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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Theo Rosenfeld:

DIE GRENZEN DER UNENDLICHKEIT

Es war meine extremste Reise in die äußeren Bereiche erotischer Psychopharmakreativität. Wenn ich darüber nachdenke, komme ich immer wieder an einen Punkt, an dem ich mich fragte: ”Worum geht es eigentlich? Was bringt mir diese Verbindung von Psychedelika und Sex überhaupt? Macht sie den Sex wirklich besser, fühlt es sich wirklich gut an?”

Meine Versuche über diese Erfahrung zu schreiben, gaben meinen Zweifeln zusätzliche Nahrung. Ich habe keine befriedigende Antwort auf meine Fragen gefunden - sie sind weiterhin weitgehend vorhanden. Aber bei einem bin ich mir sicher, diese Reisen in die äußeren Bereiche und das Verrücken der Grenzen machen mir neben vielem anderen vor allem richtig viel Spaß. Und wie wohl die meisten von uns habe ich schlichtweg gerne Spaß und erfreue mich auch an Geschichten von anderen Leuten, die ähnliches beschreiben. Und so hoffe ich, dass diese Geschichte auch Dich zum Lächeln bringt.

- I. -

Das 2CB, das wir genommen haben, war mild. Ich fühlte mich angenehm warm, kuschelig, und ziemlich verspielt. Ich fühlte mich Sophia sehr nahe, und wünschte mir nichts mehr, als die ganze Nacht lang irgendwelche erotischen Fantasien auszuleben, an die wir uns in den zwei Jahren unseres Zusammenseins noch nicht richtig heran gewagt hatten. Es war wohl einer der vertrautesten Momente, die wir überhaupt hatten, und darüber hinaus einer der wunderbarsten Augenblicke meines ganzen Lebens. Wir hatten uns drei Wochen lang nicht gesehen und gleichzeitig lag die lange Zeit von drei Monaten vor uns, in denen wir voneinander getrennt sein würden. Vor diesem Hintergrund war es eine perfekte Ausgangslage für ein Experiment mit psychoaktiven Substanzen um unsere Liebe und unsere Lust noch einmal anders und besonders tief zu erfahren.

Es begann relativ zufällig. ”Hier ist noch ein kleines Stückchen DMT, wollen wir es vielleicht nehmen während wir uns lieben?” - ”Oh ja.”

Sophia und ich haben nie einen allzu großen Wert auf Rituale oder irgendein Brimborium gelegt, wenn es um die psychoaktiven Komponenten der Erotik ging. Klar, Rituale haben zweifellos ihre Bedeutung - gerade im Zusammenhang mit solch starken Molekülen wie DMT. - Und ich würde dabei auch nie die Bedeutung einer Fokussierung und einer gewissen Disziplin herunterspielen, aber für uns war immer auch ein gesundes Maß an Spontaneität und spielerischer Offenheit besonders wichtig…

Wir haben uns viel Zeit gelassen, um uns gegenseitig anzumachen, bis wir völlig geil waren, feucht, heiß, hart, bis wir kurz vor diesem besonderen Punkt waren. Das 2CB war zwar nicht besonders stark, aber es gab allem eine direktere, intensivere Note.

Sophia saß mir in einem niedrigen, weichen Sessel gegenüber. Während ich mich auf meinen Knien vor ihr - und in ihr befand, nahm ich die vorbereitete Glaspfeife. Eine dünne Schicht Cannabis umschloss ein kleines Kügelchen weißen Pulvers und ich begann tief ein- und auszuatmen ...

Mit jedem Zug konnte ich mich intensiver fühlen … uum … und ich hob immer weiter ab. Jeder Zug brachte noch mehr dieser besonderen und gleichzeitig so seltsamen Empfindungen hervor. Gleichzeitig wurde das Bild von Sophia verschwommener. Nach dem dritten oder vierten Zug schaffte ich es kaum noch Sophia die Pfeife geben.

Bald darauf traten die Gefühle der körperlichen Vereinigung und der Liebe völlig in den Vordergrund. Ich empfand nichts anderes mehr, als das wunderbare Gefühl des Hineingleitens in eine Vagina, die mich sehnsüchtig begrüßt.

Ich schaute in Sophias Augen (sie hatte nun wieder ein Gesicht, auch wenn dieses nicht viel mit ihrem üblichen zu tun hatte) und wir lächelten beide und flossen dabei ineinander. Ihr Haar bestand nun aus dicken, brauen Dreadlocks, aber keineswegs im Stille eines detaillierten Bildes, sondern ähnlich einer kontrastreich gezeichneten Skizze in einem durchgängigen, strukturlosen Farbton. Ihr Gesicht verwandelte sich wie bei einer Metamorphose ständig. Manche Gesichter wirkten völlig fremd, geradezu außerirdisch, andere eher gewohnt und vollkommen menschlich - durchgängig aber war es ein wunderschöner Anblick. Die Gesichter veränderten sich in einem atemberaubenden Tempo. Und wenn ich nun zurückdenke, fragte ich mich, wie viele Gesichter sie wohl in dieser Nacht besaß.

Irgendwann betrat ich dann ”den Raum”. Alles war sehr hell und farbenfreudig (viel Gelb). Überall blubberte und pulsierte es. Anders als bei meinen vorherigen psychedelischen Erfahrungen sah ich anstatt unzähliger Pixels große Blöcke monochromer Farben. Ich fühlte mich, als würde ich mich gerade am seltsamsten Ort des ganzen Universums befinden.

Dann wurde alles zu Sex. Wohin ich auch meine Aufmerksamkeit richtete, welches sensorische Organ ich auch benutzen wollte, ich spürte nur noch das körperliche Gefühl des Liebens.

Völlig verwirrt gelang es mir dann doch die Frage auszusprechen: ”Was passiert hier gerade?” Und als ich etwas später aus einem inneren Wirbelwind von Wörtern einige ausgewählt und in eine kommunikative Form eingefügt hatte, fügte ich hinzu: ”Das Universum wird dies nie wieder sagen!”

Danach verschwand ich völlig in einem sinnlichen Cartoon-Land. Ich konnte in meiner Umgebung nichts mehr unterscheiden. (Sophia sagte mit später, dass ich die ganze Zeit weit geöffnete Augen gehabt hätte). Und bald darauf wurde absolut alles zu uns, aus welcher Zeit und von welchem Ort auch immer. Es gab mich nicht mehr, auch keine Sophia mehr, es gab nur noch die Totalität des Liebens.

Dabei tauchte ab und zu in meinem Bewusstsein die Frage auf: ”Wie viele Penisse kann ich besitzen?” Währenddessen glitten meine unzähligen Penisse durch meinen ebenso endlosen Vaginas.

In dieser endlosen Zeit in der ich mit einer unendlichen Zahl von Geschlechtsorganen Liebe machte, kam eine seltsame Angst in mir auf. Ich befürchte plötzlich, dass wir das gesamte Universum in unseren Sex eingeschlossen hätten - und dies für immer. Im Rückblick fällt es mir schwer zu verstehen, dass gerade dies mir solche Sorgen bereitet hat.

Diese Anspannung zwischen völligem Vergnügen und großer Sorge dauerte ewig an, bis ich damit begann zurückzukehren und die Dinge in meinem Zimmer wieder ihre Formen annahmen, letztlich auf eine sehr unsanfte Weise. Während ich noch in meinem omnidimensionalem Fick verfangen war, wurde Sophia in meiner Wahrnehmung wieder zu einem eigenständigen Element. Die Erkenntnis, dass sie nun nicht mehr eine andere Dimension meiner selbst bildete, wirkte wie ein Schock auf mich.

Unser Sex hat ein abruptes Ende gefunden. Ich glitt von ihrem nackten Körper herab auf den Boden. All die wunderbaren Wahrnehmungen waren nun plötzlich von einem unbefriedigten Gefühl des Abbruchs bestimmt. Doch weder Sophia noch ich versuchten die Trennung wieder aufzuheben.

Ich frage mich, ob ich die Erfahrungen einmal wirklich verstehen werde. Und ich werde mich wohl immer wieder fragen, wieviel der kaum beschreibaren sexuellen Empfindungen ”in meinem Kopf abliefen” und wieviel von den tatsächlich Handlungen hervorgerufen wurde. Aber eines ist sicher, es war extrem guter Sex, selbst wenn nicht alles ”wirklich” passiert ist.

Vielleicht wird das Universum dies nie wieder sagen.

- II. -

Ich habe die obenstehenden Zeilen vor über einem Jahr geschrieben, ein der zwei Tage nach unserer Erfahrung. Ich habe inzwischen viele Stunden damit verbracht über die Bedeutung dieses Erlebnisses nachzudenken, und zumindest ein wenig zu verstehen, wie es mich beeinflusst hat. Mindestens genauso viel Zeit habe ich damit verbracht, die ästhetische Dimension zu betrachten und das Ganze auch als ein omnisensorisches metamediales Kunstwerk zu begreifen.

Niemals zuvor erlebte ich eine solch greifbare Erfahrung der Zeitlosigkeit. Bis zu diesem Erlebnis konnte ich mir Zeitlosigkeit nur als statisch vorstellen. Doch nun weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es eine ex-statische Zeitlosigkeit gibt und wir sie erfahren können.

Mit erstaunlicher Klarheit kann ich mich an die Reihenfolge der Gedanken zurückerinnern, als ich so in Sorge war, dass wir durch unseren Akt der Liebe alles für immer verändert haben. Ich erinnere mich daran, wie ich durch meine eigenen Synapsen blickte, und die molekularen, dann atomaren und schließlich subatomaren Vorgänge verfolgte. Die Partikel in meinen Synapsen erhielten eine derartig hohe Energie, dass sie sich im Zuge eines noch nicht erklärbaren Quanten-Mechanismus mit jeden Partikel synchronisierte, das existiert (oder jemals existierte oder jemals existieren wird), und im Zuge der Vereinigung von Penis und Vagina die universelle Erfahrung der Verschmelzung ermöglichten.

Zweifellos habe ich diese Erfahrung für mich als äußerst angenehm erlebt, aber nicht zwangsläufig als etwas positives für alles andere. Während diesen endlosen Momenten des Nachdenkens war ich zutiefst entsetzt und verwirrt. Muss nun wirklich alles in mir eingeschlossen sein und mit mir auf ewig Sex haben? Aber warum kümmerte mich dies so sehr? Warum kam überhaupt diese Vorstellung und diese Angst in mir auf? Welcher Teil in mir kümmerte sich mehr um die vermeintliche Zwangslage von anderen, als um den realen Genuss im Hier und Jetzt?

Vielleicht waren die Ängste auch nur ein Ergebnis des Nervenkitzels und der Ungewissheiten, die durch das Vorstoßen an diese äußeren Grenzen aufkamen. Vielleicht waren sie auch ein effektiver Sicherheitsmechanismus, der mich auf dieser Seite meiner Grenze der Intensität hielt.

Die sexuelle Erfahrung gehört zu den intensivsten und angenehmsten Erfahrungen meines Lebens, aber der tiefe Genuss ist bis heute von seltsamen Gefühlen und Zweifeln umgeben. Wo sind Grenzen? Und welche? An welchem Punkt wird die Intensität des Vergnügens unerträglich? Kippt es dann in Schmerz oder in etwas völlig anderes? Und die Eine-Million-Dollar Frage: Wie können wir überhaupt ausreichend tiefe Gefühle des Vergnügens und Genusses erzeugen, um dies zu beantworten?


Aus: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität.

Thanks to Theo Rosenfeld.


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