|  |  | Bertha von Suttner:
 DIE WAFFEN NIEDER!
 
 -  Auszug I -
 
 So  gespannt, wie auf diesen Besuch, hatte ich mich schon lange nicht gefühlt. Um  die bestimmte Stunde gab ich Befehl, daß mit Ausnahme des Erwarteten niemand  vorgelassen werde. Meine Schwestern waren nicht zu Hause Tante Marie, die  unermüdliche garde-dame, hatte sie auf den Eislaufplatz begleitet. Ich setzte  mich in meinen kleinen Salon - mit einer hübschen Haustoilette von violettem  Sammt angethan (violett steht Blondinen bekanntlich vorteilhaft), nahm ein Buch  zur Hand und wartete.
 
 Lang'  habe ich nicht warten müssen: zehn Minuten nach Zwei trat Freiherr von Tilling  bei mir ein. «Wie Sie sehen, Gräfin, habe ich von Ihrer Erlaubnis pünktlich  Gebrauch gemacht», sagte er, mir die Hand küssend. «Glücklicherweise,»  antwortete ich lächelnd, indem ich ihm einen Platz anwies; «ich hätte sonst vor  Ungeduld vergehen müssen, denn Sie haben mich wahrhaftig in große Spannung  versetzt.» «Dann will ich gleich, ohne lange Einleitung, sagen, was ich zu  sagen habe. Daß ich es nicht schon gestern gethan, geschah, um Ihre fröhliche  Stimmung nicht zu trüben.» «Sie erschrecken mich. -» «Mit einem Wort: ich habe  die Schlacht von Magenta mitgemacht.» «Und Sie haben Arno sterben sehen!»  schrie ich auf. «So ist es. Ich bin in der Lage, Ihnen über seine letzten  Augenblicke Bescheid zu geben.» «Sprechen Sie,» sagte ich bebend. «Zittern Sie  nicht, Gräfin. Wenn diese letzten Augenblicke so schrecklich gewesen wären, wie  bei so manchen anderen Kameraden, so würde ich Ihnen sicher nicht davon  gesprochen haben: es gibt nichts Traurigeres, als von einem teueren Toten zu  erfahren, daß er qualvoll gestorben - das ist aber hier nicht der Fall.» «Sie  nehmen mir einen Stein vom Herzen. Erzählen Sie.»
 
 «Ich  werde Ihnen nicht die leere Phrase wiederholen, mit welcher man  Soldatenhinterbliebene zu trösten pflegt. «Er starb als Held», denn ich weiß  nicht recht, was man damit sagen will; - den wirklichen Trost kann ich Ihnen  aber bieten: er starb, ohne an den Tod zu denken. Er war von allem Anfang  überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde. Wir waren viel zusammen und er  erzählte mir oft von seinem Familienglück, zeigte mir das Bild seines schönen  jungen Weibchens und das seines Kindes; er lud mich ein, 'wenn nur einmal die  Campagne aus sei', ihn in seiner Häuslichkeit zu besuchen. In dem Gemetzel von  Magenta befand ich mich zufällig an seiner Seite. Ich erspare Ihnen die  Schilderung der vorhergehenden Szenen - so etwas erzählt sich nicht. Männer,  die kriegerischen Geistes sind, werden mitten im Pulverdampf und Kugelregen von  so einem Taumel erfaßt, daß sie eigentlich nicht wissen, was um sie vorgeht.  Dotzky war ein solcher Mann. Seine Augen sprühten, er zielte mit fester Hand;  er war in vollem Kriegsrausch, das konnte ich - Nüchterner - sehen. Da kam ein  Hohlgeschoß geflogen und fiel auf ein paar Schritte Entfernung vor uns nieder.  Als das Ungetüm platzte, stürzten zehn Mann zusammen - darunter Dotzky. Es  erhob sich ein Jammergeschrei unter den Unglücklichen - aber Dotzky schrie  nicht: er war tot. Ich und noch ein paar Kameraden bückten uns zu den  Getroffenen herab, um ihnen, wenn möglich, Hilfe zu bringen. - Es war aber  nicht möglich. Sie rangen alle mit dem Tode, auf das greulichste zerrissen und  zerfleischt, die Beute schrecklichster Schmerzen ... Nur Dotzky, zu dem ich  mich zuerst auf den Boden gekniet, atmete nicht mehr; sein Herz stand still und  aus der aufgerissenen Seite quoll das Blut in solchen Strömen, daß - wenn sein  Zustand auch nur Ohnmacht und nicht der Tod gewesen wäre - es nicht zu  befürchten stand, daß er wieder zu sich komme.»
 
 «Zu  befürchten?» unterbrach ich weinend. «Ja - denn wir mußten sie hilflos da  liegen lassen: vor uns erklang wieder das mordgebietende «Hurra!» und hinter  uns stürmten berittene Scharen heran, welche über diese Sterbenden hinwegsetzen  würden - glücklich der Bewußtlose! Sein Gesicht hatte einen ganz ruhigen,  schmerzlosen Ausdruck - und als wir, nachdem der Kampf vorüber war, unsere  Toten und Verwundeten auflasen, fand ich ihn auf derselben Stelle, in gleicher  Lage und mit dem gleichen friedlichen Ausdruck. Das habe ich Ihnen sagen wollen,  Gräfin. Freilich hätte ich das schon vor Jahren thun können und, da ich nicht  mit Ihnen zusammentraf, an Sie schreiben - aber die Idee kam mir erst gestern,  als mir meine Cousine sagte, sie erwarte unter ihren Gästen die schöne Witwe  Arno Dotzkys. Verzeihen Sie, wenn ich schmerzliche Erinnerungen wachgerufen;  ich glaube doch eine Pflicht erfüllt und Sie von peinlichen Zweifeln befreit zu  haben.» Er stand auf.
 
 Ich  reichte ihm die Hand: «Ich danke, Baron Tilling,» sagte ich, meine Thränen  trocknend. «Sie haben mir in der That ein wertvolles Geschenk gemacht: die  Beruhigung, daß das Ende meines teueren Mannes frei von Schmerz und Qual war  ... Aber bleiben Sie noch ein wenig, ich bitte Sie ... Ich wollte Sie noch  sprechen hören ... Vorhin, in Ihrer Ausdrucksweise, haben Sie einen Ton  angeschlagen, der in meinem Gemüte eine gewisse Saite vibrieren gemacht - ohne  Umschweife: Sie verabscheuen den Krieg?» Tillings Gesicht verfinsterte sich:  «Verzeihen Sie, Gräfin,» sagte er, «wenn ich Ihnen über diesen Gegenstand nicht  Rede stehe. Auch bedauere ich, mich nicht länger aufhalten zu können - ich  werde erwartet.» Jetzt nahm mein Gesicht einen kalten Ausdruck an: vermutlich  erwartete ihn die Prinzessin - und der Gedanke war mir unangenehm. «Da will ich  Sie nicht zurückhalten, Herr Oberstlieutenant,» entgegnete ich kalt. Ohne nur  die Erlaubnis zu erbitten, wiederkommen zu dürfen, verbeugte er sich und ging.
 
 
 Auszug  aus
 Bertha  von Suttner (1843-1914): Die Waffen nieder! (1889).
 
 Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! I
 Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! II
 Bertha von Suttner: Kriegsspiele
 
 „Die  Waffen nieder!“ auf Wikipedia
 
 
 
 
 
 
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