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Wolfgang Sterneck
DER PSYCHEDELISCHE UNDERGROUND
LSD und Party-Kultur
Von einem befreienden Aufbruch in neue psychedelische Wirklichkeiten
bis zur Flucht in eine Scheinwelt ist es oftmals nur ein kleiner
Schritt. LSD kann innere Räume eröffnen, es kann aber
genauso die Wahrnehmung der äußeren Bedingungen völlig
verschließen.
PARTY UND BEWUSSTSEIN
In England leitete die Acid-House-Szene der späten achtziger
Jahre die Techno-Kultur ein. Offensichtlich kam schon in der Bezeichnung
der enge Bezug zu LSD, sowie darüber hinausgehend zur psychedelischen
Bewegung der späten sechziger Jahre zum Ausdruck. Auf den stark
akustisch und visuell geprägten Techno-Partys der neunziger
Jahre nahm LSD insbesondere durch seine die Sinneswahrnehmung intensivierende
Wirkung, aber auch auf Grund seines generell bewusstseinsverändernden
Charakters eine bedeutende Rolle ein. Vielfach wird beschrieben,
wie der Rhythmus der Musik tief in das Innerste dringt und die Wahrnehmungen
von Klängen, Farben und Empfindungen fließend ineinander
übergehen: ”Ich tanze auf dem Spiegel meines Bewusstseins
oder treffender ausgedrückt, ich schwebe frei über ihm
und beginne mit der mich durchdringenden Musik zu verschmelzen.
Ich habe das Gefühl, dass der Raum, in dem ich mich befinde,
durch mein eigenes Ich definiert wird. Die anderen Partygäste
treten in mich ein, wenn sie in diesen Raum kommen.”
In einer anderen Trip-Erfahrung beschreibt Zaigon die Auflösung
sein Verständnisses der Wirklichkeit. Er fühlte sich beim
Tanzen wie in einer ovalen Form und bewegt sich ständig zwischen
deren Polen hin und her: ”Ich bin nicht in der Lage mich dem
zu entziehen. Oben weiß ich wer ich bin, unten habe ich kein
gängiges Bewusstsein mehr davon. Oben ein völlig klares
Denken, auf dem Weg zum anderen Pol dann zunehmende Auflösung
und unten keine Worte mehr. Kein Wissen mehr, dass es den Begriff
’denken’ gibt, was denken überhaupt ist. Nur noch
kleinste Bausteine, die noch kleiner werden. Atome. Energiepartikel.
Alles in Sekundenschnelle. Physikalisch ist mir klar, dass wir aus
unzähligen unfaßbar kleinen Elementen zusammengesetzt
sind, dass sich alles ständig in einem Zustand der Bewegung
und Veränderung befindet. In dieser Nacht wußte ich es
nicht nur, sondern ich erfuhr es konkret an mir, lebte es in mir.”
Dass derartige Erfahrungen keineswegs übersteigerte Phantasien
sind, bewiesen insbesondere die empirischen Untersuchungen einer
Gruppe um Adolf Dittrich, der an die Forschungen von Aldous Huxley,
Arnold Ludwig und Stanislav Grof anknüpfte. Deutlich wurde
in Rahmen dieser Studien, dass entsprechende Erlebnisse potentiell
zu einem durch bestimmte psychoaktive Substanzen, aber unter anderem
auch durch Meditationstechniken oder Trance-Rituale hervorgerufenen
Erfahrungsvermögen jedes Menschen gehören. Hinsichtlich
der ”Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände”
unterschied Dittrich 1985 nach einer Versuchsreihe mit 500 Personen
im wesentlichen drei Erfahrungszustände: Der Zustand der sogenannten
”Ozeanische Selbstentgrenzung” beschreibt beglückende
Erfahrungen wie das Gefühl des Einsseins mit sich und der Welt.
Die ”Angstvolle Ichauflösung” entspricht einem
Horror-Trip, also den bedrohlichen Aspekten wie der Angst vor einem
Kontrollverlust. Und der Zustand der ”Visionären Umstrukturierung”
schließt Veränderungen von Bedeutungsebenen, halluzinatorische
Wahrnehmungen und synästhetische Aspekte ein. Schon 1956 hatte
Aldous Huxley im Zusammenhang mit seinen Erfahrungen mit Meskalin
entsprechend von ”Himmel”, ”Hölle”
und ”Vision” gesprochen.
DER PSYCHEDELISCHE UNDERGROUND
Der Konsum von LSD und die damit verbundenen Erfahrungen fanden
in vielfältiger Weise einen Niederschlag in Projekten des Techno-Undergrounds.
So stand beispielsweise im Zentrum der Labels Dope Records und High
Society die musikalische Auseinandersetzung mit psychoaktiven Substanzen.
Auf Veröffentlichungen wie ”Ayahuasca - The Trip To The
Foundation of Culture”, ”MDMA-Tuning” und ”Pro
Cannabis” ist die Musik von den entsprechenden Substanzen
inspiriert, wobei zum Teil ausführliche Begleitinformationen
über die Wirkungsweisen und über entsprechende kulturelle
Hintergründe informieren. Die Veröffentlichungen knüpften
dabei ausdrücklich an eine Tradition psychedelischer Konzeptalben
an, ”deren Musik betrippten Psychonauten für ihre Visionen
Struktur boten und damit praktisch als akustische Landkarten dienten,
damit Weg, Ziel und Methode nachvollziehbar wurden.” Als ein
Leitbild für das Konzept von High Society lässt sich ein
kurzer Text auf dem Cover der LSD-geprägten Veröffentlichung
”Paradise Connection” verstehen, der davon spricht,
dass das Paradies kein Ort, sondern ein Bewusstseinszustand ist..
Der Londoner DJ Jackal übertrug bei der Erstellung seines Manifestes
”Speedcore-Acid-Assault Consciousness” die musikalischen
Prinzipien des Sampling und des Remix auf einen schriftlichen Text.
Er setzte dabei Elemente von Texten der New Yorker Black Mask Group
neu zusammen, die in den späten sechziger Jahren eine Verbindung
von Kunst und revolutionärer Praxis anstrebt. Inhaltlich flossen
psychedelische und kulturrevolutionäre Elemente in das Manifest
ein, welches voller Pathos gleichermaßen LSD und Techno-Schallplatten
als revolutionäre Waffen beschreibt: ”Wir sind die Balance
der kosmischen Energie, wir sind die Freaks unbekannter Zeiten und
Räume, wir sind die Spione der Revolution. Gleichzeitig zerstören
und neues erschaffen. Wir gestalten neue Realitäten, einer
Explosion vergleichbar, in einer Welt, die es zu verändern
gilt. Wir sind das Auge der Revolution. Wir sind eine Stammeskultur,
eine Gemeinschaft von Familien bewaffnet mit psychedelischen Drogen,
Magie und harten, schnellen Techno-Platten ...”
In den Beiträgen des ”Psychonautischen Rundbriefes”
wurden psychedelische Erfahrungen mit radikalen politischen Konzepten
und einem im Techno-Underground verwurzelten gegenkulturellen Selbstverständnis
verbunden, welches an das Bild eines übergreifenden Cybertribes
anknüpft. Entsprechend standen Hinweise auf Underground-Partys
neben Berichten über die Verbindung von Party und Demonstration
im Rahmen der ”Reclaim the Street”-Aktionen und Safer-Use-Informationen
zu verschiedenen psychoaktiven Substanzen. Ein durch Psychedelika
verändertes Verständnis von Wirklichkeit bildete dabei
einen Einklang mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderung
auf dem Weg zu einer konkreten Utopie der Gegenwart.
Beispielhaft für Repressionmaßnahmen gegenüber psychedelisch
ausgerichteten Projekten im Kontext der Techno-Kultur sind dagegen
die Geschehnisse im Umfeld des Acid Psychedelic Club in Thessaloníki
am Ende der neunziger Jahre. Als Teil einer Repressionswelle in
Griechenland, die sich in einer Reihe von Razzien, Clubschließungen
und Verurteilungen ausdrückte, wurde auch dieser Club während
einer Party gestürmt und die Betreiber zu hohen Haftstrafen
verurteilt. Bezeichnender Weise bezogen sich die Vorwürfe neben
dem Handel mit Drogen auch auf die Propagierung des Drogenkonsums
durch den Namen des Clubs. Generell richtete sich die Kampagne gegen
eine Jugendkultur, die sich in Clubs wie dem Psychedelic Acid den
vorgegebenen gesellschaftlichen Werten entzog.
PSYCHEDELIC TRANCE
Innerhalb der Party-Kultur ist der Gebrauch von LSD insbesondere
in der Psychedelic-Trance-Szene verankert. Die Wurzeln der Szene
liegen im indischen Goa, das seit den siebziger Jahren als Treffpunkt
für Freaks und AussteigerInnen aus der ganzen Welt gilt. In
den späten achtziger Jahren kam es zu einer Öffnung gegenüber
der aufkommenden Techno-Musik. Es entstand ein eigenständiger
musikalischer Stil, sowie eine besondere Party-Kultur, die stark
von spirituellen wie auch von psychedelischen Elementen der späten
sechziger Jahre beeinflusst war. Wie schon die Bezeichnung ”Psychedelic
Trance” nahelegt, stehen im Zentrum der Partys neben der individuellen
Entfaltung die gemeinschaftliche Trance-Erfahrung, sowie das Streben
nach Rausch und psychedelischer Bewusstseinserweiterung mit Hilfe
psychoaktiver Substanzen.
Die Atmosphäre einer derartigen Party beschrieben Pavan und
Ananta in ”Der kosmische Orgasmus”, einem Erfahrungsbericht,
der von einer psychedelischen Wahrnehmungsebene geprägt ist,
auch wenn sie nicht direkt als solche angesprochen wird: ”Die
Musik wird zu einem Weg, der es ermöglicht tief in das Innere
zu gehen und gleichzeitig den eigenen Körper zu verlassen.
Viele Leute sind phantasievoll in bunten Farben gekleidet und stellen
immer wieder verschiedene Charaktere dar. Es ist eine Zusammenkunft
verschiedener Realitäten deren Verknüpfungs-punkt die
Musik ist. Nachdem über Stunden hinweg getanzt wurde und die
Sonne am frühen Morgen aufgeht, kommt es zu einem weiteren
Energiesprung. Alle befinden sich in einem Zustand der Trance. Es
ist ein Prozess des Neubeginns. Tief im Innern spüren alle
die Veränderung und gehen in einem kosmischen Orgasmus auf...”
Bis heute kennzeichnend für viele Goa-Partys ist die kreative
und phantasievolle Gestaltung der Chill-Out-Bereiche, die vielfach
fluoreszierende Gemälde und pulsierende Diaprojektionen einbezieht.
Das Gestaltungskonzept knüpft in dieser Hinsicht an die Mixed-Media-Shows
der späten sechziger Jahre an, die gezielt zur Intensivierung
psychedelischer Erfahrungen konzipiert wurden. Hinsichtlich des
Umgangs mit psychoaktiven Substanzen war in weiten Teilen der Szene
lange ein reflektierteres Verhältnis festzustellen als in anderen
Szenen der Techno-Kultur. Zum Teil wurden dabei die Partys als große
Rituale verstanden, zu deren Elementen auch der Drogengebrauch gehört.
Der gemeinschaftliche Konsum von LSD und anderen psychoaktiven Substanzen
wurde dabei zu einem gruppendynamischen Erlebnis, das einen gemeinsamen
Übergang in Rausch und Ekstase ermöglicht. Deutlich festzustellen
ist jedoch auch in der Psychedelic-Trance-Szene ein zunehmend konsumorientierter
Gebrauch von mehreren Substanzen gleichzeitig, bei dem es vielfach
nur noch um das ”Druff-Sein” und nicht mehr um die Eröffnung
neuer Wirklichkeiten geht.
VERÄNDERUNG UND STILLSTAND
Seit den neunziger Jahren ist immer wieder zu erkennen, dass im
Zeitalter des Cyberspace ursprüngliches schamanistisches Wisse
in Verbindung mit psychedelischen Erfahrungen eine neue Bedeutung
erlangt. Der im April 2000 verstorbene Bewusstseinsforscher Terence
McKenna, der zu einer Kultfigur der Psychedelic-Trance-Szene wurde,
sprach in diesem Zusammenhang von einem ”archaischen Revival”.
Er betonte darüber hinausgehend immer wieder die Bedeutung
von psychoaktiven Substanzen für die evolutionäre Entwicklung
der Menschheit wie für die individuelle Entfaltung der einzelnen
Persönlichkeit. In einem gezielten Gebrauch psychedelischer
Substanzen sah McKenna einen Weg verinnerlichte regressive Strukturen
aufzulösen und verstand LSD dabei auf einer kulturellen Ebene
als ”Dekonditionierungsagent”. Gerade hinsichtlich einer
derartigen Dekonditionierung verinnerlichter Werte wird die politische
Dimension des Gebrauchs von LSD deutlich. Dabei geht es nicht wie
im traditionellen Politikverständnis um die Formulierung und
Durchsetzung konkreter Forderungen, sondern um die Auflösung
von überkommenen Wertesystemen und darüber hinaus um die
Entwicklung eines veränderten Verständnisses von Wirklichkeit.
Der amerikanische Kulturkritiker Douglas Rushkoff vertritt einen
vergleichbaren Ansatz, der sich seinen Beschreibungen zufolge in
verschiedenen gegenkulturellen Strömungen widerspiegelt, so
auch in Teilen des Techno-Undergrounds. Auch Rushkoff macht in ”Cyberia
- Leben an den Fronten des Hyperspace” deutlich, dass sich
das gesellschaftliche Selbstverständnis einer Strömung
wie der Psychedelic-Trance-Szene vorrangig im Ziel einer Bewusstseinsentwicklung
im Kontext gemeinschaftlicher Strukturen zum Ausdruck kommt. Rushkoff
beschreibt dabei LSD-KonsumentInnen als psychonautische Reisende,
wobei er idealistisch davon ausgeht, dass eine derartige Reise eine
positive Veränderung im Bewusstsein der entsprechenden Person
auslöst.
Gerade die Techno- bzw. Party-Kultur mit ihren vielfältigen
Szenen zeigt jedoch, dass diese Veränderung keineswegs einem
Automatismus entspricht. Wie lange auch im Zusammenhang mit der
Beschreibung von Ecstasy als vermeintlich gesellschaftsverändernde
Substanz durch Teile des Techno-Undergrounds ist auch in der Darstellung
von LSD eine Überschätzung deutlich festzustellen. Der
vorrangigen Betonung einer bewusstseinsentwickelnden Wirkung stehen
jedoch auch kritische Positionen gerade in Bezug auf die Konsummentalität
gegenüber. In diesem Sinne wird Nina Grabori in der Broschüre
des aus dem Techno-Underground hervorgegangenen Sonics-Cybertribe-Netzwerks
dahingehend zitiert, dass Psychedelika sich als Hilfsmittel für
Problemlösungen oder als kreative Inspiration verwenden lassen,
wenn sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit
einschließen. Eine Möglichkeit ist dabei der gemeinschaftliche
Gebrauch in besonderen Ritualen oder auch in therapeutischen Sitzungen,
die von Phasen der Einleitung und der Aufarbeitung begleitet werden.
Die gefährlichste und verschwenderischste Art LSD zu gebrauchen,
sei jedoch ein unbewusster Konsum.
Auch San Fichtner kritisiert aus einer Position des Undergrounds
heraus derartige unreflektierte Gebrauchsmuster als potenzierte
Entsprechung einer gesellschaftlich geprägten Konsumhaltung.
Zudem verweist sie auf eine Ignoranz gegenüber möglichen
psychischen Problemen als Folge des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen.
Sie spricht dabei von einem Gruppendruck, sich am Wochenende auf
einer Party in einen positiven Gefühlszustand zu versetzen,
der lediglich künstlich durch den Gebrauch synthetischer Substanzen
erzeugt wird. Die Erwartung einzig durch den Konsum von LSD eine
persönliche Entwicklung zu erzielen, führe zu einer Instant-Bewusstseinsveränderung,
die jedoch ohne eine tiefergehende Beschäftigung mit der eigenen
Psyche keine weiterreichende persönliche Perspektive eröffnet.
Bis heute zeigen zahlreiche Projekte und Strömungen des Techno-Undergrounds,
dass sich das Potential psychedelischer Substanzen in einem bereichernden
Sinne nutzen lässt, wenn es zu einer reflektierenden Auseinandersetzung
kommt. Gleichzeitig wird aber auch immer wieder deutlich, dass sich
dieses Potential erst innerhalb eines übergreifenden Verständnisses
von persönlicher und gesellschaftlicher Veränderung entfalten
kann. Sofern dies nicht geschieht wird der Gebrauch von Psychedelika
zwangsläufig zu einem Mittel der Ablenkung und der Flucht bzw.
dadurch letztlich objektiv zu einem Instrument der Unterdrückung,
auch wenn subjektiv zumindest vorübergehend ein Zustand der
Befreiung erfahren wird. Alles erscheint dann für einige Stunden
völlig verändert und bleibt dennoch danach wie es zuvor
war ...
(2005).
www.sterneck.net
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