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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

DIE STIMME DES MEISTERS
- DIE OKKULTURELLE MUSIK -

- Aleister Crowley und die Rockmusik -
- Zwischen Show und Bekenntnis -
- Die Rolle der Kirche -
- Current 93 und die Suche -
- Die Okkulturelle Musik -

Insbesondere seit den sechziger Jahren lassen sich in der Rock-Musik verstärkt Bezüge zum Bereich des Okkulten finden. Das Spektrum reicht dabei von oberflächlichen Anspielungen, die zumeist nur ein entsprechendes Image unterstreichen sollen, bis zu einem offenen Bekenntnis zu okkulten Lehren und Praktiken.

ALEISTER CROWLEY UND DIE ROCKMUSIK

Der Begriff des Okkulten bezieht sich auf den Bereich des Übersinnlichen, des Verborgenen und des sogenannten Dunklen bzw. den damit verbundenen Kräften und Vorgängen, welche vielfach von den gesellschaftlich anerkannten Wissenschaften bis heute nicht ausreichend erklärt werden können. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Magie, welche sich in ihrer Gesamtheit als eine Nutzung von bestimmten natürlichen und keineswegs mit Geistwesen verbundenen Energien und Kräften beschreiben läßt.

Die parapsychologische Forschung konnte in diesem Sinne in den letzten Jahrzehnten mehrere Phänomene aufzeigen. Dies gilt beispielsweise für psychisch ausgelöste Bewegungen, Beeinflussungen und Veränderungen (Psychokinese), für Übertragungen von Eindrücken durch psychische Energien (Telepathie) und für das Vorauswissen eines zukünftigen Vorganges (Präkognition). In vielen alten Gesellschaften war der Umgang mit diesen Energien und Kräften eine Selbstverständlichkeit. Vor allem die katholische Kirche bewirkte jedoch, daß das entsprechende Wissen unterdrückt wurde und vielfach in Vergessenheit geriet.

Zu den einflußreichsten Persönlichkeiten des modernen Okkultismus gehört Aleister Crowley. In seiner wichtigsten Buchveröffentlichung, dem ”Buch des Gesetzes” (1904), formulierte Crowley die thelemitischen Gesetze, die auf eine Befreiung des gesellschaftlich unterdrückten inneren Willens und der wahren Liebe zielen. Freiheit könne erst dann gelebt werden, wenn der Mensch seinem wirklichen Willen entsprechend lebt, was keineswegs mit einer rücksichtslos egoistischen Haltung gleichzusetzen sei, sondern vielmehr mit innerer Entwicklung und Erkenntnis. Um die eigentliche Identität wieder freizulegen, entwickelte Crowley verschiedene Praktiken und Rituale, oftmals mit sexualmagischem Charakter. Grundlegend waren dabei die Leitsätze ”Tue was du willst, sei das ganze Gesetz” und ”Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.”(1) Crowley leitete daraus aber auch das Recht des Stärkeren und die Unterteilung der Menschen in SklavInnen und HerrscherInnen ab. Demzufolge haben diejenigen, die ihren wahren Willen erkannt haben, das Recht nach ihren Bedürfnissen zu leben, während sich alle anderen ihnen unterordnen müssen.

Einem größerem Publikum im Bereich der Rock-Musik wurde Crowley bekannt, als sein Portrait neben anderen zumeist einflußreichen und berühmten Persönlichkeiten auf dem Cover der Beatles-LP ”Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” (1967) erschien. Ebenfalls Ende der sechziger Jahre veröffentlichten die Rolling Stones das Stück ”Sympathy for the devil”, das in Zusammenhang mit der oberflächlichen Beschäftigung einiger Stones-Mitglieder mit okkulten Lehren stand. Mick Jagger, der Sänger der Band, arbeitete zu dieser Zeit mit dem Regisseur Kenneth Anger zusammen, der als Anhänger Crowleys seine Filme mehrfach zu thelemitischen Manifesten stilisierte. Jagger entsagte allerdings jeglicher Auseinandersetzung mit dem Thema nachdem bei einem Open-Air-Konzert der Rolling Stones in Altamont im Dezember 1969 ein Mitglied der Rockergruppe Hells Angels einen Konzertbesucher ermordete. Da der Mord während des Stückes ”Sympathy for the devil” verübt wurde, sah Jagger darin einen satanistischen Hintergrund und brach in der Folgezeit den Kontakt mit Anger ab.

ZWISCHEN SHOW UND BEKENNTNIS

In den siebziger Jahren tauchten okkultistische Inhalte verstärkt in den Texten verschiedenster Rockgruppen auf. Die entsprechenden MusikerInnen und Bands können in drei Gruppen unterschieden werden. Zu der ersten Gruppe gehören MusikerInnen, die sich aus Gründen der Vermarktung mit einem okkulten oder satanischen Image umgeben, aber keinen Bezug dazu haben und auch kein Hintergrundwissen besitzen. Zur zweiten Gruppe gehören die Bands, die sich aus einem ernsthaften Interesse heraus mit den genannten Bereichen beschäftigt haben, sich ein Grundwissen aneigneten und dies in ihre Musik einfließen lassen. Zur dritten Gruppe gehören die MusikerInnen, die sich mit der Thematik tiefer beschäftigt haben, sich zu entsprechenden Inhalten bekennen und auch praktizieren.

Insbesondere im Bereich des Hardrock und dem sich später daraus entwickelnden Heavy Metal lassen sich Bezugnahmen zu okkulten Lehren erkennen. Eine herausragende Stellung nahm dabei die Band Black Sabbath ein, die zu den kommerziell erfolgreichsten Hardrock-Bands gehörte und sich gezielt mit einem okkulten und satanistischen Image umgab. In den Songtexten, auf den Plattencovern und während der Auftritte wurden immer wieder Elemente entsprechender Lehren und Praktiken aufgegriffen, allerdings zumeist im Stile eines drittklassigen Horrorfilms. Ozzy Osbourne, der damalige Sänger der Band, der auch bei späteren Solo-Veröffentlichungen dieses Image weiter nutzte, betonte dementsprechend mehrfach, daß die okkulte Symbolik reinen Showcharakter habe und in keinster Weise Ausdruck einer tiefergehenden Beschäftigung mit der Thematik sei. Nachdem sich das Verkaufskonzept der Band als erfolgreich erwiesen hatte, wurde es auch von anderen Bands und Musikkonzernen genutzt. In der Oberflächlichkeit ihrer Songtexte und Shows unterschieden sie sich jedoch kaum von Black Sabbath. Eine Ausnahme bildete zu dieser Zeit die Hardrock-Band Led Zeppelin, deren Gitarrist Jimmy Page sich intensiv mit den Lehren Crowleys beschäftigte, im Besitz einer okkulten Buchhandlung war und bewußt in einem Haus lebte, in dem einst auch Crowley selbst wohnte.

Im Gegensatz zu den zahlreichen vorgeblich okkulten Bands lassen sich jedoch bei den Veröffentlichungen von Led Zeppelin okkulte Inhalte fast nur unterschwellig erkennen. In einigen Interviews nahm Jimmy Page allerdings deutlicher Stellung und beschrieb die Konzerte von Led Zeppelin als Rituale: ”Ein Rock-Konzert ist im Wirklichkeit nichts anderes als ein Ritual, bei dem psychische Kraft freigesetzt und umgesetzt wird. Jede Kunst ist ursprünglich Beschwörung und Magie, und jegliche Magie wird dazu benutzt, bestimmte Ziele zu erreichen. Das Ziel eines Led Zeppelin Konzertes ist es, bei den Spielern und beim Publikum Energie freizusetzen. Um das zu erlangen, muß man die Quellen magischer Kraft anzapfen, so gefährlich das auch sein mag.”(2)

Als härtere und schnellere Version des Hardrock entwickelte sich der Heavy Metal, wobei neben dem vielfach betont machomäßigen Image auch die okkulte Thematik vom Hardrock übernommen wurde. Das Benutzen von Symbolen wie dem Pentagramm, dem Hexagramm und umgedrehten Kreuzen auf den Covern wurde selbstverständlich, wobei diese auch hier fast ausschließich aus Show- und Imagegründen verwendet wurden. Aus dem Heavy Metal heraus entstand wiederum in den achtziger Jahren der Death Metal. Typisch für ihn sind Texte, die Gewalt, apokalyptische Zustände oder auch okkulte Praktiken beschreiben. Zumeist sind es nur bestimmte Schlüsselworte, die das Image der Gruppe untermalen sollen, eine tiefergreifende Auseinandersetzung ist nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben. Oftmals wirken die Texte und Plattencover vieler Bands geradezu zwanghaft imagegerecht.

Zu den bekanntesten Death-Metal-Bands, die sich mit okkulten Thematiken beschäftigen, gehören Morbid Angel und Nocturnus. Mitglieder beider Bands, zwischen denen personelle Verbindungen bestehen, berufen sich auf Crowley und bekennen sich in Interviews zu okkulten Praktiken, die bis zu Tieropfern reichen. David Vincent, der ehemalige Sänger von Morbid Angel setzt dabei ausdrücklich Satanismus mit Rebellion gleich: ”Für mich ist Satanismus nur ein Begriff, der durch seine Gegensätzlichkeit zu den etablierten Religionen einen Inhalt bekommt. Da hat er eine Dimension der Kritik, der Nonkonformität. Für mich ist es einfach eine mögliche Ausdrucksform meiner eigenen Lebenssicht.”(3) Bezeichnender Weise gestehen Mitglieder von Morbid Angel bei Interviews aber auch offen ein, daß sie als Death-Metal-Musiker zwangsläufig Texte mit satanischen oder okkulten Inhalten schreiben müssen, um ihrem Image werbegerecht zu entsprechen.

Für einen großen Teil der jugendlichen, zumeist männlichen Heavy-Metal-Fans ist die in einigen Fällen blinde Identifikation mit derartigen Bands aber auch ein Ausdruck eines Ausbruchs- und Abgrenzungsversuches gegen die von Eltern, Gesellschaft und System vorgegebenen Werte. Dabei wird jedoch nur ein autoritäres Bezugsfeld durch ein anderes nicht minder autoritäres ersetzt. Generell darf die Bedeutung von okkultistisch beeinflußten Metal-Bands allerdings nicht überschätzt werden. Es ist eine seltene Ausnahme, daß sich Metal-Fans auf Grund von Songtexten okkulten Praktiken zuwenden. Allerdings wird über das Image der Bands eine Akzeptanz und Offenheit gegenüber entsprechenden Anschauungen bewirkt.

DIE ROLLE DER KIRCHE

Die katholische Kirche und andere christliche Gruppen benutzen immer wieder die vorgeblich okkulten Bands völlig verallgemeinernd als Beweis für den angeblich generell satanischen Charakter der Pop- und Rockmusik. Vermittelt wird dabei zumeist das Bild eines personifizierten Teufels, der den Untergang des christlichen Abendlandes herbeiführen will. So sprach Papst Johannes Paul II. im Mai 1985 in einer ”Rede an die belgische Jugend”(4) von den ”Verführungen des Teufels” zu denen er unter anderem eine Sexualität, welche den katholischen Maßstäben nicht entspricht, und die Pop- und Rockmusik als ”Gedanken zerstörenden Lärm” zählte.

Ein typischer Ausdruck dieser Position ist die Buchveröffentlichung ”Der Tag, an dem die Musik starb” von Bob Larson, einem ehemaligen Rock-Musiker, der sich inzwischen als ”bekehrt” versteht. Neben den reaktionär christlichen Grundeinstellungen fällt in dem Buch besonders die frauenfeindliche Argumentation auf. ”Satan weiß, wenn er in diesen letzten Tagen vor der Wiederkunft Christi wirkungsvoll arbeiten will, muß er Kontrolle über die Jugend gewinnen. Satan benutzt Hardrock, um diese Generation zu beherrschen. Mit meinen eigenen Augen habe ich Jugendliche gesehen, die beim Tanzen zu Rockmusik von Dämonen besessen wurden. Dies war besonders bei Mädchen beobachtbar. Von einer jungen Dame dürfte man erwarten, daß sie beim Tanzen einigen Anstand bewahrt; ich habe jedoch Teenager-Mädchen beobachtet, die in krampfartige Zuckungen fielen, die nur durch die Manifestation dämonischer Kräfte erklärbar waren.”(5)

Entsprechend totalitäre Positionen gegenüber nicht genehmen kulturellen Ausdrucksformen haben im Christentum bzw. insbesondere in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Seit ihrem Bestehen wurden und werden bis heute Menschen, die anders leben als es die Kirche vorgibt, von dieser scharf verurteilt. Dabei liegt es an der gesellschaftlichen Macht der Kirche, ob diese Verurteilung auf eine verbale Ebene beschränkt bleibt oder bis zur physischen Vernichtung der Andersdenkenden reicht. Die Kreuzzüge, die Hexenverfolgung, die christliche Kolonialisierung und die Zusammenarbeit mit faschistischen Regierungen sind nur einige wenige historische Beispiele. Die wenigen ChristInnen die sich dieser Politik widersetzten, wurden zumeist verfolgt oder unterdrückt.

In Rahmen der theoretischen Begründungen für den angeblich satanischen Charakter der Rockmusik werden durchgehend die geschichtlichen Wurzeln des Satanismus ignoriert. Dieser entstand in einem wesentlichen Maße als Reaktion auf die totalitäre Politik der Kirche. Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert wurde Satan sogar in einer für die damaligen Verhältnisse sozialrevolutionären Weise zum König der Unterdrückten stilisiert, während der christliche Gott als Helfer der Mächtigen und Christus als Verräter an der Menschheit, die er nur vorgeblich erlöste, dargestellt wurden. Besonders deutlich wurde dieser Ansatz bei Schriftstellern wie Giosuè Carducci, Joris Karl Huysmans und Charles Baudelaire.

In Zusammenarbeit mit konservativen Kreisen initierten christliche Gruppen in der Mitte der achtziger Jahre in den USA eine Kampagne gegen die Pop- und Rockmusik. Die wichtigste Organisation war in diesem Zusammenhang die Elternvereinigung Parents’ Music Resource Center. Sie richtete sich mit ihren Aktivitäten nicht nur gegen ”satanistische” Bands, sondern insbesondere auch gegen MusikerInnen, die linke Positionen vertraten, offen sexuelle Themen formulierten oder sich zu ihrer Homosexualität bekannten. Die Kampagne bewirkte unter anderem, daß einige Handelsketten die entsprechenden Veröffentlichungen nicht mehr vertrieben und Schallplattencover mit Aufklebern versehen wurden, die vor der angeblich jugendgefährdenden Wirkung der Musik warnten. Auch in der BRD wurden diese Bestrebungen aufgegriffen, allerdings mit einem im Vergleich zu den USA nur mäßigen Erfolg. Daß solche Bestrebungen jedoch nicht zu unterschätzen sind, zeigten um 1990 eine Reihe entsprechend ausgerichteter Berichte in den Medien. Bezeichnend war eine Veranstaltung des ”Interessenkreis Frauen in der CSU” im März 1991 zum Thema Rockmusik. Dort warnte ein als Experte eingeladener Schulpsychologe in einer offen rassistischen Weise vor der ”Musik aus Negerslums und Ghettos.”(6) Zudem verwiesen CSU-Mitglieder auf den angeblich großen Einfluß von ”Satanskirchen” auf die Rockmusik.

CURRENT 93 UND DIE SUCHE

Anfang der achtziger Jahre entwickelte sich im Umfeld der Industrial Music ein Musikstil, der im folgenden als Okkulturelle Musik bezeichnet werden soll. Im Gegensatz zum Death Metal wurde er von einer breiteren Öffentlichkeit und entsprechend auch von den christlich-reaktionären Gruppen kaum wahrgenommen, obwohl sich die entsprechenden Bands wesentlich fundierter mit dem Bereich der okkulten Kultur auseinandersetzten. Die Themenbereiche, die sich in den Veröffentlichungen von Current 93, einem der einflußreichsten Projekte aus dem Bereich der Okkulturellen Musik, beständig widerspiegeln, sind die Suche nach dem Sinn der Existenz, die Auseinandersetzung mit Leben und Tod, sowie das Streben nach innerer Veränderung und Erkenntnis. Die Fragen, die in den Songtexten unterschwellig gestellt wurden, blieben die gleichen, die Antworten aber wandelten sich im Laufe der Jahre.

Current 93 entstand zu Beginn der achtziger Jahre als Projekt des in London lebenden David Tibet. Musikalisch waren dessen Stücke von einer düsteren, bedrückenden Stimmung bestimmt. Auf Veröffentlichungen wie ”Nature Unveiled” und ”Dogs Blood Rising” standen collagenhafte Einspielungen von gregorianischen Chorälen und Meditationsgesängen tibetischer Mönche neben verfremdeten Stimmen und Geräuschen, die meist mit monotonen Grundrhythmen unterlegt waren. Inhaltlich waren religiöse und okkulte Themen vorherrschend. Einen großen Einfluß übten die Lehren Aleister Crowleys auf Tibet aus, der zu dieser Zeit Mitglied im Ordo Templi Orientis war. Hinweise auf Crowley lassen sich im Bandnamen Current 93, sowie in fast allen frühen Veröffentlichungen finden. Der okkulte Meister stand stets im Hintergrund und kam sogar in einigen Stücken durch die Einspielung alter Originalaufnahmen persönlich zu Wort. Zudem übten auch die ”Gesänge des Maldoror” des französischen Autors Comte de Lautréamont und die christliche Eschatologie, die Lehre vom Endschicksal des Einzelnen und der Welt, einen großen Einfluß auf Tibet aus und bestärkten gleichzeitig das Image von Current 93. Immer wieder wurde in den Veröffentlichungen die Ankunft des Antichristen beschworen, als letzte Hoffnung in einer gleichermaßen zerstörten und zerstörenden Welt. Current 93 zufolge entsprach das scheinbare Gefühl des Glücks einem verschleiernden Selbstbetrug, da es in einer Kultur, deren destruktiver Charakter überall offensichtlich ist, letztlich keinen Grund zu wirklicher Freude geben kann. ”How can there be pleasure, how can there be joy, when the whole world is burning.”

In den späten achtziger Jahren begann Tibet sich weitgehend von seinen frühen Aufnahmen zu distanzieren, was ihn allerdings nicht daran hinderte, sie beständig nachzupressen. Eng verbunden mit der Veränderung der Lebenseinstellung war die Veränderung der musikalischen Mittel. Die Veröffentlichungen orientierten sich zunehmend an der englischen Folk-Musik und verloren ihren düsteren Charakter. Die wesentliche Ursache für diesen Wandel lag in der Zuwendung Tibets zum Buddhismus, wobei er in diesem Zusammenhang vom ”inneren Frieden” spricht, den er seitdem gefunden hat. Auch wenn sich religiöse Aussagen beständig in den Texten von Current 93 finden, so weist Tibet einen missionarischen Ansatz weit von sich und betont die Bedeutung, die seine Musik für ihn persönlich hat. ”Ich kann nicht sagen, welche objektive Bedeutung meine Musik für andere hat. Wenn ich einen Song wie ’The death of a corn’ singe, dann weiß ich wovon ich spreche. Vielleicht verstehst du ihn auch so, vielleicht in einem anderen Sinn, vielleicht auch überhaupt nicht. Vielleicht ist es auch völlig egal. ”(7)

DIE OKKULTURELLE MUSIK

Musikalisch sind die Projekte der Okkulturellen Musik vielfältig ausgeprägt, das vorrangige verbindende Merkmal ist die inhaltliche Ausrichtung. Im wesentlichen lassen sich zwei stilistischen Entwicklungen unterscheiden. Charakteristisch sind zum einen langgezogene, atmosphärische Melodien, Einspielungen von sakralen Gesängen und eine mystisch-ritualhafte Grundstimmung. Zum anderen orientieren sich seit Mitte der achtziger Jahre zahlreiche Gruppen an der englischen Folk-Musik. Im Gegensatz zur ursprünglich magischen bzw. okkulten Musik, die insbesondere an bestimmten Ritualen ausgerichtet war, basieren die meisten Veröffentlichungen aus dem Bereich der okkulturellen Musik vorrangig auf einer Beschreibung der Kultur des Okkulten. Nur in einzelnen Fällen werden Stücke gezielt für die Verwendung in magischen Ritualen komponiert. Zumeist lassen sich schon im Bandnamen, sowie auf den Covern und in den Texten Bezüge auf okkulte Theorien, Symbole und Handlungen finden.

Vielfach läßt sich nur schwer einzuschätzen, inwieweit die Bands bewußt entsprechende Einstellungen vertreten oder sich nur aus Imagegründen und einer oberflächlichen Beschäftigung heraus auf sie beziehen. Unabhängig davon bilden die Okkulturellen Bands ein Gegengewicht zur illusionären und harmonisierenden New-Age-Musik. Bei vielen Bands sind allerdings auch deutliche Bezüge zu faschistischen Positionen zu erkennen. Zumeist wurzelt dies in einem falschen Verständnis von heidnischen oder okkulten Lehren, sowie zum Teil in einem mystifizierten Bild des deutschen Faschismus, dessen menschenverachtender Charakter dadei immer wieder in einer gefährlichen Weise verschleiert wird.

Die Gruppen aus dem Bereich der okkulturellen Musik stoßen insbesondere in der Gothic-Szene auf ein großes Interesse. Diese kennzeichnet ein eigenwilliger Hang zu einer dunklen Romantik, die nicht selten in eine Faszination für Morbides und Okkultes mündet. Äußerlich auffallende Merkmale sind die schwarze Kleidung, die zum Teil extrem gestalteten Haare und die blaß geschminkten Gesichter. Ansatzweise dient der äußere Stil als Ausdruck der Ablehnung der vorgegebenen gesellschaftlichen Normen, die sich allerdings in der Regel nur an den Wochenenden in einer Rückzugs- und Verweigerungshaltung widerspiegelt. Es spricht für sich, daß David Tibet nach seinen Konzerten meist von schwarz gekleideten Gestalten umringt ist, die begierig nach Autogrammen fragen. Ein Bild, das sich abgesehen von der Farbe der Kleidung nur unwesentlich von durchschnittlichen Pop-Konzerten unterscheidet. Die eigene Persönlichkeit wird auch hier über die Musik bzw. die entsprechenden Stars und deren Image definiert.

Das Label Nekrophile Rekords ordnete seine Veröffentlichungen unter dem Motto ”Martialische Musik für das neue Zeitalter” völlig dem Ziel der Verbreitung der Lehren Aleister Crowleys unter. Eine besondere Bedeutung wurde dabei der Sexualität zugemessen: ”Der Krieg für die Befreiung des Todes ist auch der Krieg für die Befreiung der Liebe, der himmlischen Hymne für die aufbrechende Macht des unabhängigen Willens. Jeder Kampf, der es versäumt, die Energien sexueller Befreiung zu nutzen, ist zum Scheitern verurteilt.”(8) Zur bekanntesten Veröffentlichung auf Nekrophile Rekords wurde ”The secret eye of L.A.Y.A.H.” von Zero Kama. Die gleichermaßen von percussionsartigen und meditativen Stücken geprägte Kassette ”ist dem Symbol Layah, welches für Nacht und Tod steht, und seinem numerischen Äquivalent Oz, der unterdrückten sexuellen Kraft der Kreativität, gewidmet.”(9) Die benutzten Instrumente wurden aus menschlichen Knochen und Schädeln hergestellt.

Auch die englische Gruppe Coil bezieht sich neben buddhistischen Ansätzen insbesondere auf Crowley. Die frühen Veröffentlichungen sind von harten elektronischen Rhythmen und bizarren Klanglandschaften geprägt, wobei spätere Aufnahmen im herkömmlichen Sinne eingängiger sind. Einige der Stücke haben einen betont rituellen Grundcharakter. ”Es ist eine Beschwörung einer magischen Energie. Einer Energie, die wir definiert, beschrieben und auf Tonband aufgenommen haben.”(10) Die Konzerte des Perkussionisten und Performance-Künstlers Z’ev gleichen einer Auseinandersetzung mit den klanglichen Möglichkeiten von Metallgegenständen, die er entweder selbst hergestellt oder aus dem Bereich der industriellen Produktion übernimmt. 1992 veröffentlichte Z’ev das Buch ”Rhythmajik”, in dem er die traditionelle jüdische Lehre der Kabbala in den Bereich der Musik übertrug. ”Rhythmajik ist eine Art Rückkehr zu einem erdverbundenen Schamanismus. Sie ist in der Erde verwurzelt. Man könnte sie als schamanische Kabbalistik bezeichnen, weil sie stark mit dem Klang, dem Gefühl, der unmittelbaren Erfahrung zusammenhängt.”(11)

Die Band A Place To Pray aus Norwegen gehörte zu den wenigen Gruppen, die zumindest tendenziell ein anarchistisches Selbstverständnis mit okkulten Gedanken verbanden und gleichermaßen mit linken gegenkulturellen Projekten wie mit okkulten Gruppen zusammenarbeitete. Die Bandmitglieder erhoben allerdings keinen Anspruch auf die Verkündung eines einzig wahren Weges. Olav Hagen schrieb dazu: ”Wir haben kein Recht, jemanden unseren Glauben aufzuzwingen. Wir haben nur das Recht nach unserem Willen zu leben, ohne andere zu beeinträchtigen.”(12) Musikalisch reichte das Spektrum der Veröffentlichungen von experimentellen Aufnahmen bis zu traditionell aufgebauten Stücken mit einer ruhigen, düsteren Ausstrahlung.

Im krassen Gegensatz zu A Place To Pray kommen bei Radio Werewolf die Verbindungen zwischen okkulten Lehren und faschistischen Grundhaltungen offen zum Ausdruck. Ausgehend von einem gefährlich verschleiernden Geschichtsbild spricht Nikolas Schreck, der Kopf der Gruppe, der zeitweise der First Church of Satan nahestand, fälschlicher Weise von den ”Nazi-Führern” als ”Okkultisten, die die Ordnung der Natur wieder herstellen wollten.”(13) Faschistische Positionen und Symbole sind ebenfalls bei Death In June zu finden, wobei auch hier ein verfälschtes und mystifiziertes Geschichtsbild zum Ausdruck kommt. Ideologischer Bezugspunkt der Band ist der ”linke” Flügel der Nationalsozialisten, der 1934 ausgeschaltet wurde. Die Bedeutung okkulter Lehren und Praktiken betonte Douglas Pearce, das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band, mehrfach in Interviews. In den Texten kommen sie allerdings nur selten so deutlich zum Ausdruck wie in dem Stück ”Rule again”: ”I have seen on that far hill, angels locked in war. Love is the law. Love under will. The heart of the master guides me.”

Neben Death In June und den späten Current 93 gehört Sol Invictus zu den wichtigsten Vertretern des Apocalyptic Folk, einer Stilrichtung, die inhaltlich und musikalisch auf alte Folktraditionen zurückgreift. ”Viele alte Folk-Lieder beschreiben Elemente der unterdrückten heidnischen Traditionen. Wir versuchen diese wieder ins Gedächtnis zurück zu bringen und sie fortzuführen.”(14) Beständig wiederkehrendes Element in den Texten ist das Ideal einer alten, imaginären Gesellschaft, die im Gegensatz zu den heutigen auf einer inneren Stärke basiert. ”So this is the west, a land we’re meant to defend, of happy slaves, who will babble to the end; beneath the towers, where financers roost, but above them the sun, that sings out an ancient truth.”

Auch die italienische Band Ordo Equitum Solis greift in ihren Texten okkulte Inhalte auf. Mehrfach werden diese mit einer gesellschaftskritischen Beschreibung der Zerstörung der Erde verbunden. Leithana, die Sängerin der Gruppe, sagte dazu: ”Wenn du um dich herum blickst, dann kannst du in dieser Gesellschaft nicht glücklich sein. Unsere Musik ist deshalb traurig, aber nicht depressiv, denn jeder Tod bedeutet auch eine Wiedergeburt und manchmal müssen sich die Dinge in einer tragischen Weise ändern, um besser zu werden.”(15) Die eng miteinander verbundenen Projekte Sixth Comm und Mother Destruction beziehen sich auf die nordische Runenmythologie und tantrische Lehren. Zusammen mit der Runenforscherin Freya Aswynn veröffentlichten Sixth Comm die LP ”Fruits of Yggdrasil”, die ”den Gesängen, Gedichten und der Magie der Runen gewidmet”(16), wobei sich Aswynn nachhaltig von der Vereinnahmung der Runenmythologie durch faschistische Gruppen abgrenzt. Im Vordergrund der Aufnahmen stehen musikalisch untermalte Passagen aus der nordischen Sage Edda und rituelle Beschwörungen.

Einen großen Einfluß innerhalb der Okkulturellen Musik besaß die Band Psychic TV um Genesis P-Orridge, der sich in vielfältiger Form mit okkulten Anschauungen beschäftigte. Der im Umfeld von Psychic TV gegründete Temple Ov Psychick Youth arbeitete als internationales Netzwerk, das sich gleichermaßen mit magischen Praktiken wie mit gegenkulturellen Ausdrucksformen auseinandersetzte. ”Berührt Euch selbst! Berührt andere! Kommuniziert mit den Elementen und den Kräften der Natur. Macht Euch dabei die Technologie zum Werkzeug. Füttert die Foto- und Filmkameras, die Computer und Tonbänder mit der Gnostik, den alten Symbolen, Tiergesängen, Tänzen, Träumen und nackten Körpern.”(17)

(1998)

Anmerkungen:
1) Crowley, Aleister / Das Buch des Gesetzes - Liber Al vel Legis. (Sphinx Verlag). Basel, 1981.
2) Jimmy Page zitiert in: Schmidt-Joos, Siegfried / Sympathy for the devil - Aleister Crowley, Kenneth Anger und die Folgen. In: Gülden, Jörg und Humann, Klaus / Rock Session 1. (Rowohlt). Reinbeck bei Hamburg, 1977.
3) Aus einem Interview mit David Vincent in: Metal Hammer Extra - Trash. Dortmund, 1991.
4) Johannes Paul II. zitiert in: ”Papst sieht Verfall des Religiösen seit dem Zweiten Konzil”. In: Frankfurter Rundschau 20.5.1985.
5) Bob Larson zitiert in: Bäumer, U. / Wir wollen nur deine Seele. (Christliche Literatur). Bielefeld, 1984.
6) Werner Glogauer zitiert in: ”CSU-Frauen wittern im Hard Rock ’satanische Kräfte’”. In: Frankfurter Rundschau 11.3.1991.
7) Aus einem Gespräch des Autors mit David Tibet vom 24.3.1991 in Frankfurt am Main. Auszugsweise in: Sterneck, Wolfgang / Der innere Friede - Ein Gespräch mit David Tibet. (KomistA). Maintal, 1991.
8) Nekrophile Rekords / Document 2 CR 11. In: Nekrophile Rekords Cassette Catalogue. Wien, 1985.
9) Aus dem Text zur CD: Zero Kama / The secret eye of L.A.Y.A.H.. (Nekrophile Rekords). 1984.
10) Aus einem Interview mit John Balance (Coil). In: The Feverish Nr. 4. Moers, 1985.
11) Aus einem Interview mit Z’ev. In: Kadmon (Hrsg.) / Z’ev - Medizin der Metalle. (Aorta). Wien, 1992.
12) Aus einem Brief von Olav Hagen an den Autor. März 1992.
13) Nikolas Schreck zitiert in: Freuen, Sven / Radio Werewolf. In: Zillo Nr. 6/91. Lübeck, 1991.
14) Aus einem Brief von Tony Wakeford (Sol Invictus) an den Autor. Januar 1991.
15) Aus einem Gespräch des Autors mit Leithana und Deraclamo (Ordo Equitum Solis) am 10.5.1991 in Frankfurt am Main.
16) Aus einem Interview mit Freya Aswynn. In: The Fifth Path No. 3. USA, 1991.
17) Thee Temple Ov Psychick Youth / 10 Jahre. In: Rave New World - 4/94. Heidelberg, 1994.

Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).

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