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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Herrmann Cropp:

HIPPIE-ANGEL

Beim Flower-Power-Festival in Freiberg, Sachsen, werden Blumen als Eintrittskarten verteilt (zusätzlich zum Bändel an der Hand), jeder kann sich eine rote, gelbe oder rosa Rose aussuchen, langstielige Gerbera, Sonnenblumen oder die berauschend duftenden Studentenblumen - das ist doch eine nette Geste, oder? Am Stadtrand von Freiberg, an der Straße nach Dresden liegt die Wiese, hier geht es nicht in erster Linie um die Bands, sondern um das friedliche und kreative Miteinander - sagt Zausel, einer der Organisatoren, und er hätte am liebsten viel Regen und Matsch, damit nur die harten und echten Hippies kommen, und nicht die Fratzen, die bloß saufen und Weiber glotzen.

Im ansonsten nicht so hippie-esken Freiberg ”gehört die Kunst dem Volke”, sofern das Volk sich auf erlesene 300 Theaterbesucher (der Plätze wegen) beschränkt - eine entsprechende Parole aus besseren Zeiten steht an der Fassade des Theaters, für heute jedoch gilt das neoliberale Credo, daß Kunst mehr damit zu tun hat, was man sich leisten kann. Zwar rühmt sich Freiberg des ältesten Stadttheaters der Welt, plus 47 Museen, 48 Bibliotheken und 240 Kulturvereine, die durch ”gemeinsames Marketing die Lebensqualität der Bürger verbessern” und sogar die Stadt als ”kulturelle Botschafter” nach außen vertreten sollen, aber wenn die Behörden und Etablissements 50-80% Personalkosten produzieren, bleibt für Kultur nicht mehr viel übrig. Soll auch nicht, das Funktionärswesen gedeiht im Kapitalismus mit 50% Staatsquote ebenso gut wie im Kommunismus, sodaß diese kulturbewußte Stadt Freiberg logischerweise auf das private Engagement ihrer Bürger setzen muß. Es ist auch gar kein Problem die den Hippies zugesagten Fördermittel wieder zurückzuziehen, dadurch kann sich ihre Lebenslust und Lebensqualität in diesem unreglementierten Raum um so besser entfalten. Find ich. Mit Alex aus Jena versuchte ich beim Flower-Power-Festival etwas zur Kreativität und Bewußtseinserweiterung beizutragen, und erfuhr dann selbst eine unerwartete Erweiterung meines Bewußtseins.

.......DER EINGANG DER SIESTABAUM

Ja, Blumen hellen die Gemüter auf, irgendwie leben und geben sich die Menschen anders, wenn Hunderte und jeder eine Blume in der Hand, im Haar oder an der Kleidung trägt, sie bewegen sich sorgsamer und sprechen bedächtiger, um die Blumen nicht durch Grobheiten zu erschüttern, die Gesichter klaren auf, und was sie denken und sagen wird lichter. Es besteht überhaupt kein Zweifel an der transzendierenden Wirkung der Blumen auf den Charakter, die Blumen sozialisieren uns und kultivieren unsere Umgangsformen, vielleicht sollten wir in das Pantheon der Weltverbesserer neben Baudelaire, Jimi Hendrix und Franz Marc, neben Dichter, Maler, Musiker und andere Revolutionäre auch die Maiglöckchen, Sonnenblumen und den Flieder aufnehmen ... und die Vanille nicht zu vergessen, denn ich habe in der Nacht den Duft eines schlanken Halses eingeatmet - Du riechst so gut! - Nach Vanille - Oh!

.......SIESTA-BAUM, GOA-STRAND TANZ AM STRAND

In dieser Nacht überfiel mich eine Hippie-Agentin mit subversiven Zärtlichkeiten, übertriebenem Lachen und einer nicht endenwollenden Redseligkeit und hat mich damit sehr in Verlegenheit gebracht. Erst war es mir natürlich vor Alex peinlich, daß er mir meine Unerfahrenheit in solchen Dingen anmerken könnte, dann fürchtete ich aber auch, sie könnte begreifen, wie naiv und unbedarft und unfähig ihre Herzlichkeiten zu erwidern ich bin, und schließlich meinte ich, daß jeder, der vorbeikam, mir meine Hilflosigkeit sofort ansehen müßte. Aber zwischendurch kam ich mir auch sehr mutig von, weil ich blieb statt wegzulaufen, obwohl das nur dieser Kaninchenreflex ist, sich steif zu stellen, wenn die Hunde bellen. Es gibt sicher mutigere Männer als mich, obwohl, es wurde trotz allem das spannendste Gespräch, das ich seit langem hatte. Außerdem wurde ich ja nicht angebellt, sondern, ja, als würde ich behext, vor allem ihr Lachen ohne Ende, das machte mir bewußt, daß mich hundert Jahre Einsamkeit von den weiblichen Stimmen trennen, ich wußte gar nicht mehr, wie es ist, wenn in meiner nächsten Nähe gelacht wird, und daß so ein Lachen nicht nur in den Ohren stattfindet, sondern das ganze Daseinsgefühl ergreift, indem es mich zB. mit ihr zu einer besseren Gemeinschaft verbindet. Ich hab in den vergangenen hundert Jahren, um die Entbehrung solcher Stimmen in mir etwas auszugleichen und mir die Illusion einer weicheren Umgebung zu verschaffen, schon auf Musikkonserven zurückgegriffen, auf Laurie Anderson, Björk, Anne Clark oder Cassandra Wilson, ich wollte nicht ganz verlernen, wie die Stimmen in den höheren Lagen klingen. Sowas ist albern, weiß ich wohl, aber es schützt mich vor andern Albernheiten, oder wie soll ich das nennen, wenn ich den Glauben an zarte Empfindungen ganz verlöre ... außerdem war sie beschwipst oder tat wenigstens so, um ihrer Kühnheit mildernde Umstände zu geben, und sie war ja ganz im Recht damit, meine abgedrehte Stimmung, in der ich mich trotz der vielen Blumenkinder befand, aufzuhellen.

Es wurden einige Stunden daraus, in denen wir über die Ideen und Verrücktheiten der Hippies sprachen, über die Hippiebewegung, die Musik, die Träume, die Gemeinschaft, über Alleinsein ohne gleich den existenzialistischen Horror zu kriegen, und über die Menschen hier und ihren schönen stolzen Gang mit zurückgeworfenen Schultern, denn das zersetzende Nirvana-Feeling war soeben außer Kraft gesetzt. Irgendwie schien es, als hätten alle ihre Grunge- und Punk-Klamotten farbig aufgepeppt, vor allem die Mädchen, sonst ist in Sachsen nämlich mehr Untergangsstimmung, gedeckte Farben und zerrissene Jeans angesagt, aber die Hippies von Freiberg sind schon einen Schritt weiter, aufs graue Unterhemd wird ein Blümchen genäht, ein in abenteuerlichen Farben selbst gebatiktes Hemd überdeckt die in Kniehöhe abgeschnittene und ausgefranste Hose, barfuß kleidet besser als Adidas - so haben die Hippies in den 60er Jahren ausgesehn, als sie von zu Haus weggelaufen keine Unterstützung von ihren Eltern bekamen, betteln mußten, hungerten, Volxküchen organisierten (Digger hieß das damals) und buchstäblich aus Lumpen die spacigsten Gewänder fertigten. Suzanne is wearing rags and feathers from Salvation Army counters, sie zeigt dir, wohin du sehn mußt zwischen Müll und Blumen, und du willst mit ihr ziehen, du willst ihr blind folgen (Cohen).

Hast du die Kinder gesehen mit ihren Blumenkränzen auf dem Kopf? (children in the morning - they are leaning out for love) ich hörte, wie ein Kind sich beklagte, keine Blume bekommen zu haben, weil Kinder ja umsonst reindürfen. Und dann haben sie dem Kind einen ganzen Kranz gepflückt ... und dann wollten die andern Kinder auch.

.......KLEINE BÜHNE - MENSCHLICHE NÄHE

Es ist ein Gefühl wie Moody Blues und nights in white satin, never reaching the end, letters are written, never meaning to send ... weil ich ja gar nicht weiß, wo sie in Leipzig wohnt, nur daß sie Katja heißt, weiß ich. Katja, die Antagonistin der Anna Karenina - oh nein, das bin ich nicht, ich glaub, mir geht es eher wie der Anna (natürlich lacht sie dabei) - du kennst ihre Geschichte? Und dann erzählte ich ihr von Tolstois Flucht, und wie er auf einer Bahnstation gestorben ist. Seiner Frau, die ihm nachgereist war, erlaubte er nicht in sein Zimmer zu kommen, sodaß sie draußem vorm Fenster, und es war Winter, stehen mußte und sah, wie er starb. Das ist ja noch tragischer ... Katja zögert. Tragischer als was? Als die Liebe der Hippies, bei denen nur der Augenblick gilt - wegen ihrer vorangegangenen Lustigkeit muß sie sich einen Moment lang überwinden - nichts wird festgehalten, keine Regeln und kein Gesetz, hat er gesagt (ich frage nicht dazwischen, wer er ist, ich versteh auch nicht immer, was sie meint), und dabei schwebt er in seiner Musik wie in indischen Düften. Vielleicht hat es mit Hinduismus oder Buddhismus zu tun, doch ich glaub eigentlich nicht, es waren nur lauter verrückte Ideen, ständig was Neues, aber nicht wie die Esoteriker, sondern so ausgeflippt, verstehst du den Unterschied? Die Esoteriker sind bierernste Spinner, aber die Hippies sind ausgeflippte Poeten, die barfuß über Land ziehen, einen Stein vor sich herrollen oder eine irische Harfe auf dem Rücken mitschleppen, ein paar abgewetzte Notizbücher im Rucksack, worein sie ihre großen und kleinen Weisheiten notieren. Und einer kennt die Bibel auswendig, ein andrer den Koran, und noch einer das Grüne Buch von Gaddhafi, aber sie spielen mit allem, sie meinen nichts ernst, auch nicht mit dem Geld, und schon gar nicht in der Liebe, da wird experimentiert und mitleidlos ausprobiert, Herzen werden gebrochen für einen höheren ästhetischen Zweck oder um irgendeine Erfahrung zu machen. Hip heißt ja sowas wie erfahren sein, aber es geht natürlich um psychedelische Erfahrungen. Die Esoteriker dagegen verprassen ihre Erbschaft für Kurse in buddhistischer Erleuchtung oder in anthroposophischer Lodenmantelträgerei, oder sie machen Tantra in einer Sexkommune, Prostitution für Intellektuelle, wo man nicht pro Viertelstunde sondern fürs Wochenende zahlt. Man kann sich auch für viel Geld coachen lassen oder feldenkraistherapieren - das hab ich nämlich mal gemacht.

Von der Bühne kommt in der Umbaupause das Stück der Moody Blues, und ich erinnere mich an ein paar schmerzliche Harmoniewechsel und Stimmungsumschwünge, obwohl, der Schmerz ist erträglich, man kann sich sogar danach sehnen, und jetzt baut mein Unterbewußtsein noch Katja in diese Melodien hinein, Hippiesehnsucht - wonach? Sie habe sich von ihm gelöst, oder erst er von ihr, kann auch sein. Jetzt sei sie hier beim Flower Power Festival in Freiberg, um nachträglich besser zu verstehen, wen sie eigentlich geliebt habe - eine Seele als Kunstwerk, Hingabe im Hier und Jetzt, aber bloß keine Ewigkeit, komplexe innerliche Utopie, spirituelle Liebe statt Leistungsschau.

Und die Arbeitslosigkeit? versuche ich trotz der späten Stunde und trotz ihrer elektrisierenden Hand auf meinem Arm mal ganz vernünftig - hier im Osten nüscht Neues (klingt es sächselnd und abgeklärt), verhungern muß keiner, bloß daß soviel Jungendliche mit der vielen Freiheit, mit der sie sich allein gelassen fühlen, nichts anfangen können und bei den Rechten Halt suchen. Zugegeben, das ist nicht das wichtigste Thema, einige der Hippiebands singen zwar gegen Rassismus und Rechtsextremismus, aber wichtiger als Kritik ist der Bereich des Schönen, die Sehnsucht nach positiven Zukunftsentwürfen, nach der Blauen Blume der Romantik (Novalis).

Wie hast du mich gefunden? Ich habe irgendwas gesucht, was, weiß ich nicht, vielleicht eine blaue Blume, ich bin nur so herumgelaufen, und als ich dich sah, stand ich schon neben dir und legte meine Hand auf deinen Arm, um mich zu überzeugen, daß du es bist, oder nein, daß du echt bist. Hast du mich erkannt? Obwohl ich dich nie gesehen habe. Du wußtest nicht, wer ich bin, noch was ich denken und sprechen würde. Mich hat etwas geführt, vielleicht meine Hand, es ist ja Nacht, da hält man instinktiv die Hand vor, und Hände sehen anders, sie sehen Schwingungen - sie lacht - vielleicht habe ich deine Stimme schon in meinen Fingern gespürt, oder soetwas ähnliches. Und wenn du dir das nur einbildest? Du kränkst mich damit, weißt du das? Ja. Ich hab gar nicht nachgedacht, vielleicht war es, weil du ein Buch last. Du bist der einzige, der hier ein Buch liest. Das ist Herders Ideengeschichte. Whow! Das paßt, das paßt ganz genau! Das war eine ganz große Zeit, wo viel Wichtiges gedacht und geschrieben wurde. Weißt du, bevor ich zu diesem Festival gefahren bin, das war wie eine Erlösung, da hab ich etwas von Lessing gelesen, wie durch das Schreiben, durch das Dichten etwas Neues geschaffen wird. Erst sind es Einsichten, und dann leben die Menschen danach. Aber sag jetzt nicht Aufklärung, fügt sie schnell hinzu, so banal mag ich es nicht. Es hat mir solchen Mut gemacht, mir schien mein eigenes Leben von Grund auf verändert, weil ich es nun verstehe! Aber Lessing mußte sich schließlich an einen Fürsten verkaufen, ein unabhängiger Geist im Dienst der Macht, das ist nicht besser als die aufgeblasenen Journalisten heute im Dienst von Springer und Augstein, außer daß von denen keiner einen Nathan geschrieben hat. Aber sie fühlen sich so wichtig wie die Auflage ihrer Zeitung. Und wie die Spesen, die sie machen. Und wie die gekrönten Häupter, über die sie klatschen dürfen ... wunder dich nicht, das ist mein Haßthema. Flower Power und Haß, wie paßt das zusammen? Sie lacht mich aus. Och, es gibt auch eine Nachtseite im Menschen, wie bei Charles Manson oder Jim Morrison. Übrigens lacht sie dauernd dazwischen, sowohl wenn sie selbst redet, als auch bei mir. Und - ich bin nicht betrunken - versucht sie mehr als einmal meine Unsicherheit zu zerstreuen. Ja, wenn ich es mir recht überlege, muß diese Nacht ein Hippietraum sein, aus dem ich nur Angst habe aufzuwachen. - Vielleicht wundert sich der Leser dieser Story, daß mir etwas die Bodenhaftung fehlt, aber ich kann das erklären: wir sind nun mal nicht zwei Holzklötze mit Konferenzschaltung, irgendwie passieren uns Menschen, auch wenn wir eigentlich ganz sachlich sein wollen, so Geschichten wie Porzellanvasen umwerfen oder ne unmotivierte Verlegenheit, und überhaupt geht nebenher soviel ab, was zwar lästig ist, aber wir können es nicht lassen unsere 5-10 Prozent reine Sachkommunikation mit bis zu 95% Gesten, Tonfall, Schwitzen, Augenrollen usw zu begleiten. Und bei mir kommt noch dazu, daß ich immer soweit aushole und es nicht schaffe bei einem einfachen Thema zu bleiben um auf elegante Art darüber zu plaudern. Dabei bin ich so in Eile, als könnte ich was verpassen. Ich will nicht weniger als über ”alles” sprechen, kaum daß ich einen Gedanken zuende habe, drängt sich der nächste dazwischen, und eine theoretische Extase zwingt mich von Musik, Literatur, Soziologie und der ganzen Weltgeschichte zugleich zu sprechen. Das klappt sogar manchmal.

...........LUST AUF SPIELEN

Einigemal kam Katjas Freundin von irgendwo aus dem Dunkel der Festivalwiese, grüßte auch mich, aber kurz und unsicher, und während sie mit ihr etwas besprach, das ich nicht verstand, schien sich Katjas Lächeln wie eine allerdings schlechte Kopie auf ihr Gesicht zu übertragen, und etwas Anzügliches oder Verschwörerisches lag darin. Nein, das hab ich überhaupt nicht verstanden und wollte es eigentlich auch nicht wahrhaben, wie ich trotz meiner Skepsis oder eben deshalb nicht dran denken wollte, daß ich einer Agentin der Gegenseite in die Hände gefallen war. Am andern Tag sah ich Katja übrigens nicht mehr, ich wüßte sowieso nicht, woran ich sie wiedererkennen könnte. Vielleicht flog sie kurz an mir vorbei im Arm eines andern, ich weiß nicht, lieber überschlag ich mich in Toleranz und Verzicht und fühle mich eigenartig erleichtert.

Ich hab auch immer nicht verstanden, was sie an mir fand, meine ganze Selbstachtung war dahin, und wenn ich mich dabei ertappte von mir selbst zu reden, fühlte ich mich wegen meiner Angeberei doppelt beschissen. Ich gab mir dann Mühe ihr Lachen als Spott zu deuten, und was andres hätte ich nicht verdient, obwohl sie sagte, es sei in Ordnung, wenn ich von mir spräche. Nein, ich schäme mich vor dir, und deine Nachsicht macht mich noch verlegener, gestand ich. Mir ist ja bekannt, daß Männer beim Flirten zur Selbstbeweihräucherung neigen, und sei es nur als große Frauenversteher der feministischen Sorte, weshalb ich mich schon bemühe, das Gegenteil alles mir Denkbaren zu tun. Verflucht kompliziert ist das, wie die unerbittliche Denksucht am laufenden Band Skrupel produziert, die Skrupel machen Verlierertypen, und die Verlierertypen begreifen nicht, wenn eine schöne Frau mit ihnen spricht, sondern fürchten den nachfolgenden Spott, die Blamage, und daß sie so nichtig und klein gemacht werden, wie sie sich ohnehin fühlen. Aber muß man das dann noch gesagt kriegen, zu spüren kriegen?

Ich weiß nicht, warum ich es nicht glauben kann, eigentlich sollte ich froh sein, aber plötzlich krieg ich Angst vor dir, und daß es nicht wahr ist. Ich erschrecke förmlich, wenn ich dran denke, daß ich gleich aufwache und sehe, daß ich mich getäuscht habe - du bist so unerwartet gekommen, und dann gleich so nah. Das geht mir doch genauso, ich würde auch erschrecken, wenn es so schnell geht, aber jetzt nicht, ich bin es sozusagen nicht selbst. You’re the spirit of music, haha! Weißt du, was der Hippie-Engel zu Bob Geldof gesagt hat? Love ist all around, it’s coming up from under the ground. Liebe für dich und mich, Liebe für alle die nicht geliebt werden Liebe für ganze Europa, Liebe für Freiberg und Utopia. Auf Englisch klingts glaub ich etwas anders, aber schön, nicht? Um in Dialekt zu bleiben, müßte ich eigentlich ständig mit einem fragenden sächsischen ”No” antworten, aber das bringt mich aus dem Konzept wie bei den Griechen, wenn sie den Kopf schütteln und Ja meinen. Bei meiner neunundzwanzigsten Verlegenheitspause schüttelt sie dann ihren griechischen Kopf und ihre ausgebleichten Rastalocken - ich will noch nicht gehen, ich bin noch nicht müde. Sodann legt sie ihren Kopf auf meine Schulter und fragt, bist du ein Hippie? Was meinst du, ist dies Festival nicht der beste Grund auszusteigen und lauter ausgeflippte Sachen zu machen? Ich hab doch grad erst angefangen mit Studieren, gibt sie zu bedenken. Aber sag erst, bist du ein Hippie? Hippies sind Aussteiger und alle ein bißchen verrückt, aber ich find mich nicht verrückt. Oder doch? Doch, sehr, ich weiß nur nicht, wie ich das sagen soll. Na gut, und an eurer Uni in Leipzig kann etwas Hipness auch nicht schaden. Weißt du, ich glaub, die die dies Festival organisieren, wollen wirklich dem Geist der Hippies zum Durchbruch verhelfen. Ich hab mit einigen von ihnen gesprochen, Kiehnchen hat vor 10 Jahren die erste Hippieparty hier veranstaltet, es war in einem Klub, und 600 Leute sind gekommen. Diesmal sind 3000 hier. Kiehnchen hab ich gefragt, was denn der Geist der Hippies wär, und irgendwie hat er sich wohl geniert, eine schlaue Antwort zu geben (was verständlich ist, denn sonst hätt ich sie jetzt hier hingeschrieben). Aber er ist ja selbst ein Hippie und Indienfahrer, das reicht. Soviel weiß ich jedenfalls, daß Kiehnchen hier keine Kirmes machen will mit einer Freßbude nach der andern, und auch keine Stände von Drum, Red Bull oder Marlborough, die alles an sich reißen, viel Platz beanspruchen und natürlich Geld bringen. Geld?

Weißt du warum die Menschen sich hier so wohl fühlen? Besser als in Burg Herzberg und jedem Umsonst&Draußen Festival? Weil sie hier Freiheit finden, die Bühne ist klein, und der Platz ist groß und abwechslungsreich. Denn je größer die Bühne und je teurer die Band, desto schlimmer ist der Kulturdogmatismus, aber hier wird an allen Ecken und Enden was gemacht, Musik, Frisbee, Trommeln am Lagerfeuer, Meditation im Wigwam, Inspiration im Bambusdome, Diskutieren an Infoständen, Kennenlernen im Chaishop, oder ein guter Yogitee mit Energiekugeln - das hat was. Nichts ist hier das wichtigste, alles ergänzt sich, und umgekehrt spürt man, daß hier keiner unwichtig ist, das ist nämlich Demokratie - und das ist das Geheimnis! Und auf die Preise an den Ständen achten die Veranstalter auch, damit es kein Konsumtrip wird. Das merken die Leute nämlich sofort, wenn ihnen das Geld aus der Tasche gezogen wird, irgendwann sind sie so frustriert, daß sie sich nur noch besaufen, Pillen einwerfen und ... naja, krepieren wohl nicht, Sanitäter sind ja bei jedem Festival. Die Stars auf den großen Bühnen sind zu blöd das zu merken, oder finden, das muß so. Und dann schwafeln sie was von Unterdrückung, Gerechtigkeit, Liebe, und lassen sich von der Security abriegeln.Viele Festivals waren ursprünglich mal ganz gut, wie Vlotho oder Burg Herzberg, nee, ich vermute mal, auch Fusion geht noch bergab. Man behauptet, die Dinger würden zu groß, und dann käm die kommerzielle Unterdrückung von selbst, aber das stimmt nicht, Woodstock war auch nicht zu groß, oder Vlotho in der besten Zeit, als sie noch auf der Autobahn campiert und gefeiert haben, alle Straßen warn verstopft, kein Durchkommen, das war lustig. Nein, nicht die Größe ist es, sondern der Größenwahn, darüber sollte mal diskutiert werden, zB mit denen hier von Freiberg, mit Eule von Fusion, Annette und Heinz von Stemwede, Lars, Lothar, Wolfgang und alle von Vlotho, Manni Neumeier, Wolfgang Sterneck, Ralle und die Leute aus Halle, Harvey, Olli, Kalle Becker, Hartmut und Ralf aus Würzburg - ich glaub, einige haben da sehr gute Ideen, aber der Größenwahn packt die Leute, wenn erstmal die Stars auf der Bühne stehen. Und damit der Größenwahn auch beim Konsumenten ankommt, gibts Alk und Ex und Koks, der kleine Bürohengst aus Osnabrück hat ja den Schotter für einen kompletten Drogenmix, haut aufn Putz, und dann geht alles den Bach runter.

Kultur kann es nur geben, wenn es unsere Kultur ist, und dazu müssen wir alle beitragen, beziehungsweise müssen auch durch so einfache Mittel wie die Gestaltung des Platzes die Möglichkeiten schaffen, daß alle sich einbringen können. Zentralismus ist Unkultur, das können wir getrost dem ZDF überlassen, den Kulturbürokraten, den literarischen Obergurus, den Medienkapitalisten und Narren wie Stuckrad-Barre. Die Arbeit eines Künstlers zu verstehen, und daß er sich verstanden fühlt, hat nichts mit der Gage zu tun, sondern mit Liebe und Gemeinschaft - die zu schaffen ist das wichtigste bei unsern selbstorganisierten Festivals. Und das Geheimnis des Flower-Power-Festivals ist wie gesagt eine wohldurchdachte Gleichwertigkeit und Harmonie aller Beteiligten bis hin zu den türkischen Gyrosbäckern, die übrigens linke Genossen sind. Holger hat alle Stände persönlich ausgesucht, sie auf andern Festivals kennengelernt und eingeladen, wenn er meinte, daß sie zur Idee des Festivals passen. Sie haben die Alternative zwischen good vibrations oder Abzocke, und ob sie durch überhöhte Preise dem ganzen eher schaden oder fair und konstruktiv mitmachen, im positiven Fall tragen diese Marockoreisenden und Morgenlandfahrer (Hesse) einen bedeutenden Teil zum Spirit und zur Hipness bei.

Von manchen selbstorganisierten Festivals weiß ich leider, daß die Räucherstäbchenverkäufer bloß als Kühe zum Melken angesehn werden, die Standgebühren werden hochgezogen, und den Druck geben sie dann mit hohen Preisen weiter. Die Organisatoren sind bloß geil drauf mit Künstlern auf der Bühne zu stehen, und das Partyvolk brauchen sie für ihren Ruhm, ansonsten verschanzen sie sich backstage, mißtrauen den Groopies und streiten mit ihnen um Catering oder andre Vergünstigungen, und vor allem haben sie Angst, daß sie bei Regen draufzahlen müssen. Zum Glück gibt es noch ein paar astreine Goaparties, weit weg in der Pampa, kein Ibiza-Pop, sondern fachkundige Elektroschrauber, liebevolle Landschaftsdekoration ... apropos, in Freiberg haben etwa 50 Mädchen in 2 Tagen einige hundert Stoffbahnen geschneidert und mit bunten Motiven benäht, mit denen alle Bauzäune verhängt wurden (denn so nah an der Stadt geht es nicht ohne Zäune.) Für den Goaplatz haben sie einen LKW Sand angefahren, und um den so geschaffenen Strand diese netten Holzliegestühle mit gestreiften Stoffbahnen gestellt. Ach, und die Stringartplastik dadrüber hat Kiehnchen fabriziert. Insgesamt sind es dreihundert Freunde und Freunde von Freunden aus Freiberg und von weiter her, die mitmachen, niemand bekommt Geld dafür, nur die Gemeinschaftsverpflegung, und es sind sogar 14- und 15-Jährige, die mithelfen. 2 Wochen vorher haben sie angefangen, das alles hier zu gestalten, anstatt daß sie Urlaub machen, und Holger meinte, das sei wohl das entspannteste Festival, das sie bisher erlebt hätten. Es wird schon überlegt, die Zäune wegzulassen wie bei little Woodstock in Freiburg, wo immerhin die Hälfte der Besucher freiwillig Eintritt zahlen, oder die Security unsichtbar zu machen wie bei Fusion, aber dann müßte es weiter weg von Freiberg sein ... über das alles unterhalten wir uns in der Nacht, es ist erstaunlich, wieviel man sich in ein paar Stunden erzählen kann.
.....

Ich glaub, die meisten Leute wissen nicht, was Hippie ist, sie haben bloß ein Klischee im Kopf von friedlich und ein bißchen doof, und Blumen natürlich, aber daß es die schärfste Widerstandsbewegung des 20. Jahrhunderts war, das wird auf arrogante neoliberale Art beiseite gewischt. Bezeichnenderweise waren es nämlich Rambo, Reagan, Thatcher und die neoliberale Entfesselung der Ökonomie, die die Kulturrevolution der Hippies abgewürgt haben - vorerst!. Aus einer ahnungsloseren Perspektiven sollen es zwar die APO, die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, Che, Leila Chalid, die RAF oder der Superterrorist Carlos gewesen sein, die in den 60er bis 80er Jahren die fortschrittlichsten politischen Kräfte waren, und es gab sogar welche, die die Heimat aller Werktätigen, die Sowjetunion für die entscheidende Befreiungskraft gehalten haben, aber der tiefgreifende soziale und kulturelle Wandel, der zutreffend nur als Kulturrevolution bezeichnet werden kann, wurde von solchen Bewegungen und Gruppen weder angestrebt noch betrieben. Subjekt der Kulturrevolution ist das ganze Spektrum der neuen Subkultur, der Hippies im weitesten Sinne, ihrer Musik ganz besonders, aber auch des unkonventionellen Lebensstils und der Lebensauffassung, an der sich Eltern, Lehrer und Politiker die Zähne ausgebissen haben. Das war die totale Antithese gegen die westliche Zivilisation - was wir heute mit Bin Laden und den Islamisten erleben, sind dagegen Peanuts. Und um auch das klarzustellen, Punk, Sex Pistols und McLaren waren ebenso wie Neil Young und Nirvana nur Strömungen und Ableger dieser großen kulturellen Umwälzung. Für sich allein steht weder Punk noch Grunge noch die vielen kleineren Stile alsetwas Umwälzendes, und die altbekannte Konkurrenz zwischen Hip und Punk bedeutet nicht etwa eine gleichwertige Gegenthese, zumal sich Elemente wie die kulturelle Verweigerung und Umwertung zu sehr gleichen, sondern nur eine Erneuerung dieser Verweigerung, was ja auch für den Grunge kennzeichnend ist. Der authentische Techno bezieht sich übrigens wieder ausdrücklich auf die Hippiekultur (wie auch die Chemical Brothers).

Übrigens bin ich fast der einzige, der diese Theorie der Kulturrevolution vertritt (Leary sieht es etwas ähnlich), jedoch verzage ich deshalb nicht und hoffe sogar, daß diese optimistische Geschichtsauffassung irgendwann Anklang findet, und die Leute davon gut draufkommen. Bei den Hippies des neuen Jahrtausends bestehen da gute Aussichten, die Stimmung wird immer besser, die Hippies der 60er und 70er waren ja nur Vorstufe, wie Hermann Hesse es nennen würde, und er selbst war auch Vorstufe, ebenso wie die Wandervögel. Pessimisten sind ja der Meinung, die Weltkriege seien die bedeutendsten Ereignisse des letzten Jahrhunderts, weil Kriege alles neu ordnen, alte Verhältnisse beseitigen und neue installieren, aber dieser ”Vater aller Dinge” (Heraklit) ist primär ein Zerstörer (zB von Athen und Sparta). Dagegen stelle ich mir das Befruchtende doch eher als positiven Akt vor, entscheidend ist ja nicht, wo es rückwärts geht, sondern was uns weiter bringt. Sicher hat die Kulturrevolution viele alte Strukturen beseitigt, doch dazu bedurfte es keiner Zerstörung, anders machen reicht, die Umwertung aller Werte (Marcuse) ist der entscheidende Neuerungsprozeß im letzten Jahrhundert. Bakunin mit seiner schöpferischen Lust an der Zerstörung hätte sich bestimmt gewundert, daß es auch so geht.

Und dann kam Katjas Frage nach meinem Alter, wobei ich vielleicht an den Steppenwolf denken sollte - sie das junge Ding mitten im Leben, in Blüte und Kraft, und ich am Rand dieses Vergnügungsparks und überhaupt am Rand, am Rand der Existenz, der Anteilnahme und wohl auch der Berechtigung am Glasperlenspiel der Lebensfreude teilzunehmen. Aber ich kann diese Ausgrenzungsgründe nicht akzeptieren, weder bring ich es über mich, Katja oder sonst wen von oben herab zu behandeln, sondern möchte mich eher unterordnen, noch bin ich bereit mich wegen irgendeines mir anhaftenden Mangels stigmatisieren zu lassen. Nein, das mit dem Steppenwolf ist Hesses heroischer Fatalismus, sowas liegt mir nicht. Aber darum geht es mir nicht besser, denn wie zum Spott scheint sich ein Mißverständnis zwischen uns zu drängen, wenn sie ihr aufreizendes Lachen lacht, das mir gefällt, und überhaupt gefällt mir alles an ihr, aber es ist eine einzige Frage, die mich quält: woher kommt mir das, meint sie mich, kennt sie mich denn? Ja, sie meint mich und beschwichtigt mich, sie verringert den Abstand des Verstehens, wie um durch die Haut zu sehen, wie eine psychedelische Brücke ohne sprachliche Umwege. Sie sei wirklich nicht betrunken und ich soll nicht so erschrocken sein, deshalb gebe sie mir doch ihre Hand, ob ich das nicht spüre? Ich spüre, mir fehlt nur der Glaube. Wo muß ich meine Hand hinlegen, um deinen Glauben zu stärken? Keine Ahnung, aber ich bin einige Stunden glücklich verwirrt , und unbegreifliche, gute Hände verselbständigen und vervielfachen sichwie Blätter eines Baumes, unter dem icham Vortag mit meinem Herder gesessen habe. Es läßt sich nicht so gut unterscheiden, was noch zum Augenblick gehört, und was vorher war, manchmal wenn sie lacht und redet, höre ich nicht mehr einzelne Worte, sondern der Klang ihrer Stimme dehnt sich wie eine Wolke oder wie eine Aura aus und umschließt mich. Einen Moment glaubte ich sogar diese Aura zu sehen, sie ging nicht von ihrem Mund oder Gesicht aus, sondern von den Armen, von der Brust, vielleicht sogar vom Rücken. Ich fühle mich von deiner Sprache umarmt. Es wäre mir lieb, wenn du nicht mehr aufhörtest zu reden, und auch nicht zu lachen.

Ich mag mein Lachen nicht.
Weil du es nicht beherrschen kannst.
Es platzt ja so raus, ich versuch dann hinterher zu rennen und es einzuholen ... aber es ist wohl besser, wenn ich das nie schaffe. Außerdem mag ich lieber so eine dunkle Stimme, die sich nach was Festem anfühlt wie Erde oder ein Baum, auf den ich mich stützen kann. Und dann lehnt sie sich wieder an meine Schulter.
Versprichst du mir, daß es wahr ist, daß die Liebe überall ist?
Wie kann man dergleichen versprechen?
Versprichst du mir lauter ausgeflippte Sachen zu machen?
Ja, ich werde immer dabei an dich denken.

Sie löst ein dünnes Kaufhauskettchen mit einem Tierkreiszeichen von ihrem Vanillehals und hängt es mir um ... jetzt stehen wir in kosmischer Verbindung. Wir dürfen uns nicht zähmen lassen, von niemand, nicht von der Schule, vom Staat, von der Kirche, von der Existenzangst, vom Bankkonto und auch nicht von dem, den wir lieben. Das ist wie Born to be wild von Steppenwolf. Fühlst du dich so, born to be wild? Ein bißchen schon, jedenfalls wenn du es fragst. Born to be wild heißt ja wohl, daß man sich nirgends unterordnet, nee, das tu ich bestimmt nicht.

Aber Katjas Hals duftet nach Vanille, und ich verscheuche einen zarten Gedanken, indem ich mich mit Gewissensbissen quäle: letztes Wochenende war ich beim Burg Herzbergfestival, einem riesigen Hippietreffen mit zigtausen Freaks. Aber wirklich gut ist es da nicht, und der der das organisiert hat (ich beginne unangenehm zu lachen) hat einen Herzinfarkt bekommen. Und er hats aber überlebt - weißt du, ich find das elend von mir bei sowas zu lachen, das sieht wie Schadenfreude aus, aber eigentlich ist es mir nur peinlich, meine Gefühle zu verraten, denn es ist doch grausam, daß jemand, der so ein friedliches und schöpferisches Zeltlager mit Musik und Kultur organisiert, beinah mit dem Tod bestraft wird. Und das kommt bloß vom Geld, von der Kommerzialisierung, immer teurere Bands, die Security usw, das hat er ja selbst gesagt, von der Bühne hat er es geschrien, kurz bevor er umgefallen ist. Da hängt soviel dran, die Eifersüchteleien der Künstler zum Beispiel ... wovon ich auch nicht frei bin, ich mach gerne viel umsonst, aber wenn es Gage gibt, möchte ich nicht unfair behandelt werden und weniger als andre kriegen. So schaffe ich es eine zeitlang die zarten Gedanken zu verscheuchen, und wenn ich mich wieder dran erinner, ärger ich mich über meine Unaufrichtigkeit und ... hälst du das eigentlich noch aus, wenn ich soviel kreuz und quer rede?

Sie nickt eifrig und fängt dann plötzlich, indem sie mir die Hände auf die Brust legt, in sprudelndem Ausbruch etwas an zu erzählen, von ihren Eltern, ihrem Bruder, von Lessing, von der Literatur oder von einem Hippietraum, wie die Menschen besser gemacht werden können, und ich wünschte, daß das alle auf diesem Festival hören können, und Burg Herzberg dazu, und auch Kalle Becker im Krankenhaus. Es ist nicht super logisch und konsequent und widerspruchsfrei, was sie sagt, bei Hippies darf das auch nicht, aber ein warmes mitreißendes Gefühl, das in gewisser Weise - ich muß es gestehen - sexuell ist, sexuell nicht im sportlichen Sinne oder als Konsum, sondern wie man eine ganze Welt umarmen möchte.

Ich weiß ja nicht, ob noch mehr Menschen bei diesem Festival so eine Befreiung ihrer Gefühle erlebt haben (übrigens, wer es noch nicht weiß, Sex findet im Kopf statt, spirituell!), aber wenn es auch nur eine Wochenendutopie ist, gibt es den Menschen wenigstens Ausblicke auf eine mögliche Harmonie, auf Selbstverwirklichung, Gemeinschaft, Toleranz und Buntheit, Einfachheit und spontane Begeisterung für die Mitmenschen - am liebsten hätte ich mir von allen ein Foto gemacht, aber das trau ich mich denn doch nicht, wahrscheinlich weil zu der Begeisterung füreinander gewissermaßen als Bedingung eine besondere Rücksicht dazugehört. Mit den Blumen haben wir das üben können, und einige haben ihre sorgsam gehüteten Blumen sogar mit nach Hause genommen- naja, ich will nicht zu romantisch werden: als wir aufbrachen, nahm Alex unsre zwei Studentenblumen und fragte, was machen wir mit denen? Mitnehmen? Laß mal riechen. Er hält sie mir vor die Nase - die riechen aber ziemlich verqualmt! Und er verlegen, daß er mit der Hand wohl schon etliche Zigaretten heute geraucht habe. Die stinknormale Wirklichkeit hat uns also wieder.

Herrmann Cropp
www.packpapier-verlag.de
www.flowerpowerfestival.de

Dank an Herrmann Cropp.


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