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VISION UND REALITÄT DER HOFFNUNG
Aus einem Gespräch von
Wolfgang Sterneck mit Luix Saldaña.
Luix Saldaña beschreibt in ”Alter-Natives Re-Evolution”
das Modell einer alternativen Gesellschaft, in das gleichermaßen
traditionelle indianische wie auch zeitgemäße ökologische
Betrachtungsweisen einfließen. Davon ausgehend organisiert
er in Mexiko Workshops, die schamanisches Wissen aufgreifen, und
ist an verschiedenen soziokulturellen Projekten beteiligt.
Saldaña:
Mein Traumbild eines Tribes ist ein Kaleidoskop, das sich ständig
in Bewegung befindet, in dem alle den Raum haben, die eigene Wirklichkeit
zu beschreiben. Es gibt kein Monopol auf die Wahrheit. Alle halten
ein Teil des Puzzles in der Hand, einen Teil der Wahrheit. Es gibt
dabei viele bedeutsame Aufgaben. Eine der wichtigsten ist der Aufbau
von Öko-Dörfern in allen Teilen der Welt. Jeder Stamm
kann dabei seine eigenen Schwerpunkte, seine Bedürfnisse und
sein Wissen in das Kaleidoskop einbringen.
Sterneck:
Es ist offensichtlich, dass eine radikale Veränderung notwendig
ist, um die ökologische Zerstörung aufzuhalten, aber auch
um die sozialen und politischen Missstände zu überwinden.
Aber in Anbetracht der weltweiten Entwicklungen habe ich kaum noch
Hoffnungen. Das globale System von Profit, Macht und Ignoranz ist
stärker als jemals zuvor. Nicht nur auf Grund einer militärischen
Stärke, sondern weil es die Menschen verinnerlicht haben. Es
findet ein unablässiger Kampf um unsere Träume statt...
Viel zu viele haben diesen Kampf um das innere Utopia verloren oder
auch bereitwillig aufgegeben und damit auch die Fähigkeit zumindest
einen Teil dieses Utopias zu verwirklichen.
Saldaña:
Du hast zweifellos Recht, wenn Du davon sprichst, dass viele Menschen
ihr inneres Utopia verloren, gleichzeitig sehe ich, wie sie auf
der Suche sind. Es liegt tatsächlich an den an denen, die noch
träumen können und sich der Gleichschaltung widersetzen,
den ersten großen Schritt zu machen und eine Welt zu formen,
die diesen Träumen entspricht. Wir müssen kulturelle Barrieren
überwinden und mit unterschiedlichen Gruppen in Kontakt kommen.
Wir müssen Brücken der Kreativität, des Vertrauens
und der Gemeinschaftlichkeit aufbauen.
Sterneck:
Einiges von dem was Du geschrieben hast, erinnert mich an die Yippies,
den politischen Flügel der Hippie-Bewegung der späten
Sechziger. Sie haben das System damals grundsätzlich in Frage
gestellt, nicht nur auf einer abstrakten Ebene, sondern weitmöglichst
in ihren Aktionen genauso wie in ihren alltäglichen Handlungen
und ihrem Lebensentwurf. Die achtundsechziger Bewegung hat als Ganzes
vieles langfristig beeinflusst, das Verhältnis zur Sexualität,
die Erziehung, das Verhältnis zu Autoritäten, aber in
ihrem eigentlichen Ziel, eine neue Gesellschaft aufzubauen, ist
sie gescheitert. Das System hat letztlich einmal mehr triumphiert.
Gerade auch vor diesem Hintergrund kann ich nicht an die ”große
Veränderung” oder gar eine Revolution in der heutigen
Zeit glauben. Dennoch müssen wir immer wieder versuchen mit
unseren Mitteln zumindest Sand in die gigantische Maschinerie zu
streuen. ”Es gibt kein richtiges Leben im falschen”,
hatt Adorno einmal so treffend festgestellt. Wir sind in unserem
alltäglichen Leben ein Teil des Systems, selbst wenn wir versuchen
uns zu widersetzen. Wir konsumieren in vielen Bereichen die vorgegebenen
Produkte und tragen unseren Teil zur Zerstörung der Umwelt
wie auch zur Ausbeutung von Menschen bei. An unzähligen Punkten
gehen wir bewusst oder unbewusst Kompromisse ein. In diesem Sinne
gibt es tatsächlich kein richtiges Leben im falschen. Es besteht
aber die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Annäherung
an das ”richtige Leben” im Hier und Jetzt.
Saldaña:
Tief in meinem Innern bin ich davon überzeugt, dass Wahrheit,
Liebe und Spirit stärker sind als alles andere. Du hast zweifellos
recht, jeder Augenblick ist bedeutsam. Wir befinden uns im Schlamm,
aber wenn wir stark genug sind und es wirklich wollen, dann können
wir uns ein Stück weit hinausbegeben. Ich versuche es, soweit
ich kann in allem was ich tue. Doch manchmal scheitere ich an meinen
eigenen hohen Ansprüchen. Dies geschieht nicht selten, aber
ich habe auch gelernt nicht ganz so hart mir selbst gegenüber
zu sein. Wer zu verbissen ist, der verbittert schnell und entfernt
sich immer weiter von dem was er erreichen wollte.
Sterneck:
Du hast die Techno-Kultur in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen
als eine Kraft beschrieben, die soziale Strukturen in einer positiven
Weise verändern kann. In Westeuropa lässt sich jedoch
im Mainstream eher das Gegenteil erkennen. Die Ideale der Anfangszeit
sind längst vereinnahmt und kommerzialisiert. Es geht nur noch
um Stars und Profit wie in so vielen Musikkulturen auch. Einzig
in einigen Strömungen des Undergrounds, wenn auch sicherlich
nicht in allen, ist noch eine subversive Haltung zu erkennen, die
auf Veränderung und Entfaltung zielt. Partys als Freiraum,
als kreative Gemeinschaft, als großes Trance-Ritual, ...
Saldaña:
Ich schätze, dass ich ein unverbesserlicher Optimist bin. Was
ich wirklich im Underground der Techno/Trance/Rave-Szene sehe (wie
in vielen anderen Szenen) ist eine Sehnsucht und das Potential einer
gemeinschaftlichen Veränderung. Es gibt so vielfältige
Möglichkeiten, die sich aus den Gemeinschaften, aus den Tribes
entwickeln können, wenn bewusst mit ihnen umgegangen wird...
Der Mehrheit der Szene geht es nur um Spaß und Vergnügen.
Ein kleiner Kern arbeitet daneben für die Veränderung.
Und dort muss man ansetzen: Eine Vernetzung von all denen, die sich
der Veränderung verpflichtet fühlen. Der Aufbau von Kommunikationsstrukturen
in denen all die kreativen Ideen und Projekte zusammenkommen, um
dann das Bild des Tribes mit neuem Leben zu füllen... Die Energien
channeln, die Philosophien verknüpfen und dann davon ausgehend
handeln.
Sterneck:
Wenn man genauer schaut, nicht nur auf die Oberfläche und den
Mainstrean, dann findet man in jedem Land in jeder Stadt Menschen
und Projekte, die einen anderen Lebensweg gehen. Manchmal fließen
die Energien in Netzwerke zusammen: In Nordamerika gibt es beispielsweise
das Gathering of the Tribes, in Australien sind die Barrelfull of
Monkeys ein Bezugspunkt und im deutschsprachigen Raum sind einige
Gruppen im Sonics-Netzwerk zusammengeschlossen. All diese Gruppen
sind kleine Cybertribes, kleine Gemeinschaften im Zeitalter des
Cyberspace, die versuchen altes Wissen genauso zu nutzen wie die
Entwicklungen der Moderne.
Saldaña:
In Mexiko gibt es alljährlich das ”Council of Visions”,
den Rat der Visionen, der Menschen unterschiedlicher Strömungen
zusammenbringt, um ihre Visionen zu teilen, zu verbinden und umzusetzen.
Es wird von einer Gruppe von AktivistInnen organisiert, die aus
ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. Und doch glaube ich sagen
zu können, dass wir eine Art Familie sind. Die Struktur ist
nicht neu, wir haben sie von unterschiedlichen Projekten übernommen.
Was das Council aber so besonders macht, sind die konkreten Erfahrungen,
die Kontakte, die Vielfältigkeit. Die einzelnen Angebote werden
von Personen geleitet, die sich einem Ideal verpflichtet fühlen
und sich eher als ein Werkzeug betrachten, das Wissen bündelt
und an Einzelne und Gemeinschaften weitergibt. Die Leute, die dorthin
kommen hören jedoch nicht nur zu, es bestehen viele Möglichkeiten
zu einem Teil des Councils zu werden, egal ob über einige Beiträge,
das gemeinsame Kochen oder organisatorische Aufgaben.
Inhaltlich geht es in den Sub-Councils um: Ökologie, Traditionen
und Zeremonien, Heilung, Heilige Kalender und Magie, Kunst und Kultur,
Jugend, Kinder. Es wird großen Wert auf kulturelle Vielfalt
gelegt. Entsprechend findest Du dort Öko-AktivistInnen, Rainbows,
AnarchistInnen, Raver, Punks, HeilerInnen, SchamanInnen, Quadrat-Köpfe
und alle möglichen anderen Arten von Geschöpfe, die miteinander
diese Woche verbringen. Eines der letzten Treffen fand in Chiapas
statt, wo auch Mitglieder der zapatistischen Befreiungsfront teilnahmen
und wir darüber gesprochen haben, wie die Prozesse der Veränderung
gestaltet werden können.
Luix Saldaña : www.xocotzin.org
Wolfgang Sterneck : www.sterneck.net
www.sterneck.net
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