Sterneck.Net



STERNECK.NET

Cybertribe-Archiv

Utopia  |  Politik  |  Ökologie  |  Gender  |  Sex  |  Cyber
Ritual  |  Drogen  |  Musik  |  Literatur  |  Vision  |  Projekte  |  English

Claus Sterneck / Claus in Iceland
Claus in Iceland  |  Pictures+Sounds  |  Ausstellungen  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

Wolfgang Sterneck
Artikel+Texte  |  Foto-Reportagen  |  Bücher  |  Workshops  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

 
www.sterneck.net contact@sterneck.net


Wolfgang Sterneck

DAS UTOPIA DER LUST -
SEX, GRENZÜBERSCHREITUNG UND LSD


DER INNERE FLUSS

Es sind die Erfahrungen des inneren Fließens, die immer wieder als besonders herausragende Momente des Lebens beschrieben werden. Die Wege in derartige Zustände sind vielfältig. Sie können erfahren werden, wenn zwei Menschen eine besondere Nähe erfahren oder in einem erotischen Rausch miteinander verschmelzen. Für andere ist es der trancehafte Tanz, eine bestimmte körperliche Extremerfahrung oder der zielbewusste Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Manche dieser Wege eröffnen ihr eigentliches Potenzial erst im gemeinschaftlichen rituellen Kontext. In anderen Situationen bedarf es keiner besonderen Technik, vielmehr entwickeln sich die Erfahrungen aus der psychischen Struktur der entsprechenden Person heraus.

Gelingt es einen dieser Wege zu beschreiten, so eröffnet sich losgelöst von äußeren repressiven Strukturen und inneren emotionalen Blockaden dabei jeweils in der subjektiven Erfahrung die konkrete Möglichkeit eines anderen Lebens. Bezeichnungen wie der aus der Bewusstseinsforschung stammende Begriff der "Ozeanischen Selbstentgrenzung" können ebenso wie "Samadhi" als mystische Beschreibung oder das Verständnis von "Freiheit" in einem psychologischen oder auch soziokulturellen Zusammenhang nur Annäherungen an diese Wahrnehmungsebenen sein. Die Sehnsucht nach dem Eintauchen in derartige transzendente Zustände gleicht der Suche nach einem inneren Utopia. Ein Utopia, welches im Alltag meist unerreichbar erscheint, sofern überhaupt ein Bewusstsein über dessen Existenz besteht, und dann in bestimmten Momenten doch zur konkret erlebbaren Realität werden kann.

Verschiedene Studien sprechen inzwischen von einem menschlichen Grundbedürfnis nach Rausch, Ekstase und Transzendenz als Überschreitungen der im Alltag vorgegebenen Grenzen.(1) Gerade in christlich und muslimisch geprägten Kulturkreisen wurde dieses Bedürfnis jedoch bis in die Gegenwart vielfach unterdrückt, sodass es in der allgemeinen Wahrnehmung zumeist weitgehend verdrängt ist. Offensichtlich ist allerdings auch das teilweise hohe Gefahrenpotenzial von Erfahrungen, die sich dem herkömmlichen Weltbild und damit auch den erlernten Mustern der Bewältigung entziehen. Entscheidende Faktoren bilden der persönliche und der soziale Kontext wie auch die individuellen Fähigkeiten der Reflexion und der Integration des Erlebten in den Alltag. Die Sehnsucht nach der konkreten Entfaltung des inneren Utopias hat dabei neben der individuellen immer auch eine gesellschaftliche Dimension. Es geht letztlich um eine Überwindung von Oberflächlichkeit und Entfremdung unter dem Diktat der Konsum- und Konkurrenzprinzipien. Diesen steht unterschwellig das Ideal einer Gesellschaft gegenüber, die eine selbstbestimmte Entfaltung im Rahmen gemeinschaftlicher Strukturen ermöglicht.

In kaum einem anderen Bereich wird die innere, natürliche Sehnsucht nach Transzendenz deutlicher als in der gelebten Sinnlichkeit der Erotik. Im Idealfall ist es gerade hier möglich, im Moment aufzugehen und sich selbst wie auch einen anderen Menschen in einer ansonsten kaum möglichen Nähe und Tiefe zu spüren. Eine erfüllte Sexualität ermöglicht die Überwindung der ansonsten in fast allen Bereich vorherrschenden zwischenmenschlichen Distanz. Es geht nicht länger darum sich durchzusetzen oder egozentrisch auf den eigenen Vorteil zu achten, sondern um das gemeinsame Erlebnis der Lust. Ausgehend vom Prinzip der Freiwilligkeit kann der Sex dabei unterschiedlichste Ausprägungen haben, der klassische Geschlechtsakt steht neben der tabulosen Überschreitung herkömmlicher Grenzen, das zärtliche Element neben dem sinnlichen Schmerz als Aspekt der Luststeigerung. Längst gehört das Verständnis von Sexualität als reines zweckgebundenes Mittel der Fortpflanzung in weiten Bereichen der Gesellschaft der Vergangenheit an. Wenn jedoch eine Entfaltung nicht möglich ist, so kommt es zwangsläufig zu Blockaden. Wie eine organische Zelle, die sich nach innen zusammenzieht und verkümmert, wenn sie nicht pulsieren kann, so verkrampfen sich wechselwirkend auch Psyche und Körper. Zahlreiche psychosomatische Erkrankungen bis hin zum Krebs lassen sich in weiten Bereichen im Verhältnis von Blockade und Fluss verstehen.

Autoritäre Gesellschaftssysteme basieren auf der Unterdrückung einer freien persönlichen Entfaltung als ein zentrales Mittel der Kontrolle. Das Ziel liegt in der Erziehung von Menschen, die ihre eigentlichen Bedürfnisse bereitwillig unterordnen. Die moderne Konsumgesellschaft geht noch einen Schritt weiter indem sie Menschen heranzieht, die ihre Sehnsüchte nicht selbst erfüllen, sondern in den Scheinwelten eines gigantischen Warenangebotes befriedigen. Die Versuche die Bedürfnisse und das Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen beziehungsweise der sinnbildliche Kampf um deren Träume ist allgegenwärtig. Er wird auf der gesellschaftlichen Ebene genauso geführt wie im Innern jeder und jedes Einzelnen.

Mit der Liberalisierung der Sexualität in der westlichen Welt kam es nicht nur in wesentlichen Bereichen zu einer Befreiung derselben, sondern auch zu einer völligen Vermarktung sexueller Bedürfnisse. Im Rahmen ständiger unterschwelliger oder offen dargestellter erotisierter Bezüge in den Medien der Werbewelt wird immer mehr die eigentliche Erfahrung der Sexualität durch Bilder und Images ersetzt, während gleichzeitig auch die PartnerInnen oftmals nicht mehr erlebt, sondern konsumiert werden. Hinter dem Schein der Verkaufsklischees verbergen sich jedoch Sehnsüchte nach Nähe und Tiefe. Die ihnen zu Grunde liegenden eigentlichen Träume eines anderen Lebens sind jedoch zumeist längst verdrängt oder bereitwillig vergessen. Der vorgegebene Lebensweg lässt kaum Raum sich ihnen anzunähern, wobei all diejenigen, die es versuchen, einem ständigen Druck auf unterschiedlichsten Ebenen ausgesetzt sind.

Psychoaktive Substanzen werden seit Jahrtausenden genutzt, um aus den Erfahrungswelten des Alltags auszubrechen. Menschen unterschiedlichster Epochen und Kulturen dienten Drogen zur Erlangung entspannender oder anregender Gefühlszustände, sowie oftmals in Verbindung mit Ritualen zur Veränderung des Bewusstseins. In einem angemessenen Rahmen eingesetzt ermöglichen sie bis heute die Erfahrung anderer Ebenen der Wirklichkeit, wie auch die Entfaltung eines neuen Gemeinschaftsgefühls. Sie können zur Heilung von Krankheiten dienen, zur Freisetzung verschütteter Fähigkeiten oder zur Entwicklung eigenständiger künstlerischer Ausdrucksformen. In zahlreichen Fällen werden die entsprechenden Substanzen jedoch unreflektiert und äußerst risikovoll gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen, individuelle Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung wesentliche Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische Faktoren, wie soziale Missstände, aber auch die Erfahrung zwischenmenschlicher Entfremdung als Folge eines Systems, welches Leistung und Profit über den einzelnen Menschen stellt.

Die vorherrschende Drogenpolitik basiert im Wesentlichen auf der Forderung nach Abstinenz gegenüber den gesetzlich als illegal definierten Substanzen. Gleichzeitig werden dabei diejenigen Personen kriminalisiert, die sich dieser Vorgabe verweigern. Offensichtlich ist jedoch, dass diese Politik weder den Konsum von Drogen noch die Zunahme der Zahl der Abhängigen einschränken konnte. Besonders deutlich wird die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Politik am Beispiel der Drogen Alkohol und Nikotin, die trotz ihrer gesundheitlichen Auswirkungen und ihres Suchtpotenzials legal sind. Voraussetzung für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit psychoaktiven Substanzen ist der Zugang zu umfassenden Informationen über deren Zusammensetzung und Wirkung. Eine Drogenpolitik, die an den realen Bedingungen, den eigentlichen Bedürfnissen und nicht zuletzt an der Mündigkeit der Menschen ausgerichtet ist, muss darüber hinaus die legale Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung über den Gebrauch von Drogen beinhalten.

Die Verbindung der Sexualität mit dem Gebrauch psychoaktiver Drogen entspricht potenziell der Verbindung von zwei außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen. Das Spektrum der möglichen Erfahrungsbereiche ist dabei äußerst vielfältig. Es reicht von Gefühlen der Blockierungen über Intensivierungen der sinnlichen Wahrnehmung bis hin zur völligen Ekstase, von drogenbedingter Impotenz oder der Freilegung völlig egozentrischer Verhaltensmuster bis zur Erfahrung einer neuen Zärtlichkeit und dem viel beschworenen kosmischen Orgasmus. Es kann zu einer Verschmelzung mit dem Partner oder der Partnerin kommen, möglicherweise sind jedoch auch beide in ihren eigenen Welten gefangen, ohne einen direkten Bezug zu finden. Fernab von einem Automatismus, der allein durch die Einnahme einer Substanz sofort eine bestimmte emotionale oder körperliche Wirkung erzielt, nehmen zahlreiche innere und äußere Aspekte eine wesentliche Rolle für den besonderen Charakter der Erfahrung ein. Neben dem Wirkungsspektrum der ausgewählten Droge und ihrer spezifische Dosierung sind es die umgebenden Bedingungen und insbesondere eine Reihe subjektiver Faktoren, wie das Grundgefühl und die Erwartungen der Beteiligten.

Bei den meisten gängigen psychoaktiven Substanzen werden moderate Mengen als anregend beschrieben, während hohe Dosierungen zumeist eine erotische Situation schnell in ihr Gegenteil verkehren. Schon eine leichte Überschreitung einer im spezifischen Fall anregenden Dosis kann die Empfindungen völlig verändern. So wirken alkoholische Getränke auflockernd und enthemmend, die Grenze zu einem mit Erektionsproblemen verbunden Rauschzustand oder gar zu einem übergriffigen Verhalten wird jedoch oftmals schnell überschritten. Cannabis kann in bestimmten Dosierungen in einer erotischen Situation sehr entspannend und anregend wirken, eine Überdosierung führt jedoch oftmals zu einer passiven Haltung oder schlichtweg zur Ermüdung. Einige Psychedelika haben das Potenzial eine völlig veränderte Ebene der Sinnlichkeit zu eröffnen, sie können aber auch die PartnerInnen in unterschiedlichen Erfahrungswelten gefangen nehmen oder Gefühle der Verunsicherung und tiefer Angst freisetzen. Charakteristisch für alle Substanzen ist in Folge des Gebrauchs oftmals die Vernachlässigung schützender Safer-Sex-Aspekte.

Ein Merkmal der modernen Leistungsgesellschaft ist die profitträchtige Entwicklung von Substanzen durch die Pharmaindustrie, deren Einnahme die individuelle Anpassungsfähigkeit an die sozialen und ökonomischen Bedingungen steigern soll. Ritalin, Prozac und Valium sind nur drei der bekanntesten von unzähligen Medikamenten, deren Inhaltsstoffe und Wirkungsmechanismen sich teilweise nur unwesentlich über die Definition von verwandten illegalisierten Drogen unterscheiden. So bedeutsam und hilfreich die angesprochenen Substanzen für den Einzelnen berechtigterweise auch sein mögen, sie dienen letztlich der Stabilisierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. In ihrer Wechselwirkung können diese Substanzen unter anderem zum inneren Ausgleich und zur Behebung psychischer Symptome führen, während sie im gesellschaftlichen Kontext zur Verhinderung eines Ausfalls oder eines Ausbruchs aus den sozialen Rahmenbedingungen beitragen. Darauf aufbauend erhalten oder steigern sie die Verwertbarkeit des Einzelnen. Unhinterfragt bleiben dabei zwangsläufig die komplexen gesellschaftlichen Ursachen für die zunehmende Zahl psychosomatischer Erscheinungen, die gerade im Zuge der neoliberalen Globalisierung zu beobachten sind.

Im Kontext der Sexualität entspricht Viagra diesen Entwicklungen. Das durch den Pharmakonzern Pfizer mit gigantischen Gewinnen vermarktete Medikament erzielt hinsichtlich der angestrebten Behebung von Erektionsstörungen enorme Erfolge. Charakteristisch ist dabei, dass ein rein medikamentöser Ansatz im Vordergrund steht, der auf eine rein körperliche Behebung der Problematik abzielt. Psychische Zusammenhänge oder gar das grundsätzliche Verständnis von Sexualität bleiben in der Regel ausgeklammert. Ganz im Sinne der Leistungsgesellschaft geht es im intimsten persönlichen Bereich wie im Arbeitsleben um das Funktionieren.

Die Psychopharmaka der Gegenwart bilden dabei nur eine Etappe auf einem Weg, der eine immer perfektere Beeinflussung auf individueller Ebene ermöglicht. Längst zeichnet sich ab, dass die gegenwärtigen technologischen Entwicklungen neue, in ihrer Dimension bisher nur ansatzweise erkennbare Möglichkeiten eröffnen. Das Bild eines zukünftigen Menschen, der subjektiv glücklich ist, problemlos im sozialen Sinne funktioniert und im Arbeitsleben beständige Leistung bringt, ist längst nicht nur ein Bild pessimistischer Anti-Utopien, sondern eine reale Zielvorgabe für die Laboratorien der Pharma- und Gentechnologie.


VON DIONYSOS ZU DEN DOORS

Ausgehend von den menschlichen Grundbedürfnissen nach Sexualität, Ekstase und Transzendenz lässt sich über Epochen hinweg eine historische Bezugslinie erkennen, die vom Dionysos-Kult über die Rituale der Hexen bis zu einigen Tendenzen innerhalb der psychedelischen Bewegungen der Gegenwart reicht. Verbindendes Element sind Feste und Rituale, zu deren wesentlichen Merkmalen im Rahmen der entsprechenden kulturellen Ausprägungen der trancehafte Tanz, die erotische Sinnlichkeit und der Übergang in andere Ebenen des Bewusstseins mit Hilfe psychoaktiver Substanzen gehörten. Zum Ausdruck kommt dabei keine direkte organisatorische Tradition, sondern beständig die konkrete Entfaltung einer inneren Sehnsucht. Die einzelnen Tendenzen entwickelten immer dann eine besondere Kraft, wenn sie nicht nur zu einem zeitweilig individualisierten Ausstieg genutzt, sondern die Erfahrungen gemeinsam in die ansonsten oftmals als entfremdet erfahrene gesellschaftliche Realität integriert wurden.

In der griechischen Antike galt Dionysos als der Gott der Vegetation und des Theaters sowie nicht zuletzt als Gott orgiastischer Festlichkeiten. Die zu seinen Ehren gefeierten Mysterien entsprachen einem Durchbrechen der Grenzen des Alltags wie auch der Grenzen der eigenen Erfahrungswelt. Die "Ek-stase" fand hier im ursprünglichen Sinne des Wortes als Heraustreten aus der eigenen Person eine Entsprechung. Wenn heute bei zahlreichen Festen Dionysos als Symbolfigur für rauschhafte Besäufnisse dient, so wird dabei zumeist ignoriert, dass dem Wein der Antike mit Fliegenpilzen und Nachtschattengewächsen psychoaktiv wirkende Substanzen beigemengt wurden. Zudem lag das ursprüngliche Ziel des Rausches nicht in einer dumpfen Abkehr von der Welt, sondern gerade in der tiefen Erfahrung derselben.

Auch in Rom fand Dionysos unter dem Namen Bacchus zahlreiche AnhängerInnen, die in ihren Festen nach neuen Wegen der Erfüllung und der Gemeinschaft suchten. Der römische Senat sah darin eine zunehmende Infragestellung der bestehenden Ordnung und ließ den Bacchus-Kult um 200 vor Christi verbieten. Trotz der blutigen Verfolgung seiner AnhängerInnen bestand der Kult im Untergrund jedoch noch lange weiter. In seinen Aufzeichnungen verurteilte der römische Geschichtsschreiber Livius die Bacchanalien als ausschweifende Feste: "Seitdem die Mysterien gemeinschaftlich sind und die Ungebundenheit der Nacht dazukam, ist keine Schandtat dort unterblieben. Männer weissagen unter ekstatischen Hin- und Herwerfen ihres Körpers, als wenn sie von Sinnen wären. Verheiratete Frauen laufen mit aufgelöstem Haar und brennenden Fackeln umher. Es gibt mehr Unzucht von den Männern untereinander als mit den Frauen. Nichts für unerlaubt zu halten, das ist das höchste Gebot unter ihnen."(2)

Auch bei den Festen der Hexen ging es im Mittelalter wie in der frühen Neuzeit darum, die Begrenzungen einer restriktiven Welt zu verlassen. Bis heute ranken sich unzählige Mythen um die trancehaften Tänze zu monotonen Rhythmen um ein der Nacht aufleuchtendes Feuer. Die so genannten Hexensalben, die speziell für Rituale angefertigt wurden, beinhalteten Überlieferungen zufolge Nachtschattenpflanzen wie Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche sowie Cannabis und in einigen Fällen vermutlich auch Opium. Die Salben haben das Potenzial intensive Wahrnehmungsveränderungen auszulösen, wobei die Übergänge zwischen beglückenden Visionen und verstörenden Erfahrungen bis zu psychotischen Zuständen und lebensgefährlichen Vergiftungen fließend sind. Teilweise kommt es zu Visionen, die von starken erotischen Gefühlen geprägt sind, wodurch sich die ausschweifenden Beschreibungen von orgiastischen Feiern in der Walpurgisnacht erklären.

Zu den wenigen erhaltenen authentischen Dokumenten über die Kultur der Hexen gehören die Beschreibungen der florentinischen Hexe Aradia, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Dabei bildet in den Anrufungen der Hexengöttin Diana die radikale Negation bestehender Verhältnisse und die rituelle Erfahrung einer anderen Welt eine Einheit: "Und die Seelen der Unterdrücker sollst du fesseln mit deiner Macht. Und du sollst all jene vergiften, die sich große Herren über alles dünken. Ja, in ihren Palästen sollst du sie sterben lassen … Zu deinen Ehren will ich dieses Fest abhalten, will feiern und den Kelch bis zum letzten Tropfen leeren. Wir wollen tanzen und wilde Sprünge machen. Und dann, wenn der Tanz am Höhepunkt, dann sollen all die Lampen erlöschen und in freier Liebe wollen wir uns ergehen!"(3)

Im Zuge der Inquisition und der Hexenverfolgung fielen Millionen Menschen dem patriarchalischen Machtanspruch der christlichen Kirchen zum Opfer. Das in Europa verbreitete Wissen über Praktiken und Rituale der Ekstase wurde größtenteils verdrängt. Zeitweise war sogar der Tanz als angeblicher Ausdruck dämonischer Kräfte verboten, während der Gebrauch psychoaktiver Substanzen ohnehin in vielen Bereichen zunehmend verfolgt und die Sexualität völlig tabuisiert wurde. Abgesehen von einzelnen Ansätzen im Verborgenen lässt sich in Europa erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine erneute Annäherung an ekstatische Zustände erkennen. Eine herausragende Rolle nahm dabei die Hippie-Kultur als Teil der Protestbewegungen der späten sechziger Jahre ein, die ein betont offenes Verhältnis zur Sexualität praktizierte. Daneben kam es über den Gebrauch psychedelischer Substanzen zu einer Auseinandersetzung mit anderen Ebenen des Bewusstseins, wobei die Musik als eine die Bewegung umschließende Ausdrucksform diente.

Neben vielen anderen war es insbesondere Jim Morrison, der als Texter und Sänger der Rockband The Doors das inzwischen längst zum Klischee verkommene Leitbild des "Sex and Drugs and Rock’n’Roll" verkörperte. Dabei verfing er sich nicht in den Illusionen der Flower-Power-Romantik, sondern fasste auch die dunklen Seiten der menschlichen Existenz poetisch in Worte. Morrison selbst durchlebte die Höhen ekstatischer Erfahrungen wie auch den Absturz in psychedelische Wahnvorstellungen und die Egozentrik der Alkoholabhängigkeit. Gemäß seinem Selbstverständnis standen die Auftritte der Doors in der Tradition schamanischer und dionysischer Feste. "Das Ziel ist es, die Langeweile zu überwinden, die Augen zu reinigen und einem kleinen Kind gleichend wieder in den Fluss des Lebens einzutauchen. Das wichtigste Bestreben besteht darin, zur Erkenntnis zurück zu finden. Es geht darum, alle Sinne des Organismus anzusprechen und dadurch all die traditionellen Künste zu ohrfeigen, welche die Wahrnehmung auf einige schmale Eingänge reduziert haben."(4)


DER PSYCHEDELISCHE ORGASMUS

Der Chemiker Albert Hofmann entdeckte 1943 die bewusstseinsverändernden Wirkungen von LSD und begann diese in Folge wissenschaftlich zu erforschen. Dabei zeigte er zahlreiche Parallelen zu psychoaktiven Substanzen auf, die in traditionellen Kulturen zu heilenden, mystischen und visionären Zwecken genutzt wurden. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre fand LSD in der Hippie-Bewegung massenhafte Verbreitung. Als Acid wurde es gezielt genutzt, um sich anderen Ebenen der Wahrnehmung zu öffnen, vielfach aber auch als Mittel zur Flucht aus den gesellschaftlichen Realitäten. Falschinformationen und auf eine Abstinenz ausgerichtete Drogenpolitik führten in Folge zu einem internationalen Verbot, welches jedoch nicht verhindern konnte, dass LSD bis heute starken Einfluss auf Musik und Kunst sowie auf die Entwicklung der Cyber-Kultur hat.

Als eine psychedelische ("die Psyche offenbarende") Substanz kann LSD Gefühle und Erlebnisse, die ins Unbewusste verdrängt wurden, wieder freilegen. LSD erzeugt in diesem Sinne weder positive noch negative Gefühle, sondern öffnet im Wesentlichen nur Türen zu Räumen, die in der betreffenden Person bereits vorhanden sind. Das entscheidende Merkmal der LSD-Erfahrung sind die psychischen Wirkungen, während die körperlichen Effekte sind in der Regel nur Randerscheinungen bilden. Schon bei geringer Dosis werden eine Intensivierung der Farbwahrnehmung und eine Veränderung des räumlichen Sehens empfunden. In höheren Dosierungen erscheinen feste Formen oftmals weich oder flüssig und starre Gegenstände pulsierend. Zudem verändert sich das Zeit- und Raumgefühl. Daneben wird die Unterscheidung zwischen Sehen, Hören und Empfinden durch LSD aus dem gewohnten Gleichgewicht gebracht, wobei sich die Verarbeitung und Bewertung der Sinneseindrücke im Hirn verändert. Im Extremfall können sich die Grenzen der persönlichen Identität auflösen, sodass die Wahrnehmung der äußeren Welt und der eigenen Person ineinander übergehen. "Ich tanze auf dem Spiegel meines Bewusstseins und beginne mit der mich durchdringenden Musik zu verschmelzen. Die Farben bewegen sich im Rhythmus der Klänge, die aus ihnen dringen."(5)

Hohe LSD-Dosierungen bewirken eine Bewusstseinserweiterung über die oftmals konkret erfahrbar wird, dass verschiedene Ebenen der Wahrnehmung beziehungsweise der Wirklichkeit nebeneinander bestehen. Diese Erkenntnis kann eine persönliche Weiterentwicklung bewirken, sie kann aber auch eine tiefe Verunsicherung auslösen, da sie das gängige Weltverständnis zutiefst erschüttert. Entsprechend wichtig sind das Set und Setting, also die äußere Umgebung, der innere Zustand, die Erwartungen und auch das Wissen über die Wirkungen. LSD birgt kein körperliches Abhängigkeitspotenzial, allerdings setzt schnell eine Toleranzbildung ein. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören Schwindel und eine Erhöhung der Körpertemperatur. Bei einer entsprechenden Veranlagung kann LSD zum Ausbruch von Psychosen entscheidend beitragen.

Der Gebrauch psychedelischer Substanzen wie der Aspekt der sexuellen Freiheit waren primäre Merkmale der Hippie-Kultur und Ausdruck des Versuchs eigenständige Lebenskonzepte zu entwickeln. In einem viel beachteten Interview verknüpfte Timothy Leary 1966 die beiden Aspekte und beschrieb LSD als "das mächtigste Aphrodisiakum, das der Mensch je entdeckt hat".(6) Seinen Beschreibungen zufolge setzt auf körperlicher Ebene eine immense Sensibilisierung ein, die dazu führt, dass körperliche Kontakte in einer besonderen Intensität erfahren werden und schon leichte Berührungen erotisch wirken. "Sie streifte mit ihrem Finger leicht über meine Handfläche und sofort explodierten hunderttausend Endzellen in meiner Hand in sanften Orgasmen." Im Sinne Learys liegt dabei das eigentliche erotische Potenzial von LSD in der Veränderung des Wahrnehmung und nicht etwa in einer direkten sexuellen Stimulation: "Sex unter LSD wird wunderbar vergrößert und intensiviert. Ich meine jedoch nicht, dass LSD einfach genitale Energie schafft. Es produziert nicht automatisch eine längere Erektion. Eher steigert es die Sensibilität um tausend Prozent. In sinnlicher und zellularer Vereinigung unter LSD kann man eine halbe Stunde lang mit den Augäpfeln lieben, eine andere halbe Stunde lang mit dem Atem. Wenn man unter LSD liebt, ist es, als liebe jede Zelle des Körpers jede Zelle des anderen Körpers. Meine Hand streichelt nicht die Haut der Frau, sondern sinkt ein und verschmilzt in ihr mit uralten Dynamos der Ekstase."

Wie sich eine derartige Herangehensweise konkret in der subjektiven Wahrnehmung ausprägen kann, beschrieb Sharon Rudahl in ihrem 1967 veröffentlichen, wohl stark autobiographisch gefärbten Roman "Rauschtempel". Das unter dem Pseudonym Mary Sativa veröffentlichte Buch gilt als Klassiker der psychedelischen Erotik. Mehrfach wird darin beschrieben wie sich im Zuge rauschhafter erotischer Begegnungen die eigene Persönlichkeit auflöst und auf einer psychedelischen Ebene mit dem Partner verschmilzt. "Ich sehe ihm in die Augen, atme seinen Atem. Er ist ein Spiegel, der eine andere Gestalt von mir reflektiert. Ich bin sein Glied, tief in mir selbst. Ich bin unser verschlungener Körper, der in einem vollendeten Tanz auflebt. Ich streiche über sein funkelndes Haar und fühle meine eigenen Fingerspitzen, spüre die Musik in meiner Muschi spielen. Schauer jagen durch unsere Körper, unbeherrschbar und schön. Ich bin die Erde, aus der er erblüht, er ist der Fluss, der in mich hineinströmt. Jeder Muskel und jede Ader ist eigens für diesen Tanz geschaffen. Die Zeit ist tot. Wir sind das heilige Bild."(7)

Verschiedene Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass derartige Erfahrungen keineswegs nur übersteigerte Hippie-Fantasien sind, sondern zum Erfahrungsvermögen jedes Menschen gehören, das unter anderem durch bestimmte psychoaktive Substanzen, durch Meditationstechniken oder Trancerituale hervorgerufenen werden kann. Bereits in den fünfziger Jahren hatte Aldous Huxley das Spektrum der Erfahrungen, die durch Psychedelika in hohen Dosierungen eröffnet werden können, in Himmel, Hölle und Visionen unterteilt.(8) Später bestätigten empirische Versuchreihen zur "Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände"(9) diese Unterteilung als "Ozeanische Selbstentgrenzung", "Angstvolle Ichauflösung" und "Visionäre Umstrukturierung". Die von Rudahl und Leary beschriebenen Erlebnisse entsprechen der "Visionären Umstrukturierung" im Sinne einer Erfahrung, die von gesteigerten Empfindungen, synästhetischen Veränderungen von Tönen und Farben und äußerst lebhaften Phantasien geprägt ist.

Der wesentliche Grund für die immense Aufmerksamkeit, die das Interview mit Timothy Leary erlangte, war vor allem die darin implizierte Verheißung eines Aphrodisiakums, dessen Einnahme zuvor ungekannte Momente ekstatischer Liebe eröffnete. Wie in vielen Veröffentlichungen der damaligen Zeit wurde jedoch fälschlicherweise vermittelt, dass allein der Konsum von LSD zu einer befreienden Entwicklung führe, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit bedarf. So gab diese völlig überzogene Beschreibung von LSD als bedeutendstes Liebesmittel aller Zeiten nur einen Aspekt der Verbindung von Psychedelika und Erotik wider, der ohnehin in dieser grenzauflösenden und bewusstseinserweiternden Dimension äußerst selten erlebt wird. Vielmehr kann es auch zu Verkrampfungen, Reizüberfluten oder zu Konfrontationen mit problematischen Inhalten des Unbewussten kommen. In einigen Fällen führt die Andersartigkeit dieser Erfahrung zu einer Überforderung oder völligen Verängstigung, die dann nicht zu einem Zustand des Fließens, sondern zu Blockaden führt. Während der Hauptwirkung des Trips bestehen oftmals keinerlei sexuelle Bedürfnisse, da die körperlich-erotische Ebene gegenüber anderen Wahrnehmungsbereichen völlig unbedeutend erscheint. Sofern überhaupt ein Interesse an sexuellen Handlungen vorhanden ist, entfaltet sich eine anregende Stimmung meist erst bei abklingender Wirkung.

Verstörende Erfahrungen, die zum Teil von Angstzuständen und Wahnvorstellungen geprägt sind, beschreibt Tiny Stricker unter dem Titel "Trip Generation". Im Zuge assoziativer Wahrnehmungen kommt es immer wieder zu einer Vermengung von tatsächlichen Gegebenheiten und halluzinativen Eindrücken mit einer starken sexuellen Komponente. "Wir schleppen uns hoch bis zum letzten intimen Café, schlagen Rendezvous, Kino und Telefonnummer in den Wind, den ganzen sexuellen Verrat des 20. Jahrhunderts, bestellen den letzten Tee. Ich suche mir den ältesten, fettesten, impotentesten Typen aus, der eigentlich nur zur Schau mit war, kuschle mich an ihn, während er verzweifelt sein Knoblauchsüppchen mampft. Zwei Burschen schnappen sich Simon, diesen hehren, zerbrechlichen Schwulen-Guru, zerren ihn den Steilhang hinauf, lassen ihn blutend verwildert im Felsen zurück. Der Alte verteidigt mich wie ein Wolf, ich entschuldige mich für einen Augenblick, renne aufs Klo, meine letzte Rettung aus diesem Kino, aber mein größter Fehler, denn draußen warten schon wieder zwei, wälzen mich halbnackt aus der unschuldigen Latrine heraus und rauf auf den Berg, oben kriegen sie Krach, wer zuerst ran darf, da reißt mich schon der eine brutal und tollkühn wie ein flüchtendes Pferd den Abgrund hinab, der andere stürzt aus Gram in den Sonnenuntergang. Ich habe ihn nie wiedergesehen, renne noch lange in den Felsen umher wie eine Henne, von ihren Rufen verfolgt, ein graues Harold-Lloyd-Movie ohne Statisten."(10)

Es müssen jedoch keineswegs bedrückende oder verzerrte Bilder sein, die eine potenziell erotische Situation ins Gegenteil verkehren. Viel häufiger führt die innere Öffnung zu einer Flut von Gedanken, die sich an einzelnen Punkten geradezu verknoten können und den weiteren Verlauf des Trips bestimmen. Teilweise bewegt sich die Person auf LSD in einer eigenen Welt, ohne mit dem Partner oder der Partnerin zu verschmelzen, sofern es überhaupt möglich ist über den körperlichen Kontakt hinaus eine gemeinsame Ebene zu finden: "Er legte seine Hand wie sonst auf Ilses Brust und bewegte den Daumen leicht über die Brustwarze hin und her. Doch nach wenigen Minuten kam er sich albern vor und zog unsicher seine Hand wieder zurück. Ilse hatte seinen Bewegungen zugeschaut, ohne zu erkennen zu geben, was sie dachte. In seinem gerade verminderten Selbstgefühl glaubte er zu sehen, dass sie ihn für schwach hielt. Das Gefühl der Hilflosigkeit in ihm wuchs immer mehr und zugleich schien ihm die Entfernung zu Ilse immer größer zu werden. Er begann daran zu zweifeln, ob es gut gewesen war, mit ihr einen Trip zu nehmen, und schon fragte er sich auch, ob sie zu ihm passe. Parallel zu diesem Gedanken kam ihm plötzlich noch das Gefühl, ungeheuerlich hässlich zu sein und einen kraftlosen, unnützen Körper zu haben."(11)

Insbesondere in den sechziger Jahren wurde in der mit Psychedelika arbeitenden Psychotherapie (Psycholyse) vergleichsweise erfolgreich versucht sexuelle Problematiken aufzuarbeiten. Die Ziele lagen insbesondere in der Eröffnung neuer Betrachtungsweisen, der Auflösung von Blockaden und der Freilegung von Erfahrungen, die ins Unbewusste verdrängt wurden, um dann mit ihnen therapeutisch arbeiten zu können. Gerade die Erfahrung eines inneren Zustandes des Fließens erhielt dabei eine weit über die konkrete Situation hinausreichende Bedeutung. Zu den Schattenseiten gehörte die Pathologisierung der Homosexualität durch einige Vertreter der Psycholyse und das Bestreben sie im Zuge einer Therapie "heilen" zu wollen.

Ein beträchtlicher Teil der psychedelischen Bewegung der späten sechziger Jahre öffnete sich zunehmend religiösen Strömungen. Dagegen betrachteten die Yippies als radikal politischer Flügel der Hippie-Bewegung eine befreite Sexualität und einen bewussten Umgang mit psychoaktiven Substanzen als ein Mittel im Kampf um gesellschaftliche Veränderung. Jerry Rubin, einer ihrer Wortführer, beschrieb das angestrebte Utopia in der für die Yippies typischen "marxistischen" Denkweise, welche die revolutionäre Gesellschaftsanalyse von Karl Marx mit dem anarchischen Humor von Groucho Marx verband. "Die Welt wird eine einzige große Kommune werden in der alles geteilt wird. Das Pentagon wird durch eine LSD-Experimentierfarm ersetzt werden. Friseure werden Rehabilitationslager aufsuchen und dort ihre Haare wachsen lassen. Die Menschen werden vormittags Landwirtschaft betreiben, nachmittags Musik machen - und ficken, wo und wann immer sie wollen."(12)

Einige linke Gruppierungen kritisierten dagegen den Konsum von Drogen und die Betonung der Sexualität auf dem Weg zu einer befreienden Veränderung als verschleiernd oder gar als konterrevolutionär. Eine differenziertere Position nahm dagegen Herbert Marcuse ein, der das Potenzial psychedelischer Substanzen für eine Sensibilisierung und damit für eine befreiende Veränderung der Wahrnehmung aufzeigte, aber auch die Gefahren beschrieb. "Das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer Revolution der Wahrnehmungsweise, eines neuen Sensoriums, ist vielleicht der Wahrheitskern im ’psychedelischen’ Suchen. Es wird jedoch verfälscht, wenn der Rausch nicht nur zeitweilig von Vernunft und Rationalität des etablierten Systems entbindet, sondern auch von jener anderen Rationalität, die das etablierte System verändern soll; wenn die Sinnlichkeit nicht nur von den Erfordernissen der bestehenden Ordnung befreit wird, sondern auch von jenen der Befreiung."(13)

Entsprechungen der Grundstrukturen erotischer Erfahrungen auf LSD lassen sich unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen spezifischen Eigenheiten auch bei anderen psychedelischen Substanzen finden. Wie bei LSD liegen gerade bei höheren Dosierungen psychische Abgründe und erfüllende Gipfelerfahrungen eng beieinander. Das Abgleiten in blockierende Gedanken und Empfindungen oder gar in bedrohliche Wahrnehmungen ist im erotischen Kontext genauso möglich wie die völlige sexuelle Verschmelzung in zuvor ungekannte Sphären, sofern diese überhaupt noch als ein Bestandteil des Wahrnehmungskosmos verstanden werden.

Eindrücklich beschreibt Theo Rosenfeld eine psychedelische Erfahrung mit DMT, die von einer ekstatischen Auflösung bestehender Strukturen geprägt ist, die in einen neuen Kosmos erotischer Wahrnehmungen übergeht. Dieser wird aber bald darauf von einer verkrampfenden, aus dem Unbewussten aufkeimenden Angst durchzogen, welche die Erfahrung auch rückblickend wesentlich prägt: "Dann wurde alles zu Sex. Wohin ich auch meine Aufmerksamkeit richtete, welches sensorische Organ ich auch benutzen wollte, ich spürte nur noch das körperliche Gefühl des Liebens. Und bald darauf wurde absolut alles zu uns, aus welcher Zeit und von welchem Ort auch immer. Es gab mich nicht mehr, auch keine Sophia mehr, es gab nur noch die Totalität des Liebens. Währenddessen glitten meine unzähligen Penisse durch meine ebenso endlosen Vaginas. Bis dann eine seltsame Angst in mir aufkam. Ich befürchte plötzlich, dass wir das gesamte Universum in unseren Sex eingeschlossen hätten - und dies für immer."(14)

Erfahrungen mit dem bei bestimmten Dosierungen psychedelisch wirkenden Narkotikum Ketamin sind oftmals von bizarren Wahrnehmungen geprägt, die zum Teil mit Comics oder Trickfilmen verglichen werden. David Jay Brown tauchte in diese Welt so tief ein, dass er jeglichen Bezug zu seiner menschlichen Existenz wie auch den direkten Bezug zu seiner Freundin verlor und diese nur noch auf einer völlig verfremdeten Ebene als liebende Partnerin wahrnahm. Browns Beschreibungen zu Folge erlebte er seine Umgebung wie einen "nicht-jugendfreien Science-Fiction-Film".(15) Er liebte unterhalb der Wasseroberfläche eine Kreatur, die wie er selbst "tausende Tentakel und merkwürdige Anhängsel" hatte. Als er währenddessen plötzlich in seine menschliche Rolle zurückgeworfen wurde, erschien es ihm wie ein Schock, hatte er doch völlig vergessen, dass er tatsächlich ein Mensch ist.

Fernab von derartig bizarren Erfahrungen verfing sich Keely Stahl nach der Einnahme von Meskalin in einem erdrückenden und äußerst beängstigenden Gewirr von Energien und Blockaden. Deutlich wird an diesem Beispiel einmal mehr, welches lösende Potenzial in psychedelischen Substanzen liegt. Es zeigt aber auch, wie schnell sich dieses umkehren kann – gerade wenn unbewusste Empfindungen freigesetzt werden. "Jahre später wurde mir klar, dass ich in meinem Körper haufenweise energetische Blockaden hatte. Heute vermute ich, dass das Meskalin die Blockaden löste, ich aber wieder Blockaden gegen diese Lösung aufbaute. Ich hatte Hemmungen mich zu entspannen und es zu genießen. Ich wusste nicht was ein Orgasmus war. Vielleicht waren es erste, ersatzhafte Orgasmuswellen die mich auf Meskalin durchfuhren. Es war so fremd und neu für mich, dass ich es nicht andauern lassen konnte. Ich fürchtete mich so sehr vor Gefühlen dieser Art und lies meinem Verstand die Kontrolle."(16)


DIE REALITÄTEN UTOPIAS

In seinem Roman »Eiland« beschrieb Aldous Huxley eine auf dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit aufgebaute Gesellschaft, die in Einklang mit der natürlichen Umwelt steht. Im Alltag besteht eine betont offene Haltung gegenüber der Sexualität, während im Rahmen bestimmter Rituale der Gebrauch der psychoaktiven Substanz Moksha eine besondere Rolle einnimmt. Diese wird unter Berücksichtigung der psychischen und physischen Risiken zur Entwicklung des Bewusstseins genutzt. Am Ende scheitert das gesellschaftliche Experiment an den Interessen multinationaler Konzerne. Zum Teil als naiv und weltfremd abgetan, erhält der 1962 erschiene Roman gerade in Zeitalter der neoliberalen Globalisierung eine bedrückende Aktualität. Aber auch als Vision einer anderen Welt trägt er zahlreiche konkrete Bezüge in sich. Zudem spiegelt er auf einer literarischen Ebene ein erweitertes Verständnis von erotischer Liebe und beschreibt die Möglichkeiten eines bewussten Gebrauchs psychoaktiver Substanzen. Unterschwellig geht es dabei immer wieder um den Prozess des Fließens auf einer persönlichen wie gesellschaftlichen Ebene.

Einen Gegenentwurf bildet Huxleys Dystopie "Schöne Neue Welt", in der er eine von scheinbarer Stabilität und Glück bestimmte zukünftige Welt beschreibt. Die materielle Grundversorgung ist abgesichert, vielfältige Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten sind frei verfügbar, erotische Bedürfnisse werden im Rahmen eines offenen Verhältnisses zur Sexualität befriedigt und nicht zuletzt sind Krankheiten sowie körperliche Alterungsprozesse überwunden. Die Weichen für das spätere Leben in Zufriedenheit werden schon vor der Geburt durch gentechnische Steuerungen gestellt. Zudem wird von staatlicher Seite mit Soma eine jederzeit erhältliche Substanz angeboten, die Glücksgefühle erzeugt und somit Konflikte schon im Ansatz auflöst. Soma ist dadurch im Gegensatz zu Moksha der Prototyp einer Pharmadroge, die Symptome behebt aber die eigentlichen Ursachen unangetastet lässt. Ohne körperliche Nebenwirkungen erzeugt Soma einen harmonisierten Zustand, der gleichzeitig der Ablenkung und Manipulation dient. Ein Hinterfragen der eigenen Persönlichkeit oder der gesellschaftlichen Strukturen findet im Zuge des Gebrauchs nicht mehr statt, während das Bedürfnis nach Tiefe und Entfaltung zugunsten einer oberflächlichen und letztlich entfremdeten Zufriedenheit aufgehoben wird.

"Eiland" und "Schöne Neue Welt" beschreiben pointiert Polaritäten, deren Bezug zu den Wirklichkeiten der Gegenwart weit über den literarischen Rahmen hinausgeht. Neben den Warnungen vor der Gleichschaltung von Bedürfnissen und Bewusstsein, sowohl in ihren ökonomischen und kulturellen wie in ganz individuellen Aspekten, setzen sich beide Romane mit der Bedeutung von Sinn und Tiefe in der modernen Welt auseinander. Das Erleben der Transzendenz im Sinne einer befreienden Überschreitung des auferlegten Bewusstseins gleicht vor dem Hintergrund entsprechender Fragestellungen einem Ausbruch aus den inneren Gefängnissen einer repressiven Gesellschaft. Fernab von den Mechanismen ständiger Selbstkontrolle kann dieser Ausbruch unabhängig von den auslösenden Mechanismen phasenweise in ein konkretes inneres Utopia führen.

Die Erfahrung der Transzendenz kann dabei den Ausgang für einen Prozess der Transformation bilden. Politik wird dann zu einer Sprache von Körper und Gefühlen, wie auch zum Ausdruck einer Öffnung und Entwicklung des Bewusstseins. Wechselwirkend schließt dies die kritische Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen und ein am Ziel befreiender Veränderung ausgerichtetes soziales Engagement ein. Dieses Verständnis steht im deutlichen Gegensatz zu der in weiten gesellschaftlichen Bereichen vorgegebenen Haltung des Konsums, die eine aktive Entfaltung meist nur dann fördert, wenn sie wirtschaftlichen Interessen dient.

Im Schein oberflächlicher Glücksversprechungen verfangen ist eine hedonistische, vorrangig an Vergnügen, Unterhaltung und Rausch ausgerichtete Haltung, die in das weit verbreitete Bedürfnis nach dem Vergnügen ohne Ende mündet. Hinter den bunten Fassaden der Spaßgesellschaft verbirgt sich letztlich jedoch zumeist innere Leere und zwischenmenschliche Entfremdung. Gleichzeitig führt allerdings auch ein rein auf die persönliche Weiterentwicklung ausgerichtetes Selbstverständnis, welches die umgebenden Bedingungen ausklammert, genauso in eine Sackgasse, wie die Konzentration auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse, wenn nicht zugleich die verinnerlichte blockierende Strukturen in der eigenen Persönlichkeit in Frage gestellt werden.

Die Sexualität hat in diesem Rahmen zumindest das Potential Distanz und Entfremdung als Ausdruck sozialer Entfremdung zugunsten von Nähe und Tiefe aufzuheben. Einige der beschriebenen psychoaktiven Substanzen können unter Berücksichtigung zahlreicher Aspekte im günstigen Fall dazu beitragen die Türen zu den Räumen einer befreienden erotischen Ekstase zu öffnen, wobei jedoch jede Person selbst eintreten und den Raum ausfüllen muss. Dabei liegt es in einem wesentlichen Maße an der entsprechenden Person selbst welchen Weg sie einschlägt. Sie kann sich gleichermaßen für einen risikoreichen Konsum entscheiden bzw. sich längerfristig in die Gefahr einer Abhängigkeit von einer Substanz begeben oder diese ausgehend von einer reflektierten Haltung im Sinne einer Drogenmündigkeit für sich nutzen.

Gleichzeitig vollzieht sich weder der Konsum einer psychoaktiven Substanz noch eine erotische Begegnung in einem bezugslosen Raum, so intim der Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig immer auch in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen und damit mit den gesellschaftlich bestimmten soziokulturellen Vorgaben. Deutlich wird dies im Zusammenhang mit dem Verbot des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen genauso wie in der gesellschaftlich vorherrschenden Bewertung der Sexualität. Entsprechend wesentlich ist es, diese Faktoren nicht nur im Zusammenhang mit der persönlichen Erfahrung zu berücksichtigen, sondern auch zu den notwendigen Veränderungsprozessen selbst beizutragen.

Stigmatisiert werden bis in die Gegenwart befreiende, transzendente Bewusstseinszustände insbesondere in Kulturen in denen repressive religiöse Vorgaben oder vorrangig marktorientierte ökonomische Werte die wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche bestimmen. Gerade in westlichen Gesellschaften ist mit letzterem eine oftmals falsch verstandene Rationalität verbunden, die zu einem Streben nach einer andauernden Kontrolle von sich selbst und anderen führt. Zwangsläufig damit verknüpft sind im Zuge der entsprechenden Blockierungen von notwendigen Entfaltungs- und Erfahrungsmöglichkeiten unterschwellige psychische Probleme und soziokulturelle Konflikte. Entsprechend liegt es an verschiedenen individuellen wie auch sozialen Faktoren, ob beispielsweise die aufbrechenden Erlebnisse einer vereinenden Sexualität und eines trancehaften Tanzes auf kurze Augenblicke beschränkt bleiben oder diese weitergehend zu einer weiterreichenden Veränderung beitragen können. Über die momenthafte Erfahrung eines derartigen inneren Fließens hinausgehend ist ein innerer Freiraum notwendig, der letztlich nur im Kontext entsprechender gesellschaftlicher Freiräume entfaltbar ist. In diesem Sinne offenbart sich die tatsächliche Tiefe der erfüllten Sehnsucht erst in der gelebten Konsequenz.

Ein grundlegender erster Schritt auf dem sinnbildlichen langen und hindernisreichen Weg zu einem Zustand des blockadefreien Fließens ist die Erkenntnis, dass es überhaupt möglich ist, sich einem derartigen Utopia anzunähern. Auch wenn dieses Utopia völlig verdrängt und unterdrückt erscheinen mag, so kann es in der vielschichtigen Wechselbeziehung zwischen persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Veränderung zumindest ansatzweise auch über einen längeren Zeitraum hinweg zur Realität werden. Die symbolhaften Sterne sind dann erreichbar, wenn damit begonnen wird, Vision und Utopie in der Realität der Gegenwart zu verbinden.


Anmerkungen:
(1) Vgl.: a) Erika Bourguignon (Ed.) / Religion - Altered States of Consciousness and Social Change. (1973);
b) Andrew Weil / The Natural Mind (1972).
(2) Titus Livius / Ab urbe condita. Ditzingen, 1991.
(3) Charles G. Leland (Hg.) / Aradia - Die Lehren der Hexen. München, 1988.
(4) Jim Morrison / The lords and the new creatures. New York, 1971.
(5) Aussage eine LSD-Gebrauchers. In: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt am Main / Solothurn, 2005.
(6) Timothy Leary / She comes in colors. In: Timothy Leary / Politik der Ekstase. Markt Erlbach, 1997.
(7) Mary Sativa / Der Rauschtempel. Darmstadt, 1969.
(8) Vgl. Aldous Huxley / Die Pforten der Wahrnehmung. München, 1970.
(9) Adolf Dittrich, Christian Scharfetter / Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. In: Dittrich, Scharfetter (Hg.) / Ethnopsychiatrie. Stuttgart, 1987.
(10) Tiny Stricker / Die Berge. In: Tiny Stricker / Trip Generation. Gersthofen, 1970.
(11) HighFish-Kommune / Nähe und Ferne auf Acid.
(12) Jerry Rubin / Do it! München, 1977.
(13) Herbert Marcuse / Versuch über die Befreiung. Frankfurt am Main, 1984.
(14) Theo Rosenfeld / Die Grenzen der Unendlichkeit. In: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt am Main / Solothurn, 2005.
(15) David Jay Brown / Sacred Sexuality and the Psychedelic Experience. Ben Lomond, 2001.
(16) Keely Stahl / Die Angst vor dem Orgasmus. In: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. Frankfurt am Main / Solothurn, 2005.

- * -
Vortrag auf dem internationalen Symposium "The Spirit of Basel" zum 100. Geburtstg von Albert Hofmann,
13. bis 15. Januar 2005 im Kongresszenrum in Basel.


- * -
www.sterneck.net