Wolfgang Sterneck
POLITISCHE MUSIK UND SOZIALE AKTION
”Wenn Dir unsere Musik Spaß macht, aber Du Dich
dabei nur bequem zurücklehnst, dann hat sie ihr Ziel verfehlt,
wenn Dich unsere Musik unterhält, aber nicht inspiriert, dann
hat sie ihr Ziel verfehlt. - Musik ist keine Waffe, aber Aktionen
die durch Musik inspiriert wurden, können zu einer Waffe werden.”
Chumbawamba, 1988.
Die Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems führte
zum gesellschaftlichen Gegensatz zwischen der Bourgeoisie, der Klasse
der BesitzerInnen der Produktionsmittel, und dem Proletariat, der
Klasse der abhängig Arbeitenden. Zwangsläufig entwickelten
sich aus den konkreten Lebensbedingungen der ArbeiterInnen besondere
kulturelle Ausdrucksformen.
Im deutschsprachigen Raum entstanden die ersten ArbeiterInnenlieder
um 1830, wobei zumeist die Melodien von bekannten Liedern übernommen
und die Texte verändert bzw. der entsprechenden Situation angepasst
wurden. Dieses Vorgehen hatte vor allem in den sehr eingeschränkten
oder völlig fehlenden Bildungsmöglichkeiten der ArbeiterInnen
seinen Ursprung. Kinder aus ArbeiterInnenfamilien arbeiteten meist
schon in einem sehr frühen Alter, um zur Versorgung der Familie
beizutragen. Selbst wenn dies nicht der Fall war, bestand oftmals
keine Möglichkeit zur Schule zu gehen, da entsprechende Einrichtungen
nicht vorhanden waren. Dagegen konnte bzw. mußte ein Kind
einer bürgerlichen neben der herkömmlichen Schulausbildung
auch den Umgang mit einem Musikinstrument erlernen. Zwangsläufig
entwickelten sich auf Grund der völlig unterschiedlichen sozialen
Verhältnisse und der daraus folgenden Kenntnisse zwei klassenspezifische
Musikkulturen. Die Arbeiter-Innenlieder dienten zur Darstellung
der eigenen Situation, zur Stärkung des Zusammenhalts und nicht
zuletzt auch zur Unterhaltung. Viele der frühen Stücke
beschrieben die Arbeitsbedingungen und das soziale Elend der ArbeiterInnen.
Sie richteten sich entsprechend in der Regel gegen die politische
Unterdrückung und die wirtschaftliche Ausbeutung. Mit dem Aufkommen
eines klassenkämpferischen Bewußtsseins rückte die
Forderung nach einer grundlegenden Veränderung der bestehenden
Verhältnisse und die symbolhafte Propagierung einer freien
und gerechten Gesellschaftsordnung in den Vordergrund.
Im Zusammenhang mit der nationalen und internationalen Organisierung
der ArbeiterInnenbewegung in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts
kam es zur Gründung von proletarischen Gesangsvereinen, die
neben bürgerlichen Stücken vor allem ArbeiterInnenlieder
in ihrem Repertoire hatten. Sie erhielten als wichtiger Bestandteil
der proletarischen Kultur während des Verbots von politischen
ArbeiterInnenorganisationen in der Zeit des ”Sozialistengesetzes”
(1878-1890) eine besondere Bedeutung, indem sie einen Freiraum bildeten
und dazu beitrugen, die organisatorischen Strukturen der Bewegung
aufrecht zu erhalten. Charakteristisch für die Gesangsvereine
war allerdings auch, daß ihnen meist nur Männer angehören
konnten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sowie insbesondere nach dem Ersten
Weltkrieg und den folgenden revolutionären Aufständen
kam es zu einer qualitativen Weiterentwicklung der ArbeiterInnenlieder.
In einem größeren Ausmaß hatte sich eine proletarische
Kultur gebildet, die nicht mehr auf die Vorgaben der bürgerlichen
Kultur angewiesen war, sondern ein breites Spektrum von KomponistInnen,
TexterInnen und MusikerInnen hervorgebracht hatte. In dieser Zeit
kam es allerdings auch zur Spaltung der ArbeiterInnenbewegung. Der
radikale Flügel der Bewegung rief zur revolutionären Überwindung
der bestehenden Gesellschaftsordnung auf, während der gemäßigte
reformistische Flügel Veränderungen im Rahmen der bestehenden
Ordnung anstrebte und dabei zunehmend zu einer Stütze des ursprünglich
als unmenschlich abgelehnten Systems wurde. Diese Entwicklung spiegelte
sich zwangsläufig auch in den Liedern der ArbeiterInnenbewegung.
Der Vereinnahmung und inhaltlichen Entschärfung der traditionellen
ArbeiterInnenlieder stand die Entwicklung revolutionärer Kampflieder
gegenüber. Diese stellten die bestehenden sozialen Missstände
nicht als isolierte Probleme, sondern als zwangsläufiges Ergebnis
der kapitalistischen Gesellschaftsordnung dar. Die Lieder sollten
dazu beitragen, die individuelle Lage eines Arbeiters oder einer
Arbeiterin in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten
und ein revolutionäres Bewusstsein zu entwickeln.
Ebenso wie die politischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung
wurden auch die kulturellen Vereinigungen nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten zerschlagen oder im Sinne der neuen Machthaber
gleichgeschaltet. Während diese vergeblich versuchten, die
traditionellen ArbeiterInnenlieder umgetextet zu vereinnahmen, entstand
im Exil, im Untergrund und in den Konzentrationslagern eine vielfältige
Kultur des Widerstandes, welche unter anderem in einzelnen Liedern
den menschenverachtenden Charakter des Faschismus aufzeigten und
angriffen.
Nach dem zweiten Weltkrieg zeigte sich der Konflikt zwischen den
westlichen kapitalistischen und den östlichen ”real-sozialistischen”
Systemen auch im Umgang mit der Kultur der ArbeiterInnenbewegung.
Die DDR versuchte diese ausschließlich für sich zu beanspruchen,
während in der BRD revolutionäre Inhalte weitgehend unterdrückt
und auch die Lieder der ArbeiterInnenbewegung verdrängt wurden.
Dies änderte sich in der BRD erst, als mit dem Aufkommen der
Außerparlamentarischen Opposition revolutionäre Positionen
wieder offensiv vertreten wurden. In diesem Zusammenhang wurden
auch die ArbeiterInnenlieder wieder aufgegriffen und auf Demonstrationen
und politischen Veranstaltungen gesungen. In Folge kam es zur Bildung
von Musikgruppen, die sich auf die traditionelle ArbeiterInnenkultur
bezogen, sowie zur Gründung von Rockbands, die sich gezielt
an proletarische Jugendliche wanden und in ihren Texten klassenkämpferische
Positionen vertraten. Auch wenn die Entwicklung einer revolutionären
Massenbewegung eine Wunschvorstellung blieb, so veränderte
die Außerparlamentarische Opposition das politische Bewusstsein
großer Teile der Bevölkerung. Dieses Bewusstsein spiegelte
sich in den siebziger Jahren in den neuen sozialen Bewegungen, die
wiederum in einer Vielzahl politischer Lieder einen kulturellen
Ausdruck fanden.
Daneben entstehen bis heute in verschiedenen Jugendkulturen Strömungen,
die sich den Bestrebungen der Kommerzialisierung und Vereinnahmung
durch Industrie und Gesellschaft verweigern. Dabei zeigen sie über
die Texte aber auch über die Struktur der Musik andere Lebensentwürfe
auf. Dies gilt beispielsweise für Entwicklungen und Projekte
im HipHop genauso wie auch im Punk und Hardcore. Zum Teil geschieht
dies indirekt, zum Teil aber auch unmißverständlich durch
klare politische Positionen beispielsweise gegenüber rassistischen
Tendenzen oder hinsichtlich der propagierten Notwendigkeit einer
revolutionären gesellschaftlichen Veränderung.
- 2001 -
www.sterneck.net
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