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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

KAPITALISMUS AUF SPEED

„Leben, das ist das Allerseltenste in der Welt. Die meisten Menschen existieren nur.“ formulierte einst Oscar Wil-de und trifft damit auch heute noch den Zeitgeist, vielleicht sogar stärker als je zuvor. Psychoaktive Substanzen nahmen dabei als Bestärkung, aber zum Teil auch als Mittel des Ausbruchs eine besondere Rolle ein. Gegenwär-tig ist es Speed, das wie keine andere Substanz gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt.


DIE GLOBALISIERTE PROFITGIER

Aspekte wie die Fähigkeit des Innenhaltens und der Besinnung oder auch die Bereitschaft sich tieferen Ebenen zu öffnen, verlieren in der modernen Leistungsgesellschaft immer mehr an Bedeutung. Die Fragen nach den eigentlichen Träumen und Visionen werden zunehmend in die Scheinwelten des Konsums und der Medien proji-ziert und künstlich befriedigt.

Der globalisierte Kapitalismus gibt derartigen Fragestellungen und Betrachtungen keinen Raum. Die Ziele des ständigen Wachstums und der Erschließung neuer Absatzmärkte bestimmen die Debatten. Milliardenbeträge werden eingesetzt um die Finanzkrise zu bewältigen. Der unerträgliche Zustand, dass gleichzeitig täglich rund 25.000 Menschen an den Folgen einer Unterernährung sterben, obwohl genügend Nahrungsmittel vorhanden sind, um alle Menschen auf den Erdball ausreichend zu versorgen, wird dagegen gezielt verdrängt. Ebenso igno-riert wird die Zerstörung der ökologischen Zukunft als grundlegede Basis aller Existenz im Zuge der fortschreiten-den Profitgier. Die aufkommende Klimakatastrophe wird der Menschheit Lebensverhältnisse aufzwingen, welche die Finanzkrisen der Gegenwart bestenfalls belanglos erscheinen lässt.

Der einzelne Mensch ist den verschärften Bedingungen des beschleunigten globalen Marktes völlig unterworfen, sofern es ihm nicht gelingt, Freiräume zu schaffen, welche die Auswirkungen zumindest abfedern. Konkurrenz-kampf, Leistungsdruck und materielles Denken bestimmen die globalen ökonomischen Entwicklungen, wie zu-meist auch den individualisierten Kampf um den Erhalt des persönlichen Wohlstandes bzw. der Sicherung eines Existenzminimums.


PSYCHOAKTIVE ANTWORTEN

Der Umgang mit psychoaktiven Substanzen ist immer auch ein Abbild gesellschaftlicher Bedingungen. Die Moti-vationen für den Gebrauch sind entsprechend im Kontext soziokultureller Entwicklungen zu sehen, so vielfältig sie auch sein mögen. Die moderne Leistungs- und Konsumgesellschaft fördert den Gebrauch von Drogen, in man-chen Bereichen setzt sie ihn sogar zunehmend voraus, um mithalten zu können. So dienen einige Substanzen dazu, abzulenken und abzustumpfen bzw. bestimmte Verhältnisse in einer kurzfristigen subjektiven Perspektive besser ertragen zu können. Andere Substanzen fördern dagegen die Leistungsfähigkeit und damit auch das Funktionieren in der globalisierten Welt. Der hedonistische Gebrauch zielt auf Entspannung, Spaß und Entfaltung. Daneben werden zum Teil einige psychoaktive Substanzen auch gezielt genutzt werden, um Bewusstseinspro-zesse anzustoßen, welche im Idealfall die vorherrschenden Werte in Frage stellen und neue Perspektiven eröff-nen.

All diese Motivationen sind in allen gesellschaftlichen Bereichen in unterschiedlichen Abstufungen und fließenden Übergängen verbreitet. Durchgängig haben sie subjektive Berechtigungen. Ein Verbot der entsprechenden Sub-stanzen ändert nichts an den individuellen Motivationen bzw. den soziokulturellen Ursachen für den Gebrauch. Eine tatsächliche Veränderung im Umgang mit psychoaktiven Substanzen setzt als Basis immer gesellschaftliche Veränderungsprozesse voraus.

Eine Politik der Repression kann entsprechend die Problematiken im Zusammenhang mit psychoaktiven Sub-stanzen genauso wenig lösen wie die Dämonisierung von Drogen. Beides führt tatsächlich zu einer Verschärfung der Situation. Notwendig ist es vielmehr die gesellschaftliche Realität des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen zu akzeptieren und Bedingungen zu schaffen, die einen selbstbestimmten, mündigen und riskoarmen Umgang ermöglichen.


SPEED FÜR PARTY, SPORT UND KRIEG

Wie keine andere Droge spiegelt Speed die moderne Leistungsgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. Speed puscht Körper und Gehirn, überdeckt Müdigkeitserscheinungen und erzeugt ein leicht euphorisches Gefühl. Die Substanz wird unter anderem als Partydroge konsumiert und von SportlerInnen als Dopingmittel genutzt. Sie wurde, trotz des Verbotes, als Droge US-amerikanischen Kampfpiloten im Irakkrieg offiziell als Aufputschmittel verabreicht und wird Kindern in leicht abgewandelter Form als Medikament gegen Hyperaktivitätsstörungen ver-schrieben.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Anforderungen können Verbote den Konsum von Speed nicht unter-drücken. Der Gebrauch von Speed als gesellschaftliches Phänomen wird sich vielmehr erst dann in einem rele-vanten Umfang verändern, wenn Leistungs- und Konkurrenzdruck durch gemeinschaftliche Werte ersetzt werden. Die Entwicklung zeigt jedoch in eine völlig entgegen gesetzte Richtung. Die Pharmaindustrie arbeitet mit Nach-druck an der Entwicklung der Drogen der Zukunft, deren Einnahme die individuelle Anpassungsfähigkeit an die sozialen und ökonomischen Bedingungen steigern soll.


DIE GEDOPTE GESELLSCHAFT

Schon jetzt unterscheiden sich die Inhaltsstoffe und Wirkungsmechanismen verschiedener Psychopharmaka teilweise nur unwesentlich von verwandten illegalisierten Drogen. Sie bilden dabei nur eine Etappe auf einem Weg, der eine immer perfektere Beeinflussung auf der individuellen Ebene ermöglicht. Längst zeichnet sich ab, dass die gegenwärtigen technologischen Entwicklungen neue und in ihrer Dimension bisher nur ansatzweise erkennbare Möglichkeiten eröffnen. Das Bild eines zukünftigen Menschen, der subjektiv glücklich ist, problemlos im sozialen Sinne funktioniert und im Arbeitsleben beständig Leistung bringt, ist längst nicht nur ein Bild pessimis-tischer Anti-Utopien, sondern eine reale Zielvorgabe für die Laboratorien der Pharma- und Gentechnologie.

Ganz im Sinne der Pharmaindustrie forderten im Dezember 2008 einige US-amerikanische WissenschaftlerInnen in dem international stark beachteten Aufruf „Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy“ die freie Zulassung von Substanzen, die auf Grunde ihrer leistungsfördernden Wirkungen auf Denk- und Gedächtnisprozesse als Cognitive Enhancer oder Neuro-Drogen bezeichnet werden. Die Substanzen werden derzeit als Medikament nur bei bestimmten Erkrankungen verschrieben. Gezielt eingesetzt bewirken sie jedoch über den ursprünglichen Verwendungsbereich hinaus gehend auch eine Gehirnstimulation. Im Zuge einer stark wachsenden Nachfrage hat sich inzwischen im Internet ein grauer Markt entwickelt, über den die Substanzen erhältlich sind. Untersuchungen verweisen darauf, dass in der Arbeitswelt zunehmend derartige Substanzen eingesetzt werden.

Es ist bezeichnend, dass sich die WissenschaftlerInnen auf diese Medikamente beschränken und sich nicht auf eine generelle Freigabe psychoaktiver Substanzen beziehen. Letztlich übertragen sie nur zeitgemäß das neolibe-rale Leistungs- und Profitdenken auf den Bereich psychoaktiver Substanzen. Das Grundrecht auf eine freie Entfal-tung wird so zu einem Mittel im Konkurrenzkampf für die eigene Karriere.

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