Wolfgang Sterneck
DER TANZ MIT MESCALITO
Psychoaktive Kakteen wirken in der Regel abhängig von der Dosierung
psychedelisch. Dabei steht der Begriff ”psychedelisch”
sinngemäß für ”die Psyche offenbarend”
und damit insbesondere auch für die Freilegung von Gefühlen
und Erlebnissen die sich im Unbewussten befinden. Psychedelika tragen
in diesem Sinne nur in einem geringen Maße etwas neues in
die entsprechende Person hinein, sie öffnen vielmehr in einem
wesentlichen Rahmen nur Türen zu Räumen, die in der betreffenden
Person bereits vorhanden sind.
Was sich nun in diesen inneren Räumen befindet ist keineswegs
einheitlich, vielmehr hängt es von zahlreichen inneren, persönlichen
und äußeren, soziokulturellen Faktoren ab.
Aldous Huxley sprach in den fünfziger Jahren in seinen berühmten
Aufsatz ”Die Pforten der Wahrnehmung” dabei von ”Himmel”,
”Hölle” und ”Vision” als Spektrum der
psychedelischen Wahrnehmung. Er hatte zuvor in hohen Dosierungen
mit Meskalin, dem psychoaktiv wirksamen Bestandteil des Peyote-Kaktusses
experimentiert,.
Die moderne Bewusstseinsforschung spricht inzwischen in Anklang
an Huxley von der ”Ozeanischen Selbstentgrenzung”, der
”Visionären Umstrukturierung” und der ”Angstvollen
Ichauflösung”.
Die ”Ozeanische Selbstentgrenzung” beschreibt beglückende
Erfahrungen wie ein ausgeprägtes Glücksempfinden oder
ein Gefühl tiefer Verbindung mit Natur und Kosmos.
Der Begriff der "Visionären Umstrukturierung" bezieht
sich auf Veränderungen der Wahrnehmung. Farben und Töne
erscheinen in neuen Ausprägungen oder gehen sogar ineinander
über. Unter Umständen sieht man Bilder und glaubt den
tieferen Sinn bestimmter Gegebenheiten zu erkennen.
Die ”Angstvolle Ichauflösung” entspricht einem
Horror-Trip, also den bedrohlichen Aspekten wie Gedankenverknotungen
und bedrückenden Gefühlen bis hin zu Paranoia und Wahnvorstellungen.
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All diese Erfahrungen vollziehen sich nie in einem bezugslosen Raum.
Persönliche Faktoren sind dabei ebenso bedeutsam wie auch die
umgebenden sozialen und kulturellen Bedingungen. Der Umgang mit
Drogen ist nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesellschaftliche
und politische Frage.
Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der Geschichte des
Peyote-Kaktusses, der insbesondere in Mexiko seit hunderten von
Jahren bis in die Gegenwart von einigen indianischen Stämmen
zur Erlangung von Visionen gebraucht wird.
Im Zuge der Conquista, der Eroberung und Kolonialisierung Mexikos
und Perus, kam es seit dem 16. Jahrhundert zu einer brutalen Unterdrückung
des traditionellen Gebrauchs psychoaktiver Substanzen. Von den neuen
weißen Machthabern wurden die für sie nicht nachvollziehbaren
Wirkungsweisen als Bedrohung empfunden und von den christlichen
Missionaren als teuflisch gebrandmarkt.
Letztlich war es eine Machtfrage, denn "wenn die Indianer Peyote
genommen haben, dann gehorchen sie uns nicht mehr" so hieß
es. Und wer sich nicht mehr kontrollieren läßt, der läßt
sich auch nicht mehr beherrschen, der ist nicht mehr als Arbeitskraft
ausbeutbar und auch nicht mehr für christliche Moralvorstellungen
erreichbar.
Die Unterdrückung des Gebrauchs bestimmter psychoaktiver Substanzen
als Teil eines Systems kultureller Ausbeutung und Gleichschaltung
lässt sich bis heute in die Zeit der Globalisierung aufzeigen.
Es besteht eine lange Tradition die von der Conquista über
die Verbote unterschiedlichster Substanzen bis hin zum "War
on Drugs" reicht. Dabei ging zumeist nur oberflächlich
um gesundheitliche Aspekte, sondern im wesentlichen um wirtschaftliche
Zielsetzungen bzw. um Macht und Kontrolle.
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Der französische Schriftsteller Antonin Artaud hat sich in
der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts immer wieder gegen
eine solche Politik gestellt. In den zwanziger Jahren reiste er
nach Mexiko um an traditionellen Peyote-Ritualen teilzunehmen.
Er tat dies nicht mit der weitverbreiteten Haltung des zivilisierten
Europäers der den rückständigen Eingeborenen etwas
Kultur bringt. Es ging ihm vielmehr darum diese Kultur kennenzulernen,
um von ihr zu lernen und um neue Erfahrungen zu machen.
Und es ging ihm in einer Phase der persönlichen Krise auch
um einen Anstoß zu innerer Klärung. Artaud war sich darüber
bewusst, dass diese Erfahrung bzw. dieses Peyote-Ritual nicht nur
angenehme Aspekte beinhaltet, sondern auch die Schattenseiten und
Abgründe seines Lebens offenbaren kann.
Er selbst beschrieb später seine Teilnahme sprachgewaltig mit
folgenden Worten: ”Damit der Ritus auf mich falle, damit das
Feuer, die Gesänge, die Schreie, der Tanz und sogar die Nacht
wie ein menschliches Gewölbe über mir lebendig werden.
Ich war auf alle Brandmale gefasst und wartete darauf, dass die
Verbrennung ihren Anfang nimmt, ein inneres Feuer vor Augen, das
bald alles erleuchtete.”
(.....)
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Aus der Einleitung von Wolfgang Sterneck zur Veranstaltung "Dance
with Mescalito"; Frankfurt, 2004)
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www.sterneck.net
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