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Wolfgag Sterneck
DIE PSYCHONAUTISCHE LANDKARTE
Vergleichbar mit einem Astronauten, der sich in die Weiten des Weltraums
begibt, reist ein Psychonaut in die Tiefen der eigenen Psyche. Die
imaginäre psychonautische Landkarte schließt dabei als
Pole eines kaum zu überblickenden inneren Raumes beglückende
Bereiche und bedrohliche Abgründe mit ein. Gleichzeitig können
psychonautische Reisen einengende kulturelle Strukturen aufbrechen,
aber auch verfestigen. Die künstlerische Darstellung entsprechender
Erfahrungen entspricht dabei immer wieder einer Auseinandersetzung
mit verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit.
DAS ÜBERSCHREITEN DER GRENZEN
Zu den vielfältigen Praktiken, welche den Zugang zu den inneren
psychonautischen Räumen eröffnen können, gehören
unter anderem Meditationen, der trancehafte Tanz, bestimmte extreme
körperliche Erfahrungen, eine ekstatische Sexualität und
der bewusste Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Auf der Basis verschiedener
Studien sprechen BewusstseinsforscherInnen wie Erika Bourguignon
und Andrew Weil von einem menschlichen Grundbedürfnis nach
Transzendenz im Sinne einer Überschreitung der alltäglichen
Grenzen des Bewusstseins.
Der Möglichkeit bereichernder oder gar befreiender Erfahrungen
steht jedoch ein vielfältiges psychisches Gefahrenpotential
gegenüber. So können Erfahrungen außergewöhnlicher
Zustände zu einer tiefen Verunsicherung führen, da sie
potentiell das herkömmliche Weltbild grundlegend in Frage stellen.
Daneben bestehen in den Randbereichen der psychonautischen Landkarte
als Ausdruck psychischer Probleme oder Erkrankungen vielfältige
Bewusstseinsebenen in denen sich einzelne Personen verfangen haben,
ohne sich daraus befreien zu können.
Kulturhistorisch betrachtet, kam es nur selten zu einer freien Entfaltung
transzendenter Bedürfnisse. Vielmehr lässt sich immer
wieder aufzeigen, dass sie gerade in religiösen Zusammenhängen
als Mittel der Manipulation missbraucht oder insbesondere in christlich
geprägten Kulturkreisen gezielt unterdrückt wurden.
PSYCHONAUTISCHE KUNST
Die Außergewöhnlichkeit psychonautischer Erfahrungen
erzeugt zumeist das tiefe Bedürfnis, diese einzuordnen und
oftmals auch die damit verbundenen Inhalte weiter zu tragen. Die
Auseinandersetzung im Rahmen künstlerischer Ausdrucksformen
kann eine Möglichkeit der Verarbeitung sein. Die Wiedergabe
transzendenter Bewusstseinszustände ist dabei nicht immer als
solche sofort zu erkennen, oftmals sind sie stark abstrahiert oder
verschlüsselt dargestellt und nur über bestimmte Kodes
zu verstehen.
In vielen indigenen Kulturen besteht eine lange Tradition der Wiedergabe
transzendenter Bewusstseinszustände, welche oftmals im Gegensatz
zur Erfahrung der Realität des Alltags als ein Erleben der
eigentlichen Wirklichkeit verstanden werden. Die Prozesse der Aufarbeitung
und Einordnung werden dabei vielfach in einen kollektiven Zusammenhang
gestellt.
In der westlichen Moderne ist dagegen soziokulturell begründet
zumeist ein stark persönlich ausgeprägter Zugang zu außergewöhnlichen
Bewusstseinsebenen vorherrschend. Entsprechend groß ist die
Zahl der KünstlerInnen, die einen eigenen Zugang in die Randgebiete
der psychonautischen Landkarte gefunden haben und sich ebenso individuell
damit auseinandersetzen. Zum Teil verweigert sich ihr Werk auf Grund
der Eigenständigkeit, oftmals aber auch auf Grund der in vielerlei
Hinsicht schweren Zugänglichkeit einer Einordnung in gängige
Kategorien. In einigen Fällen stehen vielmehr schon die jeweiligen
Namen der KünstlerInnen für eigene Stilrichtungen, sofern
es überhaupt einer derartigen Definition bedarf. Bei einer
genaueren Betrachtung wird dabei schnell deutlich, dass fernab der
Vorgaben bürgerlicher Kunstvorstellungen und den Maßstäben
des kommerziellen Kunstmarktes vielfältige eigenständige
Ausdrucksformen bestehen.
In der jüngeren Kunstgeschichte lassen sich psychonautische
Ansätze der Auseinandersetzung mit außergewöhnlichen
Bewusstseinszuständen unter anderem im Surrealismus und seiner
psychoanalytisch geprägten Auseinandersetzung mit dem Traum
erkennen. Die Begriffe der Art Brut und in Teilbereichen auch der
Outsider Art beziehen sich dagegen auf die Kunst von Menschen, die
einen weitgehend ungefilterten Zugang auf ihr Unbewusstes haben,
darunter auch Menschen in psychotischen Extremzuständen. Der
Wiener Aktionismus wie auch die Industrial Culture beschäftigten
sich mit unterdrückten Energien und damit oftmals mit den Abgründen
der menschlichen Existenz, wobei die Übergänge zwischen
einer befreienden und einer regressiven Auseinandersetzung fließend
waren. Dagegen bildet die Wiedergabe mystisch-transzendenter Erfahrungen
den zentralen Bezugspunkt der Visionären Kunst, die dabei jedoch
vielfach spirituell verklärt werden. Daneben beschreiben zahlreiche
Kunstwerke, die im Umfeld des weiten Feldes der Cybertribe-Culture
entstanden sind, veränderte Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustände
mit zeitgemäßen digitalen graphischen Mitteln.
PSYCHEDELISCHE RÄUME
Ein Weg in die Welten der psychonautischen Erfahrung kann der Gebrauch
psychedelischer Substanzen wie Meskalin, Psilocybin und LSD sein.
Von einem befreienden Aufbruch in neue Wirklichkeiten bis zur Flucht
in eine Scheinwelt ist es oftmals jedoch nur ein kleiner Schritt.
Zum Spektrum entsprechender Erfahrungen gehören eine intensivierte
sinnliche Wahrnehmung und ein direkter Zugang zum Unbewussten, sowie
Gefühle des Glücks und der Verschmelzung, aber auch tiefe
innere Irritationen bis hin zu psychotischen Zuständen. Dabei
tragen psychedelische Substanzen im Wesentlichen nichts von außen
in eine Person hinein, sondern öffnen nur Türen in bereits
bestehende innere Räume.
Die Darstellung von außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen,
die durch den Gebrauch psychoaktiver Substanzen eröffnet werden,
lassen sich bis zu frühzeitlichen Felszeichnungen zurückverfolgen.
So sind beispielsweise im Süden Algeriens Darstellungen erhalten
geblieben, die deutlich auf den Gebrauch psychoaktiver Pilzen und
eine folgende Bewusstseinsveränderung verweisen.
Von einer psychedelischen Kunst wird insbesondere in Bezug auf die
Entwicklungen in den späten sechziger Jahren gesprochen. Der
massenhafte Gebrauch psychoaktiver Substanzen in der Alternativkultur
spiegelte sich in ihren kreativen Ausdrucksformen. Großformatige
Kunstwerke, die inzwischen längst ihren Weg aus dem Underground
in die großen Museen gefunden haben, waren genauso von psychedelischen
Erfahrungen geprägt, wie die Motive von Schallplatten-Covern.
Mixed-Media-KünstlerInnen gestalteten Räume mit entsprechenden
Projektionen und Lichteffekten, während eine neue Comic-Generation
einen Acid-geprägten Blick auf gesellschaftliche Missstände
richtete. Neben vielen anderen spiegelten auch die Beatles als wichtigste
Pop-Band der Zeit psychedelische Wirklichkeiten in einigen ihrer
Stücke und Filme.
Die Kriminalisierung der meisten Psychedelika konnte nicht verhindern,
dass insbesondere LSD bis heute einen starken Einfluss auf künstlerische
Ausdrucksformen hat. Die psychedelisch inspirierte Kunst erlebte
insbesondere im Zuge der Psychedelic-Trance-Culture ein Revival,
wobei es in Verbindung mit neuen digitalen Mitteln zu einer Weiterentwicklung
der graphischen Möglichkeiten kam. Eine wachsende Aufmerksamkeit
richtet sich inzwischen zudem auf die Blotter Art, die künstlerische
Gestaltung der LSD-Papier-Trips.
Die Kriminalisierung bewirkte allerdings auch, dass sich psychedelisch
beeinflusste KünstlerInnen nur in Ausnahmefällen zu einem
Gebrauch der Substanzen offen bekennen, um nicht eine Stigmatisierung
oder strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen. Der
„War on Drugs“ offenbart dabei einmal mehr seinen Charakter
als ein repressives Instrument sozialer und kultureller Kontrolle.
Die grundlegenden Vorraussetzungen für einen verantwortungsvollen
Umgang mit psychoaktiven Substanzen bilden dagegen eine mündige,
selbstbestimmte Persönlichkeitsstruktur, sowie umfassende sachliche
Informationen.
DIE VERBINDUNG VON VISION UND REALITÄT
Keine Erfahrung eines außergewöhnlichen Bewusstseinszustandes
vollzieht sich in einem bezugslosen Raum, so persönlich der
Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig immer
in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen und damit
auch mit den soziokulturellen Vorgaben des entsprechenden Gesellschaftssystems.
Deutlich wird dies beispielsweise im Zusammenhang mit dem Verbot
des Gebrauchs bestimmter psychoaktiver Substanzen oder dem religiösen
Einsatz transzendenter Techniken.
Stigmatisiert werden außergewöhnliche Bewusstseinszustände
insbesondere in Kulturen, in denen die ökonomischen Werte von
Leistung, Konkurrenz und Profit nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche
bestimmen. Eine überzogene Rationalität und das Streben
nach ständiger Selbstkontrolle verschließen den Zugang
zu einem Zustand der Transzendenz bzw. zu einer sachlichen Auseinandersetzung
über Potentiale und Gefahren veränderter Wahrnehmungsebenen.
Die individuelle Motivation für den gezielten Übergang
in einen transzendenten Bewusstseinszustand kann sehr unterschiedlich
sein. Verbindend ist vielfach die Sehnsucht nach der Erfahrung des
inneren Fließens, wie es beispielsweise während eines
Trance-Tanzes oder einer sexuellen Verschmelzung empfunden werden
kann. Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass es möglich
ist, sich diesem inneren konkreten Utopia auf einer rein persönlichen
Ebene anzunähern und dabei die gesellschaftliche Realität
zu verdrängen. Über die momentane Erfahrung hinausgehend
ist ein Freiraum notwendig, der in der Wechselbeziehung zwischen
persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Veränderung
wurzelt. Das konkrete Utopia als ein Ort auf der psychonautischen
Landkarte wird erst dann erfahrbar, wenn es gelingt Vision und Realität
konsequent miteinander zu verbinden.
Wolfgang Sterneck.
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Literatur:
Claude Steiner & Radovan Hirsel (Hg.) / Psychonautische Landkarte.
Wolfgang Sterneck (Hg.) / Psychedelika.
Psychonautic Art: www.psychonautic-art.ch
Moksha-Research: www.moksha-research.org
www.sterneck.net
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