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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

POLITISCHE DROGEN UND PSYCHOAKTIVE UTOPIEN
Gesellschaftliche Realitäten zwischen Draufsein, Drogenmündigkeit und Veränderung


- Per Knopfdruck glücklich
- Stärken entfalten anstatt Probleme verhärten
- Ein Schulprojekt geht andere Wege
- Keine Party ohne Drogen
- Selbstorganisation und Drogenmündigkeit
- Die Entwicklung von Freiräumen
- Politische Drogen
- Coca-Bauern und Pharma-Labors


PER KNOPFDRUCK GLÜCKLICH

Es gibt zweifellos eine Vielzahl von Gründen, warum Menschen psychoaktive Substanzen gebrauchen. Ein Grund, den wir alle in uns tragen, ist die Sehnsucht nach dem inneren Fließen, nach dem Flow, nach dem Zustand des Losgelöst-Seins. - Befreit von den inneren körperlichen Blockaden, befreit von den äußeren gesellschaftlichen Barrieren und Fesseln.

Es bestehen viele Wege um diesen Zustand zu erreichen, um dieses innere Utopia zur Realität werden zu lassen. Dazu gehören besondere Atemtechniken, sexuelle Erlebnisse, ekstatische Trance-Zustände, persönliche Glückserfahrungen und unter bestimmten Bedingungen auch der Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Doch im Alltag erscheint dieser Zustand des Fließens meist wie ein ferner Traum, wie ein fernes Utopia. Und die meisten haben längst aufgehört diesen Traum zu träumen, haben längst vergessen, dass es möglich ist dieses Utopia real werden zu lassen.

Gegenwärtig ist der Umgang mit legalen wie mit illegalisierten Drogen meist von einer Konsummentalität geprägt. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man das Verhältnis von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Drogen betrachtet. Der Umgang mit Drogen gleicht oftmals einer Mentalität, die mit dem Benutzen eines Fernsehgerätes vergleichbar ist. Man will Spaß haben und wenn das Programm zu langweilig oder zu anstrengend ist, dann zappt man per Knopfdruck ins nächste und weiter ins nächste.

Und wenn einem die Situation in der man sich gerade befindet oder der Gefühlszustand nicht zusagt, dann wirft man eben etwas ein oder betrinkt sich. Wie durch einen Knopfdruck auf der Fernbedienung wird angestrebt in eine andere Realität eintauchen, um „Spaaaß“ zu haben. - Hauptsache breit, drauf oder auf eine andere Weise irgendwie abgeschossen.

In der Regel werden dabei weder die eigenen Bedürfnisse noch die äußeren Verhältnisse hinterfragt, die ein derartiges Verhalten erzeugen. Und so ist diese Konsummentalität auch Ausdruck einer inneren Leere und einer Flucht. Sie ist aber auch Ausdruck von Manipulation durch Medien und Gesellschaft, die auf vielfältige Weise eine solche Haltung vermitteln. Letztlich ändert eine derartige Flucht jedoch nichts an den Bedingungen, die diese Flucht auslösen.

Im Grunde entspricht dieses Verhalten dem, was viele Jugendliche schon sehr früh erlernen. Schon Kindern wird Ritalin verschrieben, wenn sie zu aufgedreht sind. Die Mama wirft etwas ein, wenn es ihr nicht gut geht. Papa braucht zuerst einmal sein Bier, bevor er in Stimmung kommt. Und im Fernsehen läuft die Ballermann-Show als öffentliches Besäufnis und gleichzeitig als ein Symbol der Konsumgesellschaft bzw. eines entsprechenden Umgangs mit legalen wie auch illegalisierten Drogen


STÄRKEN ENTFALTEN ANSTATT PROBLEME VERHÄRTEN

Die meisten Schulen räumen inzwischen auch öffentlich ein, dass Drogen konsumiert werden. Vor wenigen Jahren war dies noch anders, da wurde höchstens von einer Raucherecke gesprochen, um nicht dem Ruf der Schule zu schaden. Doch immer wieder stellt sich die Frage, wie kann man auf diese Jugendlichen eingehen, die heute mit dieser Konsummentalität Drogen gebrauchen?

Das alte Konzept der Abschreckung hat sich als nicht sinnig erwiesen. Die meisten von uns kennen noch den netten Polizeibeamten, der mit dem Drogenkoffer in die Schule kommt. Mit erhobenem Zeigefinger hat er von Horrortrips und Strafen berichtet. Wirklich erreicht hat er uns nie, höchstens einige neugierig auf das Verbotene gemacht.

Und wir kennen alle die Kampagne „Keine macht den Drogen“ und wissen, dass sie letztlich ein Millionen verschlingender Flop war. Die inneren Widersprüche wurden spätestens dann deutlich, wenn bei Sportübertragungen im Fernsehen zuerst Fußballspieler für die Kampagne eintraten, dann aber gleich der Werbeclip für eine Bierbrauerei als Hauptsponsor lief.

Für viele SchülerInnen war die Kampagne vor allem geeignet, um sich darüber lustig zu machen. Die Sprüche die daraus entstanden sind fast so verbreitet wie der Titel der Kampagne: „Alle Macht den Drogen“ oder „Keine macht den Doofen“ steht auf unzähligen Schultischen. Den Drogenkonsum an sich hat die Kampagne jedoch nicht verändert.

Wie kann man nun sinnvoll auf Jugendliche eingehen? Notwendig ist eine sachliche Aufklärung. - Dabei sind auch wir alle hier als TeilnehmerInnen eines Kongresses wie der Entheovision gefragt. - Eine Aufklärung, die weder verteufelt noch verharmlost. Eine Aufklärung, die an den Erfahrungen und Lebensrealitäten der Jugendlichen ansetzt. Das klingt selbstverständlich, fast schon banal. Die Wirklichkeit sieht an den meisten Schulen jedoch anders aus.

Eine sachliche Drogenaufklärung ist nicht nur für die Jugendlichen wichtig, sondern auch für die Eltern, unabhängig davon, ob sie selbst konsumieren oder nicht. Wichtig, um zum Beispiel zu verhindern, dass Eltern in Panik verfallen, wenn der „Spiegel“ mal wieder auf dem Titelbild von der „Seuche Cannabis“ spricht und dabei einen Erstklässler mit einem riesigen Joint als Schultüte zeigt. Dieses Titelbild hat seinerzeit die sachliche Diskussion um Cannabis um Jahre zurück geworfen.

Eine sachliche Aufklärung ist aber gerade auch in Anbetracht der unzähligen Ganja- und Dope-Songs notwendig. Das Bild, das sie vermitteln, ist zumeist ein völlig einseitiges. Nur äußerst selten wird in den Songs erwähnt, dass das Kiffen gerade für Jugendliche auch dunkle Schattenseiten haben kann.

Notwendig ist über die Information hinausgehend insbesondere ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur auf die Substanz blickt, sondern die Persönlichkeit genauso wie das soziale bzw. kulturelle Umfeld einschließt. Eine Aufklärung, die nur die Substanz beschreibt, greift zu kurz. Der Konsum von Alkohol oder Zigaretten, von Amphetaminen oder Psychedelika lässt sich erst dann richtig verstehen, wenn der soziale und kulturelle Kontext angemessen berücksichtigt wird.

Nicht zuletzt geht es darum, die Persönlichkeit selbst zu stärken. Eine innerlich gefestigte Person, die sich kreativ entfaltet und sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzt, geht anders mit Drogen um, als jemand der nur unreflektiert konsumiert, weil er nicht bereit oder fähig ist zu hinterfragen.

Es geht darum Stärken zu entwickeln. Und deshalb halte ich es auch für einen Fehler, wenn im Zusammenhang mit Drogenaufklärung meist von Suchtprävention gesprochen wird. Es ist der alte Fehler, dass vorrangig darauf geblickt wird, was krank macht und wo die Probleme liegen. Einmal mehr wird sich auf negative Energien konzentriert, anstatt positive Potentiale zu entfalten.

Wesentlich erfolgreicher ist es, verstärkt darauf zu blicken, was Gesundheit fördert. Wesentlich ist es, Kreativität, Bewusstsein, Engagement und Mündigkeit bzw. in diesem Zusammenhang insbesondere auch Drogenmündigkeit zu fördern.


EIN SCHULPROJEKT GEHT ANDERE WEGE

In Frankfurt am Main versuchen wir als Alice-Project im Rahmen eines Projekttages an Schulen diesen ganzheitlichen Ansatz umzusetzen. Das Schulprojekt setzt sich im Wesentlichen mit drei Bereichen auseinander: Engagement, Kreativität und Drogenkonsum. Die Ziele liegen in der Reflexion der eigenen Person, der entsprechenden Jugendszenen und des persönlichen Verhältnisses zu Drogen. Dabei sollen Verantwortung, Eigeninitiative und kreative Potentiale, sowie Drogenmündigkeit gestärkt werden.

Im Zentrum des Abschnittes zu Drogen stehen Informationen und reflektierende Diskussionen in angeleiteten Kleingruppen. Die Themen lauten: „Kiffen ist gesund?“ und „Saufen ist geil“, genauso wie „Warum nehmen Menschen Drogen?“ und „Was tun bei Problemen?“. Die Jugendlichen nutzen dabei die Möglichkeit, um offen über eigene Erfahrungen und Problematiken zu sprechen. Im Verlauf der Gespräche werden gängige Images von Drogen hinterfragt bzw. durch eine sachliche und kritische Betrachtungsweise ersetzt.

Der zweite Abschnitt beinhaltet Kreativ-Angebote in Kleingruppen mit MusikerInnen des Vereins Playground, die ihre Fähigkeiten den SchülerInnen vermitteln. An verschiedenen Instrumenten können sich die Jugendlichen gemeinsam entfalten bzw. spielerisch ausprobieren oder auch austoben. Oftmals eröffnet sich dadurch ein neuer Blick auf Strukturen innerhalb der Gruppe, teilweise entstehen zudem neue Formen spielerischer Kommunikation. Das kreative Potential der Jugendlichen, das gerade in der modernen Konsumgesellschaft oftmals verschüttet ist, wird durch das Angebot gezielt angesprochen.

In einem weiteren Abschnitt wird auf Jugend- bzw. Musikszenen eingegangen. Das Hören und Diskutieren von HipHop-Stücken leitet zur Lebenssituation der Jugendlichen über. Dabei werden Aspekte der Konfliktlösung und Veränderung diskutiert. Insbesondere wird auch die Situation innerhalb der Schule angesprochen und gleichermaßen auf die Möglichkeiten der Schülervertretung, wie auch kritisch auf die unter Jugendlichen weit verbreitete Konsumhaltung hingewiesen.

Es geht dabei immer wieder darum, das Bewusstsein zu vermitteln bzw. zu stärken, dass man die eigenen Lebensrealitäten mitgestalten kann und nicht nur passiv konsumieren muss. Wenn es gelingt, allgemein solch einen Prozess in Bewegung zu setzen, dann verändert sich in der Regel auch das Verhältnis zu Drogen.


KEINE PARTY OHNE DROGEN

Drogenmündigkeit ist selbstverständlich auch ein zentraler Begriff, wenn es um Drogen in den Party-Szenen geht. Alle Jugend- bzw. Musikkulturen hatten und haben ihre besonderen Drogen. Menschen aller Kulturen und Epochen haben psychoaktive Substanzen genutzt um in andere Erfahrungswelten einzutauchen.

Wenn ich in Workshops nach der heutigen Party-Droge-Nummer-Eins frage, dann folgt als Antwort meist eine lange Aufzählung, die von Ecstasy über Kokain bis hin zu LSD reicht. Meist vergessen wird die Droge, die so selbstverständlich am häufigsten konsumiert wird, dass sie als solche gar nicht mehr wahrgenommen wird: Der Alkohol.

Ob es HipHoper, Technos oder Rock-Fans sind, ob Jugendliche oder SeniorInnen, das Bier oder der Wein ist fast immer dabei. Entsprechend ist das Oktoberfest die größte Drogenparty Deutschlands. Ein Fest mit viel Spaß und Unterhaltung, aber auch mit unzähligen Überdosierungen, sowie Gewaltdelikten und sexuellen Übergriffen die eng im Zusammenhang mit dem Konsum der Droge Alkohol stehen.

Die Party-Droge auf dem zweiten Platz ist der Tabak bzw. das Nikotin, wobei bekanntlich der Zigarettenkonsum im Zusammenhang mit der Zahl der Erkrankungen und Todesfälle den ersten Platz einnimmt. Auf den dritten Platz folgt in nahezu allen Jugend- und Partyszenen Cannabis.

Hinsichtlich des vierten Platzes ist dann jedoch ein genauer Blick in die einzelnen Subkulturen notwendig. In einigen Party-Szenen ist es noch immer Ecstasy, meist jedoch inzwischen von Speed überholt. Kokain nimmt weiterhin in einigen Bereichen eine bedeutende Rolle ein, während in anderen Szenen psychedelischen Substanzen wie LSD und Zauberpilze weit verbreitet sind.

Bezeichnender Weise ist Crystal bzw. Meth, das von einigen Medien in letzter Zeit sensationslüstern als „neue Horrordroge“ stilisiert wurde, in den meisten Großstädten Deutschlands kaum oder gar nicht verbreitet.

Auch in den Party-Szenen sind die Gebrauchsgründe vielfältig. Drogen werden genutzt um tiefer in die Musik zu kommen, lockerer zu sein, sich und anderen näher zu kommen, außergewöhnliche Realitäten kennen zu lernen und sicherlich zumindest unbewusst in den inneren Fluss zu kommen von dem am Anfang dieses Vortrages die Rede war.

Manchmal gleichen diese Partys Spielplätzen von Erwachsenen, die mit anderen Erfahrungswelten spielen und sie genießen. Dabei sind diese Erfahrungswelten keineswegs nur künstliche Zustände wie so oft unterstellt wird. Vielmehr wird oftmals mit Hilfe psychoaktiver Substanzen etwas freigelegt, was die entsprechende Person bereits im Innern in sich trägt. Dies gilt für positive wie für negative Erfahrungen.

Bei einem Teil der User ist der Gebrauch von einer reflektierten Haltung geprägt. Vielen DrogengebraucherInnen gelingt es jedoch nicht, ihre Erfahrungen in den Alltag zu übertragen. Gerade auch in den Party-Szenen ist eine passive Konsummentalität vorherrschend. Es fehlt zumeist völlig an einer reflektierenden Auseinandersetzung mit den verschiedenen Realitäten oder einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Dogengebrauch. „Und noch ’ne Pille, noch ’nen Joint, noch ’n Bier. Nicht tief, sondern nur breit, drauf, verpeilt...“


SELBSTORGANISATION UND DROGENMÜNDIGKEIT

Seit Mitte der neunziger Jahre versuchen Basisgruppen und Szene-Initiativen dieser unreflektierten Haltung, aber auch der Dämonisierung von Drogen entgegenzutreten. Projektgruppen wie Eve&Rave, Eclipse,, Drug Scouts und Alice bzw. das Sonics-Cybertribe-Netzwerk als entsprechender Zusammenschluss vertreten dabei das Konzept der Drogenmündigkeit.

Drogenmündigkeit schließt die Fähigkeit ein, sich selbst einschätzen zu können, die Fähigkeit, auf der Basis von Informationen mit psychoaktiven Substanzen reflektiert umgehen zu können, und auch die Fähigkeit, nicht aber den Zwang, zur Abstinenz.

Drogenmündigkeit heißt entsprechend auch einschätzen zu können, wann es sinnvoll sein kann Grenzen zu überwinden, aber auch wann man problematische Grenzen als solche akzeptieren muss.

Die Beantwortung der Frage, ob man sich überhaupt einer psychoaktiven bzw. psychedelischen Erfahrung öffnen sollte, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Ein entscheidender Aspekt ist das Ziel. „Wohin will ich überhaupt, was will ich erfahren, was kann ich erkennen?“ Und ein zweiter grundlegender Aspekt ist die Frage des Weges. „Bin ich bereit und in der Lage mich auf diesen Weg in die anderen Wirklichkeiten überhaupt einzulassen? Welche positiven Potentiale können dadurch eröffnet werden? Welche Gefahren sind für mich damit verbunden?“

Es ist längst auch im Sinne der aufgeklärten westlichen Wissenschaft belegt, dass es mit Hilfe psychoaktiver Substanzen möglich ist, beglückende, tiefe und aufbrechende Erfahrungen zu machen.

Wir sollten uns aber immer auch in Erinnerung rufen, dass sich viel zu viele PsychonautInnen in den anderen Wirklichkeiten verfangen haben und nicht wieder zurückkamen.


DIE ENTWICKLUNG VON FREIRÄUMEN

Ein Erfolg der Basisgruppen ist sicherlich über die Jahre hinweg, dass es in einigen Bereichen bzw. einigen Städten gelungen ist, den Umgang mit Drogen nachhaltig in einer positiven Weise zu beeinflussen.

Den Basisgruppen gelang es daneben zumindest in einem kleinen Rahmen Möglichkeiten zu eröffnen, sich über Erfahrungen gemeinschaftlich auszutauschen, was ansonsten in den verschiedenen Party- und Musikkulturen kaum gegeben ist. Dies gilt für Drogenerlebnisse, Trance-Gefühle beim Tanzen oder auch die Verbindung von Party und politischer Aktion.

In vielen gesellschaftlichen Bereichen fehlen solche Möglichkeiten des Austausches über eigene Erfahrungen und Bedürfnisse. Es fehlt vor Ort beispielsweise ein Gesprächsforum oder eine Aktionsgruppe, in deren Rahmen die konkrete erfahrene Wirklichkeit reflektiert und neu gestaltet werden kann. Dies gilt oftmals auch für den Bereich der Drogen, nicht zuletzt weil der Gebrauch weitgehend kriminalisiert bzw. stigmatisiert ist.

Ein solcher Ansatz der Selbstorganisation ist politisch bzw. in diesem Fall auch drogenpolitisch, selbst wenn er nicht immer von den Beteiligten als solcher definiert wird.

Gerade in einem Gesellschaftssystem, das unablässig auf Leistung, Profit, und Konkurrenz basiert, ist es notwendig Freiräume in den unterschiedlichsten Bereichen zu entwickeln. Freiräume bzw. „Temporäre Autonome Zonen“ im Sinne des US-amerikanischen Philosophen Hakim Bey, in denen zumindest der Ansatz eines anderen Lebens möglich ist.

Freiraum steht dabei keineswegs für Chaos, auch nicht für ein egozentrisches Ausleben von Bedürfnissen oder ein unreflektierter Konsum aller verfügbaren Drogen. Ein Freiraum schließt in diesem Verständnis vielmehr Gemeinschaftlichkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein, genauso wie Verantwortung und Mündigkeit.


POLITISCHE DROGEN

Gerade ein derartiges politisches bzw. gesamtgesellschaftliches Verständnis ist in den meisten Projekten, die sich mit der Drogenthematik beschäftigen, kaum ausgeprägt. Vielmehr wird oftmals in der Legalize-Bewegung oder im politischen Teil der psychedelischen Szene einzelnen Substanzen eine die Gesellschaft verändernde Kraft zugewiesen.

Bei den Hippies der späten sechziger Jahre war es die mit dem LSD verbundene Erwartung, dass man durch den Konsum zu einem besseren Menschen wird und die Erde sich in eine Welt des Friedens und der Erkenntnis wandelt. Wenn man Texte von Timothy Leary oder Jerry Rubin, einem Wortführer des politischen Flügels der Hippies liest, dann wird man ständig mit entsprechenden Erwartungen konfrontiert.

Doch bezeichnender Weise wurde gerade der psychedelische Revolutionär Rubin einige Jahre später zum Börsenmakler und warf dabei alle einstigen Ideale über Bord. Es reicht eben nicht einige Trips einzuwerfen oder ein mitreißendes Flugblatt zu schreiben.

Ähnliche Ansätze lassen sich auch in der Techno-Kultur der ersten Jahre finden. Da sprach man ausdrücklich von der „E-volution“, wobei das E am Anfang des Begriffs besonders hervorgehoben wurde und für Ecstasy stand. Hier bestand die hoffnungsvolle Erwartung, dass sich die Gesellschaft mit Hilfe von Ecstasy zu einer gemeinschaftlichen und friedlichen Kultur des „Love, Peace and Unity“ wandelt. Doch schon bald wurde die Techno-Kultur in ihrer Hauptströmung schneller vermarktet als alle Musikkulturen zuvor.

Terence McKenna, der längst eine Kultfigur der psychedelischen Bewegung geworden ist, sprach sogar von einem archaischen Revival. In seinen Vorträgen zog er eine Verbindungslinie von den traditionellen Schamanen bis zu den Ritualen der Party-Kultur und kündigte eine entsprechende Zeitenwende an, die allerdings bis heute offensichtlich nicht eingetreten ist.

Mckenna hatte, wie auch die angesprochenen Teile der Hippie- und Techno-Kultur, offensichtlich die Dynamik des kapitalistischen Systems unterschätzt, das selbst noch seine Antithese verwertet. Die Ideale der Bewegungen wurden vereinnahmt, die Musik abgerundet, die Ästhetik vermarktet. Das System war einmal mehr stärker.

Teile dieser Bewegungen waren zeitweise Inseln, genauso wie die Entheovision als Kongress zeitweise eine Insel ist. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist. Und was für uns hier auf dem Kongress selbstverständlich sein mag, das kann schon einen Häuserblock weiter auf völlige Ablehnung oder Unverständnis stoßen.

Notwendig ist vor diesem Hintergrund immer wieder die Verbindung von innerer persönlicher Entwicklung und äußerer gesellschaftlicher Veränderung. Wer sich nur mit der eigenen Weiterentwicklung beschäftigt, der wird genauso in einer Sackgasse enden, wie diejenigen, die sich einseitig auf die gesellschaftliche Veränderung konzentrieren, ohne sich selbst kritisch zu reflektieren.

Notwendig ist eine radikale Transzendenz, also eine Überschreitung einschränkender Grenzen innerhalb und außerhalb der einzelnen Person. Notwendig ist ebenso eine konsequente soziale Transformation, die an den Wurzeln ansetzt und repressive Bedingungen befreiend verändert.


COCA-BAUERN UND PHARMA-LABORS

Wenn man sich den Bereich Drogen und Politik genauer betrachtet, dann wird man viele Zusammenhänge erkennen, die weit über die politische Diskussion der gegenwärtigen Gesetzeslage hinausgeht. Es gibt nicht nur ein individuelles Set und Setting im Zusammenhang mit einem Drogenkonsum, sondern auch ein gesellschaftliches und politisches.

Ein Beispiel sind die Auseinandersetzungen um die Patentrechte für Ayahuasca. Seit Jahren versuchen US-amerikanische Konzerne sich die entsprechenden Rechte zu sichern, um ganz im Zeichen der Globalisierung weltweit die Wirkstoffe zu vermarkten.

Beispielhaft sind auch immer wieder die Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit der rechtlichen Stellung oder der medizinischen Nutzung von psychoaktiven Substanzen. Hier spielen in vielen Fällen keine sachlichen Argumente, sondern vielfältige ideologische und ökonomische Interessen die entscheidende Rolle.

Politisch ist die Auseinandersetzung um den Coca-Anbau in Mittelamerika. Wenn dieser in Bolivien nun verstärkt von staatlicher Seite gefördert wird, dann ist dies ein drogenpolitischer Schritt und gleichzeitig auch ein Ausdruck einer antiimperialistischen Politik.

Und selbstverständlich geht es auch beim „War on Drugs“ nur vordergründig um den „Schutz der Jugend“, sondern um Macht, Kontrolle und Profite.

Es gibt aber auch Situationen in denen bestimmte Substanzen von Staaten gezielt eingesetzt werden, die ansonsten den „Krieg gegen Drogen“ führen. So ist der Besitz von Amphetamin bzw. Speed in den Vereinigten Staaten verboten. Im Irak-Krieg wurde es jedoch von den militärischen Befehlsträgern an US-amerikanische Piloten ausgegeben, damit diese bei Kampfeinsätzen länger durchhalten und Angstgefühle unterdrückt werden.

Ein anderes Beispiel für die Verbindung von Drogen und Politik sind Substanzen, die geduldet werden, um subversive Strukturen zu zerstören. So wurde in Italien in einigen Städten der Besitz von Heroin im ganzen Stadtgebiet verfolgt, nur in der Nähe von linken Kulturzentren und besetzten Häusern wurde er geduldet. Dies führte dazu, dass sich die Heroin-Szene und die entsprechenden Probleme dorthin verlagerten.

Man sollte jedoch auch nicht in Paranoia und Verschwörungstheorien verfallen. Manch eine politische oder kulturelle Gruppe braucht gar nicht den Druck von Außen um sich zu schwächen. Da genügen ein, zwei Joints, die bei einem Treffen die Runde machen, und danach wandelt sich der Aktionismus in eine chillige Diskussion über all das, was man noch machen könnte und sollte, was aber letztlich nie umgesetzt wird.

Auch die Frage der Information und Aufklärung ist politisch. Wird auf Abschreckung gesetzt und den Menschen generell die Fähigkeit einer freien, bewussten Entscheidung abgesprochen. Oder wird von der potentiellen Mündigkeit, in diesem Falle der Drogenmündigkeit, des Einzelnen ausgegangen.

Politisch ist selbstverständlich auch die Perfektionierung legaler Drogen in den Laboratorien der Pharma-Industrie. Dort werden beständig neue profitbringende Substanzen produziert, die helfen angenehme emotionale Zustände zu erzeugen und den stressbelasteten Alltag funktionierend mit einem Lächeln zu ertragen.

Deutlich wird gerade im Verhältnis von Politik und psychoaktiven Substanzen immer wieder, dass die persönliche und die gesellschaftliche Ebene fließend ineinander übergehen. Deutlich wird aber auch, dass eine Verbindung von persönlicher Transzendenz mit sozialer Transformation möglich wie auch notwendig ist. Die Sterne sind erreichbar, aber nur wenn wir es wirklich wollen.

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Zusammenfassung eines Vortrags auf der Entheovision; Berlin, Botanischer Garten, 27.05.06.

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