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Wolfgang Sterneck
VISION, ABGRUND UND BEFREIUNG
- PSYCHEDELISCHE KUNST -
- Psychedelika und Kunst
- Isaac Abrams und der Tanz des Lebens
- Alex Grey und die Antworten
- HR Giger und die inneren Dämonen
- Die Pole menschlicher Erfahrungen
Psychedelika wie Meskalin, LSD und Ketamin können innere Räume
öffnen. Sie können diese Räume aber auch völlig
verschließen. Beide Aspekte lassen sich in Kunstwerken finden,
deren Gestaltung von psychedelischen Erfahrungen beeinflusst wurden.
PSYCHEDELIKA UND KUNST
Der Begriff der psychedelischen Kunst bezieht sich im engeren Sinne
auf Entwicklungen seit den sechziger Jahren in Nordamerika und Westeuropa.
Als Ausdruck, aber auch als prägendes Element vielschichtiger
gesellschaftlicher Veränderungsprozesse erlangten Psychedelika
gerade in den Jugendbewegungen dieser Zeit eine besondere Bedeutung.
Zwangsläufig drückte sich dies in der Literatur, der Musik
und der bildnerischen Kunst aus, wobei die psychedelische Erfahrung
in ihrer besonderen Dynamik für viele KünstlerInnen eine
stimulierende kreative Wirkung hatte.
Robert Masters und Jean Houston fassten die vorrangigen Merkmale
der Psychedelischen Kunst 1968 folgendermaßen zusammen: ”Zugänglichkeit
zu unbewusstem Material, Auflockerung der Grenzen des Ich, Freiwerden
und Flexibilität der Gedanken, intensivierte Aufmerksamkeit
oder erhöhte Konzentration, Auflösung von Wahrnehmungskonstanten,
erhöhte Aufnahmefähigkeit für visuelle Bilderwelten
und Phantasien besonderer symbolischer und mythologischer Art, Verfeinerung
des Einfühlungsvermögens, Beschleunigung der Denkgeschwindigkeit,
regressive Ego-Funktionen, scheinbares Erkennen der Vorgänge
und Organe innerhalb des Körpers, das Erkennen tiefer psychischer
und geistiger Ebenen des Ich, in manchen Fällen verbunden mit
der Fähigkeit zu tiefem religiösen und mystischen Erleben.”
ISAAC ABRAMS UND DER TANZ DES LEBENS
Viele KünstlerInnen beschrieben ihre ersten psychedelischen
Erfahrungen als ein Erlebnis, welches ihre Kreativität nachhaltig
prägte oder sie überhaupt erst öffnete, nachdem sie
bis dahin weitgehend verschlossen war. Ein besonders prägnantes
Beispiel hierfür ist Isaac Abrams, dessen Leben sich nach einem
LSD-Trip 1965 grundlegend veränderte. Abrams charakterisierte
sich selbst rückblickend als einen kontrollierten und rationellen
Menschen, der weit entfernt vom ”Tanz des Lebens” auf
seinen Verdienst und seine äußere Erscheinung fixiert
war und doch unterschwellig spürte, dass ihm etwas fehlte.
Psychoaktive Substanzen halfen ihm seine Blockaden zu erkennen und
im Zuge eines tiefgreifenden Prozesses aufzubrechen, wobei ihm eine
begleitende Psychotherapie bei der Aufarbeitung der Entwicklungen
nachhaltig unterstützte.
Isaac fasste den aufbrechenden Charakter der Erfahrungen in klaren
Worten zusammen: ”Die psychedelischen Drogen haben in mir
den Sinn für Harmonie und Schönheit geweckt. Zum ersten
Mal in meinem Leben kann ich mich an der Schönheit eines Blattes
erfreuen und in den Vorgängen der Natur eine Bedeutung erkennen.
Würde ich ein hässliches Bild malen, es wäre eine
Lüge für mich. Ich habe entdeckt, dass ich durch meine
Feder und meinen Pinsel fließen kann; alles was ich tue, wird
ein Teil meiner selbst - ein Austausch von Energien.” Abrams
ist auch später seinen Weg konsequent weitergegangen. 1996
setzte er nach jahrelangen Vorarbeiten die Vorstellung eines fast
zwanzig Meter hohen begehbaren Kaleidoskops um, welches er selbst
als ”erste Kathedrale des 3. Jahrtausends” bezeichnete.
ALEX GREY UND DIE ANTWORTEN
Alex Grey, gehört zu den bekanntesten und zweifellos in seinem
Werk beeindruckendsten psychedelischen Künstlern. Auch ihm
ermöglichte der Gebrauch psychoaktiver Substanzen einen Zugang
zu einem ihm in dieser Tiefe zuvor unbekannten ganzheitlichen Verständnis
von Liebe und Transzendenz. Als wesentlichen Ausdruck seines veränderten
Lebensentwurfs widmete er diesem Verständnis fortan sein künstlerisches
Schaffen. Alex Grey spricht dabei zumeist bewusst von einer entheogenen
Erfahrung, eine Beschreibung die sich frei übersetzt auf eine
durch psychaktive Substanzen eröffnete Erfahrung des Göttlichen
im Innern bezieht. Der von Jonathan Ott geprägte Begriff Entheogene
wird seit einiger Zeit verstärkt alternativ zur Bezeichnung
Psychedelika im Zusammenhang mit dem traditionellen schamanistischen
Gebrauch psychoaktiver Pflanzen, sowie für eine spirituell
orientierte Betrachtungsweise genutzt.
Im Zentrum der Gemälde von Grey steht der Mensch, den er gleichermaßen
in physikalischen, metaphysischen und spirituellen Dimensionen beschreibt.
Die dargestellten Personen sind zumeist als vielschichtige Energiefelder
transparent dargestellt. Zu sehen sind Körperbahnen, verschiedene
Organe, die Chakren und die Aura. Zudem tauchen im Hintergrund oder
in den Körpern immer wieder Augen als klassisch psychedelisches
Symbol der eröffnenden Transzendenz auf. Die einzelnen inneren
Energiefelder stehen in Wechselbeziehung zu äußeren Feldern
und bilden einen Bestandteil eines kosmischen energetischen Zusammenhanges.
In den Gemälden erscheint der Akt der Liebe dadurch genauso
wie die Geburt oder auch der Tod eingebettet in einen endlosen Fluss
von Energien.
In Anlehnung an verschiedene Theorien der Kreativität entwickelte
Grey eine eigene in sechs Schritte unterteilte Theorie des kreativen
Prozesses in der sich Elemente des I-Ging genauso finden lassen
wie die der Psychoanalyse. Die Entstehung eines Kunstwerkes als
Synonym für eine kreative Entwicklung überhaupt ist diesem
Verständnis zufolge immer auch mit einer Auseinandersetzung
mit der eigenen Persönlichkeit verbunden. Der kreative Prozess
geht dabei von einer anfänglichen Frage aus, die dann in die
Suche nach der Antwort mündet, wobei im Grunde die Fragestellung
auf einer tieferen unbewussten Ebene die Antwort schon in sich trägt.
Das Konzept lässt sich auch auf den Ablauf einer bewussten,
in einem rituellen Rahmen eingebetteten psychedelischen Erfahrung
übertragen, die zu einem tieferen Verständnis innerer
Prozesse führen soll: ”1) Formulation: Entdeckung des
Themas oder des Problems des Künstlers. 2) Saturation: Eine
Periode intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema bzw. dem Problem.
3) Incubation: Dem Unbewussten Zeit lassen, um die Information zu
verarbeiten und eine Antwort zu entwickeln. 4) Inspiration: Die
Idee von einer eigenständigen Lösung des Problems aufkommen
lassen. 5) Translation: Der inneren Lösung eine äußere
Form geben. 6) Integration: Die gefundene Antwort kreativ mit Anderen
teilen und ein Feedback erhalten.”
HR GIGER UND DIE INNEREN DÄMONEN
Einen visionären Gegenentwurf zu den glücksbetonten und
spirituellen Welten vieler psychedelischer KünstlerInnen bildet
das Werk von H. R. Giger. Fast durchgängig in dunklen Farben
gehalten beschreiben seine Bilder Alpträume und Horrorvisionen.
Metaphorisch werden die Abgründe der menschlichen Existenz
wie auch einer persönlich empfundenen tiefen Lebensangst in
eine apokalyptische Welt übertragen in der sich bizarre Kreaturen
tummeln, darunter bizarr mutierte Säuglinge genauso wie die
dämonenhaften Wesen aus den Werken H. P. Lovecrafts. Internationale
Bekanntheit erlangte Giger vor allem durch die Kreation des Alien
aus dem gleichnamigen Film. Ein gerade im Vergleich zu anderen Science-Fiction-
oder Horror-Filmen in seiner Wirkung nahezu perfekt gestaltetes
Wesen, welches die Besatzung eines Raumschiffs bis auf eine letzte
Überlebende dezimiert und als scheinbar übermächtige
äußere Bedrohung doch nur auf einer symbolhaften Ebene
Ausdruck innerer Abgründe ist.
Die unterschwellige existenzialistische Frage nach dem Sinn des
Daseins wird in den Gemälden Gigers vielfach mit Leid und Qual
beantwortet, in anderen Bildern stellt sich diese Fragestellung
überhaupt nicht mehr. Hoffnung erscheint dann nur als Sehnsucht,
die jedoch unerfüllt bleibt, auch wenn gerade diese den Landschaftsbildern
und Frauenportraits eine tiefe dunkle Schönheit verleiht. Das
Licht, das in einige Bilder fällt, ist jedoch keines, das wärmt
oder gar auf eine bessere Welt verweist. ”Der erste Gepfählte,
der mich als Kind fesselte, war eine lebendige Vogelscheuche aus
einem Dialektmärchen, welches meine Mutter mir immer wieder
vorlesen musste. Ich glaube, dieses durch diesen Pfahl fixierte
Leben, für das es nur durch einen möglichst schnellen
Tod Erlösung gab, zeigte mir nüchtern die Sinnlosigkeit
eines Daseins. Eines Daseins, welches man besser gar nicht erst
angetreten hätte. In vielen meiner Arbeiten widerspiegelt sich
dieses Ausgeliefertsein, welches keinen religiösen Glauben
aufkommen lässt.”
Auch ohne Drogenbezug gleichen viele Gemälde Gigers Erfahrungsebenen
die mit den Wahrnehmungen von Horrortrips vergleichbar sind, welche
wiederum keinen künstlich erzeugten Wirklichkeiten entsprechen,
sondern innere Abgründe als Teil einer entfremdeten Welt offenbaren.
Ein direkter Einfluss einer psychedelischen Betrachtungsweise auf
die Arbeiten von Giger ist für die frühen siebziger Jahre
belegt. Ausgehend von Fotos, welche die Arbeit der Müllabfuhr
zeigen, verfremdete er in seinen Passagen-Gemälden die Rückansicht
des Wagens und die Entleerung der Mülltonnen in zahlreichen
Bildern, und ”zwang ihnen”, wie er selbst ausführte,
”mit Hilfe der psychedelischen Malerei alle möglichen
Realitäten auf”. In dieser Zeit setzte sich Giger auch
nachdrücklich dafür ein, Timothy Leary in seiner Schweizer
Heimat Asyl zu gewähren, wohin dieser sich nach der Verurteilung
wegen Vergehens gegen die US-amerikanische Drogengesetzgebung geflüchtet
hatte.
Wohl in Anbetracht der Gefahr einer Stigmatisierung antwortete Giger
später in Interviews auf Fragen zum Einfluss von Psychedelika
auf sein Werk mit der kurzsilbigen, aber ist diesem Kontext vielschichtigen
Aussage ”Drogen sind verboten”. Unabhängig von
Überlegungen, in welchem Umfang psychedelische Substanzen seine
Arbeiten tatsächlich direkt oder indirekt beeinflusst haben,
sind die Gemälde ein Synonym für die realen Abgründe
des Lebens. Diese werden durch Psychedelika nicht erzeugt, können
aber gerade durch sie in einer besonderen Tiefe offenbart werden.
”Giger, du sezierst rasiermesserscharf Teile des Gehirns und
überträgst sie, noch pulsierend, auf die Leinwand.”
(Timothy Leary).
DIE POLE MENSCHLICHER ERFAHRUNGEN
Die Werke von Isaac Abrams, Alex Grey und H. R. Giger geben in ihrer
Ausdruckskraft Pole menschlicher wie psychedelischer Erfahrungen
wieder. Augenfällig wird an Hand dieser Beispiele, dass Psychedelika
keineswegs zwangsläufig zu Halluzinationen oder gar zu einer
psychotischen Persönlichkeitsveränderung führen wie
von den VertreterInnen einer prohibitionistischen Drogenpolitik
bis heute immer wieder unterstellt wird. Aber auch die Annahme eines
mit dem Gebrauch von Psychedelika verbundenen Automatismus, der
geradlinig zu einer positiven Entwicklung führt, hat sich längst
als Illusion erwiesen.
Eine differenzierte, von empirischen Untersuchungen ausgehende Beschreibung
des Wirkungsspektrums psychedelischer Substanzen lieferte eine 1985
von Adolf Dittrich geleitete Studie, die sich in ihren Ergebnissen
tendenziell auf die Werke der drei beschriebenen Künstler übertragen
lässt. Hinsichtlich der ”Phänomenologie außergewöhnlicher
Bewusstseinszustände” wurden dabei nach einer Versuchsreihe
mit 500 Probanden im wesentlichen drei Erfahrungszustände unterschieden:
Die sogenannte ”Ozeanische Selbstentgrenzung” beschreibt
beglückende Erfahrungen wie das Gefühl des Einsseins mit
sich und der Welt. Die ”Angstvolle Ichauflösung”
entspricht einem Horror-Trip, also den bedrohlichen Aspekten wie
der Angst vor einem Kontrollverlust, und der Zustand der ”Visionären
Umstrukturierung” schließt Veränderungen von Bedeutungsebenen,
halluzinatorische Wahrnehmungen und synästhetische Aspekte
ein.
Was im Einzelnen auf einer psychedelischen Reise eröffnet wird,
hängt in einem vielschichtigen Wechselverhältnis von inneren
und äußeren Faktoren ab. Wesentlich ist insbesondere
die Vorbereitung auf eine psychedelische Erfahrung, sowie mit einem
angemessenen Abstand die Auseinandersetzung mit den Erlebnissen.
So zusammenhanglos sie möglicherweise im ersten Moment erscheinen,
sie sind nicht zufällig, sondern haben eine Wurzel in der entsprechenden
Person. Ebenso wie Traumerfahrungen beinhalten sie immer auch eine
tiefere Botschaft. Psychedelika sind in diesem Sinne ein möglicher
Schlüssel zu vielschichtigen Erfahrungsräumen, die Vision,
Abgrund eine Befreiung einschließen können.
Wolfgang Sterneck
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Alex Grey: www.alexgrey.com
HR Giger: www.hrgiger.com
Isaac Abrams: www.isaacabrams.com
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