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Wolfgang Sterneck
POLITISCHE DROGEN UND PSYCHOAKTIVE UTOPIEN
Gesellschaftliche Realitäten zwischen Draufsein, Drogenmündigkeit
und Veränderung
- Per Knopfdruck glücklich
- Stärken entfalten anstatt Probleme verhärten
- Ein Schulprojekt geht andere Wege
- Keine Party ohne Drogen
- Selbstorganisation und Drogenmündigkeit
- Die Entwicklung von Freiräumen
- Politische Drogen
- Coca-Bauern und Pharma-Labors
PER KNOPFDRUCK GLÜCKLICH
Es gibt zweifellos eine Vielzahl von Gründen, warum Menschen
psychoaktive Substanzen gebrauchen. Ein Grund, den wir alle in uns
tragen, ist die Sehnsucht nach dem inneren Fließen, nach dem
Flow, nach dem Zustand des Losgelöst-Seins. - Befreit von den
inneren körperlichen Blockaden, befreit von den äußeren
gesellschaftlichen Barrieren und Fesseln.
Es bestehen viele Wege um diesen Zustand zu erreichen, um dieses
innere Utopia zur Realität werden zu lassen. Dazu gehören
besondere Atemtechniken, sexuelle Erlebnisse, ekstatische Trance-Zustände,
persönliche Glückserfahrungen und unter bestimmten Bedingungen
auch der Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Doch im Alltag erscheint
dieser Zustand des Fließens meist wie ein ferner Traum, wie
ein fernes Utopia. Und die meisten haben längst aufgehört
diesen Traum zu träumen, haben längst vergessen, dass
es möglich ist dieses Utopia real werden zu lassen.
Gegenwärtig ist der Umgang mit legalen wie mit illegalisierten
Drogen meist von einer Konsummentalität geprägt. Dies
wird insbesondere deutlich, wenn man das Verhältnis von Jugendlichen
und jungen Erwachsenen zu Drogen betrachtet. Der Umgang mit Drogen
gleicht oftmals einer Mentalität, die mit dem Benutzen eines
Fernsehgerätes vergleichbar ist. Man will Spaß haben
und wenn das Programm zu langweilig oder zu anstrengend ist, dann
zappt man per Knopfdruck ins nächste und weiter ins nächste.
Und wenn einem die Situation in der man sich gerade befindet oder
der Gefühlszustand nicht zusagt, dann wirft man eben etwas
ein oder betrinkt sich. Wie durch einen Knopfdruck auf der Fernbedienung
wird angestrebt in eine andere Realität eintauchen, um „Spaaaß“
zu haben. - Hauptsache breit, drauf oder auf eine andere Weise irgendwie
abgeschossen.
In der Regel werden dabei weder die eigenen Bedürfnisse noch
die äußeren Verhältnisse hinterfragt, die ein derartiges
Verhalten erzeugen. Und so ist diese Konsummentalität auch
Ausdruck einer inneren Leere und einer Flucht. Sie ist aber auch
Ausdruck von Manipulation durch Medien und Gesellschaft, die auf
vielfältige Weise eine solche Haltung vermitteln. Letztlich
ändert eine derartige Flucht jedoch nichts an den Bedingungen,
die diese Flucht auslösen.
Im Grunde entspricht dieses Verhalten dem, was viele Jugendliche
schon sehr früh erlernen. Schon Kindern wird Ritalin verschrieben,
wenn sie zu aufgedreht sind. Die Mama wirft etwas ein, wenn es ihr
nicht gut geht. Papa braucht zuerst einmal sein Bier, bevor er in
Stimmung kommt. Und im Fernsehen läuft die Ballermann-Show
als öffentliches Besäufnis und gleichzeitig als ein Symbol
der Konsumgesellschaft bzw. eines entsprechenden Umgangs mit legalen
wie auch illegalisierten Drogen
STÄRKEN ENTFALTEN ANSTATT PROBLEME VERHÄRTEN
Die meisten Schulen räumen inzwischen auch öffentlich
ein, dass Drogen konsumiert werden. Vor wenigen Jahren war dies
noch anders, da wurde höchstens von einer Raucherecke gesprochen,
um nicht dem Ruf der Schule zu schaden. Doch immer wieder stellt
sich die Frage, wie kann man auf diese Jugendlichen eingehen, die
heute mit dieser Konsummentalität Drogen gebrauchen?
Das alte Konzept der Abschreckung hat sich als nicht sinnig erwiesen.
Die meisten von uns kennen noch den netten Polizeibeamten, der mit
dem Drogenkoffer in die Schule kommt. Mit erhobenem Zeigefinger
hat er von Horrortrips und Strafen berichtet. Wirklich erreicht
hat er uns nie, höchstens einige neugierig auf das Verbotene
gemacht.
Und wir kennen alle die Kampagne „Keine macht den Drogen“
und wissen, dass sie letztlich ein Millionen verschlingender Flop
war. Die inneren Widersprüche wurden spätestens dann deutlich,
wenn bei Sportübertragungen im Fernsehen zuerst Fußballspieler
für die Kampagne eintraten, dann aber gleich der Werbeclip
für eine Bierbrauerei als Hauptsponsor lief.
Für viele SchülerInnen war die Kampagne vor allem geeignet,
um sich darüber lustig zu machen. Die Sprüche die daraus
entstanden sind fast so verbreitet wie der Titel der Kampagne: „Alle
Macht den Drogen“ oder „Keine macht den Doofen“
steht auf unzähligen Schultischen. Den Drogenkonsum an sich
hat die Kampagne jedoch nicht verändert.
Wie kann man nun sinnvoll auf Jugendliche eingehen? Notwendig ist
eine sachliche Aufklärung. - Dabei sind auch wir alle hier
als TeilnehmerInnen eines Kongresses wie der Entheovision gefragt.
- Eine Aufklärung, die weder verteufelt noch verharmlost. Eine
Aufklärung, die an den Erfahrungen und Lebensrealitäten
der Jugendlichen ansetzt. Das klingt selbstverständlich, fast
schon banal. Die Wirklichkeit sieht an den meisten Schulen jedoch
anders aus.
Eine sachliche Drogenaufklärung ist nicht nur für die
Jugendlichen wichtig, sondern auch für die Eltern, unabhängig
davon, ob sie selbst konsumieren oder nicht. Wichtig, um zum Beispiel
zu verhindern, dass Eltern in Panik verfallen, wenn der „Spiegel“
mal wieder auf dem Titelbild von der „Seuche Cannabis“
spricht und dabei einen Erstklässler mit einem riesigen Joint
als Schultüte zeigt. Dieses Titelbild hat seinerzeit die sachliche
Diskussion um Cannabis um Jahre zurück geworfen.
Eine sachliche Aufklärung ist aber gerade auch in Anbetracht
der unzähligen Ganja- und Dope-Songs notwendig. Das Bild, das
sie vermitteln, ist zumeist ein völlig einseitiges. Nur äußerst
selten wird in den Songs erwähnt, dass das Kiffen gerade für
Jugendliche auch dunkle Schattenseiten haben kann.
Notwendig ist über die Information hinausgehend insbesondere
ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur auf die Substanz blickt,
sondern die Persönlichkeit genauso wie das soziale bzw. kulturelle
Umfeld einschließt. Eine Aufklärung, die nur die Substanz
beschreibt, greift zu kurz. Der Konsum von Alkohol oder Zigaretten,
von Amphetaminen oder Psychedelika lässt sich erst dann richtig
verstehen, wenn der soziale und kulturelle Kontext angemessen berücksichtigt
wird.
Nicht zuletzt geht es darum, die Persönlichkeit selbst zu stärken.
Eine innerlich gefestigte Person, die sich kreativ entfaltet und
sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzt, geht anders mit Drogen um,
als jemand der nur unreflektiert konsumiert, weil er nicht bereit
oder fähig ist zu hinterfragen.
Es geht darum Stärken zu entwickeln. Und deshalb halte ich
es auch für einen Fehler, wenn im Zusammenhang mit Drogenaufklärung
meist von Suchtprävention gesprochen wird. Es ist der alte
Fehler, dass vorrangig darauf geblickt wird, was krank macht und
wo die Probleme liegen. Einmal mehr wird sich auf negative Energien
konzentriert, anstatt positive Potentiale zu entfalten.
Wesentlich erfolgreicher ist es, verstärkt darauf zu blicken,
was Gesundheit fördert. Wesentlich ist es, Kreativität,
Bewusstsein, Engagement und Mündigkeit bzw. in diesem Zusammenhang
insbesondere auch Drogenmündigkeit zu fördern.
EIN SCHULPROJEKT GEHT ANDERE WEGE
In Frankfurt am Main versuchen wir als Alice-Project im Rahmen eines
Projekttages an Schulen diesen ganzheitlichen Ansatz umzusetzen.
Das Schulprojekt setzt sich im Wesentlichen mit drei Bereichen auseinander:
Engagement, Kreativität und Drogenkonsum. Die Ziele liegen
in der Reflexion der eigenen Person, der entsprechenden Jugendszenen
und des persönlichen Verhältnisses zu Drogen. Dabei sollen
Verantwortung, Eigeninitiative und kreative Potentiale, sowie Drogenmündigkeit
gestärkt werden.
Im Zentrum des Abschnittes zu Drogen stehen Informationen und reflektierende
Diskussionen in angeleiteten Kleingruppen. Die Themen lauten: „Kiffen
ist gesund?“ und „Saufen ist geil“, genauso wie
„Warum nehmen Menschen Drogen?“ und „Was tun bei
Problemen?“. Die Jugendlichen nutzen dabei die Möglichkeit,
um offen über eigene Erfahrungen und Problematiken zu sprechen.
Im Verlauf der Gespräche werden gängige Images von Drogen
hinterfragt bzw. durch eine sachliche und kritische Betrachtungsweise
ersetzt.
Der zweite Abschnitt beinhaltet Kreativ-Angebote in Kleingruppen
mit MusikerInnen des Vereins Playground, die ihre Fähigkeiten
den SchülerInnen vermitteln. An verschiedenen Instrumenten
können sich die Jugendlichen gemeinsam entfalten bzw. spielerisch
ausprobieren oder auch austoben. Oftmals eröffnet sich dadurch
ein neuer Blick auf Strukturen innerhalb der Gruppe, teilweise entstehen
zudem neue Formen spielerischer Kommunikation. Das kreative Potential
der Jugendlichen, das gerade in der modernen Konsumgesellschaft
oftmals verschüttet ist, wird durch das Angebot gezielt angesprochen.
In einem weiteren Abschnitt wird auf Jugend- bzw. Musikszenen eingegangen.
Das Hören und Diskutieren von HipHop-Stücken leitet zur
Lebenssituation der Jugendlichen über. Dabei werden Aspekte
der Konfliktlösung und Veränderung diskutiert. Insbesondere
wird auch die Situation innerhalb der Schule angesprochen und gleichermaßen
auf die Möglichkeiten der Schülervertretung, wie auch
kritisch auf die unter Jugendlichen weit verbreitete Konsumhaltung
hingewiesen.
Es geht dabei immer wieder darum, das Bewusstsein zu vermitteln
bzw. zu stärken, dass man die eigenen Lebensrealitäten
mitgestalten kann und nicht nur passiv konsumieren muss. Wenn es
gelingt, allgemein solch einen Prozess in Bewegung zu setzen, dann
verändert sich in der Regel auch das Verhältnis zu Drogen.
KEINE PARTY OHNE DROGEN
Drogenmündigkeit ist selbstverständlich auch ein zentraler
Begriff, wenn es um Drogen in den Party-Szenen geht. Alle Jugend-
bzw. Musikkulturen hatten und haben ihre besonderen Drogen. Menschen
aller Kulturen und Epochen haben psychoaktive Substanzen genutzt
um in andere Erfahrungswelten einzutauchen.
Wenn ich in Workshops nach der heutigen Party-Droge-Nummer-Eins
frage, dann folgt als Antwort meist eine lange Aufzählung,
die von Ecstasy über Kokain bis hin zu LSD reicht. Meist vergessen
wird die Droge, die so selbstverständlich am häufigsten
konsumiert wird, dass sie als solche gar nicht mehr wahrgenommen
wird: Der Alkohol.
Ob es HipHoper, Technos oder Rock-Fans sind, ob Jugendliche oder
SeniorInnen, das Bier oder der Wein ist fast immer dabei. Entsprechend
ist das Oktoberfest die größte Drogenparty Deutschlands.
Ein Fest mit viel Spaß und Unterhaltung, aber auch mit unzähligen
Überdosierungen, sowie Gewaltdelikten und sexuellen Übergriffen
die eng im Zusammenhang mit dem Konsum der Droge Alkohol stehen.
Die Party-Droge auf dem zweiten Platz ist der Tabak bzw. das Nikotin,
wobei bekanntlich der Zigarettenkonsum im Zusammenhang mit der Zahl
der Erkrankungen und Todesfälle den ersten Platz einnimmt.
Auf den dritten Platz folgt in nahezu allen Jugend- und Partyszenen
Cannabis.
Hinsichtlich des vierten Platzes ist dann jedoch ein genauer Blick
in die einzelnen Subkulturen notwendig. In einigen Party-Szenen
ist es noch immer Ecstasy, meist jedoch inzwischen von Speed überholt.
Kokain nimmt weiterhin in einigen Bereichen eine bedeutende Rolle
ein, während in anderen Szenen psychedelischen Substanzen wie
LSD und Zauberpilze weit verbreitet sind.
Bezeichnender Weise ist Crystal bzw. Meth, das von einigen Medien
in letzter Zeit sensationslüstern als „neue Horrordroge“
stilisiert wurde, in den meisten Großstädten Deutschlands
kaum oder gar nicht verbreitet.
Auch in den Party-Szenen sind die Gebrauchsgründe vielfältig.
Drogen werden genutzt um tiefer in die Musik zu kommen, lockerer
zu sein, sich und anderen näher zu kommen, außergewöhnliche
Realitäten kennen zu lernen und sicherlich zumindest unbewusst
in den inneren Fluss zu kommen von dem am Anfang dieses Vortrages
die Rede war.
Manchmal gleichen diese Partys Spielplätzen von Erwachsenen,
die mit anderen Erfahrungswelten spielen und sie genießen.
Dabei sind diese Erfahrungswelten keineswegs nur künstliche
Zustände wie so oft unterstellt wird. Vielmehr wird oftmals
mit Hilfe psychoaktiver Substanzen etwas freigelegt, was die entsprechende
Person bereits im Innern in sich trägt. Dies gilt für
positive wie für negative Erfahrungen.
Bei einem Teil der User ist der Gebrauch von einer reflektierten
Haltung geprägt. Vielen DrogengebraucherInnen gelingt es jedoch
nicht, ihre Erfahrungen in den Alltag zu übertragen. Gerade
auch in den Party-Szenen ist eine passive Konsummentalität
vorherrschend. Es fehlt zumeist völlig an einer reflektierenden
Auseinandersetzung mit den verschiedenen Realitäten oder einer
Auseinandersetzung mit dem eigenen Dogengebrauch. „Und noch
’ne Pille, noch ’nen Joint, noch ’n Bier. Nicht
tief, sondern nur breit, drauf, verpeilt...“
SELBSTORGANISATION UND DROGENMÜNDIGKEIT
Seit Mitte der neunziger Jahre versuchen Basisgruppen und Szene-Initiativen
dieser unreflektierten Haltung, aber auch der Dämonisierung
von Drogen entgegenzutreten. Projektgruppen wie Eve&Rave, Eclipse,,
Drug Scouts und Alice bzw. das Sonics-Cybertribe-Netzwerk als entsprechender
Zusammenschluss vertreten dabei das Konzept der Drogenmündigkeit.
Drogenmündigkeit schließt die Fähigkeit ein, sich
selbst einschätzen zu können, die Fähigkeit, auf
der Basis von Informationen mit psychoaktiven Substanzen reflektiert
umgehen zu können, und auch die Fähigkeit, nicht aber
den Zwang, zur Abstinenz.
Drogenmündigkeit heißt entsprechend auch einschätzen
zu können, wann es sinnvoll sein kann Grenzen zu überwinden,
aber auch wann man problematische Grenzen als solche akzeptieren
muss.
Die Beantwortung der Frage, ob man sich überhaupt einer psychoaktiven
bzw. psychedelischen Erfahrung öffnen sollte, hängt von
sehr vielen Faktoren ab. Ein entscheidender Aspekt ist das Ziel.
„Wohin will ich überhaupt, was will ich erfahren, was
kann ich erkennen?“ Und ein zweiter grundlegender Aspekt ist
die Frage des Weges. „Bin ich bereit und in der Lage mich
auf diesen Weg in die anderen Wirklichkeiten überhaupt einzulassen?
Welche positiven Potentiale können dadurch eröffnet werden?
Welche Gefahren sind für mich damit verbunden?“
Es ist längst auch im Sinne der aufgeklärten westlichen
Wissenschaft belegt, dass es mit Hilfe psychoaktiver Substanzen
möglich ist, beglückende, tiefe und aufbrechende Erfahrungen
zu machen.
Wir sollten uns aber immer auch in Erinnerung rufen, dass sich viel
zu viele PsychonautInnen in den anderen Wirklichkeiten verfangen
haben und nicht wieder zurückkamen.
DIE ENTWICKLUNG VON FREIRÄUMEN
Ein Erfolg der Basisgruppen ist sicherlich über die Jahre hinweg,
dass es in einigen Bereichen bzw. einigen Städten gelungen
ist, den Umgang mit Drogen nachhaltig in einer positiven Weise zu
beeinflussen.
Den Basisgruppen gelang es daneben zumindest in einem kleinen Rahmen
Möglichkeiten zu eröffnen, sich über Erfahrungen
gemeinschaftlich auszutauschen, was ansonsten in den verschiedenen
Party- und Musikkulturen kaum gegeben ist. Dies gilt für Drogenerlebnisse,
Trance-Gefühle beim Tanzen oder auch die Verbindung von Party
und politischer Aktion.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen fehlen solche Möglichkeiten
des Austausches über eigene Erfahrungen und Bedürfnisse.
Es fehlt vor Ort beispielsweise ein Gesprächsforum oder eine
Aktionsgruppe, in deren Rahmen die konkrete erfahrene Wirklichkeit
reflektiert und neu gestaltet werden kann. Dies gilt oftmals auch
für den Bereich der Drogen, nicht zuletzt weil der Gebrauch
weitgehend kriminalisiert bzw. stigmatisiert ist.
Ein solcher Ansatz der Selbstorganisation ist politisch bzw. in
diesem Fall auch drogenpolitisch, selbst wenn er nicht immer von
den Beteiligten als solcher definiert wird.
Gerade in einem Gesellschaftssystem, das unablässig auf Leistung,
Profit, und Konkurrenz basiert, ist es notwendig Freiräume
in den unterschiedlichsten Bereichen zu entwickeln. Freiräume
bzw. „Temporäre Autonome Zonen“ im Sinne des US-amerikanischen
Philosophen Hakim Bey, in denen zumindest der Ansatz eines anderen
Lebens möglich ist.
Freiraum steht dabei keineswegs für Chaos, auch nicht für
ein egozentrisches Ausleben von Bedürfnissen oder ein unreflektierter
Konsum aller verfügbaren Drogen. Ein Freiraum schließt
in diesem Verständnis vielmehr Gemeinschaftlichkeit, Gleichberechtigung
und Selbstbestimmung ein, genauso wie Verantwortung und Mündigkeit.
POLITISCHE DROGEN
Gerade ein derartiges politisches bzw. gesamtgesellschaftliches
Verständnis ist in den meisten Projekten, die sich mit der
Drogenthematik beschäftigen, kaum ausgeprägt. Vielmehr
wird oftmals in der Legalize-Bewegung oder im politischen Teil der
psychedelischen Szene einzelnen Substanzen eine die Gesellschaft
verändernde Kraft zugewiesen.
Bei den Hippies der späten sechziger Jahre war es die mit dem
LSD verbundene Erwartung, dass man durch den Konsum zu einem besseren
Menschen wird und die Erde sich in eine Welt des Friedens und der
Erkenntnis wandelt. Wenn man Texte von Timothy Leary oder Jerry
Rubin, einem Wortführer des politischen Flügels der Hippies
liest, dann wird man ständig mit entsprechenden Erwartungen
konfrontiert.
Doch bezeichnender Weise wurde gerade der psychedelische Revolutionär
Rubin einige Jahre später zum Börsenmakler und warf dabei
alle einstigen Ideale über Bord. Es reicht eben nicht einige
Trips einzuwerfen oder ein mitreißendes Flugblatt zu schreiben.
Ähnliche Ansätze lassen sich auch in der Techno-Kultur
der ersten Jahre finden. Da sprach man ausdrücklich von der
„E-volution“, wobei das E am Anfang des Begriffs besonders
hervorgehoben wurde und für Ecstasy stand. Hier bestand die
hoffnungsvolle Erwartung, dass sich die Gesellschaft mit Hilfe von
Ecstasy zu einer gemeinschaftlichen und friedlichen Kultur des „Love,
Peace and Unity“ wandelt. Doch schon bald wurde die Techno-Kultur
in ihrer Hauptströmung schneller vermarktet als alle Musikkulturen
zuvor.
Terence McKenna, der längst eine Kultfigur der psychedelischen
Bewegung geworden ist, sprach sogar von einem archaischen Revival.
In seinen Vorträgen zog er eine Verbindungslinie von den traditionellen
Schamanen bis zu den Ritualen der Party-Kultur und kündigte
eine entsprechende Zeitenwende an, die allerdings bis heute offensichtlich
nicht eingetreten ist.
Mckenna hatte, wie auch die angesprochenen Teile der Hippie- und
Techno-Kultur, offensichtlich die Dynamik des kapitalistischen Systems
unterschätzt, das selbst noch seine Antithese verwertet. Die
Ideale der Bewegungen wurden vereinnahmt, die Musik abgerundet,
die Ästhetik vermarktet. Das System war einmal mehr stärker.
Teile dieser Bewegungen waren zeitweise Inseln, genauso wie die
Entheovision als Kongress zeitweise eine Insel ist. Doch wir dürfen
nicht vergessen, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist. Und
was für uns hier auf dem Kongress selbstverständlich sein
mag, das kann schon einen Häuserblock weiter auf völlige
Ablehnung oder Unverständnis stoßen.
Notwendig ist vor diesem Hintergrund immer wieder die Verbindung
von innerer persönlicher Entwicklung und äußerer
gesellschaftlicher Veränderung. Wer sich nur mit der eigenen
Weiterentwicklung beschäftigt, der wird genauso in einer Sackgasse
enden, wie diejenigen, die sich einseitig auf die gesellschaftliche
Veränderung konzentrieren, ohne sich selbst kritisch zu reflektieren.
Notwendig ist eine radikale Transzendenz, also eine Überschreitung
einschränkender Grenzen innerhalb und außerhalb der einzelnen
Person. Notwendig ist ebenso eine konsequente soziale Transformation,
die an den Wurzeln ansetzt und repressive Bedingungen befreiend
verändert.
COCA-BAUERN UND PHARMA-LABORS
Wenn man sich den Bereich Drogen und Politik genauer betrachtet,
dann wird man viele Zusammenhänge erkennen, die weit über
die politische Diskussion der gegenwärtigen Gesetzeslage hinausgeht.
Es gibt nicht nur ein individuelles Set und Setting im Zusammenhang
mit einem Drogenkonsum, sondern auch ein gesellschaftliches und
politisches.
Ein Beispiel sind die Auseinandersetzungen um die Patentrechte für
Ayahuasca. Seit Jahren versuchen US-amerikanische Konzerne sich
die entsprechenden Rechte zu sichern, um ganz im Zeichen der Globalisierung
weltweit die Wirkstoffe zu vermarkten.
Beispielhaft sind auch immer wieder die Entscheidungsprozesse im
Zusammenhang mit der rechtlichen Stellung oder der medizinischen
Nutzung von psychoaktiven Substanzen. Hier spielen in vielen Fällen
keine sachlichen Argumente, sondern vielfältige ideologische
und ökonomische Interessen die entscheidende Rolle.
Politisch ist die Auseinandersetzung um den Coca-Anbau in Mittelamerika.
Wenn dieser in Bolivien nun verstärkt von staatlicher Seite
gefördert wird, dann ist dies ein drogenpolitischer Schritt
und gleichzeitig auch ein Ausdruck einer antiimperialistischen Politik.
Und selbstverständlich geht es auch beim „War on Drugs“
nur vordergründig um den „Schutz der Jugend“, sondern
um Macht, Kontrolle und Profite.
Es gibt aber auch Situationen in denen bestimmte Substanzen von
Staaten gezielt eingesetzt werden, die ansonsten den „Krieg
gegen Drogen“ führen. So ist der Besitz von Amphetamin
bzw. Speed in den Vereinigten Staaten verboten. Im Irak-Krieg wurde
es jedoch von den militärischen Befehlsträgern an US-amerikanische
Piloten ausgegeben, damit diese bei Kampfeinsätzen länger
durchhalten und Angstgefühle unterdrückt werden.
Ein anderes Beispiel für die Verbindung von Drogen und Politik
sind Substanzen, die geduldet werden, um subversive Strukturen zu
zerstören. So wurde in Italien in einigen Städten der
Besitz von Heroin im ganzen Stadtgebiet verfolgt, nur in der Nähe
von linken Kulturzentren und besetzten Häusern wurde er geduldet.
Dies führte dazu, dass sich die Heroin-Szene und die entsprechenden
Probleme dorthin verlagerten.
Man sollte jedoch auch nicht in Paranoia und Verschwörungstheorien
verfallen. Manch eine politische oder kulturelle Gruppe braucht
gar nicht den Druck von Außen um sich zu schwächen. Da
genügen ein, zwei Joints, die bei einem Treffen die Runde machen,
und danach wandelt sich der Aktionismus in eine chillige Diskussion
über all das, was man noch machen könnte und sollte, was
aber letztlich nie umgesetzt wird.
Auch die Frage der Information und Aufklärung ist politisch.
Wird auf Abschreckung gesetzt und den Menschen generell die Fähigkeit
einer freien, bewussten Entscheidung abgesprochen. Oder wird von
der potentiellen Mündigkeit, in diesem Falle der Drogenmündigkeit,
des Einzelnen ausgegangen.
Politisch ist selbstverständlich auch die Perfektionierung
legaler Drogen in den Laboratorien der Pharma-Industrie. Dort werden
beständig neue profitbringende Substanzen produziert, die helfen
angenehme emotionale Zustände zu erzeugen und den stressbelasteten
Alltag funktionierend mit einem Lächeln zu ertragen.
Deutlich wird gerade im Verhältnis von Politik und psychoaktiven
Substanzen immer wieder, dass die persönliche und die gesellschaftliche
Ebene fließend ineinander übergehen. Deutlich wird aber
auch, dass eine Verbindung von persönlicher Transzendenz mit
sozialer Transformation möglich wie auch notwendig ist. Die
Sterne sind erreichbar, aber nur wenn wir es wirklich wollen.
- * -
Zusammenfassung eines Vortrags auf der
Entheovision; Berlin, Botanischer Garten, 27.05.06.
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www.sterneck.net

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