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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Luisa Francia:

DAS EIGENE LIED FINDEN

Wenn es dir gelingt, einmal völlige Stille herzustellen - möglich ist das im Gebirge, und wundervoll ist es in der Wüste -, wirst du jeden Ton wie einen Keulenschlag empfinden. Dann erträgst du keine Hintergrundsmusik aus dem Radio mehr, wehrst dich gegen ständige Musikberieselung, denn jeder Ton durchschlägt die Stille wie ein Wunderwerk.

In dieser Stille wächst das, was bei den sibirischen Küstenbewohnern das eigene Lied ist. Das eigene Lied finden, heißt, wie ein Kind dasitzen, nichts tun, Töne aus einem Meer aufsteigen lassen wie Luftblasen, aufsteigen lassen, bis sich eine Folge ergibt, singen, summen, brummen und immer dabei auf die Stimme des Erdinneren lauschen. Was ist mein Lied? Wie töne ich? Habe ich Töne? Stimmt alles, oder hat es mir die Stimme verschlagen? Wie komme ich wieder zum Stimmen, zum Klingen?

Wer gehen kann, kann auch tanzen, heißt es, und wer sprechen kann, kann auch singen. Nur dürfen wir uns das Singen nicht wie im Kirchenchor oder wie beim Militär vorstellen. Den eigenen Ton findest du am besten mit einem Kieselstein im Mund, wenn du den ein wenig hin und her schiebst und dazu einen Ton machst.

Die Geschichte der australischen Aboriginals setzt sich aus den Schöpfungsmythen und Liedern der Urwesen, der Wondschinas zusammen, und diese Gesänge, dreamlines oder songlines genannt, überziehen das Land wie ein Geflecht, stellen für die Singenden eine Landkarte der Urzeit, der Traumzeit dar.

Instrumente früher Kulturen ermöglichen oft nur zwei oder drei verschiedene Töne. Das erscheint uns lächerlich wenig von Musik keine Rede! Und doch fängt die Musik beim Ton an. Wenn du also Töne haben willst, fang mit einem Ton an, singe, wie du willst, brumme, ächze, singe schrill oder sanft, aber mach dir Luft. So lange der Ton genug Luft hat, ist alles wunderbar. Du atmest ein, und mit dem Ausatmen läßt du einfach deine Stimmbänder mit vibrieren. Halte den Ton, so lange du magst und kannst, atme wieder ein, und laß deine Stimmbänder leise schwingen. Und vergiß: Ich kann nicht singen - das steht gar nicht zur Debatte.

Wenn’s stimmt, wenn du Stimme hast, wenn du einen Ton vibrieren lassen kannst, dann kannst du auch variieren, wo will der Ton hin? Hinauf? Hinunter? So kannst du langsam anfangen, Töne in dir aufzubauen. Spüre mit den Fingerspitzen nach, wo am Körper sie vibrieren. Schön ist, irgendwo draußen zu sitzen, ein Vogel pfeift, und du antwortest mit deiner Stimme.

Ich hatte einmal einen Wechselgesang mit einer Amsel im Frühsommer. Sie saß immer auf dem höchsten Zweig und begann, sehr einfach zu singen, so einfach, daß ich es leicht nachsingen konnte. Mit jedem Mal wurde das Lied, das sie sang, etwas komplizierter und länger. Sie wartete aber immer ab, bis ich meine Version davon gesungen hatte. Schließlich verstieg sie sich zu einem so komplexen und wundervollen Gesang, daß ich nur noch mit offenem Mund lauschen konnte und passen mußte. Da begriff ich: Töne brauchen auch das Hören. Kannst du hören?


Luisa Francia / Salamandra: www.salamandra.de

Dank an Luisa Francia.

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