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Wolfgang Sterneck
DAS UTOPIA DER LUST -
SEX, GRENZÜBERSCHREITUNG UND LSD
DER INNERE FLUSS
Es sind die Erfahrungen des inneren Fließens, die immer wieder
als besonders herausragende Momente des Lebens beschrieben werden.
Die Wege in derartige Zustände sind vielfältig. Sie können
erfahren werden, wenn zwei Menschen eine besondere Nähe erfahren
oder in einem erotischen Rausch miteinander verschmelzen. Für
andere ist es der trancehafte Tanz, eine bestimmte körperliche
Extremerfahrung oder der zielbewusste Gebrauch psychoaktiver Substanzen.
Manche dieser Wege eröffnen ihr eigentliches Potenzial erst
im gemeinschaftlichen rituellen Kontext. In anderen Situationen
bedarf es keiner besonderen Technik, vielmehr entwickeln sich die
Erfahrungen aus der psychischen Struktur der entsprechenden Person
heraus.
Gelingt es einen dieser Wege zu beschreiten, so eröffnet sich
losgelöst von äußeren repressiven Strukturen und
inneren emotionalen Blockaden dabei jeweils in der subjektiven Erfahrung
die konkrete Möglichkeit eines anderen Lebens. Bezeichnungen
wie der aus der Bewusstseinsforschung stammende Begriff der "Ozeanischen
Selbstentgrenzung" können ebenso wie "Samadhi"
als mystische Beschreibung oder das Verständnis von "Freiheit"
in einem psychologischen oder auch soziokulturellen Zusammenhang
nur Annäherungen an diese Wahrnehmungsebenen sein. Die Sehnsucht
nach dem Eintauchen in derartige transzendente Zustände gleicht
der Suche nach einem inneren Utopia. Ein Utopia, welches im Alltag
meist unerreichbar erscheint, sofern überhaupt ein Bewusstsein
über dessen Existenz besteht, und dann in bestimmten Momenten
doch zur konkret erlebbaren Realität werden kann.
Verschiedene Studien sprechen inzwischen von einem menschlichen
Grundbedürfnis nach Rausch, Ekstase und Transzendenz als Überschreitungen
der im Alltag vorgegebenen Grenzen.(1) Gerade in christlich und
muslimisch geprägten Kulturkreisen wurde dieses Bedürfnis
jedoch bis in die Gegenwart vielfach unterdrückt, sodass es
in der allgemeinen Wahrnehmung zumeist weitgehend verdrängt
ist. Offensichtlich ist allerdings auch das teilweise hohe Gefahrenpotenzial
von Erfahrungen, die sich dem herkömmlichen Weltbild und damit
auch den erlernten Mustern der Bewältigung entziehen. Entscheidende
Faktoren bilden der persönliche und der soziale Kontext wie
auch die individuellen Fähigkeiten der Reflexion und der Integration
des Erlebten in den Alltag. Die Sehnsucht nach der konkreten Entfaltung
des inneren Utopias hat dabei neben der individuellen immer auch
eine gesellschaftliche Dimension. Es geht letztlich um eine Überwindung
von Oberflächlichkeit und Entfremdung unter dem Diktat der
Konsum- und Konkurrenzprinzipien. Diesen steht unterschwellig das
Ideal einer Gesellschaft gegenüber, die eine selbstbestimmte
Entfaltung im Rahmen gemeinschaftlicher Strukturen ermöglicht.
In kaum einem anderen Bereich wird die innere, natürliche Sehnsucht
nach Transzendenz deutlicher als in der gelebten Sinnlichkeit der
Erotik. Im Idealfall ist es gerade hier möglich, im Moment
aufzugehen und sich selbst wie auch einen anderen Menschen in einer
ansonsten kaum möglichen Nähe und Tiefe zu spüren.
Eine erfüllte Sexualität ermöglicht die Überwindung
der ansonsten in fast allen Bereich vorherrschenden zwischenmenschlichen
Distanz. Es geht nicht länger darum sich durchzusetzen oder
egozentrisch auf den eigenen Vorteil zu achten, sondern um das gemeinsame
Erlebnis der Lust. Ausgehend vom Prinzip der Freiwilligkeit kann
der Sex dabei unterschiedlichste Ausprägungen haben, der klassische
Geschlechtsakt steht neben der tabulosen Überschreitung herkömmlicher
Grenzen, das zärtliche Element neben dem sinnlichen Schmerz
als Aspekt der Luststeigerung. Längst gehört das Verständnis
von Sexualität als reines zweckgebundenes Mittel der Fortpflanzung
in weiten Bereichen der Gesellschaft der Vergangenheit an. Wenn
jedoch eine Entfaltung nicht möglich ist, so kommt es zwangsläufig
zu Blockaden. Wie eine organische Zelle, die sich nach innen zusammenzieht
und verkümmert, wenn sie nicht pulsieren kann, so verkrampfen
sich wechselwirkend auch Psyche und Körper. Zahlreiche psychosomatische
Erkrankungen bis hin zum Krebs lassen sich in weiten Bereichen im
Verhältnis von Blockade und Fluss verstehen.
Autoritäre Gesellschaftssysteme basieren auf der Unterdrückung
einer freien persönlichen Entfaltung als ein zentrales Mittel
der Kontrolle. Das Ziel liegt in der Erziehung von Menschen, die
ihre eigentlichen Bedürfnisse bereitwillig unterordnen. Die
moderne Konsumgesellschaft geht noch einen Schritt weiter indem
sie Menschen heranzieht, die ihre Sehnsüchte nicht selbst erfüllen,
sondern in den Scheinwelten eines gigantischen Warenangebotes befriedigen.
Die Versuche die Bedürfnisse und das Bewusstsein der Menschen
zu beeinflussen beziehungsweise der sinnbildliche Kampf um deren
Träume ist allgegenwärtig. Er wird auf der gesellschaftlichen
Ebene genauso geführt wie im Innern jeder und jedes Einzelnen.
Mit der Liberalisierung der Sexualität in der westlichen Welt
kam es nicht nur in wesentlichen Bereichen zu einer Befreiung derselben,
sondern auch zu einer völligen Vermarktung sexueller Bedürfnisse.
Im Rahmen ständiger unterschwelliger oder offen dargestellter
erotisierter Bezüge in den Medien der Werbewelt wird immer
mehr die eigentliche Erfahrung der Sexualität durch Bilder
und Images ersetzt, während gleichzeitig auch die PartnerInnen
oftmals nicht mehr erlebt, sondern konsumiert werden. Hinter dem
Schein der Verkaufsklischees verbergen sich jedoch Sehnsüchte
nach Nähe und Tiefe. Die ihnen zu Grunde liegenden eigentlichen
Träume eines anderen Lebens sind jedoch zumeist längst
verdrängt oder bereitwillig vergessen. Der vorgegebene Lebensweg
lässt kaum Raum sich ihnen anzunähern, wobei all diejenigen,
die es versuchen, einem ständigen Druck auf unterschiedlichsten
Ebenen ausgesetzt sind.
Psychoaktive Substanzen werden seit Jahrtausenden genutzt, um aus
den Erfahrungswelten des Alltags auszubrechen. Menschen unterschiedlichster
Epochen und Kulturen dienten Drogen zur Erlangung entspannender
oder anregender Gefühlszustände, sowie oftmals in Verbindung
mit Ritualen zur Veränderung des Bewusstseins. In einem angemessenen
Rahmen eingesetzt ermöglichen sie bis heute die Erfahrung anderer
Ebenen der Wirklichkeit, wie auch die Entfaltung eines neuen Gemeinschaftsgefühls.
Sie können zur Heilung von Krankheiten dienen, zur Freisetzung
verschütteter Fähigkeiten oder zur Entwicklung eigenständiger
künstlerischer Ausdrucksformen. In zahlreichen Fällen
werden die entsprechenden Substanzen jedoch unreflektiert und äußerst
risikovoll gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe
hierfür sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen,
individuelle Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung
wesentliche Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören
gesellschaftspolitische Faktoren, wie soziale Missstände, aber
auch die Erfahrung zwischenmenschlicher Entfremdung als Folge eines
Systems, welches Leistung und Profit über den einzelnen Menschen
stellt.
Die vorherrschende Drogenpolitik basiert im Wesentlichen auf der
Forderung nach Abstinenz gegenüber den gesetzlich als illegal
definierten Substanzen. Gleichzeitig werden dabei diejenigen Personen
kriminalisiert, die sich dieser Vorgabe verweigern. Offensichtlich
ist jedoch, dass diese Politik weder den Konsum von Drogen noch
die Zunahme der Zahl der Abhängigen einschränken konnte.
Besonders deutlich wird die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen
Politik am Beispiel der Drogen Alkohol und Nikotin, die trotz ihrer
gesundheitlichen Auswirkungen und ihres Suchtpotenzials legal sind.
Voraussetzung für einen bewussten und verantwortungsvollen
Umgang mit psychoaktiven Substanzen ist der Zugang zu umfassenden
Informationen über deren Zusammensetzung und Wirkung. Eine
Drogenpolitik, die an den realen Bedingungen, den eigentlichen Bedürfnissen
und nicht zuletzt an der Mündigkeit der Menschen ausgerichtet
ist, muss darüber hinaus die legale Möglichkeit einer
selbstbestimmten Entscheidung über den Gebrauch von Drogen
beinhalten.
Die Verbindung der Sexualität mit dem Gebrauch psychoaktiver
Drogen entspricht potenziell der Verbindung von zwei außergewöhnlichen
Bewusstseinszuständen. Das Spektrum der möglichen Erfahrungsbereiche
ist dabei äußerst vielfältig. Es reicht von Gefühlen
der Blockierungen über Intensivierungen der sinnlichen Wahrnehmung
bis hin zur völligen Ekstase, von drogenbedingter Impotenz
oder der Freilegung völlig egozentrischer Verhaltensmuster
bis zur Erfahrung einer neuen Zärtlichkeit und dem viel beschworenen
kosmischen Orgasmus. Es kann zu einer Verschmelzung mit dem Partner
oder der Partnerin kommen, möglicherweise sind jedoch auch
beide in ihren eigenen Welten gefangen, ohne einen direkten Bezug
zu finden. Fernab von einem Automatismus, der allein durch die Einnahme
einer Substanz sofort eine bestimmte emotionale oder körperliche
Wirkung erzielt, nehmen zahlreiche innere und äußere
Aspekte eine wesentliche Rolle für den besonderen Charakter
der Erfahrung ein. Neben dem Wirkungsspektrum der ausgewählten
Droge und ihrer spezifische Dosierung sind es die umgebenden Bedingungen
und insbesondere eine Reihe subjektiver Faktoren, wie das Grundgefühl
und die Erwartungen der Beteiligten.
Bei den meisten gängigen psychoaktiven Substanzen werden moderate
Mengen als anregend beschrieben, während hohe Dosierungen zumeist
eine erotische Situation schnell in ihr Gegenteil verkehren. Schon
eine leichte Überschreitung einer im spezifischen Fall anregenden
Dosis kann die Empfindungen völlig verändern. So wirken
alkoholische Getränke auflockernd und enthemmend, die Grenze
zu einem mit Erektionsproblemen verbunden Rauschzustand oder gar
zu einem übergriffigen Verhalten wird jedoch oftmals schnell
überschritten. Cannabis kann in bestimmten Dosierungen in einer
erotischen Situation sehr entspannend und anregend wirken, eine
Überdosierung führt jedoch oftmals zu einer passiven Haltung
oder schlichtweg zur Ermüdung. Einige Psychedelika haben das
Potenzial eine völlig veränderte Ebene der Sinnlichkeit
zu eröffnen, sie können aber auch die PartnerInnen in
unterschiedlichen Erfahrungswelten gefangen nehmen oder Gefühle
der Verunsicherung und tiefer Angst freisetzen. Charakteristisch
für alle Substanzen ist in Folge des Gebrauchs oftmals die
Vernachlässigung schützender Safer-Sex-Aspekte.
Ein Merkmal der modernen Leistungsgesellschaft ist die profitträchtige
Entwicklung von Substanzen durch die Pharmaindustrie, deren Einnahme
die individuelle Anpassungsfähigkeit an die sozialen und ökonomischen
Bedingungen steigern soll. Ritalin, Prozac und Valium sind nur drei
der bekanntesten von unzähligen Medikamenten, deren Inhaltsstoffe
und Wirkungsmechanismen sich teilweise nur unwesentlich über
die Definition von verwandten illegalisierten Drogen unterscheiden.
So bedeutsam und hilfreich die angesprochenen Substanzen für
den Einzelnen berechtigterweise auch sein mögen, sie dienen
letztlich der Stabilisierung der bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnisse. In ihrer Wechselwirkung können diese Substanzen
unter anderem zum inneren Ausgleich und zur Behebung psychischer
Symptome führen, während sie im gesellschaftlichen Kontext
zur Verhinderung eines Ausfalls oder eines Ausbruchs aus den sozialen
Rahmenbedingungen beitragen. Darauf aufbauend erhalten oder steigern
sie die Verwertbarkeit des Einzelnen. Unhinterfragt bleiben dabei
zwangsläufig die komplexen gesellschaftlichen Ursachen für
die zunehmende Zahl psychosomatischer Erscheinungen, die gerade
im Zuge der neoliberalen Globalisierung zu beobachten sind.
Im Kontext der Sexualität entspricht Viagra diesen Entwicklungen.
Das durch den Pharmakonzern Pfizer mit gigantischen Gewinnen vermarktete
Medikament erzielt hinsichtlich der angestrebten Behebung von Erektionsstörungen
enorme Erfolge. Charakteristisch ist dabei, dass ein rein medikamentöser
Ansatz im Vordergrund steht, der auf eine rein körperliche
Behebung der Problematik abzielt. Psychische Zusammenhänge
oder gar das grundsätzliche Verständnis von Sexualität
bleiben in der Regel ausgeklammert. Ganz im Sinne der Leistungsgesellschaft
geht es im intimsten persönlichen Bereich wie im Arbeitsleben
um das Funktionieren.
Die Psychopharmaka der Gegenwart bilden dabei nur eine Etappe auf
einem Weg, der eine immer perfektere Beeinflussung auf individueller
Ebene ermöglicht. Längst zeichnet sich ab, dass die gegenwärtigen
technologischen Entwicklungen neue, in ihrer Dimension bisher nur
ansatzweise erkennbare Möglichkeiten eröffnen. Das Bild
eines zukünftigen Menschen, der subjektiv glücklich ist,
problemlos im sozialen Sinne funktioniert und im Arbeitsleben beständige
Leistung bringt, ist längst nicht nur ein Bild pessimistischer
Anti-Utopien, sondern eine reale Zielvorgabe für die Laboratorien
der Pharma- und Gentechnologie.
VON DIONYSOS ZU DEN DOORS
Ausgehend von den menschlichen Grundbedürfnissen nach Sexualität,
Ekstase und Transzendenz lässt sich über Epochen hinweg
eine historische Bezugslinie erkennen, die vom Dionysos-Kult über
die Rituale der Hexen bis zu einigen Tendenzen innerhalb der psychedelischen
Bewegungen der Gegenwart reicht. Verbindendes Element sind Feste
und Rituale, zu deren wesentlichen Merkmalen im Rahmen der entsprechenden
kulturellen Ausprägungen der trancehafte Tanz, die erotische
Sinnlichkeit und der Übergang in andere Ebenen des Bewusstseins
mit Hilfe psychoaktiver Substanzen gehörten. Zum Ausdruck kommt
dabei keine direkte organisatorische Tradition, sondern beständig
die konkrete Entfaltung einer inneren Sehnsucht. Die einzelnen Tendenzen
entwickelten immer dann eine besondere Kraft, wenn sie nicht nur
zu einem zeitweilig individualisierten Ausstieg genutzt, sondern
die Erfahrungen gemeinsam in die ansonsten oftmals als entfremdet
erfahrene gesellschaftliche Realität integriert wurden.
In der griechischen Antike galt Dionysos als der Gott der Vegetation
und des Theaters sowie nicht zuletzt als Gott orgiastischer Festlichkeiten.
Die zu seinen Ehren gefeierten Mysterien entsprachen einem Durchbrechen
der Grenzen des Alltags wie auch der Grenzen der eigenen Erfahrungswelt.
Die "Ek-stase" fand hier im ursprünglichen Sinne
des Wortes als Heraustreten aus der eigenen Person eine Entsprechung.
Wenn heute bei zahlreichen Festen Dionysos als Symbolfigur für
rauschhafte Besäufnisse dient, so wird dabei zumeist ignoriert,
dass dem Wein der Antike mit Fliegenpilzen und Nachtschattengewächsen
psychoaktiv wirkende Substanzen beigemengt wurden. Zudem lag das
ursprüngliche Ziel des Rausches nicht in einer dumpfen Abkehr
von der Welt, sondern gerade in der tiefen Erfahrung derselben.
Auch in Rom fand Dionysos unter dem Namen Bacchus zahlreiche AnhängerInnen,
die in ihren Festen nach neuen Wegen der Erfüllung und der
Gemeinschaft suchten. Der römische Senat sah darin eine zunehmende
Infragestellung der bestehenden Ordnung und ließ den Bacchus-Kult
um 200 vor Christi verbieten. Trotz der blutigen Verfolgung seiner
AnhängerInnen bestand der Kult im Untergrund jedoch noch lange
weiter. In seinen Aufzeichnungen verurteilte der römische Geschichtsschreiber
Livius die Bacchanalien als ausschweifende Feste: "Seitdem
die Mysterien gemeinschaftlich sind und die Ungebundenheit der Nacht
dazukam, ist keine Schandtat dort unterblieben. Männer weissagen
unter ekstatischen Hin- und Herwerfen ihres Körpers, als wenn
sie von Sinnen wären. Verheiratete Frauen laufen mit aufgelöstem
Haar und brennenden Fackeln umher. Es gibt mehr Unzucht von den
Männern untereinander als mit den Frauen. Nichts für unerlaubt
zu halten, das ist das höchste Gebot unter ihnen."(2)
Auch bei den Festen der Hexen ging es im Mittelalter wie in der
frühen Neuzeit darum, die Begrenzungen einer restriktiven Welt
zu verlassen. Bis heute ranken sich unzählige Mythen um die
trancehaften Tänze zu monotonen Rhythmen um ein der Nacht aufleuchtendes
Feuer. Die so genannten Hexensalben, die speziell für Rituale
angefertigt wurden, beinhalteten Überlieferungen zufolge Nachtschattenpflanzen
wie Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche sowie Cannabis und in
einigen Fällen vermutlich auch Opium. Die Salben haben das
Potenzial intensive Wahrnehmungsveränderungen auszulösen,
wobei die Übergänge zwischen beglückenden Visionen
und verstörenden Erfahrungen bis zu psychotischen Zuständen
und lebensgefährlichen Vergiftungen fließend sind. Teilweise
kommt es zu Visionen, die von starken erotischen Gefühlen geprägt
sind, wodurch sich die ausschweifenden Beschreibungen von orgiastischen
Feiern in der Walpurgisnacht erklären.
Zu den wenigen erhaltenen authentischen Dokumenten über die
Kultur der Hexen gehören die Beschreibungen der florentinischen
Hexe Aradia, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden.
Dabei bildet in den Anrufungen der Hexengöttin Diana die radikale
Negation bestehender Verhältnisse und die rituelle Erfahrung
einer anderen Welt eine Einheit: "Und die Seelen der Unterdrücker
sollst du fesseln mit deiner Macht. Und du sollst all jene vergiften,
die sich große Herren über alles dünken. Ja, in
ihren Palästen sollst du sie sterben lassen … Zu deinen
Ehren will ich dieses Fest abhalten, will feiern und den Kelch bis
zum letzten Tropfen leeren. Wir wollen tanzen und wilde Sprünge
machen. Und dann, wenn der Tanz am Höhepunkt, dann sollen all
die Lampen erlöschen und in freier Liebe wollen wir uns ergehen!"(3)
Im Zuge der Inquisition und der Hexenverfolgung fielen Millionen
Menschen dem patriarchalischen Machtanspruch der christlichen Kirchen
zum Opfer. Das in Europa verbreitete Wissen über Praktiken
und Rituale der Ekstase wurde größtenteils verdrängt.
Zeitweise war sogar der Tanz als angeblicher Ausdruck dämonischer
Kräfte verboten, während der Gebrauch psychoaktiver Substanzen
ohnehin in vielen Bereichen zunehmend verfolgt und die Sexualität
völlig tabuisiert wurde. Abgesehen von einzelnen Ansätzen
im Verborgenen lässt sich in Europa erst seit der zweiten Hälfte
des letzten Jahrhunderts eine erneute Annäherung an ekstatische
Zustände erkennen. Eine herausragende Rolle nahm dabei die
Hippie-Kultur als Teil der Protestbewegungen der späten sechziger
Jahre ein, die ein betont offenes Verhältnis zur Sexualität
praktizierte. Daneben kam es über den Gebrauch psychedelischer
Substanzen zu einer Auseinandersetzung mit anderen Ebenen des Bewusstseins,
wobei die Musik als eine die Bewegung umschließende Ausdrucksform
diente.
Neben vielen anderen war es insbesondere Jim Morrison, der als Texter
und Sänger der Rockband The Doors das inzwischen längst
zum Klischee verkommene Leitbild des "Sex and Drugs and Rock’n’Roll"
verkörperte. Dabei verfing er sich nicht in den Illusionen
der Flower-Power-Romantik, sondern fasste auch die dunklen Seiten
der menschlichen Existenz poetisch in Worte. Morrison selbst durchlebte
die Höhen ekstatischer Erfahrungen wie auch den Absturz in
psychedelische Wahnvorstellungen und die Egozentrik der Alkoholabhängigkeit.
Gemäß seinem Selbstverständnis standen die Auftritte
der Doors in der Tradition schamanischer und dionysischer Feste.
"Das Ziel ist es, die Langeweile zu überwinden, die Augen
zu reinigen und einem kleinen Kind gleichend wieder in den Fluss
des Lebens einzutauchen. Das wichtigste Bestreben besteht darin,
zur Erkenntnis zurück zu finden. Es geht darum, alle Sinne
des Organismus anzusprechen und dadurch all die traditionellen Künste
zu ohrfeigen, welche die Wahrnehmung auf einige schmale Eingänge
reduziert haben."(4)
DER PSYCHEDELISCHE ORGASMUS
Der Chemiker Albert Hofmann entdeckte 1943 die bewusstseinsverändernden
Wirkungen von LSD und begann diese in Folge wissenschaftlich zu
erforschen. Dabei zeigte er zahlreiche Parallelen zu psychoaktiven
Substanzen auf, die in traditionellen Kulturen zu heilenden, mystischen
und visionären Zwecken genutzt wurden. In der zweiten Hälfte
der sechziger Jahre fand LSD in der Hippie-Bewegung massenhafte
Verbreitung. Als Acid wurde es gezielt genutzt, um sich anderen
Ebenen der Wahrnehmung zu öffnen, vielfach aber auch als Mittel
zur Flucht aus den gesellschaftlichen Realitäten. Falschinformationen
und auf eine Abstinenz ausgerichtete Drogenpolitik führten
in Folge zu einem internationalen Verbot, welches jedoch nicht verhindern
konnte, dass LSD bis heute starken Einfluss auf Musik und Kunst
sowie auf die Entwicklung der Cyber-Kultur hat.
Als eine psychedelische ("die Psyche offenbarende") Substanz
kann LSD Gefühle und Erlebnisse, die ins Unbewusste verdrängt
wurden, wieder freilegen. LSD erzeugt in diesem Sinne weder positive
noch negative Gefühle, sondern öffnet im Wesentlichen
nur Türen zu Räumen, die in der betreffenden Person bereits
vorhanden sind. Das entscheidende Merkmal der LSD-Erfahrung sind
die psychischen Wirkungen, während die körperlichen Effekte
sind in der Regel nur Randerscheinungen bilden. Schon bei geringer
Dosis werden eine Intensivierung der Farbwahrnehmung und eine Veränderung
des räumlichen Sehens empfunden. In höheren Dosierungen
erscheinen feste Formen oftmals weich oder flüssig und starre
Gegenstände pulsierend. Zudem verändert sich das Zeit-
und Raumgefühl. Daneben wird die Unterscheidung zwischen Sehen,
Hören und Empfinden durch LSD aus dem gewohnten Gleichgewicht
gebracht, wobei sich die Verarbeitung und Bewertung der Sinneseindrücke
im Hirn verändert. Im Extremfall können sich die Grenzen
der persönlichen Identität auflösen, sodass die Wahrnehmung
der äußeren Welt und der eigenen Person ineinander übergehen.
"Ich tanze auf dem Spiegel meines Bewusstseins und beginne
mit der mich durchdringenden Musik zu verschmelzen. Die Farben bewegen
sich im Rhythmus der Klänge, die aus ihnen dringen."(5)
Hohe LSD-Dosierungen bewirken eine Bewusstseinserweiterung über
die oftmals konkret erfahrbar wird, dass verschiedene Ebenen der
Wahrnehmung beziehungsweise der Wirklichkeit nebeneinander bestehen.
Diese Erkenntnis kann eine persönliche Weiterentwicklung bewirken,
sie kann aber auch eine tiefe Verunsicherung auslösen, da sie
das gängige Weltverständnis zutiefst erschüttert.
Entsprechend wichtig sind das Set und Setting, also die äußere
Umgebung, der innere Zustand, die Erwartungen und auch das Wissen
über die Wirkungen. LSD birgt kein körperliches Abhängigkeitspotenzial,
allerdings setzt schnell eine Toleranzbildung ein. Zu den möglichen
Nebenwirkungen gehören Schwindel und eine Erhöhung der
Körpertemperatur. Bei einer entsprechenden Veranlagung kann
LSD zum Ausbruch von Psychosen entscheidend beitragen.
Der Gebrauch psychedelischer Substanzen wie der Aspekt der sexuellen
Freiheit waren primäre Merkmale der Hippie-Kultur und Ausdruck
des Versuchs eigenständige Lebenskonzepte zu entwickeln. In
einem viel beachteten Interview verknüpfte Timothy Leary 1966
die beiden Aspekte und beschrieb LSD als "das mächtigste
Aphrodisiakum, das der Mensch je entdeckt hat".(6) Seinen Beschreibungen
zufolge setzt auf körperlicher Ebene eine immense Sensibilisierung
ein, die dazu führt, dass körperliche Kontakte in einer
besonderen Intensität erfahren werden und schon leichte Berührungen
erotisch wirken. "Sie streifte mit ihrem Finger leicht über
meine Handfläche und sofort explodierten hunderttausend Endzellen
in meiner Hand in sanften Orgasmen." Im Sinne Learys liegt
dabei das eigentliche erotische Potenzial von LSD in der Veränderung
des Wahrnehmung und nicht etwa in einer direkten sexuellen Stimulation:
"Sex unter LSD wird wunderbar vergrößert und intensiviert.
Ich meine jedoch nicht, dass LSD einfach genitale Energie schafft.
Es produziert nicht automatisch eine längere Erektion. Eher
steigert es die Sensibilität um tausend Prozent. In sinnlicher
und zellularer Vereinigung unter LSD kann man eine halbe Stunde
lang mit den Augäpfeln lieben, eine andere halbe Stunde lang
mit dem Atem. Wenn man unter LSD liebt, ist es, als liebe jede Zelle
des Körpers jede Zelle des anderen Körpers. Meine Hand
streichelt nicht die Haut der Frau, sondern sinkt ein und verschmilzt
in ihr mit uralten Dynamos der Ekstase."
Wie sich eine derartige Herangehensweise konkret in der subjektiven
Wahrnehmung ausprägen kann, beschrieb Sharon Rudahl in ihrem
1967 veröffentlichen, wohl stark autobiographisch gefärbten
Roman "Rauschtempel". Das unter dem Pseudonym Mary Sativa
veröffentlichte Buch gilt als Klassiker der psychedelischen
Erotik. Mehrfach wird darin beschrieben wie sich im Zuge rauschhafter
erotischer Begegnungen die eigene Persönlichkeit auflöst
und auf einer psychedelischen Ebene mit dem Partner verschmilzt.
"Ich sehe ihm in die Augen, atme seinen Atem. Er ist ein Spiegel,
der eine andere Gestalt von mir reflektiert. Ich bin sein Glied,
tief in mir selbst. Ich bin unser verschlungener Körper, der
in einem vollendeten Tanz auflebt. Ich streiche über sein funkelndes
Haar und fühle meine eigenen Fingerspitzen, spüre die
Musik in meiner Muschi spielen. Schauer jagen durch unsere Körper,
unbeherrschbar und schön. Ich bin die Erde, aus der er erblüht,
er ist der Fluss, der in mich hineinströmt. Jeder Muskel und
jede Ader ist eigens für diesen Tanz geschaffen. Die Zeit ist
tot. Wir sind das heilige Bild."(7)
Verschiedene Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass derartige
Erfahrungen keineswegs nur übersteigerte Hippie-Fantasien sind,
sondern zum Erfahrungsvermögen jedes Menschen gehören,
das unter anderem durch bestimmte psychoaktive Substanzen, durch
Meditationstechniken oder Trancerituale hervorgerufenen werden kann.
Bereits in den fünfziger Jahren hatte Aldous Huxley das Spektrum
der Erfahrungen, die durch Psychedelika in hohen Dosierungen eröffnet
werden können, in Himmel, Hölle und Visionen unterteilt.(8)
Später bestätigten empirische Versuchreihen zur "Phänomenologie
außergewöhnlicher Bewusstseinszustände"(9)
diese Unterteilung als "Ozeanische Selbstentgrenzung",
"Angstvolle Ichauflösung" und "Visionäre
Umstrukturierung". Die von Rudahl und Leary beschriebenen Erlebnisse
entsprechen der "Visionären Umstrukturierung" im
Sinne einer Erfahrung, die von gesteigerten Empfindungen, synästhetischen
Veränderungen von Tönen und Farben und äußerst
lebhaften Phantasien geprägt ist.
Der wesentliche Grund für die immense Aufmerksamkeit, die das
Interview mit Timothy Leary erlangte, war vor allem die darin implizierte
Verheißung eines Aphrodisiakums, dessen Einnahme zuvor ungekannte
Momente ekstatischer Liebe eröffnete. Wie in vielen Veröffentlichungen
der damaligen Zeit wurde jedoch fälschlicherweise vermittelt,
dass allein der Konsum von LSD zu einer befreienden Entwicklung
führe, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der eigenen
Persönlichkeit bedarf. So gab diese völlig überzogene
Beschreibung von LSD als bedeutendstes Liebesmittel aller Zeiten
nur einen Aspekt der Verbindung von Psychedelika und Erotik wider,
der ohnehin in dieser grenzauflösenden und bewusstseinserweiternden
Dimension äußerst selten erlebt wird. Vielmehr kann es
auch zu Verkrampfungen, Reizüberfluten oder zu Konfrontationen
mit problematischen Inhalten des Unbewussten kommen. In einigen
Fällen führt die Andersartigkeit dieser Erfahrung zu einer
Überforderung oder völligen Verängstigung, die dann
nicht zu einem Zustand des Fließens, sondern zu Blockaden
führt. Während der Hauptwirkung des Trips bestehen oftmals
keinerlei sexuelle Bedürfnisse, da die körperlich-erotische
Ebene gegenüber anderen Wahrnehmungsbereichen völlig unbedeutend
erscheint. Sofern überhaupt ein Interesse an sexuellen Handlungen
vorhanden ist, entfaltet sich eine anregende Stimmung meist erst
bei abklingender Wirkung.
Verstörende Erfahrungen, die zum Teil von Angstzuständen
und Wahnvorstellungen geprägt sind, beschreibt Tiny Stricker
unter dem Titel "Trip Generation". Im Zuge assoziativer
Wahrnehmungen kommt es immer wieder zu einer Vermengung von tatsächlichen
Gegebenheiten und halluzinativen Eindrücken mit einer starken
sexuellen Komponente. "Wir schleppen uns hoch bis zum letzten
intimen Café, schlagen Rendezvous, Kino und Telefonnummer
in den Wind, den ganzen sexuellen Verrat des 20. Jahrhunderts, bestellen
den letzten Tee. Ich suche mir den ältesten, fettesten, impotentesten
Typen aus, der eigentlich nur zur Schau mit war, kuschle mich an
ihn, während er verzweifelt sein Knoblauchsüppchen mampft.
Zwei Burschen schnappen sich Simon, diesen hehren, zerbrechlichen
Schwulen-Guru, zerren ihn den Steilhang hinauf, lassen ihn blutend
verwildert im Felsen zurück. Der Alte verteidigt mich wie ein
Wolf, ich entschuldige mich für einen Augenblick, renne aufs
Klo, meine letzte Rettung aus diesem Kino, aber mein größter
Fehler, denn draußen warten schon wieder zwei, wälzen
mich halbnackt aus der unschuldigen Latrine heraus und rauf auf
den Berg, oben kriegen sie Krach, wer zuerst ran darf, da reißt
mich schon der eine brutal und tollkühn wie ein flüchtendes
Pferd den Abgrund hinab, der andere stürzt aus Gram in den
Sonnenuntergang. Ich habe ihn nie wiedergesehen, renne noch lange
in den Felsen umher wie eine Henne, von ihren Rufen verfolgt, ein
graues Harold-Lloyd-Movie ohne Statisten."(10)
Es müssen jedoch keineswegs bedrückende oder verzerrte
Bilder sein, die eine potenziell erotische Situation ins Gegenteil
verkehren. Viel häufiger führt die innere Öffnung
zu einer Flut von Gedanken, die sich an einzelnen Punkten geradezu
verknoten können und den weiteren Verlauf des Trips bestimmen.
Teilweise bewegt sich die Person auf LSD in einer eigenen Welt,
ohne mit dem Partner oder der Partnerin zu verschmelzen, sofern
es überhaupt möglich ist über den körperlichen
Kontakt hinaus eine gemeinsame Ebene zu finden: "Er legte seine
Hand wie sonst auf Ilses Brust und bewegte den Daumen leicht über
die Brustwarze hin und her. Doch nach wenigen Minuten kam er sich
albern vor und zog unsicher seine Hand wieder zurück. Ilse
hatte seinen Bewegungen zugeschaut, ohne zu erkennen zu geben, was
sie dachte. In seinem gerade verminderten Selbstgefühl glaubte
er zu sehen, dass sie ihn für schwach hielt. Das Gefühl
der Hilflosigkeit in ihm wuchs immer mehr und zugleich schien ihm
die Entfernung zu Ilse immer größer zu werden. Er begann
daran zu zweifeln, ob es gut gewesen war, mit ihr einen Trip zu
nehmen, und schon fragte er sich auch, ob sie zu ihm passe. Parallel
zu diesem Gedanken kam ihm plötzlich noch das Gefühl,
ungeheuerlich hässlich zu sein und einen kraftlosen, unnützen
Körper zu haben."(11)
Insbesondere in den sechziger Jahren wurde in der mit Psychedelika
arbeitenden Psychotherapie (Psycholyse) vergleichsweise erfolgreich
versucht sexuelle Problematiken aufzuarbeiten. Die Ziele lagen insbesondere
in der Eröffnung neuer Betrachtungsweisen, der Auflösung
von Blockaden und der Freilegung von Erfahrungen, die ins Unbewusste
verdrängt wurden, um dann mit ihnen therapeutisch arbeiten
zu können. Gerade die Erfahrung eines inneren Zustandes des
Fließens erhielt dabei eine weit über die konkrete Situation
hinausreichende Bedeutung. Zu den Schattenseiten gehörte die
Pathologisierung der Homosexualität durch einige Vertreter
der Psycholyse und das Bestreben sie im Zuge einer Therapie "heilen"
zu wollen.
Ein beträchtlicher Teil der psychedelischen Bewegung der späten
sechziger Jahre öffnete sich zunehmend religiösen Strömungen.
Dagegen betrachteten die Yippies als radikal politischer Flügel
der Hippie-Bewegung eine befreite Sexualität und einen bewussten
Umgang mit psychoaktiven Substanzen als ein Mittel im Kampf um gesellschaftliche
Veränderung. Jerry Rubin, einer ihrer Wortführer, beschrieb
das angestrebte Utopia in der für die Yippies typischen "marxistischen"
Denkweise, welche die revolutionäre Gesellschaftsanalyse von
Karl Marx mit dem anarchischen Humor von Groucho Marx verband. "Die
Welt wird eine einzige große Kommune werden in der alles geteilt
wird. Das Pentagon wird durch eine LSD-Experimentierfarm ersetzt
werden. Friseure werden Rehabilitationslager aufsuchen und dort
ihre Haare wachsen lassen. Die Menschen werden vormittags Landwirtschaft
betreiben, nachmittags Musik machen - und ficken, wo und wann immer
sie wollen."(12)
Einige linke Gruppierungen kritisierten dagegen den Konsum von Drogen
und die Betonung der Sexualität auf dem Weg zu einer befreienden
Veränderung als verschleiernd oder gar als konterrevolutionär.
Eine differenziertere Position nahm dagegen Herbert Marcuse ein,
der das Potenzial psychedelischer Substanzen für eine Sensibilisierung
und damit für eine befreiende Veränderung der Wahrnehmung
aufzeigte, aber auch die Gefahren beschrieb. "Das Bewusstsein
von der Notwendigkeit einer Revolution der Wahrnehmungsweise, eines
neuen Sensoriums, ist vielleicht der Wahrheitskern im ’psychedelischen’
Suchen. Es wird jedoch verfälscht, wenn der Rausch nicht nur
zeitweilig von Vernunft und Rationalität des etablierten Systems
entbindet, sondern auch von jener anderen Rationalität, die
das etablierte System verändern soll; wenn die Sinnlichkeit
nicht nur von den Erfordernissen der bestehenden Ordnung befreit
wird, sondern auch von jenen der Befreiung."(13)
Entsprechungen der Grundstrukturen erotischer Erfahrungen auf LSD
lassen sich unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen spezifischen
Eigenheiten auch bei anderen psychedelischen Substanzen finden.
Wie bei LSD liegen gerade bei höheren Dosierungen psychische
Abgründe und erfüllende Gipfelerfahrungen eng beieinander.
Das Abgleiten in blockierende Gedanken und Empfindungen oder gar
in bedrohliche Wahrnehmungen ist im erotischen Kontext genauso möglich
wie die völlige sexuelle Verschmelzung in zuvor ungekannte
Sphären, sofern diese überhaupt noch als ein Bestandteil
des Wahrnehmungskosmos verstanden werden.
Eindrücklich beschreibt Theo Rosenfeld eine psychedelische
Erfahrung mit DMT, die von einer ekstatischen Auflösung bestehender
Strukturen geprägt ist, die in einen neuen Kosmos erotischer
Wahrnehmungen übergeht. Dieser wird aber bald darauf von einer
verkrampfenden, aus dem Unbewussten aufkeimenden Angst durchzogen,
welche die Erfahrung auch rückblickend wesentlich prägt:
"Dann wurde alles zu Sex. Wohin ich auch meine Aufmerksamkeit
richtete, welches sensorische Organ ich auch benutzen wollte, ich
spürte nur noch das körperliche Gefühl des Liebens.
Und bald darauf wurde absolut alles zu uns, aus welcher Zeit und
von welchem Ort auch immer. Es gab mich nicht mehr, auch keine Sophia
mehr, es gab nur noch die Totalität des Liebens. Währenddessen
glitten meine unzähligen Penisse durch meine ebenso endlosen
Vaginas. Bis dann eine seltsame Angst in mir aufkam. Ich befürchte
plötzlich, dass wir das gesamte Universum in unseren Sex eingeschlossen
hätten - und dies für immer."(14)
Erfahrungen mit dem bei bestimmten Dosierungen psychedelisch wirkenden
Narkotikum Ketamin sind oftmals von bizarren Wahrnehmungen geprägt,
die zum Teil mit Comics oder Trickfilmen verglichen werden. David
Jay Brown tauchte in diese Welt so tief ein, dass er jeglichen Bezug
zu seiner menschlichen Existenz wie auch den direkten Bezug zu seiner
Freundin verlor und diese nur noch auf einer völlig verfremdeten
Ebene als liebende Partnerin wahrnahm. Browns Beschreibungen zu
Folge erlebte er seine Umgebung wie einen "nicht-jugendfreien
Science-Fiction-Film".(15) Er liebte unterhalb der Wasseroberfläche
eine Kreatur, die wie er selbst "tausende Tentakel und merkwürdige
Anhängsel" hatte. Als er währenddessen plötzlich
in seine menschliche Rolle zurückgeworfen wurde, erschien es
ihm wie ein Schock, hatte er doch völlig vergessen, dass er
tatsächlich ein Mensch ist.
Fernab von derartig bizarren Erfahrungen verfing sich Keely Stahl
nach der Einnahme von Meskalin in einem erdrückenden und äußerst
beängstigenden Gewirr von Energien und Blockaden. Deutlich
wird an diesem Beispiel einmal mehr, welches lösende Potenzial
in psychedelischen Substanzen liegt. Es zeigt aber auch, wie schnell
sich dieses umkehren kann – gerade wenn unbewusste Empfindungen
freigesetzt werden. "Jahre später wurde mir klar, dass
ich in meinem Körper haufenweise energetische Blockaden hatte.
Heute vermute ich, dass das Meskalin die Blockaden löste, ich
aber wieder Blockaden gegen diese Lösung aufbaute. Ich hatte
Hemmungen mich zu entspannen und es zu genießen. Ich wusste
nicht was ein Orgasmus war. Vielleicht waren es erste, ersatzhafte
Orgasmuswellen die mich auf Meskalin durchfuhren. Es war so fremd
und neu für mich, dass ich es nicht andauern lassen konnte.
Ich fürchtete mich so sehr vor Gefühlen dieser Art und
lies meinem Verstand die Kontrolle."(16)
DIE REALITÄTEN UTOPIAS
In seinem Roman »Eiland« beschrieb Aldous Huxley eine
auf dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit aufgebaute Gesellschaft,
die in Einklang mit der natürlichen Umwelt steht. Im Alltag
besteht eine betont offene Haltung gegenüber der Sexualität,
während im Rahmen bestimmter Rituale der Gebrauch der psychoaktiven
Substanz Moksha eine besondere Rolle einnimmt. Diese wird unter
Berücksichtigung der psychischen und physischen Risiken zur
Entwicklung des Bewusstseins genutzt. Am Ende scheitert das gesellschaftliche
Experiment an den Interessen multinationaler Konzerne. Zum Teil
als naiv und weltfremd abgetan, erhält der 1962 erschiene Roman
gerade in Zeitalter der neoliberalen Globalisierung eine bedrückende
Aktualität. Aber auch als Vision einer anderen Welt trägt
er zahlreiche konkrete Bezüge in sich. Zudem spiegelt er auf
einer literarischen Ebene ein erweitertes Verständnis von erotischer
Liebe und beschreibt die Möglichkeiten eines bewussten Gebrauchs
psychoaktiver Substanzen. Unterschwellig geht es dabei immer wieder
um den Prozess des Fließens auf einer persönlichen wie
gesellschaftlichen Ebene.
Einen Gegenentwurf bildet Huxleys Dystopie "Schöne Neue
Welt", in der er eine von scheinbarer Stabilität und Glück
bestimmte zukünftige Welt beschreibt. Die materielle Grundversorgung
ist abgesichert, vielfältige Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten
sind frei verfügbar, erotische Bedürfnisse werden im Rahmen
eines offenen Verhältnisses zur Sexualität befriedigt
und nicht zuletzt sind Krankheiten sowie körperliche Alterungsprozesse
überwunden. Die Weichen für das spätere Leben in
Zufriedenheit werden schon vor der Geburt durch gentechnische Steuerungen
gestellt. Zudem wird von staatlicher Seite mit Soma eine jederzeit
erhältliche Substanz angeboten, die Glücksgefühle
erzeugt und somit Konflikte schon im Ansatz auflöst. Soma ist
dadurch im Gegensatz zu Moksha der Prototyp einer Pharmadroge, die
Symptome behebt aber die eigentlichen Ursachen unangetastet lässt.
Ohne körperliche Nebenwirkungen erzeugt Soma einen harmonisierten
Zustand, der gleichzeitig der Ablenkung und Manipulation dient.
Ein Hinterfragen der eigenen Persönlichkeit oder der gesellschaftlichen
Strukturen findet im Zuge des Gebrauchs nicht mehr statt, während
das Bedürfnis nach Tiefe und Entfaltung zugunsten einer oberflächlichen
und letztlich entfremdeten Zufriedenheit aufgehoben wird.
"Eiland" und "Schöne Neue Welt" beschreiben
pointiert Polaritäten, deren Bezug zu den Wirklichkeiten der
Gegenwart weit über den literarischen Rahmen hinausgeht. Neben
den Warnungen vor der Gleichschaltung von Bedürfnissen und
Bewusstsein, sowohl in ihren ökonomischen und kulturellen wie
in ganz individuellen Aspekten, setzen sich beide Romane mit der
Bedeutung von Sinn und Tiefe in der modernen Welt auseinander. Das
Erleben der Transzendenz im Sinne einer befreienden Überschreitung
des auferlegten Bewusstseins gleicht vor dem Hintergrund entsprechender
Fragestellungen einem Ausbruch aus den inneren Gefängnissen
einer repressiven Gesellschaft. Fernab von den Mechanismen ständiger
Selbstkontrolle kann dieser Ausbruch unabhängig von den auslösenden
Mechanismen phasenweise in ein konkretes inneres Utopia führen.
Die Erfahrung der Transzendenz kann dabei den Ausgang für einen
Prozess der Transformation bilden. Politik wird dann zu einer Sprache
von Körper und Gefühlen, wie auch zum Ausdruck einer Öffnung
und Entwicklung des Bewusstseins. Wechselwirkend schließt
dies die kritische Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen und
ein am Ziel befreiender Veränderung ausgerichtetes soziales
Engagement ein. Dieses Verständnis steht im deutlichen Gegensatz
zu der in weiten gesellschaftlichen Bereichen vorgegebenen Haltung
des Konsums, die eine aktive Entfaltung meist nur dann fördert,
wenn sie wirtschaftlichen Interessen dient.
Im Schein oberflächlicher Glücksversprechungen verfangen
ist eine hedonistische, vorrangig an Vergnügen, Unterhaltung
und Rausch ausgerichtete Haltung, die in das weit verbreitete Bedürfnis
nach dem Vergnügen ohne Ende mündet. Hinter den bunten
Fassaden der Spaßgesellschaft verbirgt sich letztlich jedoch
zumeist innere Leere und zwischenmenschliche Entfremdung. Gleichzeitig
führt allerdings auch ein rein auf die persönliche Weiterentwicklung
ausgerichtetes Selbstverständnis, welches die umgebenden Bedingungen
ausklammert, genauso in eine Sackgasse, wie die Konzentration auf
gesellschaftliche Veränderungsprozesse, wenn nicht zugleich
die verinnerlichte blockierende Strukturen in der eigenen Persönlichkeit
in Frage gestellt werden.
Die Sexualität hat in diesem Rahmen zumindest das Potential
Distanz und Entfremdung als Ausdruck sozialer Entfremdung zugunsten
von Nähe und Tiefe aufzuheben. Einige der beschriebenen psychoaktiven
Substanzen können unter Berücksichtigung zahlreicher Aspekte
im günstigen Fall dazu beitragen die Türen zu den Räumen
einer befreienden erotischen Ekstase zu öffnen, wobei jedoch
jede Person selbst eintreten und den Raum ausfüllen muss. Dabei
liegt es in einem wesentlichen Maße an der entsprechenden
Person selbst welchen Weg sie einschlägt. Sie kann sich gleichermaßen
für einen risikoreichen Konsum entscheiden bzw. sich längerfristig
in die Gefahr einer Abhängigkeit von einer Substanz begeben
oder diese ausgehend von einer reflektierten Haltung im Sinne einer
Drogenmündigkeit für sich nutzen.
Gleichzeitig vollzieht sich weder der Konsum einer psychoaktiven
Substanz noch eine erotische Begegnung in einem bezugslosen Raum,
so intim der Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig
immer auch in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen
und damit mit den gesellschaftlich bestimmten soziokulturellen Vorgaben.
Deutlich wird dies im Zusammenhang mit dem Verbot des Gebrauchs
psychoaktiver Substanzen genauso wie in der gesellschaftlich vorherrschenden
Bewertung der Sexualität. Entsprechend wesentlich ist es, diese
Faktoren nicht nur im Zusammenhang mit der persönlichen Erfahrung
zu berücksichtigen, sondern auch zu den notwendigen Veränderungsprozessen
selbst beizutragen.
Stigmatisiert werden bis in die Gegenwart befreiende, transzendente
Bewusstseinszustände insbesondere in Kulturen in denen repressive
religiöse Vorgaben oder vorrangig marktorientierte ökonomische
Werte die wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche bestimmen. Gerade
in westlichen Gesellschaften ist mit letzterem eine oftmals falsch
verstandene Rationalität verbunden, die zu einem Streben nach
einer andauernden Kontrolle von sich selbst und anderen führt.
Zwangsläufig damit verknüpft sind im Zuge der entsprechenden
Blockierungen von notwendigen Entfaltungs- und Erfahrungsmöglichkeiten
unterschwellige psychische Probleme und soziokulturelle Konflikte.
Entsprechend liegt es an verschiedenen individuellen wie auch sozialen
Faktoren, ob beispielsweise die aufbrechenden Erlebnisse einer vereinenden
Sexualität und eines trancehaften Tanzes auf kurze Augenblicke
beschränkt bleiben oder diese weitergehend zu einer weiterreichenden
Veränderung beitragen können. Über die momenthafte
Erfahrung eines derartigen inneren Fließens hinausgehend ist
ein innerer Freiraum notwendig, der letztlich nur im Kontext entsprechender
gesellschaftlicher Freiräume entfaltbar ist. In diesem Sinne
offenbart sich die tatsächliche Tiefe der erfüllten Sehnsucht
erst in der gelebten Konsequenz.
Ein grundlegender erster Schritt auf dem sinnbildlichen langen und
hindernisreichen Weg zu einem Zustand des blockadefreien Fließens
ist die Erkenntnis, dass es überhaupt möglich ist, sich
einem derartigen Utopia anzunähern. Auch wenn dieses Utopia
völlig verdrängt und unterdrückt erscheinen mag,
so kann es in der vielschichtigen Wechselbeziehung zwischen persönlicher
Entfaltung und gesellschaftlicher Veränderung zumindest ansatzweise
auch über einen längeren Zeitraum hinweg zur Realität
werden. Die symbolhaften Sterne sind dann erreichbar, wenn damit
begonnen wird, Vision und Utopie in der Realität der Gegenwart
zu verbinden.
Anmerkungen:
(1) Vgl.: a) Erika Bourguignon (Ed.) / Religion - Altered States
of Consciousness and Social Change. (1973);
b) Andrew Weil / The Natural Mind (1972).
(2) Titus Livius / Ab urbe condita. Ditzingen, 1991.
(3) Charles G. Leland (Hg.) / Aradia - Die Lehren der Hexen. München,
1988.
(4) Jim Morrison / The lords and the new creatures. New York, 1971.
(5) Aussage eine LSD-Gebrauchers. In: Wolfgang Sterneck (Hg.) /
Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt am Main / Solothurn,
2005.
(6) Timothy Leary / She comes in colors. In: Timothy Leary / Politik
der Ekstase. Markt Erlbach, 1997.
(7) Mary Sativa / Der Rauschtempel. Darmstadt, 1969.
(8) Vgl. Aldous Huxley / Die Pforten der Wahrnehmung. München,
1970.
(9) Adolf Dittrich, Christian Scharfetter / Phänomenologie
außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. In: Dittrich,
Scharfetter (Hg.) / Ethnopsychiatrie. Stuttgart, 1987.
(10) Tiny Stricker / Die Berge. In: Tiny Stricker / Trip Generation.
Gersthofen, 1970.
(11) HighFish-Kommune / Nähe und Ferne auf Acid.
(12) Jerry Rubin / Do it! München, 1977.
(13) Herbert Marcuse / Versuch über die Befreiung. Frankfurt
am Main, 1984.
(14) Theo Rosenfeld / Die Grenzen der Unendlichkeit. In: Wolfgang
Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt
am Main / Solothurn, 2005.
(15) David Jay Brown / Sacred Sexuality and the Psychedelic Experience.
Ben Lomond, 2001.
(16) Keely Stahl / Die Angst vor dem Orgasmus. In: Wolfgang Sterneck
(Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt am Main
/ Solothurn, 2005.
- * -
Vortrag auf dem internationalen Symposium "The
Spirit of Basel" zum 100. Geburtstg von Albert Hofmann,
13. bis 15. Januar 2005 im Kongresszenrum in Basel.
- * -
www.sterneck.net

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