Wolfgang Sterneck
DIE AUFGEBLASENE FLASCHE
Party und Alkohol
Die Bedeutung von alkoholischen Getränken in der Techno-Kultur
hat sich im Laufe ihrer Entwicklung stark gewandelt. Anfangs war
eine in weiten Bereichen ablehnende Haltung charakteristisch, inzwischen
ist der Konsum alkoholischer Getränke längst eine Selbstverständlichkeit.
An dieser Veränderung lassen sich soziokulturelle Entwicklungen
genauso aufzeigen wie Strategien der Getränkeindustrie.
In der Techno-Kultur waren um 1990 Bier, Wein oder auch hochprozentige
alkoholische Getränke kaum verbreitet. Die Szene wurzelte in
der Ablehnung der kommerziellen Musikkultur, die nicht zuletzt im
Bild des betrunkenen Rock-Fans mit der Bierflasche in der Hand einen
Ausdruck fand. Das Lebensgefühl der Techno-Kultur wurde stattdessen
von Ecstasy entscheidend mitgeprägt. Während Alkohol oftmals
mit einen dumpfen Gefühl und Aggressionen gleichgesetzt wurde,
stand Ecstasy für die subjektive Erfahrung von Glücksgefühlen,
den Übergang in tranceartige Zustände und die scheinbar
problemlose Party-Family. Der Mischkonsum von Alkohol und Ecstasy
führt dagegen schnell zu einem Gefühl, das vielfach als
”matschig” beschrieben wird. Die toxischen Aspekte sind
dabei in ihren Wechselwirkungen nur schwer einzuschätzen. Zudem
werden alkoholbedingte Gefühle des Unwohlseins durch die Ecstasy-Wirkung
überdeckt und erst spät wahrgenommen.
Die Getränkeindustrie hatte diesen Entwicklungen und den damit
verbundenen Umsatzeinbußen lange nichts entgegenzusetzen.
Es gelang jedoch mit den Energy-Drinks eine neue Produktreihe zu
etablieren, die mit ihrer aufputschenden Wirkung ein Bedürfnis
der Szene ansprachen und es gleichzeitig kommerziell verwerteten.
Teilweise wurden vor Clubs kostenlos entsprechende Getränke
verteilt, um dadurch unterschwellig eine Verknüpfung des Party-Gefühls
mit den Energy-Drinks zu erzeugen, die dann auch das Image der Drinks
im Alltag bestimmen soll.
Daneben gelang es aber auch mit dem mexikanischen Corona eine neue
Biermarke in den Clubs in die Clubs zu tragen, die sich durch den
Namen, die Aufmachung und das Image von herkömmlichen Biermarken
unterschied. Im Zuge des Siebziger-Jahre-Revivals und einer erfolgreich
daran anknüpfenden Werbekampagne im Retro-Style kam es zudem
zur Etablierung von Jägermeister als Szene-Getränk, das
besonders ”reinknallt”. Unabhängig davon wurden
auch andere alkoholische Getränke auf Grund der in niedrigen
Dosierungen auflockernden und entspannenden Wirkung verstärkt
konsumiert.
In der Mitte der neunziger Jahre wurde die Techno-Kultur zur bedeutendsten
Jugendkultur. Längst strömten auch Personenkreise zu den
Party und Raves, denen der Bezug zu den ursprünglichen Idealen
der einstigen Underground-Szene fehlte. Damit verbunden war ein
veränderter Umgang mit legalen wie illegalen Drogen, der sich
deutlich auf der Loveparade widerspiegelte, dem herausragenden Ereignis
der Techno-Kultur. Nachdem auch hier Alkohol anfangs kaum verbreitet
war, warnte im Zuge der zunehmenden Verbreitung deren Initiator
Dr. Motte bezeichnender Weise vor der Entwicklung zu einer ”Bierparade”.
Die aus der Techno-Kultur hervorgegangene Basisorganisation Eve
& Rave verwies in diesem Zusammenhang auf eine zunehmende, oftmals
eng mit einem Alkoholkonsum verbundene Aggressivität auf der
Loveparade. In einer vergleichenden Analyse der Berliner Loveparade
und der Züricher Streetparade belegte Eve & Rave 1999 das
erhöhte Gefahrenpotential durch den vermehrten Genuss von Alkohol
und kritisierte dabei auch indirekt die gegenwärtige Drogenpolitik
bzw. die Einteilung in legale und illegale Drogen ungeachtet ihres
Gefahrenpotentials. So kam es in Zürich, wo der Handel mit
alkoholischen Getränken entlang der Route verboten war, in
der Relation zu wesentlich weniger Erste-Hilfe-Einsätzen und
Krankenhauseinweisungen als in Berlin, wo der Verkauf an der Strecke
der Loveparade erlaubt war.
Entsprechende Entwicklungen gab es auch in der Club-Szene, die sich
von dem ursprünglich unablässig betonten Harmonie-Gefühl
der Party-Familie in großen Teilen immer weiter entfernte.
Der inzwischen selbstverständliche Konsum von Alkohol, aber
auch der stark gestiegene Konsum von Kokain und Speed, waren Ausdruck
von zunehmender Vereinzelung und Aggressivität in den Party-Szenen
und prägten sie zugleich.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends nahm die Verbreitung sogenannter
Alcopops als Mixgetränke enorm zu. Das peppige und dynamische
Image der Alcopops spricht gezielt junge Erwachsene und dabei insbesondere
Frauen an. Der süßlicher Geschmack überdeckt den
zum Teil hohen Alkoholgehalt, oftmals werden sie zudem auf Grund
ihres Images nicht in einem angemessenen Maße als alkoholische
Getränke wahrgenommen. Die Gefahren einer Überdosierung
bzw. eines Mischkonsums werden dadurch vielfach unterschätzt.
Während diese Entwicklung für den Mainstream der Party-Kultur
charakteristisch ist, so sind in alternativen Szene viele Alcopop-Marken
mit dem Image des kommerziellen Teeny-Getränks behaftet und
werden kaum getrunken. Auch hier zeigt sich, dass die Party-Kultur
längst in zahlreiche Szenen aufgespalten ist, die sich durch
ihre Musik, ihren Kleidungsstil sowie auch durch die bevorzugten
Drogen und Konsumformen unterscheiden.
So ist in einigen House-Szenen Kokain besonders verbreitet, in der
Psychedelic-Trance-Szene werden vergleichsweise häufig psychoaktive
Pilze oder LSD gebraucht und in der Schranz-Szene nimmt Speed eine
herausragende Rolle ein, während in der Trance-Szene weiterhin
Ecstasy stark verbreitet ist. Allen Szenen gemeinsam ist der in
der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Umstand, dass
Alkohol vor Nikotin die am weitesten verbreitete Droge ist. Erst
danach folgen Cannabis, sowie die szenespezifischen Substanzen.
Auch im Zusammenhang mit gesundheitlichen Komplikationen, gewalttätigen
Konflikten und sexistischen Übergriffen stehen alkoholische
Getränke als auslösender oder verstärkender Faktor
weit vor allen illegalisierten Substanzen.
Von der Bedeutung des Alkohols ausgehend finanzieren sich inzwischen
viele Großveranstaltungen in einem nicht unerheblichen Maße
über den Verkauf von Alcopops oder anderer alkoholischer Getränke
bzw. über ein Sponsoring entsprechender Hersteller. Die Programmhefte
der großen Raves bestehen längst zu einen wesentlichen
Teil aus entsprechenden Anzeigen. Die riesigen aufblasbaren Getränkeflaschen,
die mit dem weit sichtbaren Markenlogo auf Open-Airs über dem
Gelände schweben, sind längst nicht nur ein Promotiongag,
sondern Ausdruck der Vereinnahmung der Hauptströmung einer
Kultur, die einst im Underground nach neuen Wegen suchte.
(2005).
www.sterneck.net
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