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Wolfgang Sterneck
DIE STIMME DES MEISTERS
- DIE OKKULTURELLE MUSIK -
- Aleister Crowley und die Rockmusik -
- Zwischen Show und Bekenntnis -
- Die Rolle der Kirche -
- Current 93 und die Suche -
- Die Okkulturelle Musik -
Insbesondere seit den sechziger Jahren lassen sich in der Rock-Musik
verstärkt Bezüge zum Bereich des Okkulten finden. Das
Spektrum reicht dabei von oberflächlichen Anspielungen, die
zumeist nur ein entsprechendes Image unterstreichen sollen, bis
zu einem offenen Bekenntnis zu okkulten Lehren und Praktiken.
ALEISTER CROWLEY UND DIE ROCKMUSIK
Der Begriff des Okkulten bezieht sich auf den Bereich des Übersinnlichen,
des Verborgenen und des sogenannten Dunklen bzw. den damit verbundenen
Kräften und Vorgängen, welche vielfach von den gesellschaftlich
anerkannten Wissenschaften bis heute nicht ausreichend erklärt
werden können. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Magie,
welche sich in ihrer Gesamtheit als eine Nutzung von bestimmten
natürlichen und keineswegs mit Geistwesen verbundenen Energien
und Kräften beschreiben läßt.
Die parapsychologische Forschung konnte in diesem Sinne in den letzten
Jahrzehnten mehrere Phänomene aufzeigen. Dies gilt beispielsweise
für psychisch ausgelöste Bewegungen, Beeinflussungen und
Veränderungen (Psychokinese), für Übertragungen von
Eindrücken durch psychische Energien (Telepathie) und für
das Vorauswissen eines zukünftigen Vorganges (Präkognition).
In vielen alten Gesellschaften war der Umgang mit diesen Energien
und Kräften eine Selbstverständlichkeit. Vor allem die
katholische Kirche bewirkte jedoch, daß das entsprechende
Wissen unterdrückt wurde und vielfach in Vergessenheit geriet.
Zu den einflußreichsten Persönlichkeiten des modernen
Okkultismus gehört Aleister Crowley. In seiner wichtigsten
Buchveröffentlichung, dem Buch des Gesetzes (1904),
formulierte Crowley die thelemitischen Gesetze, die auf eine Befreiung
des gesellschaftlich unterdrückten inneren Willens und der
wahren Liebe zielen. Freiheit könne erst dann gelebt werden,
wenn der Mensch seinem wirklichen Willen entsprechend lebt, was
keineswegs mit einer rücksichtslos egoistischen Haltung gleichzusetzen
sei, sondern vielmehr mit innerer Entwicklung und Erkenntnis. Um
die eigentliche Identität wieder freizulegen, entwickelte Crowley
verschiedene Praktiken und Rituale, oftmals mit sexualmagischem
Charakter. Grundlegend waren dabei die Leitsätze Tue
was du willst, sei das ganze Gesetz und Liebe ist das
Gesetz, Liebe unter Willen.(1) Crowley leitete daraus aber
auch das Recht des Stärkeren und die Unterteilung der Menschen
in SklavInnen und HerrscherInnen ab. Demzufolge haben diejenigen,
die ihren wahren Willen erkannt haben, das Recht nach ihren Bedürfnissen
zu leben, während sich alle anderen ihnen unterordnen müssen.
Einem größerem Publikum im Bereich der Rock-Musik wurde
Crowley bekannt, als sein Portrait neben anderen zumeist einflußreichen
und berühmten Persönlichkeiten auf dem Cover der Beatles-LP
Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band (1967) erschien.
Ebenfalls Ende der sechziger Jahre veröffentlichten die Rolling
Stones das Stück Sympathy for the devil, das in
Zusammenhang mit der oberflächlichen Beschäftigung einiger
Stones-Mitglieder mit okkulten Lehren stand. Mick Jagger, der Sänger
der Band, arbeitete zu dieser Zeit mit dem Regisseur Kenneth Anger
zusammen, der als Anhänger Crowleys seine Filme mehrfach zu
thelemitischen Manifesten stilisierte. Jagger entsagte allerdings
jeglicher Auseinandersetzung mit dem Thema nachdem bei einem Open-Air-Konzert
der Rolling Stones in Altamont im Dezember 1969 ein Mitglied der
Rockergruppe Hells Angels einen Konzertbesucher ermordete. Da der
Mord während des Stückes Sympathy for the devil
verübt wurde, sah Jagger darin einen satanistischen Hintergrund
und brach in der Folgezeit den Kontakt mit Anger ab.
ZWISCHEN SHOW UND BEKENNTNIS
In den siebziger Jahren tauchten okkultistische Inhalte verstärkt
in den Texten verschiedenster Rockgruppen auf. Die entsprechenden
MusikerInnen und Bands können in drei Gruppen unterschieden
werden. Zu der ersten Gruppe gehören MusikerInnen, die sich
aus Gründen der Vermarktung mit einem okkulten oder satanischen
Image umgeben, aber keinen Bezug dazu haben und auch kein Hintergrundwissen
besitzen. Zur zweiten Gruppe gehören die Bands, die sich aus
einem ernsthaften Interesse heraus mit den genannten Bereichen beschäftigt
haben, sich ein Grundwissen aneigneten und dies in ihre Musik einfließen
lassen. Zur dritten Gruppe gehören die MusikerInnen, die sich
mit der Thematik tiefer beschäftigt haben, sich zu entsprechenden
Inhalten bekennen und auch praktizieren.
Insbesondere im Bereich des Hardrock und dem sich später daraus
entwickelnden Heavy Metal lassen sich Bezugnahmen zu okkulten Lehren
erkennen. Eine herausragende Stellung nahm dabei die Band Black
Sabbath ein, die zu den kommerziell erfolgreichsten Hardrock-Bands
gehörte und sich gezielt mit einem okkulten und satanistischen
Image umgab. In den Songtexten, auf den Plattencovern und während
der Auftritte wurden immer wieder Elemente entsprechender Lehren
und Praktiken aufgegriffen, allerdings zumeist im Stile eines drittklassigen
Horrorfilms. Ozzy Osbourne, der damalige Sänger der Band, der
auch bei späteren Solo-Veröffentlichungen dieses Image
weiter nutzte, betonte dementsprechend mehrfach, daß die okkulte
Symbolik reinen Showcharakter habe und in keinster Weise Ausdruck
einer tiefergehenden Beschäftigung mit der Thematik sei. Nachdem
sich das Verkaufskonzept der Band als erfolgreich erwiesen hatte,
wurde es auch von anderen Bands und Musikkonzernen genutzt. In der
Oberflächlichkeit ihrer Songtexte und Shows unterschieden sie
sich jedoch kaum von Black Sabbath. Eine Ausnahme bildete zu dieser
Zeit die Hardrock-Band Led Zeppelin, deren Gitarrist Jimmy Page
sich intensiv mit den Lehren Crowleys beschäftigte, im Besitz
einer okkulten Buchhandlung war und bewußt in einem Haus lebte,
in dem einst auch Crowley selbst wohnte.
Im Gegensatz zu den zahlreichen vorgeblich okkulten Bands lassen
sich jedoch bei den Veröffentlichungen von Led Zeppelin okkulte
Inhalte fast nur unterschwellig erkennen. In einigen Interviews
nahm Jimmy Page allerdings deutlicher Stellung und beschrieb die
Konzerte von Led Zeppelin als Rituale: Ein Rock-Konzert ist
im Wirklichkeit nichts anderes als ein Ritual, bei dem psychische
Kraft freigesetzt und umgesetzt wird. Jede Kunst ist ursprünglich
Beschwörung und Magie, und jegliche Magie wird dazu benutzt,
bestimmte Ziele zu erreichen. Das Ziel eines Led Zeppelin Konzertes
ist es, bei den Spielern und beim Publikum Energie freizusetzen.
Um das zu erlangen, muß man die Quellen magischer Kraft anzapfen,
so gefährlich das auch sein mag.(2)
Als härtere und schnellere Version des Hardrock entwickelte
sich der Heavy Metal, wobei neben dem vielfach betont machomäßigen
Image auch die okkulte Thematik vom Hardrock übernommen wurde.
Das Benutzen von Symbolen wie dem Pentagramm, dem Hexagramm und
umgedrehten Kreuzen auf den Covern wurde selbstverständlich,
wobei diese auch hier fast ausschließich aus Show- und Imagegründen
verwendet wurden. Aus dem Heavy Metal heraus entstand wiederum in
den achtziger Jahren der Death Metal. Typisch für ihn sind
Texte, die Gewalt, apokalyptische Zustände oder auch okkulte
Praktiken beschreiben. Zumeist sind es nur bestimmte Schlüsselworte,
die das Image der Gruppe untermalen sollen, eine tiefergreifende
Auseinandersetzung ist nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben.
Oftmals wirken die Texte und Plattencover vieler Bands geradezu
zwanghaft imagegerecht.
Zu den bekanntesten Death-Metal-Bands, die sich mit okkulten Thematiken
beschäftigen, gehören Morbid Angel und Nocturnus. Mitglieder
beider Bands, zwischen denen personelle Verbindungen bestehen, berufen
sich auf Crowley und bekennen sich in Interviews zu okkulten Praktiken,
die bis zu Tieropfern reichen. David Vincent, der ehemalige Sänger
von Morbid Angel setzt dabei ausdrücklich Satanismus mit Rebellion
gleich: Für mich ist Satanismus nur ein Begriff, der
durch seine Gegensätzlichkeit zu den etablierten Religionen
einen Inhalt bekommt. Da hat er eine Dimension der Kritik, der Nonkonformität.
Für mich ist es einfach eine mögliche Ausdrucksform meiner
eigenen Lebenssicht.(3) Bezeichnender Weise gestehen
Mitglieder von Morbid Angel bei Interviews aber auch offen ein,
daß sie als Death-Metal-Musiker zwangsläufig Texte mit
satanischen oder okkulten Inhalten schreiben müssen, um ihrem
Image werbegerecht zu entsprechen.
Für einen großen Teil der jugendlichen, zumeist männlichen
Heavy-Metal-Fans ist die in einigen Fällen blinde Identifikation
mit derartigen Bands aber auch ein Ausdruck eines Ausbruchs- und
Abgrenzungsversuches gegen die von Eltern, Gesellschaft und System
vorgegebenen Werte. Dabei wird jedoch nur ein autoritäres Bezugsfeld
durch ein anderes nicht minder autoritäres ersetzt. Generell
darf die Bedeutung von okkultistisch beeinflußten Metal-Bands
allerdings nicht überschätzt werden. Es ist eine seltene
Ausnahme, daß sich Metal-Fans auf Grund von Songtexten okkulten
Praktiken zuwenden. Allerdings wird über das Image der Bands
eine Akzeptanz und Offenheit gegenüber entsprechenden Anschauungen
bewirkt.
DIE ROLLE DER KIRCHE
Die katholische Kirche und andere christliche Gruppen benutzen immer
wieder die vorgeblich okkulten Bands völlig verallgemeinernd
als Beweis für den angeblich generell satanischen Charakter
der Pop- und Rockmusik. Vermittelt wird dabei zumeist das Bild eines
personifizierten Teufels, der den Untergang des christlichen Abendlandes
herbeiführen will. So sprach Papst Johannes Paul II. im
Mai 1985 in einer Rede an die belgische Jugend(4) von
den Verführungen des Teufels zu denen er unter
anderem eine Sexualität, welche den katholischen Maßstäben
nicht entspricht, und die Pop- und Rockmusik als Gedanken
zerstörenden Lärm zählte.
Ein typischer Ausdruck dieser Position ist die Buchveröffentlichung
Der Tag, an dem die Musik starb von Bob Larson, einem
ehemaligen Rock-Musiker, der sich inzwischen als bekehrt
versteht. Neben den reaktionär christlichen Grundeinstellungen
fällt in dem Buch besonders die frauenfeindliche Argumentation
auf. Satan weiß, wenn er in diesen letzten Tagen vor
der Wiederkunft Christi wirkungsvoll arbeiten will, muß er
Kontrolle über die Jugend gewinnen. Satan benutzt Hardrock,
um diese Generation zu beherrschen. Mit meinen eigenen Augen habe
ich Jugendliche gesehen, die beim Tanzen zu Rockmusik von Dämonen
besessen wurden. Dies war besonders bei Mädchen beobachtbar.
Von einer jungen Dame dürfte man erwarten, daß sie beim
Tanzen einigen Anstand bewahrt; ich habe jedoch Teenager-Mädchen
beobachtet, die in krampfartige Zuckungen fielen, die nur durch
die Manifestation dämonischer Kräfte erklärbar waren.(5)
Entsprechend totalitäre Positionen gegenüber nicht genehmen
kulturellen Ausdrucksformen haben im Christentum bzw. insbesondere
in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Seit ihrem Bestehen
wurden und werden bis heute Menschen, die anders leben als es die
Kirche vorgibt, von dieser scharf verurteilt. Dabei liegt es an
der gesellschaftlichen Macht der Kirche, ob diese Verurteilung auf
eine verbale Ebene beschränkt bleibt oder bis zur physischen
Vernichtung der Andersdenkenden reicht. Die Kreuzzüge, die
Hexenverfolgung, die christliche Kolonialisierung und die Zusammenarbeit
mit faschistischen Regierungen sind nur einige wenige historische
Beispiele. Die wenigen ChristInnen die sich dieser Politik widersetzten,
wurden zumeist verfolgt oder unterdrückt.
In Rahmen der theoretischen Begründungen für den angeblich
satanischen Charakter der Rockmusik werden durchgehend die geschichtlichen
Wurzeln des Satanismus ignoriert. Dieser entstand in einem wesentlichen
Maße als Reaktion auf die totalitäre Politik der Kirche.
Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert wurde Satan sogar in einer
für die damaligen Verhältnisse sozialrevolutionären
Weise zum König der Unterdrückten stilisiert, während
der christliche Gott als Helfer der Mächtigen und Christus
als Verräter an der Menschheit, die er nur vorgeblich erlöste,
dargestellt wurden. Besonders deutlich wurde dieser Ansatz bei Schriftstellern
wie Giosuè Carducci, Joris Karl Huysmans und Charles Baudelaire.
In Zusammenarbeit mit konservativen Kreisen initierten christliche
Gruppen in der Mitte der achtziger Jahre in den USA eine Kampagne
gegen die Pop- und Rockmusik. Die wichtigste Organisation war in
diesem Zusammenhang die Elternvereinigung Parents Music Resource
Center. Sie richtete sich mit ihren Aktivitäten nicht nur gegen
satanistische Bands, sondern insbesondere auch gegen
MusikerInnen, die linke Positionen vertraten, offen sexuelle Themen
formulierten oder sich zu ihrer Homosexualität bekannten. Die
Kampagne bewirkte unter anderem, daß einige Handelsketten
die entsprechenden Veröffentlichungen nicht mehr vertrieben
und Schallplattencover mit Aufklebern versehen wurden, die vor der
angeblich jugendgefährdenden Wirkung der Musik warnten. Auch
in der BRD wurden diese Bestrebungen aufgegriffen, allerdings mit
einem im Vergleich zu den USA nur mäßigen Erfolg. Daß
solche Bestrebungen jedoch nicht zu unterschätzen sind, zeigten
um 1990 eine Reihe entsprechend ausgerichteter Berichte in den Medien.
Bezeichnend war eine Veranstaltung des Interessenkreis Frauen
in der CSU im März 1991 zum Thema Rockmusik. Dort warnte
ein als Experte eingeladener Schulpsychologe in einer offen rassistischen
Weise vor der Musik aus Negerslums und Ghettos.(6) Zudem
verwiesen CSU-Mitglieder auf den angeblich großen Einfluß
von Satanskirchen auf die Rockmusik.
CURRENT 93 UND DIE SUCHE
Anfang der achtziger Jahre entwickelte sich im Umfeld der Industrial
Music ein Musikstil, der im folgenden als Okkulturelle Musik bezeichnet
werden soll. Im Gegensatz zum Death Metal wurde er von einer breiteren
Öffentlichkeit und entsprechend auch von den christlich-reaktionären
Gruppen kaum wahrgenommen, obwohl sich die entsprechenden Bands
wesentlich fundierter mit dem Bereich der okkulten Kultur auseinandersetzten.
Die Themenbereiche, die sich in den Veröffentlichungen von
Current 93, einem der einflußreichsten Projekte aus dem Bereich
der Okkulturellen Musik, beständig widerspiegeln, sind die
Suche nach dem Sinn der Existenz, die Auseinandersetzung mit Leben
und Tod, sowie das Streben nach innerer Veränderung und Erkenntnis.
Die Fragen, die in den Songtexten unterschwellig gestellt wurden,
blieben die gleichen, die Antworten aber wandelten sich im Laufe
der Jahre.
Current 93 entstand zu Beginn der achtziger Jahre als Projekt des
in London lebenden David Tibet. Musikalisch waren dessen Stücke
von einer düsteren, bedrückenden Stimmung bestimmt. Auf
Veröffentlichungen wie Nature Unveiled und Dogs
Blood Rising standen collagenhafte Einspielungen von gregorianischen
Chorälen und Meditationsgesängen tibetischer Mönche
neben verfremdeten Stimmen und Geräuschen, die meist mit monotonen
Grundrhythmen unterlegt waren. Inhaltlich waren religiöse und
okkulte Themen vorherrschend. Einen großen Einfluß übten
die Lehren Aleister Crowleys auf Tibet aus, der zu dieser Zeit Mitglied
im Ordo Templi Orientis war. Hinweise auf Crowley lassen sich im
Bandnamen Current 93, sowie in fast allen frühen Veröffentlichungen
finden. Der okkulte Meister stand stets im Hintergrund und kam sogar
in einigen Stücken durch die Einspielung alter Originalaufnahmen
persönlich zu Wort. Zudem übten auch die Gesänge
des Maldoror des französischen Autors Comte de Lautréamont
und die christliche Eschatologie, die Lehre vom Endschicksal des
Einzelnen und der Welt, einen großen Einfluß auf Tibet
aus und bestärkten gleichzeitig das Image von Current 93. Immer
wieder wurde in den Veröffentlichungen die Ankunft des Antichristen
beschworen, als letzte Hoffnung in einer gleichermaßen zerstörten
und zerstörenden Welt. Current 93 zufolge entsprach das scheinbare
Gefühl des Glücks einem verschleiernden Selbstbetrug,
da es in einer Kultur, deren destruktiver Charakter überall
offensichtlich ist, letztlich keinen Grund zu wirklicher Freude
geben kann. How can there be pleasure, how can there be joy,
when the whole world is burning.
In den späten achtziger Jahren begann Tibet sich weitgehend
von seinen frühen Aufnahmen zu distanzieren, was ihn allerdings
nicht daran hinderte, sie beständig nachzupressen. Eng verbunden
mit der Veränderung der Lebenseinstellung war die Veränderung
der musikalischen Mittel. Die Veröffentlichungen orientierten
sich zunehmend an der englischen Folk-Musik und verloren ihren düsteren
Charakter. Die wesentliche Ursache für diesen Wandel lag in
der Zuwendung Tibets zum Buddhismus, wobei er in diesem Zusammenhang
vom inneren Frieden spricht, den er seitdem gefunden
hat. Auch wenn sich religiöse Aussagen beständig in den
Texten von Current 93 finden, so weist Tibet einen missionarischen
Ansatz weit von sich und betont die Bedeutung, die seine Musik für
ihn persönlich hat. Ich kann nicht sagen, welche objektive
Bedeutung meine Musik für andere hat. Wenn ich einen Song wie
The death of a corn singe, dann weiß ich wovon
ich spreche. Vielleicht verstehst du ihn auch so, vielleicht in
einem anderen Sinn, vielleicht auch überhaupt nicht. Vielleicht
ist es auch völlig egal. (7)
DIE OKKULTURELLE MUSIK
Musikalisch sind die Projekte der Okkulturellen Musik vielfältig
ausgeprägt, das vorrangige verbindende Merkmal ist die inhaltliche
Ausrichtung. Im wesentlichen lassen sich zwei stilistischen Entwicklungen
unterscheiden. Charakteristisch sind zum einen langgezogene, atmosphärische
Melodien, Einspielungen von sakralen Gesängen und eine mystisch-ritualhafte
Grundstimmung. Zum anderen orientieren sich seit Mitte der achtziger
Jahre zahlreiche Gruppen an der englischen Folk-Musik. Im Gegensatz
zur ursprünglich magischen bzw. okkulten Musik, die insbesondere
an bestimmten Ritualen ausgerichtet war, basieren die meisten Veröffentlichungen
aus dem Bereich der okkulturellen Musik vorrangig auf einer Beschreibung
der Kultur des Okkulten. Nur in einzelnen Fällen werden Stücke
gezielt für die Verwendung in magischen Ritualen komponiert.
Zumeist lassen sich schon im Bandnamen, sowie auf den Covern und
in den Texten Bezüge auf okkulte Theorien, Symbole und Handlungen
finden.
Vielfach läßt sich nur schwer einzuschätzen, inwieweit
die Bands bewußt entsprechende Einstellungen vertreten oder
sich nur aus Imagegründen und einer oberflächlichen Beschäftigung
heraus auf sie beziehen. Unabhängig davon bilden die Okkulturellen
Bands ein Gegengewicht zur illusionären und harmonisierenden
New-Age-Musik. Bei vielen Bands sind allerdings auch deutliche Bezüge
zu faschistischen Positionen zu erkennen. Zumeist wurzelt dies in
einem falschen Verständnis von heidnischen oder okkulten Lehren,
sowie zum Teil in einem mystifizierten Bild des deutschen Faschismus,
dessen menschenverachtender Charakter dadei immer wieder in einer
gefährlichen Weise verschleiert wird.
Die Gruppen aus dem Bereich der okkulturellen Musik stoßen
insbesondere in der Gothic-Szene auf ein großes Interesse.
Diese kennzeichnet ein eigenwilliger Hang zu einer dunklen Romantik,
die nicht selten in eine Faszination für Morbides und Okkultes
mündet. Äußerlich auffallende Merkmale sind die
schwarze Kleidung, die zum Teil extrem gestalteten Haare und die
blaß geschminkten Gesichter. Ansatzweise dient der äußere
Stil als Ausdruck der Ablehnung der vorgegebenen gesellschaftlichen
Normen, die sich allerdings in der Regel nur an den Wochenenden
in einer Rückzugs- und Verweigerungshaltung widerspiegelt.
Es spricht für sich, daß David Tibet nach seinen Konzerten
meist von schwarz gekleideten Gestalten umringt ist, die begierig
nach Autogrammen fragen. Ein Bild, das sich abgesehen von der Farbe
der Kleidung nur unwesentlich von durchschnittlichen Pop-Konzerten
unterscheidet. Die eigene Persönlichkeit wird auch hier über
die Musik bzw. die entsprechenden Stars und deren Image definiert.
Das Label Nekrophile Rekords ordnete seine Veröffentlichungen
unter dem Motto Martialische Musik für das neue Zeitalter
völlig dem Ziel der Verbreitung der Lehren Aleister Crowleys
unter. Eine besondere Bedeutung wurde dabei der Sexualität
zugemessen: Der Krieg für die Befreiung des Todes ist
auch der Krieg für die Befreiung der Liebe, der himmlischen
Hymne für die aufbrechende Macht des unabhängigen Willens.
Jeder Kampf, der es versäumt, die Energien sexueller Befreiung
zu nutzen, ist zum Scheitern verurteilt.(8) Zur bekanntesten
Veröffentlichung auf Nekrophile Rekords wurde The secret
eye of L.A.Y.A.H. von Zero Kama. Die gleichermaßen von
percussionsartigen und meditativen Stücken geprägte Kassette
ist dem Symbol Layah, welches für Nacht und Tod steht,
und seinem numerischen Äquivalent Oz, der unterdrückten
sexuellen Kraft der Kreativität, gewidmet.(9) Die benutzten
Instrumente wurden aus menschlichen Knochen und Schädeln hergestellt.
Auch die englische Gruppe Coil bezieht sich neben buddhistischen
Ansätzen insbesondere auf Crowley. Die frühen Veröffentlichungen
sind von harten elektronischen Rhythmen und bizarren Klanglandschaften
geprägt, wobei spätere Aufnahmen im herkömmlichen
Sinne eingängiger sind. Einige der Stücke haben einen
betont rituellen Grundcharakter. Es ist eine Beschwörung
einer magischen Energie. Einer Energie, die wir definiert, beschrieben
und auf Tonband aufgenommen haben.(10) Die Konzerte des Perkussionisten
und Performance-Künstlers Zev gleichen einer Auseinandersetzung
mit den klanglichen Möglichkeiten von Metallgegenständen,
die er entweder selbst hergestellt oder aus dem Bereich der industriellen
Produktion übernimmt. 1992 veröffentlichte Zev das
Buch Rhythmajik, in dem er die traditionelle jüdische
Lehre der Kabbala in den Bereich der Musik übertrug. Rhythmajik
ist eine Art Rückkehr zu einem erdverbundenen Schamanismus.
Sie ist in der Erde verwurzelt. Man könnte sie als schamanische
Kabbalistik bezeichnen, weil sie stark mit dem Klang, dem Gefühl,
der unmittelbaren Erfahrung zusammenhängt.(11)
Die Band A Place To Pray aus Norwegen gehörte zu den wenigen
Gruppen, die zumindest tendenziell ein anarchistisches Selbstverständnis
mit okkulten Gedanken verbanden und gleichermaßen mit linken
gegenkulturellen Projekten wie mit okkulten Gruppen zusammenarbeitete.
Die Bandmitglieder erhoben allerdings keinen Anspruch auf die Verkündung
eines einzig wahren Weges. Olav Hagen schrieb dazu: Wir haben
kein Recht, jemanden unseren Glauben aufzuzwingen. Wir haben nur
das Recht nach unserem Willen zu leben, ohne andere zu beeinträchtigen.(12)
Musikalisch reichte das Spektrum der Veröffentlichungen von
experimentellen Aufnahmen bis zu traditionell aufgebauten Stücken
mit einer ruhigen, düsteren Ausstrahlung.
Im krassen Gegensatz zu A Place To Pray kommen bei Radio Werewolf
die Verbindungen zwischen okkulten Lehren und faschistischen Grundhaltungen
offen zum Ausdruck. Ausgehend von einem gefährlich verschleiernden
Geschichtsbild spricht Nikolas Schreck, der Kopf der Gruppe, der
zeitweise der First Church of Satan nahestand, fälschlicher
Weise von den Nazi-Führern als Okkultisten,
die die Ordnung der Natur wieder herstellen wollten.(13) Faschistische
Positionen und Symbole sind ebenfalls bei Death In June zu finden,
wobei auch hier ein verfälschtes und mystifiziertes Geschichtsbild
zum Ausdruck kommt. Ideologischer Bezugspunkt der Band ist der linke
Flügel der Nationalsozialisten, der 1934 ausgeschaltet wurde.
Die Bedeutung okkulter Lehren und Praktiken betonte Douglas Pearce,
das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band, mehrfach
in Interviews. In den Texten kommen sie allerdings nur selten so
deutlich zum Ausdruck wie in dem Stück Rule again:
I have seen on that far hill, angels locked in war. Love is
the law. Love under will. The heart of the master guides me.
Neben Death In June und den späten Current 93 gehört Sol
Invictus zu den wichtigsten Vertretern des Apocalyptic Folk, einer
Stilrichtung, die inhaltlich und musikalisch auf alte Folktraditionen
zurückgreift. Viele alte Folk-Lieder beschreiben Elemente
der unterdrückten heidnischen Traditionen. Wir versuchen diese
wieder ins Gedächtnis zurück zu bringen und sie fortzuführen.(14)
Beständig wiederkehrendes Element in den Texten ist das Ideal
einer alten, imaginären Gesellschaft, die im Gegensatz zu den
heutigen auf einer inneren Stärke basiert. So this is
the west, a land were meant to defend, of happy slaves, who
will babble to the end; beneath the towers, where financers roost,
but above them the sun, that sings out an ancient truth.
Auch die italienische Band Ordo Equitum Solis greift in ihren Texten
okkulte Inhalte auf. Mehrfach werden diese mit einer gesellschaftskritischen
Beschreibung der Zerstörung der Erde verbunden. Leithana, die
Sängerin der Gruppe, sagte dazu: Wenn du um dich herum
blickst, dann kannst du in dieser Gesellschaft nicht glücklich
sein. Unsere Musik ist deshalb traurig, aber nicht depressiv, denn
jeder Tod bedeutet auch eine Wiedergeburt und manchmal müssen
sich die Dinge in einer tragischen Weise ändern, um besser
zu werden.(15) Die eng miteinander verbundenen Projekte Sixth
Comm und Mother Destruction beziehen sich auf die nordische Runenmythologie
und tantrische Lehren. Zusammen mit der Runenforscherin Freya Aswynn
veröffentlichten Sixth Comm die LP Fruits of Yggdrasil,
die den Gesängen, Gedichten und der Magie der Runen gewidmet(16),
wobei sich Aswynn nachhaltig von der Vereinnahmung der Runenmythologie
durch faschistische Gruppen abgrenzt. Im Vordergrund der Aufnahmen
stehen musikalisch untermalte Passagen aus der nordischen Sage Edda
und rituelle Beschwörungen.
Einen großen Einfluß innerhalb der Okkulturellen Musik
besaß die Band Psychic TV um Genesis P-Orridge, der sich in
vielfältiger Form mit okkulten Anschauungen beschäftigte.
Der im Umfeld von Psychic TV gegründete Temple Ov Psychick
Youth arbeitete als internationales Netzwerk, das sich gleichermaßen
mit magischen Praktiken wie mit gegenkulturellen Ausdrucksformen
auseinandersetzte. Berührt Euch selbst! Berührt
andere! Kommuniziert mit den Elementen und den Kräften der
Natur. Macht Euch dabei die Technologie zum Werkzeug. Füttert
die Foto- und Filmkameras, die Computer und Tonbänder mit der
Gnostik, den alten Symbolen, Tiergesängen, Tänzen, Träumen
und nackten Körpern.(17)
(1998)
Anmerkungen:
1) Crowley, Aleister / Das Buch des Gesetzes - Liber Al vel Legis.
(Sphinx Verlag). Basel, 1981.
2) Jimmy Page zitiert in: Schmidt-Joos, Siegfried / Sympathy for
the devil - Aleister Crowley, Kenneth Anger und die Folgen. In:
Gülden, Jörg und Humann, Klaus / Rock Session 1. (Rowohlt).
Reinbeck bei Hamburg, 1977.
3) Aus einem Interview mit David Vincent in: Metal Hammer Extra
- Trash. Dortmund, 1991.
4) Johannes Paul II. zitiert in: Papst sieht Verfall des Religiösen
seit dem Zweiten Konzil. In: Frankfurter Rundschau 20.5.1985.
5) Bob Larson zitiert in: Bäumer, U. / Wir wollen nur deine
Seele. (Christliche Literatur). Bielefeld, 1984.
6) Werner Glogauer zitiert in: CSU-Frauen wittern im Hard
Rock satanische Kräfte. In: Frankfurter Rundschau
11.3.1991.
7) Aus einem Gespräch des Autors mit David Tibet vom 24.3.1991
in Frankfurt am Main. Auszugsweise in: Sterneck, Wolfgang / Der
innere Friede - Ein Gespräch mit David Tibet. (KomistA). Maintal,
1991.
8) Nekrophile Rekords / Document 2 CR 11. In: Nekrophile Rekords
Cassette Catalogue. Wien, 1985.
9) Aus dem Text zur CD: Zero Kama / The secret eye of L.A.Y.A.H..
(Nekrophile Rekords). 1984.
10) Aus einem Interview mit John Balance (Coil). In: The Feverish
Nr. 4. Moers, 1985.
11) Aus einem Interview mit Zev. In: Kadmon (Hrsg.) / Zev
- Medizin der Metalle. (Aorta). Wien, 1992.
12) Aus einem Brief von Olav Hagen an den Autor. März 1992.
13) Nikolas Schreck zitiert in: Freuen, Sven / Radio Werewolf. In:
Zillo Nr. 6/91. Lübeck, 1991.
14) Aus einem Brief von Tony Wakeford (Sol Invictus) an den Autor.
Januar 1991.
15) Aus einem Gespräch des Autors mit Leithana und Deraclamo
(Ordo Equitum Solis) am 10.5.1991 in Frankfurt am Main.
16) Aus einem Interview mit Freya Aswynn. In: The Fifth Path No.
3. USA, 1991.
17) Thee Temple Ov Psychick Youth / 10 Jahre. In: Rave New World
- 4/94. Heidelberg, 1994.
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume
- Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
www.sterneck.net
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