine Seite in Bret Easton Ellis
Roman American Psycho, der das Leben der Wall Street
Yuppies beschreibt, vergeht ohne durch die Nase gezogene Line. Heute
geht man davon aus, das der Anteil der Kokainnutzer im Silicon Valley
anteilsmäßig am höchsten in den USA ist. Die Droge
erhöht die Aufmerksamkeit, verdrängt Müdigkeit und
Hunger.
Die meist verwandte leistungssteigernde Droge ist Koffein. In den
Vereinigten Staaten konsumiert jeder Bürger im Durchschnitt
210 mg am Tag, in Großbritannien 445 mg, in Schweden 425 mg.
Koffein ist eine weiße, bittere, kristalline Substanz. 75
bis 150 mg der Inhalt von ein bis zwei Tassen Kaffee
bewirken neurale Aktivität in zahlreichen Gehirnpartien. Was
genau passiert, ist nicht endgültig zu sagen. Die Folge sind
jedenfalls Wachheit, verbesserte psychische und physische Leistungen,
verstärkter Metabolismus.
Koffein macht abhängig. Der Körper entwickelt eine Toleranz,
was bedeutet, das eine höhere Dosis für dieselbe Wirkung
nötig wird. Ab 350 mg täglich setzt eine physische Abhängigkeit
ein. Entzugserscheinungen sind Kopfschmerzen, Gereiztheit. Trotz
dieser Eigenschaften ist Koffein eine der traditionellsten und meistkonsumierten
Drogen der Welt. Im sechsten Jahrhundert wurden in Nordostafrika
Kaffeebäume gezüchtet. Heute liegt der weltweite Verbrauch
bei 120000 Tonnen jährlich.
Arbeits- und Entspannungsdrogen gab es immer schon, nur ist in der
Moderne durch veränderte Produktionsbedingungen, die enorme
Flexibilität und Leistung verlangen, ein neuer Bedarf entstanden.
Kaffee oder Kokain zum Arbeiten, Valium oder Xanax zum Entspannen
und Prozac zum Glücklichsein. Die Pharmaindustrie versucht,
hierfür herkömmliche Drogen zu verbessern: Methadon ist
ihre Antwort auf Opium, Marinol die auf Cannabis. Aber die neuen
Stoffe sind nicht anders als ihre Vorbilder Drogen. Psychopharmaka
und illegale Substanzen sind längst unerlässlich für
das Fortbestehen aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse.
Bevor Regeln für Genetik als nächste Stufe der Anpassung
des Körpers an die Gegenwart gedacht werden, muss über
solche für den Psychopharmaka- und Drogengebrauch verhandelt
werden. Ist es vertretbar, Kindern im Alter von zwei bis vier Jahren
Ritalin zu verabreichen, wie es in den USA immer häufiger wohlmöglich
zum Ruhigstellen geschieht ihren Eltern aber die Entscheidung,
ähnliche Stoffe zu verwenden, abzuerkennen? Im Moment gibt
es keinen Missbrauch, allein Gebrauch.
Konrad Lischka
Dank an Konrad Lischka für die Genehmigung der Veröffentlichung
im Archiv Sterneck.net
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