Francesca da Rimini:
DOLLSPACE
Du trittst in Deep Doll Space Zero ein. Die Puppe Yoko taucht aus
dem Kraterschlammteich der toten Mädchen auf. Sie drückt
ihre moosfeuchten Lippen auf die Deinen und küßt Dich
zärtlich. Ihre bleichen Hände erforschen zart Deine Fleischformen,
während sie Dich in Deiner Fantasie nicht mehr losläßt
und Deine Haut mit ihren Worten zerfetzt.
Ich floh nach Japan, in eine Reispapierhütte hoch in den Bergen
über Kyoto. Von der Hütte sah ich auf einen Teich, dessen
japanischer Name soviel bedeutet wie bodenloser Schlamm.
Ich entdeckte, daß an diesem Ort die Frauen über Jahrhunderte
hinwegihre kleinen Töchter ertränkt hatten. Es war ein
Teich der toten Mädchen und er ließ mich nicht mehr los.
Eine Horde von Geistern verfolgte mich. Ich zog weiter in die Berge
hinauf, wo Bäche unter den Straßen und Feldern rinnen
und man nachts nur das Wasser laufen hört, vielleicht die Tränen
all dieser Mütter, die gezwungen wurden, all diese kleinen
Mädchen zu töten.
Puppe Yoko, Geistermädchen, krallt sich durch zerfetzte Haut
den Weg ans Licht. Sie schlittert durch den Schlitz, durchscheinende
graue Tentakel spielen mit Mamas Lippen. Die Augen sanfte Wasserlöcher,
Geisterteiche, traurige Salzlöcher. Saure Pflaumenlippen. Der
Oktopus in ihrer Muschi hält die menschliche Natur fest im
Griff.
Puppe Yoko sagt: alle Daten sind Diebesgut. Puppe Yoko sagt: Eure
Maschinen sind ungeschickt, Eure Kriege sind überflüssig.
Puppe Yoko sagt: alle Frauen sind Geister und ihr tut gut daran,
vor ihnen Angst zu haben.
Die Puppe ist die unendliche Räumlichkeit der Null. Angetrieben
von ihrem unermeßlichen Hunger und der Sehnsucht nach dem
Unmöglichen... Eine Horde hungriger Geister wartet an der Brücke
der Träume. Und flüstert: alle Geschichte ist Pornographie.
Und flüstert: traue niemandem. Und flüstert: töten
ist vergessen. Und flüstert: ein Geist wird niemals müde.
Und flüstert: eine Puppe lebt ewig.
Dollspace ist ein Web-Environment, ein unendliches Labyrinth, in
dem die Puppe und ihre Ghostgirls und Riverboyz geistern können.
Bei der Konzeption von Dollspace schuf mein Mitarbeiter in New York,
Ricardo Dominguez, eine zweite Site, Hauntologies, wo unsere Geister
einander inspirieren und infizieren konnten. Der Klangkünstler
Michael Grimm aus Adelaide schuf speziell für eine Ausstellung
von Dollspace den Soundtrack for an empty dollspace.
Vergängliche Klänge für das WorldWideWeb, abgegrenzt
durch Dollspace und den kleinen großen Raum. Einundzwanzig
Minuten Dollspace-Klangzeichen, zerstreut. Zerfallen. Weder work
in progress noch Wegwerfartikel. Keine Zeit, immer verderblich.
Post/Prä-Spiegelzustände.
Dieses Online-Environment hat keinen Anfang und kein Ende. Die
Arbeit steht für neue Formen der UrheberInnenschaft, nicht
nur die Worte und Bilder, die von mir stammen, sondern auch deren
Bereicherung durch E-Mails, Kommentare und Erinnerungen anderer,
durch digitale Geschenke in Form von Klangdateien, Animationen,
Grafiken und digitalen Filmen, die andere Geister gemacht haben.
Mit jedem Beitrag kommen neue Fluchtlinien, neue Geistererscheinungen,
neue Stimmen dazu... und es zieht mich immer tiefer in den Teich
der toten Mädchen, während ich unter Wasser atme.
Dollspace verbindet drei Sites mit düsterer Hypertextfiktion,
mit strategischen Links zu zeitgenössischen Sites, wo politische
Aktionen von Geistern aus der Dritten und Vierten Welt einen Ausdruck
finden, und mit einer Zone für die Sichtung von geisterhaften
Störungen.
Dollspace
VNS Matrix
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