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Wolfgang Sterneck
DAS WOODSTOCK DES KONSUMS
Die Wiese ist vollständig mit Müll übersät,
Abfalleimer sind soweit sichtbar auch nicht vorhanden - der Plastic-Raver
braucht in der Wegwerfgesellschaft der Gegenwart ohnehin keinen.
Auch nicht auf einem Festival, das sich zynisch ”Nature One”
nennt.
MÜLLBERGE AUF DER NATURE ONE
Bei der Ankunft erwarten uns gleich die gewohnten Probleme mit den
Securities, die pflichtbewusst ihre Macht demonstrieren müssen.
Erst nach einigen Gesprächen wird uns die Durchfahrt mit dem
Bus des Alice-Projects zum zugesicherten kostenlosen Stellplatz
ermöglicht. Der normale Festivalbesucher muss dagegen nach
den 55 Euro Eintritt noch mal 11 Euro zusätzlich zahlen. Es
sind nicht die letzten Zusatzkosten auf dem Open-Air-Rave im Hunsrück,
den jährlich rund 50.000 Menschen besuchen.
Nachdem wir einen halbwegs müllfreien Platz geschaffen haben,
bauen wir zwischen Imbissbuden und einer kleinen Bühne unseren
Stand auf. Erhältlich sind insbesondere Flyer mit Infos zu
Drogen, die weder tabuisieren, noch beschönigen, sondern zu
einer Drogenmündigkeit beitragen sollen. Zudem liegen Flyer
mit kritischen Anmerkungen zur Party-Kultur und politischen Texten
aus. Erhältlich sind außerdem kostenlos Vitamin-Tabletten,
Kondome und Ohrstöpsel.
Gleich werden uns von einigen Ravern die Fragen gestellt, die wir
in letzter Zeit verstärkt hören: ”Warum macht ihr
das?” bzw. ”Wer hat Euch beauftragt?” Ein verständnisloser
Blick folgt unmittelbar auf unsere Antwort, dass wir das Alice-Project
aus eigenem Antrieb heraus mit Leben füllen. In einer Zeit
in der es um ”Ich-AGs” geht und in der in der Werbung
Sprüche wie ”Geiz ist Geil” oder ”Essen fürs
Ich” zur Normalität geworden sind, stößt ein
Idealismus wie ihn Alice verkörpert fast zwangsläufig
vielfach auf Unverständnis.
Irgendwann steigt eine riesige aufblasbare Jägermeister-Flasche
über dem Gelände auf. Ein surreales Bild als unübersehbarer
PR-Gag - und ebenso symbolhaft. Der naive Traum von der massenhaften
Bewusstseinsentwicklung durch LSD ist längst genauso ausgeträumt
wie die Illusion durch Ecstasy die Gesellschaft ”peacig”
zu verändern. Der Alk triumphiert wieder, und wer sich nicht
mit dem schnöden Bier abgibt, der schüttet all die neuen
trendigen Mixgetränke in sich hinein.
DAS LAND DER TRÄUME
Erst Abends um 20:00 wird das eigentliche Festivalgelände geöffnet.
Ein ehemaliges Militärgelände, das praktischer Weise von
Mauern und Stacheldraht umgeben ist. Ich gliedere mich in die Menschenmassen
ein, die vom Campingplatz dorthin strömen.
Nach 20 Minuten erreichen wir im Eingangsbereich einen riesigen
Pulk von Menschen. Dort kämpfe ich mich zur VIP/Personal-Kasse
durch, wo spezielle Bändchen für die Alice-Mitarbeiter
hinterlegt sein sollen, die den Eintritt erleichtern. Der junge
Mann an der Kasse weiß erst von nichts, dann sagt er, er hätte
Eve&Rave als koordinierender Gruppe nur eine bestimmte Zahl
zugesagt und die hätte er schon ausgegeben. Zudem müssten
wir dafür dankbar sein, dass wir relativ kurzfristig noch einen
Standplatz bekommen hätten, ohne zahlen zu müssen.
Es folgt zum zigsten Mal eine Diskussion mit einem Veranstalter
bzw. einem hier eigentlich fast unbedeutenden Angestellten über
die Bedeutung von Drogenaufklärung, die soziale Verantwortung
eines Veranstalters und den Umstand, dass eigentlich wir bezahlt
werden müssten und nicht umgekehrt.
Das Gespräch endet damit, dass ich mich mit mit meiner Eintrittskarte,
aber ohne Bändchen in eine der Schlangen dränge. Da nur
etwa zwölf Durchgangsbereiche für mehrere tausende Menschen
bestehen, in die jeweils nur eine Person treten kann, ist die Endlosschlange
zwangsläufig. Ein zermürbendes Gedränge entsteht:
Vor, zurück, warten und wieder warten.
Im ersten Bereich wird kontrolliert, ob jemand ein Getränk
oder etwas zu essen mitgenommen hat, was nicht erlaubt ist. Danach
folgt wieder eine Schlange vor der Überprüfung der Eintrittskarte.
Gerade in Bezug auf das Getränkeverbot erhalten die einleitenden
Sätze aus dem Programmheft noch einmal eine ganz besondere
Bedeutung: ”Endlich angekommen im Land Eurer Träume!
Im Land aus Licht und Sound, wo alles Andere draußen bleibt
und nur Eure Party zählt!”
ALLES SO GEIL HIER
Das vorgebliche ”Land der Träume” erscheint dann
wie ein Rummelplatz: Imbiss-Buden, Bungge-Springen, zahllose Shops
und unablässig Werbeplakate, Logo-Projektionen und unzählige
Flyer die den Boden vermüllen. Menschenmassen, drängen
sich von einem Party-Zelt ins andere, um immer wiederfestzustellen,
dass fast alle Zelte überfüllt und zumeist völlig
stickig sind.
Wer etwas trinken will, muss sich erneut in eine Schlange für
die entsprechenden Bons einreihen, um sich dann wieder mit den Bons
in eine Schlange für das Getränk zu begeben. Und wieder
Gedränge, warten, vorankämpfen ...
Ich laufe umher, beobachte, suche, ... und finde keinen Platz für
mich. Selbst der beste DJ kann mich hier nicht mitreißen.
Und ich bin nicht der Einzige: Im Grunde laufen Tausende ziellos
umher. Wenn ich in die Gesichter blicke, dann sehe ich in so vielen
die Sehnsucht nach dem Gefühl des inneren Loslassens auf einer
guten Party. Es ist die unerfüllte Sehnsucht nach dem Gefühl,
welches die Promotion im Vorfeld zu diesem Festival vermittelt.
Die meisten kommen trotzdem jedes Jahr wieder.
Vor der Bühne bewegen sich einige Tanzende im Gedränge
wild und hektisch irgendwie im Takt der Musik. Die meisten haben
ein fratzenhaftes Grinsen, während sie krampfhaft Kaugummi
kauen. Hauptsache die Pille kommt gut. ”Alles so geil hier.”
UND NOCHMAL ZAHLEN
Mir reicht es, ich will hier raus - doch wenn es so einfach wäre.
Wer sich aus dem Festival-Bereich zurück auf das Camping-Feld
begibt und sich die Möglichkeit erhalten will, nochmals zurück
kommen zu können, muss die Eintrittskarte gegen ein Bändchen
tauschen - und dies kostet zusätzliche 3 Euro. Jetzt wird klar,
was dieser ominöse Hinweis auf der Eintrittskarte bedeutet
”Berechtigung zum Kauf des Wiedereinlass-Bandes”.
Nun hatte ich jedoch mein Geld im Bus gelassen. Ich wollte hier
nichts ausgeben und hatte in naiver Weise auch nicht damit gerechnet,
dass ich hier etwas ausgeben muss. So frage ich die Leute von einem
Plattenstand, ob sie mir 3 Euro für einige Stunden leihen können,
ich hinterlasse ihnen auch meine Ringe als Pfand - ”Nein,
machen wir nicht!” Erst die jungen Frauen eines Schmuckstandes
aus Amsterdam drücken mir das Geld in die Hand. Damit muss
ich mich dann erneut in eine Schlange drängen, um endlich dieses
Bändchen zu erhalten.
Ob er gewusst habe, dass dieses Bändchen etwas kostet, frage
ich in der Schlange meinen Nachbarn. Ja, das war letztes Jahr auch
schon so, antwortet er. Als ich dann ausführe, dass ich dies
für üble Geldmacherei halte, schaut er mich verblüfft
an. Wie kann man sich auch über drei zusätzliche Euro
beschweren, wenn Väth, Rush und Tomcraft hier auflegen.
DAS SYSTEM FUNKTIONIERT
Pünktlich um 6:00 ist die erste Nacht vorbei - und die Massen
werden wieder auf den Campingplatz getrieben. Dort legt gleich neben
unserem Bus wieder der DJ eines Bus-Unternehmens auf, das Fahrten
zu Techno-Events organisiert. Er gibt sich größte Mühe
alle Ideale mit denen Techno einmal musikalisch begann auf den Kopf
zu stellen. So läuft ”TNT” von AC/DC als Sample
mit einem Beat unterlegt genauso wie Achtziger-Jahre-Hits als House-Remix.
Auch das Stück aus der Eiscream-Werbung darf auch nicht fehlen.
Da steht der Raver druff mit der Bierflasche auf der Tanzfläche
und bekommt plötzlich Lust auf Eis - und fragt sich warum.
Die Vermarktungsmaschinerie für die Nature One scheint gut
zu laufen. So hat das Festival den ”Deutschen Dance Award”
für das ”Beste Event” erhalten und der Spiegel
schreibt ernsthaft vom ”Woodstock der Neuzeit”. Eine
Beschreibung, die vielleicht doch nicht so falsch liegt, wenn man
die vorherrschenden Werte der jeweiligen Zeit zu Grunde legt und
die großen Festivals als entsprechenden Ausdruck versteht.
Man darf nur nicht auf den Gedanken kommen, die Nature One habe
darüber hinaus irgendetwas mit Woodstock zu tun.
Die Zusatzveranstaltung ”Liberty One”, die einige Wochen
später stattfindet, wird von den Veranstaltern wörtlich
als ”Demonstration gegen Drogen” angekündigt. Als
ob solch ein Festival ohne Drogen funktionieren würde, seien
es illegale oder legale. So gehören zu den Hauptsponsoren selbstverständlich
auch hier die üblichen Alkohol- und Zigarretten-Konzerne. Spätestens
dabei wird deutlich, dass es den Veranstaltern mit derartigen Ankündigungen
nicht um die Drogenproblematik geht, sondern einzig um ein möglichst
positives Bild in der Öffentlichkeit.
Im krassen Gegensatz zu solchen konnmerziell bestimmten Interessen
finden am gleichen Wochenende in Berlin und Frankfurt unter dem
Titel ”Rave against Polizeigranaten” mehrere Veranstaltungen
statt. Sie richten sich gegen die teilweise brutalen Polizeieinsätze
in Frankreich zur Auflösung von Underground-Festivals. Einmal
mehr sollen dort mit der Zerschlagung der Teknivals die verbliebenen
Ansätze einer alternativen Kultur zerschlagen werden, während
die Nature One von der Kulturindustrie prämiert wird. Das System
funktioniert.
www.sterneck.net
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