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PARTY, POLITIK UND
DIE RHYTHMEN DER VERÄNDERUNG
Interview der umweltpolitischen Zeitung ’Kritische Masse’
mit Wolfgang Sterneck.
Die Fragen stellte Mandus. Frankfurt am Main, Januar, 2009.
Kritische Masse : www.kritische-masse.org
Wolfgang Sterneck : www.sterneck.net
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1) In „Der Kampf um die Träume“ schilderst du die
politischen Potentiale verschiedener Musik-Kulturen rund um die Welt.
Hast du zu all diesen (Sub-)Kulturen auch einen persönlichen
Bezug? Oder gibt es da welche, die für dich mehr wiegen?
2) Welche kulturell aktiven Menschen haben dich am meisten beeinflusst?
3) Die Schnittmenge von Party & Politik wird gerne als individualanarchistisch
bezeichnet? Kannst du das auch vertreten?
4) Du sprichst vom rebellischen Potential des Tanzens durch temporäres
Außer-Kraft-Setzen der sonst allgegenwärtigen Rationalität.
Aber benötigt es über die „temporäre autonome
Zone“ hinaus nicht eine Utopie, die auf Dauerhaftigkeit ausgelegt
ist?
5) Was hältst du in diesem Zuge von den Visionen der „echten“
Tribes, auf die sich zum Beispiel die PrimitivistInnen und die Rainbow
Family berufen? Und was hältst du vom Leben der „echten“
Indigenen?
6) In deinem Buch „Cybertribe-Visionen“ wird die Zerstörung
der Persönlichkeit eines unangepassten Hippies durch die Psychiatrie
beschrieben. Sind die „tanzenden Sterne“ im Falle eines
Konflikts den Bedrohungen gegen sie wehrlos ausgeliefert oder haben
sie eine Möglichkeit, sich zu verteidigen?
7) Welche Hoffnung hast Du? Was gibt dir die Kraft, trotz alledem
so viel auf die Beine zu stellen?
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1) In „Der Kampf um die Träume“ schilderst du die
politischen Potentiale verschiedener Musik-Kulturen rund um die Welt.
Hast du zu all diesen (Sub-)Kulturen auch einen persönlichen
Bezug? Oder gibt es da welche, die für dich mehr wiegen?
Sterneck:
Es gibt Musikrichtungen, die ich lieber höre als andere, aber
das hat in dem Buch keine Rolle gespielt. Mir ging es unter anderem
darum zu zeigen, dass die Wurzeln von so unterschiedlichen Strömungen
wie Punk, Techno, HipHop, Free Jazz, Industrial usw. in ihren ursprünglichen
Idealen vergleichbar sind.
Auch wenn die Musik anders klingt, so ging es ursprünglich immer
um Freiräume, um kreative Entfaltung, um einen Weg fernab des
Establishments, um Ausbruch, um Gemeinschaft, um Community, und ausdrücklich
nicht um Kommerz und Starkult. Es ging um „Do It Yourself“!
- Du brauchst keinen Kommerz-Club, keinen Manager, kein Mega-Label,
sondern den Willen etwas bewegen zu wollen. Und diese Bands und Projekte
findet man im Underground jeder Szene, wenn man bereit ist hinter
den Schein von Hitparaden und TV-Shows zu blicken...
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2) Welche kulturell aktiven Menschen haben dich am meisten beeinflusst?
Sterneck:
Es gab und gibt kein besonderes Vorbild, keine Leitfigur und auch
kein Aha-Erlebnis, das alles verändert hat. Aber viele Impulse
und Anregungen. Es ist im Grunde ein fließender Prozess.
Ich beschränke mich einfach mal auf den musikalischen Bereich,
sonst würde die Aufzählung zu lang. Spontan fällt mir
die Hardcore-Band Crass ein, die in allen Lebensbereichen konsequent
Musik und Politik verbunden hat und trotz allem äußeren
Druck ihren Idealen treu geblieben ist. Auch die ersten politischen
Platten von Ton Steine Scherben waren wichtig für mich. Der Spiral
Tribe und sein Weg fernab aller Vorgaben. Und John Cage fällt
mir ein, weil er ein neues Verständnis von Stille und von der
Gleichberechtigung aller Klänge und Geräusche eröffnet
hat. Und die frühen experimentellen Industrial-Aufnahmen von
SPK...
Ein wichtiger Impuls ist auch immer wieder Conni vom Playground und
das Prinzip des „Be your own live-act!“ - also nicht länger
auf eine Bühne zu blicken, sondern selbst aktiv zu werden. Und
Claus, dem mit seinen Dröhnkassetten in ganz jungen Jahren genau
dieser Übergang ganz eigenwillig gelang. Und Tibo mit seiner
absurden Musik und Robert mit der Beschäftigung mit dem unfreiwilligen
Dada im Alltag. ... Und auch Luisa Francia und das innere Lied, das
auftaucht, wenn man scheinbar gar nichts macht ... Wenn ich noch etwas
nachdenke, dann fällt mir sicherlich noch viel mehr ein, aber
dabei will ich es erstmal belassen...
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3) Die Schnittmenge von Party & Politik wird gerne als individualanarchistisch
bezeichnet? Kannst du das auch vertreten?
Sterneck:
Das mag für einige wenige Personen zutreffen. Insgesamt ist es
aber eine unzutreffende und zum Teil auch eine in diesem Zusammenhang
gezielt abwertend genutzte Bezeichnung. Von der Theorie ausgehend,
steht der individualistische Anarchismus für eine Ordnung ohne
Herrschaft, die der einzelnen Person einen möglichst großen
Raum zur Selbstentfaltung eröffnet. In der gelebten Praxis steht
Individualanarchismus allerdings oftmals für einen puren Egoismus.
Individuelle Freiheit ist selbstverständlich wichtig. Wirklich
entfalten kann sie sich jedoch nur in Verbindung mit sozialer Verantwortung.
Das hört sich jedoch teilweise leichter an als es ist. Viele
linke Feiräume - besetzte Häuser, Kulturprojekte, Wagenplätze
usw. - haben mit dem Problem zu kämpfen, dass manche Personen
diese Freiräume für ihre eigenen Egotrips ausnutzen, ohne
etwas konstruktiv hineinzutragen und die soziale Dimension zu verstehen.
Es ist kein Zufall, dass es strukturelle Überschneidungen zwischen
dem Individualanarchismus und einem extremen Liberalismus oder dem
Anarcho-Kapitalismus gibt.
Party & Politcs geht einen völlig anderen Weg. Es geht eben
nicht um den Ego-Trip, aber auch nicht um eine kopflastige Lustfeindlichkeit,
die eine abstrakte Ideologie, eine Partei oder gar die Arbeiterklasse
realitätsfern über alles stellt. Es geht vielmehr um kreative,
kritische, hedonistische Entfaltung mit dem Ziel solidarischer Veränderung
- individuell und gemeinschaftlich zugleich.
Die Hedonistische Internationale mit all ihren Ablegern wie dem BUMS,
dem Bündnis für urbane Mobilbeschallung, oder der Sektion
Sonne und Solidarität, ist ein wunderbares Beispiel dafür.
Da taucht mitten im Kornfeld zwischen den Polizeiketten bei den G8-Blockaden
von Heiligendamm plötzlich eine bunte Gruppe mit einem kleinen
mobilen Soundsystem auf und erzeugt eine neue positive Energie. Da
nehmen einige AktivistInnen in Schlauchbooten und Piratenfahnen an
einer Blockade der Spree teil, um die Promotion-Schifffahrt von Investoren
zu verhindern, die Kreuzberg und Friedrichshain profitgierig umgestalten
wollen. Da stürmen einige Party&-Politics-AktivistInnen einen
Supermarkt, um gegen die Kündigung einer kritischen Kassiererin
tanzend zu protestieren...
Fantasievolle Aktionen, die auch Leute außerhalb des politischen
Spektrums erreichen. Aktionen mit Symbolkraft, die etwas in den Köpfen
bewegen und Spaß machen. Und dies alles ohne dogmatische Vorgaben,
sondern immer auch mit einem selbstironischen Augenzwinkern und mit
dem Aufruf nicht nur passiv zuzuschauen, sondern selbst aktiv zu werden,
selbst eigene Aktionen zu entwickeln.
Ein anderer Ausdruck von Party & Politics sind die Connecta-Partys
und die „Gathering of the Tribes“-Festivals, die Musik
von DJs und Bands mit Workshops, Filmen, Vorträgen, Sessions,
Playgrounds, Kinderfesten, Ausstellungen und Polit-Aktionen verbinden.
Und ganz wesentlich sind selbstverständlich all die „Reclaim
the Streets“-Aktionen, die NachtTanzDemos, die Mayday-Paraden.
Nicht nur eine trockene Demo gegen irgendetwas, sondern mit Rhythmus
und Tanz ein anderes Lebensgefühl auf die Straße bringen.
Das Zitat „Wenn ich nicht tanzen kann, dann ist es nicht meine
Revolution“, bringt es auf den Punkt, auch wenn die angebliche
Urheberin, Emma Goldman, es so nie gesagt hat.
Es geht letztlich darum, nicht nur auf den Dancefloors zu tanzen,
sondern genauso in den Straßen, in den Klassenzimmern, in den
Parlamenten, in den Konzernzentralen - Tanzen für konsequente
Veränderung...
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4) Du sprichst vom rebellischen Potential des Tanzens durch
temporäres Außer-Kraft-Setzen der sonst allgegenwärtigen
Rationalität. Aber benötigt es über die „temporäre
autonome Zone“ hinaus nicht eine Utopie, die auf Dauerhaftigkeit
ausgelegt ist?
Sterneck:
Nun, das bezieht sich als ersten Schritt auf die ganz persönliche
Erfahrung. Ich spreche dabei vom trancehaften Tanz, der es ermöglicht
loszulassen, innere Blockaden zu lösen und in den Zustand des
Flows zu kommen. In der westlichen Welt ist dies oftmals negativ belegt.
Sich fallen lassen, Gefühle zeigen, im positiven Sinne die Kontrolle
verlieren, all das wird in der Regel eher als Schwäche ausgelegt,
obwohl es eigentlich eine Stärke ist.
Dies lässt sich zum einem auf die lustfeindliche Machtpolitik
der christlichen Kirchen zurückführen, die unsere Kultur
über Jahrhunderte geprägt hat. Aber auch auf ein falsches
Verständnis der Philosophie der Aufklärung, das alles abwertet,
was sich nicht mit der Vernunft sofort einordnen oder unterordnen
lässt. Auch die traditionelle Linke ist da oftmals völlig
kopflastig in diesem bürgerlichen Weltbild gefangen.
Eine Trance-Erfahrung kann vor diesem Hintergrund zu einem persönlichen
Ausbruch werden und in einem größeren Kontext zu einer
Politik des Körpers. Wenn es jedoch nur dabei bleibt, wenn es
sich auf einen kurzen Moment des subjektiven Ausbruchs aus den Strukturen
des Alltags beschränkt, wenn es sich auf eine kurzzeitige innere
„temporäre autonome Zone“ beschränkt, um diesen
Begriff von Hakim Bey aufzugreifen, dann sind die Übergänge
zwischen Ausbruch und Flucht fließend.
Ihr wirkliches Potential kann solch eine tranceartige Erfahrung erst
dann entfalten, wenn sich danach bewusst damit auseinander gesetzt
wird, wenn es gelingt aus dieser Erfahrung Erkenntnisse zu ziehen
und diese in den Alltag zu übertragen.
Wichtig ist dabei gleichermaßen individuell auf sich selbst
zu schauen, aber auch die persönliche Erfahrung in einen gesellschaftlichen
Kontext zu stellen. Dann wird nämlich sehr schnell klar, dass
die eigenen Erfahrungen keine Zufallsprodukte sind, sondern im Kern
eine Folge bestimmter Lebensverhältnisse, bestimmter gesellschaftliche
Strukturen.
Die Leistungsgesellschaft, der ständige Run auf Erfolg und Profit,
der Zwang den Schein zu waren usw. - all das verspannt, blockiert,
macht krank. Wir leben in einer Gesellschaft voller blockierter Menschen,
die sich eigentlich nach nichts mehr sehnen, als in den inneren und
äußeren Flow zu kommen.
Deshalb ist es wichtig zu schauen, welche Wege es für uns persönlich
gibt, um aus diesen Blockaden auszubrechen und in diesen Fluss zu
kommen. Und es ist genauso wichtig zu schauen, welche Bedingungen
um mich herum verkrampfen, blockieren und zerstören.
Wie sieht es an der Schule aus, am Arbeitsplatz? Welche Vorgaben gibt
es, welche Normen muss ich erfüllen? Welche Visionen und Träume
habe ich? Warum habe ich aufgehört zu träumen? Welchen Sinn
finde ich, welcher Sinn wird mir vorgegeben? Welche Strukturen erzeugt
dieses System im inneren des Einzelnen, im Umgang miteinander, im
Verhältnis zur natürlichen Umwelt? Und wie lassen sich zerstörende
Strukturen aufbrechen und verändern?
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5) Was hältst du in diesem Zuge von den Visionen der
„echten“ Tribes, auf die sich zum Beispiel die PrimitivistInnen
und die Rainbow Family berufen? Und was hältst du vom Leben der
„echten“ Indigenen?
Sterneck:
Ich benutze den Begriff „Tribes“ bzw. „Cybertribes“
in einem symbolhaften Sinn. „Tribe“ als Metapher für
eine gemeinschaftliche Form des Zusammenlebens in Balance. Cyber als
symbolhafter Bezug zur Gegenwart: Internet, Cyberspace, moderne Technologien
etc. Es geht mir um Gemeinschaften, Gruppen, Projekte, Communities,
die in der Moderne mit den Mitteln der Gegenwart einen Weg gehen,
der sich von der vorherrschenden Vereinzelung, dem Konkurrenzprinzip
und dem passiven Konsum bewusst abgrenzt.
Mir geht es nicht um den konkreten Bezug auf einen bestimmten Stamm
oder eine bestimmte traditionelle Kultur. Es macht auch keinen Sinn,
irgendein ein Ritual oder eine Lebensphilosophie aus einer traditionellen
Kultur identisch in die Moderne zu übertragen. Es kann nicht
funktionieren, da wir in unserem Inneren anders ausgerichtet sind
und die soziokulturellen Verhältnisse völlig andere sind.
Aber man kann Impulse und Elemente aufgreifen. Schauen was passt,
was mich persönlich und eine Community vielleicht weiterbringen
kann.
Spätestens seit der alten Diskussion um das Bild des „edlen
Wilden“, das der Philosoph Rousseau irgendwann mal im 18. Jahrhundert
romantisch verfälschend entworfen hat, dürfte klar sein,
dass es den „idealen Stamm“ auf keinem Kontinent gibt,
so sehnsüchtig wir vielleicht auch danach suchen. Da mögen
manche traditionellen Stämme auf den ersten Blick recht idyllisch,
harmonisch und in einigem vorbildhaft erscheinen. Bei näherer
Betrachtung werden jedoch immer auch Widersprüche sichtbar und
vieles, das nach unseren heutigen Maßstäben einer freien
emanzipatorischen Kultur völlig widerspricht.
Die Rainbow Family verzichtet auf ihren zum Teil mehrwöchigen
Treffen mit hunderten TeilnehmerInnen bewusst auf elektrische Geräte,
Entscheidungen werden weit möglichst auf dem Konsensprinzip getroffen,
die Versorgung ist großteils vegan. Es geht um eine Balance
im Verhältnis zu sich selbst, zur Gemeinschaft und insbesondere
zur Natur. Es geht um ein ganzheitliches Selbstverständnis und
um eine ganzheitliche, verantwortungsvolle Lebenspraxis.
Ich habe größten Respekt vor diesem Weg, der sich nicht
nur auf Symbole beschränkt, sondern in konkret gelebte Veränderung
mündet und sich so der ökologischen Zerstörung entgegenstellt.
Es ist ein wichtiger Weg.
Den einzig wahren, richtigen Weg gibt es jedoch nicht. Einige konzentrieren
sich auf politische Arbeit im engeren Sinne, andere versuchen in den
Metropolen Freiräume zu gestalten, andere wie die Rainbow Family
versuchen eine konkrete Alternative zu leben. Entscheidend ist die
Bereitschaft sich der Zerstörungsmaschinerie konsequent entgegen
zu stellen und auf unterschiedlichen Ebenen Alternativen zu entwickeln.
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6) In deinem Buch „Cybertribe-Visionen“ wird die
Zerstörung der Persönlichkeit eines unangepassten Hippies
durch die Psychiatrie beschrieben. Sind die „tanzenden Sterne“
im Falle eines Konflikts den Bedrohungen gegen sie wehrlos ausgeliefert
oder haben sie eine Möglichkeit, sich zu verteidigen?
Sterneck:
Ich spreche nicht nur von den „tanzenden Sternen“, sondern
auch von den „träumenden Sternen“, den „liebenden
Sternen“ und ausdrücklich auch von den „kämpfenden
Sternen“.
Es gibt verschiedene Ebenen politischer Aktivitäten, es gibt
unterschiedliche Wege von Protest, Widerstand und Veränderung.
Wer vorgibt den einzig wahren Weg zu kennen, befindet sich selbst
in einer Sackgasse - auf der gesellschaftlichen Ebene und vermutlich
auch auf einer ganz persönlichen Ebene.
Es gibt Situationen in denen kann ein Gespräch oder ein Flugblatt
oder ein Musikstück etwas entscheidend in Bewegung setzen. Manchmal
ist es auch ein Lächeln, welches ein ganzes System entlarven
kann. Ich denke da zum Beispiel an die Rebel-Clowns bei Demos und
Blockaden. In anderen Situationen, unter den Bedingungen eines repressiven
und diktatorischen Systems kann es notwendig sein, alle Möglichkeiten
des Widerstands zu nutzen.
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7) Welche Hoffnung hast Du? Was gibt dir die Kraft, trotz
alledem so viel auf die Beine zu stellen?
Sterneck:
Um es klar zu sagen, ich habe im Grunde keine Hoffnung auf eine befreiende
Veränderung. Alle zwei Sekunden wird ein Stück Regenwald
in der Größe eines Fußballfeldes gerodet. Die Profitgier
zerstückelt die ökologische Lunge der Erde. Und jeden Tag
sterben rund 25.000 Menschen an Hunger, obwohl genügend Lebensmittel
für alle Menschen vorhanden sind.
Eigentlich müsste die UNO und jede verantwortungsvolle Regierung
alles daran setzen, um diese Entwicklungen zu beenden. Eigentlich
sollten in jeder Nachrichtensendung diese Meldungen an erster Stelle
kommen. Doch diese Realitäten sind scheinbar so normal und selbstverständlich
in diesem System, dass sie nicht mehr erwähnt werden. Vermutlich
würden sie auch zuviel aufzeigen... Und auch wir alle verdrängen
diese Zustände zumeist in unserem Alltag völlig. Wir müssen
sie verdrängen, um nicht in Depressionen zu verfallen.
Die Klimakatastrophe ist nicht mehr aufzuhalten, all die Pseudo-Beschlüsse
und Absichtserklärungen auf irgendwelchen Konferenzen sind bestenfalls
der Tropfen auf den heißen Stein der Erderwärmung. Anstatt
alle Möglichkeiten zu nutzen, den Klimawandel zumindest einzuschränken,
konzentrieren sich Politik und Öffentlichkeit derzeit auf die
Finanzkrise, denn der herrschenden Logik zufolge müssen Konsum
und Wachstum gesichert werden.
Ja, Deutschland muss seinen Platz als Exportweltmeister verteidigen
- welch Zynismus. Wir alle sind Exportweltmeister hören wir immer
wieder - auch Du und ich. Exportweltmeister in Anbetracht von Klimakatastrophe
und unzähligen Hungertoten.
Es ist unschwer voraus zu sagen, dass sich in gar nicht so ferner
Zukunft kaum jemand mehr an die derzeitige Finanzkrise richtig erinnert,
weil die ökologische Zerstörung völlig neue Wertigkeiten
schaffen wird und die Lebensbedingungen sich extrem verschärfen
werden. Der globalisierte, neoliberale Kapitalismus ist nicht gescheitert,
wie zur Zeit oftmals behauptet, er erneuert sich gerade und frisst
sich in seiner Profitgier weiter zerstörend durch die Welt.
Ich sehe keine gesellschaftliche Bewegung in einer relevanten Stärke,
die einen Gegenpol bilden kann. Wenn zu einer alternativen, linken
Demo in Berlin oder Frankfurt 4.000 Menschen kommen, dann wird sie
in Regel von den VeranstalterInnen als Erfolg bewertet. Gleichzeitig
kommen zu einem durchschnittlichen Bundesliga-Spiel von Hertha Berlin
oder Eintracht Frankfurt rund 40.000 ZuschauerInnen. - Dies zeigt
das Größenverhältnis, offenbart Wertigkeiten, Bewusstseinsprozesse,
Machtverhältnisse in diesem System.
Selbst die relativ starke achtundsechziger APO und die sozialen Bewegungen
der siebziger Jahre haben das System nicht grundlegend verändern
können. Auch wenn sie in vielen Bereichen wichtige Veränderungen
bewirkten, so wurden sie als Ganzes, von wenigen Ansätzen abgesehen,
geschluckt und integriert. Der Prozess der unterschwelligen Vereinahmung
ist meist viel effektiver als die offene Repression. Dem Kapitalismus
gelingt es immer wieder selbst seine Antithese zu vermarkten, wie
sich an der Hippie- oder Punk-Kultur genauso wie an Che Guevara und
unzähligen anderen Beispielen immer wieder zeigt.
Der Hoffnungsträger Barack Obama wird sicherlich einige Veränderungen
in die Wege leiten - und in historischen Kategorien betrachtet, ist
seine Wahl von herausragender Bedeutung. Er wird jedoch die grundlegenden
Strukturen, die zur ökologischen und sozialen Katastrophe führen,
nicht einmal ansatzweise in Frage stellen, sondern sie vielmehr bestärken.
Letztlich wird die Maschinerie besser geölt weiterlaufen - ihrem
eigenen Untergang entgegen.
Ich sehe keine Perspektiven einer wirklichen nachhaltigen Veränderung
auf ökologischer, sozialer und kultureller Basis - und bin dabei
je nach Definition ein Realist oder Pessimist. Dennoch glaube ich,
dass jeder und jede Einzelne die Verantwortung hat, Sand nicht Öl
in der gigantischen Maschinerie der Zerstörung zu sein.
Und ich sehe an unzähligen Beispielen die Notwendigkeit und die
konkrete Möglichkeit im Hier und Jetzt Freiräume zu entwickeln,
in denen zumindest ansatzweise ein anderes Leben möglich ist.
- * -
- Johannes und den Migrobirdos
gewidmet * -
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