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Wolfgang Sterneck
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Birgit Bauer:

WAS HEIIST HIER QUEER?


Der Begriff queer hat sich in den USA seit Beginn der 90er Jahre in Abgrenzung und Weiterentwicklung zu Begriffen wie gay, gay and lesbian oder LesBiGay sowohl als Bezeichnung für eine theoretische Richtung (queer theory, queer studies) als auch als Bezeichnung einer neuen Art von politischem Aktivismus (ACT UP! (1), Queer Nation, Transgender Nation) etabliert. Sowohl der Begriff als auch die Bedeutungen, die mit ihm assoziiert werden, sind nicht unumstritten, und queer wird auch unterschiedlich verwendet.

So wird der Begriff von großen Teilen der Schwul-lesbischen Bewegung als Synonym für gay and lesbian benutzt. Eine weitere Bedeutung schließt bisexuelle Identitäten und Personen mit ein, so daß queer als mit lesbisch, schwul und bisexuell gleichbedeutend aufgefaßt wird und somit ein erster Bruch mit der hetero/homo-Dichotomie (2) stattfindet. Eine dritte Möglichkeit ist, queer als ein breit gefaßtes Dach für unterschiedlichste Gruppen von Personen zu verstehen, die gegen bestimmte gesellschaftliche Normen verstoßen (wollen), darunter nicht nur Lesben, Schwule und Bisexuelle, sondern transgendered persons (3), Intersexen (4), leatherfolk (in Sinne von Menschen, die S/M (Sadomasochismus) unterschiedlichster Art praktizieren) und andere. Das "und andere" ist hierbei von zentraler Bedeutung: queer in diesem Rahmen bezieht sich eben nicht mehr nur oder hauptsächlich auf bestimmte Personengruppen, sondern ist ein notwendig unbestimmter Begriff in dem Sinne, daß seine Bedeutung sich laufend verschieben kann und absichtlich nicht klar umreißbar sein soll.

Diese Strategie der Unbestimmtheit dieses Begriffs hat ihren Ursprung in der Kritik an der traditionellen Identitätspolitik. Bei dieser Form der Politik bildet eine gemeinsame Identität die Grundlage für die Handlungsfähigkeit und Bildung eines handelnden Kollektivs. Dabei wird diese von allen in der Bewegung (z.B. Frauenbewegung oder Schwulenbewegung) geteilte Identität so verstanden, daß allen Personen eine gemeinsame Erfahrung von Diskriminierung zukommt. Kritik an dieser Form der Identitätspolitik kam seit den 80er Jahren verstärkt aus verschiedenen Richtungen, z.B. von Women of Color (5), die auf die totalisierende Wirkung der Kategorie "Frau" hinwiesen und zeigten, daß nicht alle Frauen eine gemeinsame Erfahrung von Unterdrückung teilen, so äußerte beispielsweise die schwarze lesbische Poetin und Aktivistin Audre Lorde Kritik an der Frauenbewegung: "Die Unterdrückung von Frauen kennt keine ethnischen noch rassischen Grenzen, das ist wahr, aber das bedeutet nicht, daß sie innerhalb dieser Differenzen identisch ist. (...) Denn jenseits von Schwesterlichkeit ist immer noch Rassismus." (6) Weitere Kritik stammte von bisexuellen Frauen (oft Ex-Lesben), die die Normierung der lesbisch-feministischen Monokultur kritisierten und sich gegen den Ausschluß bisexueller Frauen, bzw. die Biphobie (7) innerhalb der lesbischen Szene wehrten; von Transgendered, die ihre Lebensweisen in den begrenzten Möglichkeiten traditioneller Identitätskategorien nicht wiederfinden konnten, von Intersexen, die auf die gewalttätigen Folgen der Norm der (biologischen) Zweigeschlechtlichkeit hinwiesen und aus dem AIDS-Aktivismus, der auf die Gefahren einer Identitäts-gebundenen HIV-Politik aufmerksam machte und sich statt dessen auf (Sex-)Praktiken konzentrierte; der Wandel läßt sich in etwa durch die Formel: "Es gibt keine Risikogruppen, sondern nur riskantes Verhalten" wiedergeben. Parallel wurden in der Theoriebildung vermehrt poststrukturalistische (8) Ansätze aufgenommen, die ebenfalls vermeintlich natürliche Kategorien von Identität grundsätzlich in Frage stellten.

Queer als politisch-strategisches Konzept (9)

Eine queere Politik basiert auf Bündnissen, die sich an der Opposition zu bestimmten herrschenden Normen orientieren, besonders der Norm der Zweigeschlechtlichkeit, der Heteronormativität, der Monosexualität (10), der Hierarchien aufgrund von Geschlecht, Ethnizität, race, Klasse, Ability (11), Alter, usw., dem Gebot der Monogamie, der heterosexuellen Kernfamilie and anderen Normen des vergeschlechtlichten Zusammenlebens und sexueller Praktiken (statt eine gemeinsame Unterdrückungserfahrung als Grundlage von Solidarität anzunehmen, die der Heterogenität der Erfahrungen nicht gerecht werden kann und Verschränkungen von Hierarchien nicht angemessen berücksichtigen kann). Diese Bündnispolitik beruht auf dem Prinzip der Inklusivität statt der Exklusivität: grundsätzlich können sich unter dem Dach queer alle Menschen wiederfinden, die mit ihren gelebten vergeschlechtlichten Identitäten oder Nicht-Identitäten und/oder sexuellen Praktiken gegen die obengenannten Normen verstoßen (12). Es sollte außer dieser weit gefaßten Gemeinsamkeit keine Normierung von Identität stattfinden, die zum Ausschluß bestimmter Personen aus der Bewegung führt. Grundsätzlich gilt: solange es sich um konsensuelle Praktiken, also Handlungen, die im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden, handelt, sind sie akzeptiert. Somit findet auch eine Reflektion von Ausschlußmechanismen innerhalb der eigenen Bewegung statt, nicht nur auf gesamtgesellschaftlich relevante Normen bezogen. Beispiele für Normierungen innerhalb der Subkultur (oder auch innerhalb der Subkultur), die von einer queeren Bewegung kritisiert werden, sind Rassismus, Biphobie, Transphobie (13) und Diskriminierungen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes eines Menschen, der nicht die Schönheitsideale der Szene erfüllt (Lookism).

Politisch gesehen ist queer weiter ein Begriff, der von einer "in your face-attitude" (14) begleitet wird: es wird sich bewußt ein Begriff angeeignet, der bisher eindeutig negativ besetzt war (15) und nicht nur umgewertet, indem er als positive Selbstbezeichnung funktioniert. Vielmehr geht mit dem queeren Aktivismus eine erneute Radikalisierung von Politik einher; es geht um eine grundlegende Kritik der Gesellschaft und an den ihr zugrundeliegenden genannten Normen, nicht um das Erkämpfen von Rechten für eine Gruppe von (weißen, ohnehin schon priviligierten) Schwulen und Lesben. (16)

Zu problematisieren ist, inwiefern die Anwendung eines "Dachbegriffes" wie queer dazu führt, daß wiederum die Personengruppen unsichtbar werden, die ohnehin am marginalisiertesten (17) sind, bzw. die geringste Lobby haben, namentlich Intersexen, Transgendered, Nicht-Weiße, usw. Oder solche, die aufgrund von dichotomen Kategorien undenkbar sind, z.B. Bisexuelle (19) oder Transsexuelle, die "passen" sollen (20).

Queer als Identität oder Nicht-Identität

Queer steht für ein Konzept von Identität, das Veränderung, die Möglichkeit multipler Identitäten (ohne darin notwendig einen Widerspruch zu sehen oder zu pathologisieren), sowie die Möglichkeit einer Verweigerung, sich zu definieren miteinbezieht. Ohne dabei wiederum eine neue Norm in den Sinne zu etablieren, daß über lange Zeiträume konstante, eindeutige Identitäten nicht mehr akzeptiert würden. Es geht um eine Erweiterung von Möglichkeiten, sich selbst zu definieren, nicht um neue Normen an der Stelle alter, sondern um eine grundlegende Kritik an starren, besonders an dichotomen Kategorien.

Im Mittelpunkt steht die Anerkennung von Differenz und Heterogenität. Dieses Konzept von Identität ist auf mindestens zwei Ebenen relevant: auf der Ebene der Identität einer Einzelperson und auf der Ebene der Identität von Gruppen. Auf der Gruppenebene soll mit queer Ausschlußmechanismen begegnet werden, die sich mit starren, einheitlichen Kategorien zwangsläufig einschleichen. Beispiele für solche Ausschlußmechanismen sind der Ausschluß bisexueller Menschen aus der Schwulen/Lesben-Bewegung oder der Ausschluß transsexueller Frauen aus der Frauenbewegung. Auf der Ebene der Einzelperson soll analog Normierungsprozessen begegnet werden, die dazu führen, daß Menschen Gefühle und Erfahrungen negieren, die sie als Teil ihrer selbst wahrnehmen. So kann das Konzept der queeren Identität so wirken, daß der Druck der Szene auf einzelne schwule Männer oder lesbische Frauen abnimmt, "hundert Prozent schwul oder lesbisch" sein zu müssen, bzw. kein "echter Schwuler" oder "keine richtige Lesbe" mehr zu sein, wenn er/sie erotische Gefühle für ein Mitglied des entgegensetzten Geschlechts zuläßt oder auslebt. Solch ein undogmatischerer Umgang mit Kategorien wie schwul und lesbisch gibt dem/der Einzelnen mehr Spielraum, sich selbst zu definieren.

Eine queere Identität läßt also eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten zu: vom schwulen Mann oder der Lesbe über Bisexuelle und Transgendered zu Bigendered, Trigendered, Pansensuals (21), heterosexual cross-dressers, femme-tops (22), switches (23), schwulen Frauen usw.

Queer Theory

Diesem kurz skizzierten Verständnis von Identität entspricht die Annahme, daß keine Identität natürlicher oder authentischer ist als eine andere; es gibt kein authentisches Original, auf das wir zurückgreifen könnten, sondern immer schon nur Kopien (24). Wie Judith Butler und andere queere TheoretikerInnen dargelegt haben, werden Geschlechts- und sexuelle Identitäten in komplexen Prozessen, die auf verschiedenen, ineinandergreifenden Ebenen stattfinden, hergestellt. Den Perspektivenwechsel, der daher mit queer einhergeht, hat Sabine Hark in Queer Interventionen (25) auf den Punkt gebracht. Queer bedeutet "eine Verschiebung der Analyse der modernen Konstruktion von Geschlecht und Sexualität. Diese werden als Effekte bestimmter moderner Bezeichnungs-, Regulierungs- und Normalisierungsverfahren begriffen, d.h. sie gehen Kultur nicht voraus (was implizierte, daß sie in dieser lediglich geformt würden), sondern sind gleichursprünglich mit ihr." (26) Nach Teresa de Lauretis, auf die der Begriff der queer theory zurückgeht und Judith Butler ist Geschlecht immer eine Imitation, eine Parodie, für das es kein Original gibt. Nicht nur Drag Queens inszenieren ihr Geschlecht, sondern wir alle stellen unsere Geschlechtsidentität ständig performativ her. D.h., wir appellieren mit unserem Verhalten, unserem Äußeren usw. an bestehende, im gesellschaftlichen Kontext eingebettete Konzepte und Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Wir sind also nicht einfach natürlicherweise Männer oder Frauen, sondern müssen diese Identitäten ständig festigen und bestätigen, indem wir uns immer wieder zu bestimmten Geschlechternormen verhalten; diese entweder bestätigen oder uns von ihnen abgrenzen. Durch unser Verhalten verschieben wir dadurch gleichzeitig die Bedeutung der Kategorien Mann und Frau ständig, da wir dem Idealbild nicht entsprechen können und somit immer nur Kopien eines Originals sind, das es so nie gab.

Die queer theory besagt, daß Geschlecht und Sexualität zwei voneinander zu unterscheidende analytische Kategorien sind und daß sie sich gegenseitig definieren. Somit weist queer daraufhin, daß die Kategorie Sexualität bisher in Analysen zu Geschlechterfragen gefehlt hat, was zur Folge hat, daß diese bestimmte Phänomene nicht zufriedenstellend erklären können. Da Geschlecht und Sexualität keine natürlichen, sondern diskursiv und politisch hergestellte Kategorien sind, sind sie auch nur kontextgebunden zu verstehen. Queere und heterosexuelle Identitäten sind dabei Produkte derselben Normen. Diese Normen stellen die verschiedenen Identitäten erst her; dies funktioniert vor allem durch Ausschlußprozesse. Diese Ausschlußmechanismen gelten innerhalb der "eigenen" Bewegungen und Theorien ebenso, daher besteht queer theory nicht nur auf der Kritik der hegemonialen Diskurse, sondern gerade auch auf dem Moment der Reflexivität der eigenen Diskurse, also besonders der gay and lesbian und feminist studies. Das Prinzip von queer als Reflexivität des eigenen Handelns ernstzunehmen, heißt daher, nie stehenzubleiben, sondern immer wieder kritisch zu hinterfragen, welche neuen Ausschlüsse durch eigene Theorien produziert werden.

Zu diesen an Sabine Hark angelehnten Ausführungen möchte ich hier noch einige Ergänzungen anführen. Es war und ist wichtig, auf die Verschränkung von Geschlechts- und sexueller Identität bei der Formierung von Identitäten hinzuweisen. Wer meint, daß die Formierung sexueller Identität nur für Lesben und Schwule wichtig ist, outet sich als heteronormativ denkend, da auch Heterosexualität performativ hergestellt werden muß. Allerdings ist es ebenso wichtig, andere Formierungs- und Normierungsprozesse in die Theorie einzubeziehen, da die Konstruktion von Identitäten ebenfalls ethnisch- und klassenspezifisch usw. ist.

Problematisch ist an einigen queeren TheoretikerInnen nicht nur, daß sie andere Achsen von Hierarchien wenig beachten, sondern auch, daß z.B. transgender-Themen zu Analysezwecken herangezogen werden, aber die Lebenssituation und Identität der Transgendered nicht reflektiert wird. Hier werden bestimmte, innerhalb der eigenen Szene marginalisierte Formen des Ausdrucks von Geschlecht und Sexualität für eigene Zwecke vereinnahmt (27).

Wissenschaftliche Bedeutung/Queer Studies

Queer Theory richtet den Fokus auf Normen und Zwangsmechanismen: die der Zweigeschlechtlichkeit, der Heteronormativität, der Monosexualität, dem Gebot Monogamie, der Einschränkungen, was Identitätsentwürfe betrifft, auf Sexismus, Rassismus, Ethnizität, Ability,...

Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß dieser Fokus ebenfalls auf diese Normen innerhalb der queer community angewendet wird, bzw. auf Subkultur-spezifische, "eigene" Normen wie Lookism (28), Ageism (29), Biphobie, ....

Die Bedeutung dieser Normen für die Theoriebildung, gesellschaftliche und Subkultur- Vorstellungen, Vorurteile, Diskriminierungen, Entstehung von Gewalt gegen Mitglieder unterpriviligierter Gruppen, usw. wird Gegenstand der Wissenschaft, im Kontext emanzipatorischer Bestrebungen.

Darüberhinaus ist die Untersuchung der komplexen Verschränkungen dieser Normen und die Bedeutung für den Einzelnen und Gruppen von Menschen notwendig, um der Komplexität der Herstellung von Kategorien wie Mann und Frau und Identitäten gerecht werden zu können; es hat sich gezeigt, daß verzerrte Ergebnisse zu Tage kommen, wenn die Kategorie "race" nicht in die Analyse von Geschlecht und Sexualität miteinbezogen wird, da die Kategorien von Geschlecht immer auch kultur-, klassen-, "Rassen"-spezifisch usw. sind.

Da es sich um eine Theoriebildung handelt, die mit einer politischen Emanzipationsbewegung eng verzahnt ist, nimmt auch die Bewertung von politischen Strategien vor dem Hintergrund dieser Normen und Ausschlußmechanismen eine wichtige Stellung ein, da die Theorie nicht Selbstzweck sein soll, sondern auch gesellschaftliche Relevanz entwickeln soll.

Ein wichtiger Bereich von queer theory stellt die Beforschung der Konstruktion von Identitäten (kollektiver und individueller) dar, um die Entstehungsprozesse zu verstehen.

Vielversprechend ist in diesem Zusammenhang auch, die Historizität und kulturelle Spezifität von Kategorien und Normierungen zu untersuchen.
Zu den theoretische Grundlagen, auf die die queer theory unter anderen zurückgreift, gehören die feministische Wissenschaftskritik, die Cultural studies, die Postcolonial Studies, der Konstruktivismus, die Diskursanalyse und die Dekonstruktion.

Schluß

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß queerer Aktivismus und queere Theorie sich nicht trennen lassen, sondern zusammengehören, was ich als Stärke empfinde, da Theorie nicht einem Selbstzweck, sondern emanzipatorischen Zwecken dienen sollte. Eine weitere potentielle Stärke sehe ich in der Komplexität der Analyse, die Verschränkungen von Kategorien beachten sollte, sowie in dem Fokus auf Normierungsprozesse und Ausschlußmechanismen nicht nur innerhalb hegemonialer Diskurse und Zusammenhänge, sondern auch innerhalb eigener Diskurse und Subkulturen.

 

Neuere Literatur (30)
Dawn Atkins (Hg.): Looking Queer, Body Image and Identity in Lesbian, Bisexual, Gay and Transgender Communities, Harrington Park Press, New York and London 1998
Brett Beemyn, Mickey Eliason (Hg.): Queer Studies, A Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Anthology, New York University Press, New York and London 1996
Naomi Tucker (Hg): Bisexual Politics - Theories, Queries and Visions, Harrington Park Press, New York and London 1995
Leslie Feinberg: Transliberation, beyond pink or blue, Beacon Press, Boston 1998
Annamarie Jagose: Queer Theory: An Introduction, New York 1997
Susan Stryker (Hg): The Transgender Issue, Gay Lesbian Quarterly, Vol. 4, No. 2, 1998, Duke University Press
Elizabeth Weed and Naomi Schor (Hg.): feminism meets queer theory, Bloomington 1997

Anmerkungen
(1) ACT UP! Steht für "Aids Coalition to unleash Power" und ist ein breites Bündnis von Menschen, die sich für HIV- und Aids-Politik interessieren und der staatlichen Politik etwas entgegensetzen wollen, z.B. indem sie auf den Rassismus in der Diskussion um ein Einwanderungsverbot von HaitianerInnen (das zum Teil mit erhöhtem HIV-Infektionsrisiko begründet wurde)hinwiesen.
(2) Dichotomie bedeutet hier, daß nur diese zwei Kategorien denkbar sind und sich gegenseitig bestimmen; es gibt kein Dazwischen, sondern diese beiden Begriffe bilden zwei Pole, die sich entgegenstehen und keine Überschneidung zulassen, wie schwarz-weiß oder gut-böse.
(3) Transgender hat wiederum zwei Bedeutungen: zum einen ist der Begriff in Abgrenzung zu Transsexualität entworfen worden, um Menschen zu bezeichnen, deren gelebtes gender (soziales Geschlecht) nicht ihrem sex (biologisches Geschlecht) entspricht (in der Logik der herrschenden Normen), die aber kein sex reassignment (Anpassung des biologischen Geschlechts an das soziale durch Hormonbehandlung und operative Eingriffe) - oder nur ein unvollständiges - wählen. Zum anderen bezeichnet der Begriff - ähnlich wie queer - als Dachbegriff alle Menschen, die aus der Logik, daß mensch ein sex hat und diesem ein bestimmtes gender entspricht (biologisch männlich - Mann / biologisch weiblich - Frau) herausfallen, also transsexuals, transgenders, intergenders (Menschen, die sich als zwischen den (zwei) Geschlechtern stehend begreifen), multiple gendered (Menschen mit mehreren Geschlechts-Ausdrücken), intersexuals (Intersexen, d.h. Menschen, die biologisch nicht einem der beiden Geschlechter zuzuordnen sind, sondern deren biologisches Geschlecht dazwischen liegt), cross dressers (Menschen, die zeitweise oder dauerhaft Kleidung tragen, die innerhalb der geschlechtlichen Kleiderordnung dem anderen Geschlecht zugeordnet wird, also "Männer in Frauenkleidern" oder "Frauen in Männerkleidern"), drag queens, kings (im deutschsprachigen Raum am ehesten Transvestiten) und andere. Ich benutze den Begriff in zweiten Sinn.
(4) Zwar werden die Begriffe genderfolk und transgender so gedacht, daß sie Intersexen einschließen, aber diese Begrifflichkeiten können aus verschiedenen Gründen auch erneut eine Unsichtbarkeit von Intersexen bewirken, daher scheint es mir nötig, sie gesondert zu erwähnen. Intersexen sind Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich, sondern dazwischen ist. In allen westlichen Staaten werden heute Intersexen in der Regel sofort nach der Geburt zwangsoperiert, um einem Geschlecht zuordnungsbar zu sein. Diese Genitalkorrekturen und Hormonbehandlungen sind aus medizinischer Sicht nicht notwendig, sondern in gesellschaftlichen Vorstellungen hinsichtlich der Zweigeschlechtlichkeit begründet. Für weitere Informationen lohnt es sich, die Homepage der AGGPG zu besuchen: http://home.t-online.de/home/aggpg/index.htm
(5) Women of Color ist als ein politischer Begriff zu verstehen, der sich nicht auf Frauen einer bestimmten Hautfarbe bezieht, sondern eine bewußte Koalition nicht-weißer Frauen meint.
(6) Audre Lorde, An open letter to Mary Daly (6. Mai 1979)
(7) Biphobie bezeichnet analog zum Begriff Homophobie ein diskriminierendes Verhalten gegenüber bisexuellen Menschen, das sowohl von hetero- als auch von homosexuellen Menschen ausgehen kann.
(8) Mit poststrukturalistischen Ansätzen sind hier vor allem die Theorien bestimmter (französischer) Denker gemeint: de Saussure, Foucault, Lyotard, Derrida.
(9) Die folgenden Ausführungen sind so zu verstehen, daß hier das Potential des Konzepts von queer dargestellt und diskutiert wird. Ich möchte nicht behaupten, daß dieses Potential von queeren AktivistInnen und TheoretikerInnen auch immer umgesetzt wurde/wird. Vielmehr ist es nötig, queere Aktivitäten und Theorie immer wieder daraufhin zu befragen, ob sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden. Dieses Moment der Reflexion auch auf sich selbst betont auch Sabine Hark zu recht.
(10) Monosexualität bezeichnet den Zwang, nur ein Geschlecht sexuell begehren zu dürfen; entweder hetero- oder homosexuell sein zu müssen.
(11) Mit Ability ist der Status in Bezug auf "Behinderung" gemeint
(12) Das bedeutet, daß auch heterosexuelle Menschen zu einer queer Bewegung gehören (können), nicht nur heterosexuelle Transgendered, sondern z.B. auch nicht-monogame "heterosexuelle" S/Mler. Hier scheiden sich, wie zu erwarten, die Geister, ob ein solch breites Bündnis noch wünschenswert oder sinnvoll ist.
(13) Transphobie bezeichnet eine diskriminierende Haltung gegenüber Transgendered.
(14) So ist ein typischer Slogan von Queer Nation "We're here, we're queer, get used to it" ("Wir sind hier, wir sind queer, gewöhnt euch dran")
(15) Im Deutschen gibt es keinen entsprechenden Begriff, der Begriff enthält Konnotationen von verquer, schräg, schrill, aber auch pervers.
(16) Hier wird also der Tendenz der schwul-lesbischen Bewegung gegengesteuert, die um Akzeptanz aufgrund von Anpassung an die herrschenden Normen wirbt ("Wir sind genauso normal wie ihr und wollen auch nur unser Stück vom Kuchen"). Stattdessen wird die eigene Abweichung von der Norm sichtbar gemacht und die Normen selbst angegriffen.
(17) Marginalisiert bedeutet hier "an den Rand gedrängt", wenig sichtbar
(18) Intersexualität als ein Phänomen, das die Annahme einer "biologischen" Zweigeschlechtlichkeit endgültig negiert, stellt eine ungeheure potentielle Bedrohung für binäre Konstruktionen dar, die auf die Vorstellung einer Zweigeschlechtlichkeit angewiesen sind, so daß Intersexen auch innerhalb schwul-lesbischer und teilweise transsexueller Communities extrem marginalisiert sind.
(19) Bisexuelle Menschen sind von Unsichtbarkeit insofern betroffen, als sie automatisch immer einer der Kategorien homo/hetero zugeordnet werden, wenn sie dem nicht aktiv gegensteuern.
(20) Natürlich wollen auch viele Transsexuelle "passen" (als "biologischer" Mann oder Frau durchgehen). Allerdings verlangt vor allem die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und die Norm, daß mensch sein Leben lang einem Geschlecht angehören muß, daß Transsexuelle unsichtbar werden, damit diese Normen nicht verletzt werden (Vergl. Feinberg, Transgender Warriors und Sandy Stone. A posttranssexual Manifesto)
(21) Der Begriff pansensual hat sich aus der Kritik an dem Begriff bisexual entwickelt, der die Zweigschlechtlichkeit wieder festschreibt; Pansensuals begehren potentiell Menschen jeglichen Geschlechts.
(22) Die Begriffe top/bottom stammen aus der SM-Terminologie und wurden breiter aufgegriffen, um z.B. wie im Begriff der femme-top bestimmten festgefahrenen Vorstellungen von Aktivität und Passivität entgegenzusteuern. Die femme, die traditionell als passiv vorgestellt wird, kann als femme-top ausdrücken, daß sie aktiv oder beides ist. Oder die butch-bottom usw.
((23) Switch ist ebenfalls ein Begriff aus der SM-Szene, der bezeichnet, daß jemand abwechselnd beide Rollen einnimmt; aktiv und passiv.
(24) Diese Denkbewegung geht u.a. auf de Saussure und Derrida zurück.
(25) Sabine Hark: Queer Interventionen, in: Feministische Studien, 11.
(26)S. Hark: Queer Interventionen, S. 104
(27) Vergl. den Aufsatz von Ki Namaste "Tragic Misreadings: Queer Theory's Erasure of Transgender Subjectivity, in: Beemyn und Eliason; Queer Studies, in dem Butlers Lesart von "Paris is Burning" kritisiert wird.
(28) Hiermit ist Diskriminierung aufgrund des Aussehens einer Person gemeint.
(29) Hiermit ist Diskriminierung aufgrund des Alters einer Person gemeint, also z.B. der Jugendkult in der schwulen Szene.
(30) Zum Abschluß liste ich hier einige neuere Sammelbände auf, die sich bemühen, einer Auffassung von queer gerecht zu werden, die ich hier skizziert habe, bzw. Ergänzungen zu Gay/Lesbian Studies darstellen. Die "klassischen" Werke, die mit queer assoziiert werden, sind bei Jagose oder Hark aufgelistet. In den genannten Sammelbänden finden sich wiederum zahlreiche Hinweise auf weitere Literatur.

Quelle:
Hamburger Forum für Soziale Arbeit: standpunkt : sozial 3/99 


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