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PARTY, LIEBE UND PROFIT -
DIE RHYTHMEN DER LOVEPARADE
Ein Interview von 'Dancecult - Journal of Electronic Dance
Music Culture'
mit Wolfgang Sterneck zur Geschichte der Loveparade.
Englsh
Version
- DIE STADT ALS DANCEFLOOR
- DER TANZ DER NEUEN FREIHEITEN
- DER EKSTATISCHE SCHEIN
- DAS SYMBOL DER PARTY-KULTUR
- DER TANZ MIT SICH SELBST
- DIE POLITIK DER FLOSKELN
- DIE LOOPS DER MUSIKKULTUREN
- DIE VERKAUFTEN BEATS
- DIE PARADE DER DROGEN
- DIE NEUE MÜNDIGKEIT
- DIE FUCKPARADE
- DAS ENDE DER LOVEPARADE
- DIE RHYTHMEN DER VERÄNDERUNG
Die Loveparade wurde in den Neunziger Jahren zum herausragenden
Ereignis der damaligen Techno-Bewegung. Sie stand für eine
neue vielfältige Kultur, deren Mittelpunkt ekstatische und
kreative Parties bildeten, sie verkörperte aber auch deren
Kommerzialisierung.
Wolfgang Sterneck tanzte in den Straßen Berlins mehrfach auf
der Loveparade. Er setzte sich aber auch unter anderem in seinem
Buch 'Cybertribe-Visionen' immer wieder kritisch mit den Entwicklungen
auseinander und sagte früh die extreme Kommerzialisierung,
sowie die Entfernung von den ursprünglichen Idealen voraus.
Bis heute engagiert er sich immer wieder für Projekte, die
Party und Politik miteinander verbinden.
Im folgenden Interview blickt Sterneck auf rund zwanzig Jahre Loveparade
zurück. Er verbindet dabei persönliche Erfahrungen mit
der Einordnung der Entwicklung der Loveparade in einen sozialen
und politischen Kontext.
DIE STADT ALS DANCEFLOOR
Dancecult:
Wolfgang, beginnen wir mit einer ganz persönlichen Frage. Welche
Deiner Erfahrungen im Umfeld der Loveparade der Neunziger Jahre
ist Dir besonders positiv in Erinnerung beblieben?
Sterneck:
Das lässt sich nicht auf ein Erlebnis reduzieren. Spontan ist
es insbesondere das Gefühl, auf den Straßen mit tausenden
anderen Menschen zu einer mitreißenden Musik zu tanzen. So
oberflächlich dies auch vielfach war, im Kern war es immer
auch mit einem anderen Lebensgefühl verbunden: Die Fesseln
des Alltages hinter sich lassen und in einer positiven Weise aus
sich herausgehen. Und dies nicht nur in den abgeschlossenen Räumen
eines Clubs, sondern Mitten auf den zentralen Straßen einer
Weltstadt.
In einem besonderen Moment wünschte ich mir einmal, dass der
Acid-Sound, der gerade aus dem Boxen einer Loveparade-Party klang,
jeden Tag durch die Straßen zieht. Ein endloser rhythmischer
Beat, anstatt dem urbanen Geräuschwall, der uns ansonsten umgibt.
Und gleichzeitig Menschen, die sprichwörtlich aus der Reihe
tanzen, anstatt täglich mit versteinertem Gesicht zu ihrem
Arbeitsplatz fahren und wie ein Rädchen in der gigantischen
Maschinerie funktionieren.
Dies war zweifellos eine psychedelische Vision, aber auch das Bild
eines sozialen Utopia, das zumindest in einigen Momenten zur Wirklichkeit
wurde, ohne dass die Tanzenden sich diesem Potential bewusst waren.
Dancecult:
Da sind wir schon Mitten im Thema. Dennoch als Einstieg auch noch
die Frage nach einem negativen Erlebnis, das Dir persönlich
bis Heute noch besonders in Erinnerung ist.
Sterneck:
Auch hier will ich mich nicht auf ein Erlebnis festlegen. Aber ein
negatives Gefühl, das mich auf den Loveparades in vielen Momenten
begleitete, war ein Gefühl der Enge. Dieses Gefühl wurde
von den Medien fast nie transportiert und in der Erinnerung verblasst
es auch gegenüber den ekstatischen Momenten, aber die Enge
als Grunderfahrung auf der Loveparade gehörte einfach dazu.
Enge auf besonders beliebten Passagen der Strecke, Enge in den Sonderzügen,
Enge in dem Gedränge vor den Clubs, Enge in den dann völlig
überfüllten Clubs, Enge in den Schlangen vor den Toiletten...
Negativ in Erinnerung habe ich auch noch die Berge von Flyern, die
sich nach der Loveparade in den Straßen türmten. Jeder
Veranstalter dachte er müsse die Leute mit seinen Party-Flyern
überhäufen, die aber kaum jemand richtig angeschaut hat
und meist direkt auf dem Asphalt landeten. Vermutlich hätte
man mit dem Papier eine kleine Bibliothek füllen können,
aber ökologische Aspekte waren nie ein ernsthaftes Thema auf
der Loveparade.
Und negativ sind mir auch all die Sponsoren mit ihren unzähligen
Werbezetteln, Give-Aways und Logo-Bannern in Erinnerung. Und die
Politiker, die plötzlich auf der Loveparade aufgetaucht sind,
weil sie dachten, dass das gut für ihr Image ist, obwohl ihre
Parteifreunde noch kurz zuvor die Loveparade verdammten. Das kritisierte
ich nicht nur auf einer theoretischen Ebene, sondern das war für
mich immer auch ganz konkret mit dem Gefühl verbunden, die
gehören hier eigentlich nicht hin, die wollen nur etwas ausnutzen,
vermarkten und vereinnahmen.
DER TANZ DER NEUEN FREIHEITEN
Dancecult:
Die Loveparade machte Berlin zu einer einzigen, großen Tanzfläche
auf der alles möglich war, so heißt es heute. War es
denn tatsächlich so?
Sterneck:
Gerade in Berlin war tatsächlich in den Anfangsjahren vieles
möglich. Zunehmend war der Beat einer neuen Kultur zu hören
und manche Stadtteile glichen nicht nur während der Parade,
sondern auch nachts einem Dancefloor. In vielem war dieses Grundgefühl,
dass mit der aufkommenden Techno-Kultur etwas frisches und aufbrechendes
einen Weg findet. Und dies spiegelte sich in der Energie der Loveparade
der frühen Jahre: Feiern, Entfalten und Gestalten.
Neue musikalische Ausdrucksformen, der endlose Beat auf den Parties
und Afterhours, die Neubewertung von Tag und Nacht. Eine positive
Grundenergie, eine neue Community, später vielfältige
Cybertribes als pulsierende Organismen anstatt autoritärer,
festgefahrener Strukturen. Die Verbindung von Rausch, Bewusstseinsveränderung
und Ekstase. Die Abkehr von den Vorgaben des bürgerlichen Establishments
und der Kulturindustrie, inklusive die völlige Abkehr von der
verstaubten Rockmusik jener Tage ... - All diese prägte die
Zeit und die Loveparade.
Gerade Berlin bot insbesondere in den frühen Neunzigern Raum
für derartige Entwicklungen. Freiräume bestanden ganz
konkret in den leer stehenden Gebäuden und Lagerhallen vor
allem im Ostteil Berlins, die nach dem Niedergang der DDR nicht
mehr genutzt wurden. Wegweisende Locations wie etwa der Tresor,
das E-Werk oder der Bunker und das Tacheles entstanden in diesem
Zusammenhang.
Daneben gab es auch eine gewisse innere Freiheit und ein Gefühl
neuer Möglichkeiten scheinbar auf allen Ebenen. Auf der einen
Ebene war es der ursprünglich ziemlich offene Tanzstil, auf
einer anderen die Besetzung einer leer stehenden Lagerhalle oder
das Experimentieren mit neuen Ausdrucksformen. Die inneren Freiräume
wurden auch genutzt, um sich selbst zu entfalten, um als Psychonaut
in sich hineinzutauchen oder im Äußeren die Welt in etwas
anderen Farben neu zu gestalten.
Die Überwindung der Ostblock-Diktaturen hatte gerade in Berlin
zu einem prägenden Gefühl neuer Möglichkeiten und
einer neuen Freiheit geführt. Eine Freiheit, die allerdings
ganz im Sinne der siegreichen Wirtschaftsordnung nicht selten zu
einem Ego-Trip führte, was sich auch in der Techno-Kultur bzw.
der Loveparade spiegelte. Es war eine neu erlebte Energie der Freiheit
zu spüren, die schon bald wieder in den Bereichen eingeengt
wurde, die nicht konform verliefen oder sich profitabel genug verwerten
ließen.
DER EKSTATISCHE SCHEIN
Dancecult:
Allerdings hatten zumindest kleine Teile der Techno-Kultur durchaus
die Hoffnung, die Gesellschaft positiv zu verändern. Auch die
Loveparade sich verstand nicht nur als riesige Party, sondern hatte
nicht zuletzt durch die ausdrückliche Betonung der 'Liebe'
durchaus eine klare Botschaft.
Sterneck:
Es gab verschiedene Ansätze innerhalb der Techno-Kultur und
ihrer Ausläufer. Da gab es das Konzept der Raving Society,
das eher platt die Erwartung beschrieb, dass die Techno-Kultur als
Jugendbewegung die Gesellschaft von innen heraus positiv verändert.
Die Gesellschaft werde so zwangsläufig offener, friedlicher,
toleranter, kreativer. Im Grunde war es jedoch nur ein oberflächliches
Marketing-Konzept, das dazu diente, sich besser zu verkaufen und
letztlich nichts grundsätzlich in Frage stellte, sondern eher
bestärkte.
Dann gab es die Hoffnung, dass der massenhafte Gebrauch von Ecstasy
(E) im Zuge einer 'E-volution' die Gesellschaft wandelt. Man ging
davon aus, dass die mit Ecstasy verbundenen Gefühle des Glücks
und der Offenheit sich immer weiter ausbreiten. Das ursprünglich
gemeinschaftliche 'We are one Family'-Feeling der Parties sollte
so zum sozialen Grundprinzip werden. Auch dies war eine Illusion.
Genauso wie Terence McKennas Theorien von einem 'Archaischen Revival',
das die gesamte Gesellschaft positiv verändern sollte.
Die meisten Party-People interessierten sich ohnehin nicht für
derartige Konzepte. Sie gingen am Wochenende feiern, gerne auf Ecstasy,
und funktionieren Wochentags als Verkäufer, Banker oder auch
als Soldat. Eine bewusstseinserweiternde Substanz zu nehmen oder
sich in Trance zu tanzen reicht nicht für eine wirkliche Veränderung.
Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, einer Hinterfragung
von sich selbst und den umgebenden Bedingungen.
Schon die schlichte Fragestellung 'Warum ist das Wochenende so bunt
und der Alltag so grau?' kann in diesem Sinne dazu führen,
dass man das eigene Leben, den vielfach entfremdeten Berufsalltag,
aber auch den oftmals so oberflächlichen Schein der Parties,
anders sieht und vielleicht sogar etwas verändert.
Die Vorraussetzung ist jedoch eine Reflexion und die gab und gibt
es in der bunten Party-Welt auf der persönlichen Ebene wie
auch zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklungen der Szene viel
zu selten.
Entscheidend ist die Bereitschaft und der Wille, nicht nur an der
Oberfläche zu kratzen, sondern grundlegend in sich und in der
Gesellschaft etwas zu verändern. Und dies ist bekanntlich kein
einfacher Weg. Es besteht ein täglicher unterschwelliger Druck
sich anzupassen und einzugliedern.
Die Loveparade hatte den Anspruch 'Liebe' in die Welt zu tragen.
Wenn man jetzt zurückblickt, erinnert man sich jedoch vor allem
an die Todesopfer der letzten Loveparade, die auf dem Altar von
Profit und Gier geopfert wurden.
Die Loveparades der frühen und mittleren neunziger Jahre haben
sicherlich wichtige kulturelle Impulse gegeben und auf einer persönlichen
Ebene vielfältige Erfahrungen ermöglicht. Aber das soziale
und politische Potential blieb weitgehend ungenutzt.
Man stelle sich vor, hunderttausend Party-People hätten die
Ministerien blockiert und für eine andere Politik getanzt.
Von mir aus auch gerne im Zusammenhang mit der Loveparade für
eine Politik der Liebe, wenn man diesen Begriff etwas mit Inhalten
gefüllt hätte.
Wenn man Liebe konkret auch auf ein friedliches, solidarisches,
gleichberechtigtes Zusammenleben bezieht, ohne Ausbeutung und Zerstörung
von Mensch und Natur, dann hätte das Ganze eine andere Dimension
eröffnet. Dann hätten aber auch die Sponsoren großteils
abgesagt...
Einen wirklichen Willen zur Veränderung, der über ein
ekstatisches Party-Wochenende, verbesserte Möglichkeiten der
Selbstvermarktung und Floskeln über 'Love, Peace and Unity'
hinausging gab es nur im Underground. Ich denke da beispielsweise
an die frühen Manifeste von Underground Resistance, Spiral
Tribe und Praxis-Records.
Über die Theorie hinaus ging und geht es dabei immer wieder
um die konkrete Umsetzung derartiger Ideale im Rahmen von nichtkommerziellen,
idealistischen Parties, Reclaim-the-Streets-Aktionen und Projekten,
die 'Party and Politics' ganz konkret miteinander verbinden. Ganz
wesentlich ist auch die spezielle Entwicklung gemeinschaftlicher
Formen des Zusammenlebens, wie zum Beispiel das nomadenhafte Stammesleben
der Spiral Tribes oder in Freiräumen wie autonomen Kulturzentren
und besetzten Häusern.
DAS SYMBOL DER PARTY-KULTUR
Dancecult:
Wie schätzt Du rückblickend die Bedeutung der Loveparade
ein?
Sterneck:
Da muss man zwischen den Neunziger Jahren und den folgenden Jahrzehnt
unterscheiden. Von etwa 2000 bis 2010 war die Loveparade zunehmend
nur noch ein Abgesang, ein völlig kommerzialisierter Remix
einer ohnehin schon kommerzialisierten guten Ausgangsidee.
In den Neunziger Jahren war die Loveparade das weltweit herausragende
Ereignis der Techno-Kultur, wie die Bewegung im deutschsprachigen
Raum bezeichnet wurde, bzw. der Electronic Dance Music Culture,
um es internationaler auszudrücken. (Techno schloss damals
als Überbegriff Strömungen wie Trance, House und Hardcore
mit ein).
Die Loveparade entsprach einer getanzten Vernetzung. Sie war das
Ereignis, das die vielfältigen Projekte und Strömungen
zusammenbrachte. Sie bündelte die überall neu aufkommenden
und pulsierenden Energien und potenzierte sie gleichzeitig. Sie
führte im Inneren als Bezugspunkt zusammen und strahlte nach
Außen aus, indem sie ein Lebensgefühl transportierte
und zum Aushängeschild einer neuen Kultur wurde.
Es geschah etwas, was niemand anfangs voraussagen konnte, woran
niemand bei der ersten, zweiten oder dritten Loveparade dachte.
Dieser spaßige, bunte, rhythmische, zum Teil rauschhafte und
ekstatische, zum Teil naive wie augenzwinkernde Umzug, der unter
dem überfrachteten Leitbild der Liebe der neuen Party-Kultur
gewidmet war, traf genau den Nerv der Zeit. Innerhalb von wenigen
Jahren stieg die Zahl der TeilnehmerInnen von rund 150 (1989) auf
200.000 bis auf je nach Schätzung einer Millionen oder sogar
noch mehr TeilnehmerInnen (1999).
Die Loveparade symbolisiert die Entwicklung der Techno-Kultur von
einer kleinen Underground-Szene zur wichtigsten Jugendbewegung dieser
Zeit, zumindest in Westeuropa. Was Woodstock für die Hippie-Kultur
war, wurde die Loveparade für die Techno-Kultur: Ein Kristallisationspunkt
der zentralen Inhalte.
Im Kern standen insbesondere die sicherlich verschwommenen, aber
dennoch gegebenen Ideale des gemeinschaftlichen, rauschhaft-ekstatischen
Feierns und der freien Entfaltung, zusammengehalten durch eine neue
Musik. Diese Ideale entsprachen einer tiefen Sehnsucht, aber in
bestimmten Momenten auch einer konkret erlebbaren Praxis. Letztlich
schluckte die kapitalistische Verwertungsmaschinerie die Loveparade
und machte einmal mehr aus 'Love' eine entleerte Werbefloskel.
DER TANZ MIT SICH SELBST
Dancecult:
Du siehst einige Parallelen zu Woodstock. Auch 'Love' als Begriff
und Symbol wurde wieder genutzt. Liegt eine Wurzel der Loveparade
in der Hippie-Kultur der späten sechziger Jahre?
Sterneck:
Wenn man sich die Entwicklung der Electronic Dance Music der letzten
rund fünfundzwanzig Jahre anschaut gibt es zweifellos zahlreiche
Bezugspunkte. Die Hochphase des Acid-House um 1988 wurde in Bezug
auf den 'Summer of Love' der Hippies als 'The Second Summer of Love'
bezeichnet.
Auch die anfänglichen PLUR-Ideale ('Peace. Love, Unity, Respect')
der Techno-Kultur ähneln zumindest denen der Hippies und insbesondere
die Psychedelic-Trance- bzw. Goa-Szene steht eindeutig in vielen
Werten und Ausdrucksformen in der Tradition der Hippie-Kultur.
Man darf diese Verbindungslinien aber auch nicht überstrapazieren.
Liebe ist das zentrale emotionale Grundbedürfnis des Menschen.
Und auch die Bedürfnisse nach freier Entfaltung und nach Gemeinschaft,
die Bedürfnisse nach Transzendenz und nach dem Flow, die Bedürfnisse
nach einem freien Leben ohne repressive Vorgaben durch Eltern, Gesellschaft
und System, gehören zu jedem Menschen.
Diese Merkmale finden sich letztlich in jeder Alternativ-Kultur
wie im Kern jeder Musikszene, auch wenn sich zweifellos die Ausdrucksformen
wandeln und zum Teil diese Bedürfnisse und Ideale erst auf
den zweiten und dritten Blick erkennbar sind.
So entsprechen beispielsweise die Texte der frühen Punk-Kultur
genau diesen Bedürfnissen, obwohl sie zumeist eher aggressiv
und provokant waren. Pointiert formuliert war Punk ebenso ein Ausdruck
der Sehnsucht nach Liebe auf einer ganz persönlichen Ebene
wie in einem sozialen Kontext als Sehnsucht nach Gemeinschaft im
Gegensatz zum Konkurrenzdenken und zur Ausgrenzung.
In diesem Sinne steht die Loveparade in einer langen Tradition und
so lassen sich zum Teil auch Bezüge zu den späten Sechzigern
herstellen. Allerdings gibt es auch grundlegende Unterschiede.
Eine neue Jugendbewegung oder Musikkultur entsteht nicht zufällig
aus dem Nichts heraus. Sie ist vielmehr immer eine Folge bestimmter
sozialer und politischer Bedingungen, die sich in den Lebenswirklichkeiten
der Menschen widerspiegeln. Deren Erfahrungen, Bedürfnisse
und Sehnsüchte bilden den Ausgang.
Vor diesem Hintergrund konnte beispielsweise Hiphop mit seinen musikalischen
Ausdrucksformen und Inhalten nur in den afroamerikanischen Ghettos
oder Punk in englischen Vorstädten entstehen. In Folge bildeten
sich dann vielfältige Wechselbeziehungen und nicht zuletzt
hatte auch die Musikindustrie einen besonderen Einfluss, aber den
Ausgang bilden die umgebenden Verhältnisse.
Auch die Loveparade und ihre Entwicklung ist ein Ergebnis der umgebenden
soziokulturellen Bedingungen. Und da unterscheidet sie sich grundlegend
von den späten Sechziger Jahren, in denen selbst bei betont
apolitischen Hippies eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung
ein selbstverständliches Ziel war. Bei der Loveparade muss
man jedoch lange nach derartigen Zielen suchen und wird abgesehen
von einigen Floskeln bestenfalls auf unterschwelligen und unbewussten
Ebenen fündig.
Tatsächlich entsprach die Loveparade einer Abkehr von klaren
gesellschaftlichen Zielen, sie war Ausdruck einer Entpolitisierung.
So hatte es in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren
zahlreiche starke außerparlamentarische Bewegungen gegeben.
Doch die Friedensbewegung und die Anti-Atom-Bewegung, wie auch die
autonome Bewegung, konnten in Anbetracht der Machtverhältnisse
ihre Ziele nicht erreichen und waren weitgehend versandet.
Später führte die Überwindung der pseudo-sozialistischen
Diktaturen in Osteuropa nicht in den Aufbau einer neuen, tatsächlich
freien Gesellschaftsform, sondern in die blinde Übernahme des
Kapitalismus mit all seinen Begleiterscheinungen.
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen spiegelten sich als Grundtendenz
auch auf einer persönlichen Ebene. Verallgemeinert gesprochen,
war vielfach ein resignatives politisches Desinteresse gegeben.
Inzwischen schaute jeder zunehmend auf sich selbst, auf das ganz
private Glück und den Erfolg, sowie gleichzeitig vorrangig
auch auf persönlichen Spaß, Entfaltung und Unterhaltung.
Im Zeichen des vorherrschenden Neoliberalismus beschränkte
sich die Perspektive zunehmend auf das Ego, auf Konsum und Karriere
- und nicht auf das Gemeinwohl oder gar eine neue gesellschaftliche
Perspektive.
All dies spiegelte die Loveparade. Es ging verschwommen um 'Love'
als Ursehnsucht und um das ekstatische Feiern als Ausbruch aus dem
Alltag, aber all dies auf einer völlig entpolitisierten und
konsumistischen Ebene im Rahmen eines zunehmend kommerzialisierten
Mega-Events.
DIE POLITIK DER FLOSKELN
Dancecult:
Die Frage, ob die Loveparade eine politische Demo oder ein kommerzieller
Umzug ist, wurde auch immer wieder von den Veranstalterinnen aufgeworfen.
Sie definierten die Loveparade aber ausdrücklich als politische
Demonstration.
Sterneck:
Ja, das ist richtig, dieser Aspekt spielte immer wieder eine zentrale
Rolle. Es ging in den entsprechenden Diskussionen jedoch nicht wirklich
um die politische Ausrichtung und um die Ideale der Loveparade.
Der Hintergrund war ein wirtschaftlicher. In Berlin gibt es die
Regelung, dass die Müllentsorgung nach Demonstrationen von
städtischer Seite übernommen und auch finanziert wird.
Die VeranstalterInnen kommerzieller Events müssen jedoch die
Müllentsorgung selbst übernehmen.
Deshalb gab es in den Neunzigern fast jährlich diese Auseinandersetzung:
Die städtischen Ämter verweigerten die Genehmigung als
Demonstration, die Loveparade klagte dagegen und drohte mit Absage.
Letztlich kam dann doch die Bewilligung durch die Stadt, wobei sicherlich
die hohen Steuereinnahmen und das Image eine entscheidende Rolle
spielten.
Dancecult:
Mit welchen Argumenten stellte sich die Loveparade als 'politische
Demonstration' dar?
Sterneck:
Dr. Motte, der Begründer der Loveparade, sprach immer wieder
davon, dass 'Friede, Freude, Eierkuchen' das grundlegende Motto
sei. 'Friede, Freude, Eierkuchen' ist eigentlich eine in Deutschland
verbreitete Redensart, die einen sorglosen Zustand beschreibt, allerdings
in der Regel mit einem ironischen Unterton, der darauf verweist,
dass sich dies auf die Oberfläche bezieht.
Motte interpretierte die Redensart als politische Forderung neu.
Er betonte immer wieder, dass 'Friede' im Kontext der politischen
Loveparade für Abrüstung steht, 'Freude' für Musik
als ein Mittel der Völkerverständigung und 'Eierkuchen'
für eine gerechte Nahrungsmittelproduktion. Sicherlich schwang
auch dabei eine Ironisierung bürokratischer Auflagen wie auch
eine Ironisierung dogmatischer Formulierungen linker Gruppen mit.
Auf der anderen Seite war und ist Motte tatsächlich ein Mensch,
der sich für derartige Ziele einsetzt, so scheinbar naiv sie
auch formuliert sind.
Aus der Innensicht von Dr. Motte heraus, waren jedoch nicht klassische
politische Themenstellungen der zentrale Ausgangspunkt, sondern
seine buddhistische Überzeugungen. In diesem Sinne sprach er
mir gegenüber in der Mitte der Neunziger einmal davon, dass
die Loveparade sein spiritueller Beitrag dazu war, Liebe und Glück
auf der Erde zu vervielfältigen.
Dancecult:
Dr. Motte hielt ja auch auf einigen Loveparades selbst eine politische
Rede.
Sterneck:
Nun ja. Die Reden von Dr. Motte waren zwar legendär, nur hat
kaum jemand etwas davon mitbekommen. Selbst wenn zuhören wollte,
war die Akustik in der Regel zu schlecht. Diejenigen, die etwas
mitbekommen haben, sprachen zumeist von seichten, spirituell verklärten
Welterklärungen.
Es war allerdings nicht einmal möglich die Reden irgendwo nachzulesen.
Um 2000 herum habe ich die Loveparade einmal angeschrieben und nach
den Redetexten gefragt. Die lapidare Antwort war, dass sie zwar
ständig derartige Anfragen bekommen, ihnen aber die Kapazitäten
fehlen, sich darum zu kümmern. Ich wurde auf die 'History-Facts'
auf der Homepage verwiesen, wo sich aber außer einigen Daten
und Zahlen nichts Wesentliches befand.
Dies war sehr bezeichnend. Für diesen so äußert
zentralen inhaltlichen Aspekt fand das Loveparade-Team keine Zeit.
Vermutlich waren sie den ganzen Tag mit Sponsoring und Promotion
beschäftigt. Deutlicher konnte man die bereitwillige inhaltliche
Sinnentleerung der Loveparade durch deren Veranstalterinnen nicht
beschreiben.
DIE LOOPS DER MUSIKKULTUREN
Dancecult:
Du hast in Deinen Texten und Vorträgen die Loveparade mehrfach
als Symbol für die Kommerzialisierung von Musikkulturen beschreiben.
Wo siehst Du die Parallelen?
Sterneck:
Wenn man etwas genauer auf die Entwicklung der Beat-Musik, des Hippie-Rocks,
des Punk, des Hiphop, des Techno oder einer anderen größeren
Musikkultur der letzten Jahrzehnte blickt, werden immer wieder die
gleichen Mechanismen deutlich. Sie ergeben sich zwangsläufig
aus der Dynamik der kapitalistischen Marktwirtschaft heraus und
lassen sich im Rahmen dieser strukturell auch nur ansatzweise überwinden.
Die Dynamiken der Vereinnahmung und Verwertung sind so stark, dass
es dem Kapitalismus sogar gelingt gewissermaßen seine Antithese
zu vermarkten, wie sich am Beispiel des Produktes Che Guevara nun
schon über Jahrzehnte hinweg zeigt.
Von der Entstehung im Underground bis zur Kommerzialisierung und
Aufsplitterung sind es immer wieder die gleichen Abläufe, die
ich in acht Phasen unterteile:
Phase 1: Wurzelnd in den soziokulturellen Bedingungen entsteht im
Underground eine neue, wachsende (Musik-)Kultur mit idealistischem
Ansatz. 2: Es kommt zu einer Ablehnung und zur Repression durch
das Establishment. 3: Die (Musik-)Kultur wird zunehmend durch die
Industrie vereinnahmt. 4: Die (Musik-)Kultur wird zum Mainstream.
Phase 5: Es entstehen Gegenbewegungen im Underground. 6: Die (Musik-)Kultur
splittert sich in eigenständige Subkulturen auf. 7: Das Interesse
an der (Musik-)Kultur schwindet im Zuge neuer soziokultureller Entwicklungen.
8: Es kommt zu Revivals und einer Musealisierung.
Diese Entwicklungsschritte lassen sich auf die Techno-Kultur genauso
wie auf die Loveparade übertragen:
1989 begann die Loveparade als kleine Underground-Party von Dr.
Motte auf den Straßen von Berlin. Rund 150 Leute nahmen teil.
Als Verbindung einer neuen, aufbrechenden Musik mit einer idealistischen
Do-It-Yourself-Einstellung und dem aufbrechenden Verständnis
von Straßen als Dancefloors hatte diese Loveparade etwas subversives.
Die Parade traf ein Lebensgefühl der Zeit und die Zahl der
TeinehmerInnen vervielfachte sich. (Phase 1).
Nachdem die Parade anfangs in der breiten Öffentlichkeit unbeachtet
blieb, wurde sie zunehmend in den bürgerlichen Medien als 'Drogen-'
und 'Sexparade' diffamiert, während Techno lange der Musik-Charakter
abgesprochen wurde. (Phase 2).
Mit der wachsenden Bedeutung der Loveparades stieg auch das Interesse
von Konzernen insbesondere aus der Musik-, Getränke-, Bekleidungs-
und Zigarettenindustrie, welche die Loveparade sponsorten bzw. mit
ihren Produkten und ihrer Promotion den Spirit der Loveparade vereinnahmen
und profitabel nutzen. (Phase 3).
In der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre nahmen jeweils Hunderttausende
Menschen an den Loveparades teil. Die Schätzungen überstiegen
teilweise sogar die Millionengrenze. Techno war zur Massenkultur
geworden. Die entsprechenden DJs ließen sich längst allen
ursprünglichen Idealen zum Trotz auf der Loveparade als Stars
feiern. Zahlreiche PolitikerInnen von Parteien, welche sich anfangs
völlig abwertend gegen die Loveparade aussprachen, begaben
sich nun auf die Loveparade, um sich in den Live-Übertagungen
der TV-Sender mit einem jugendfreundlichen Image präsentieren
zu können. (Phase 4).
Von Teilen der Szene, die sich an den ursprünglichen gegenkulturellen
Idealen der Techno-Kultur orientierten, wurde die Entwicklung der
Loveparade scharf kritisiert. Es kam zur Gründung der Fuckparade
als betont nichtkommerzielle, politisch ausgerichtete Gegenveranstaltung.
(Phase 5).
Die Techno-Kultur splitterte sich zunehmend in zahlreiche Subkulturen
auf, die auf die gleichen Wurzeln zurückblicken, sich aber
hinsichtlich der Entwicklungen im musikalischen Bereich, sowie ihrer
Ideale und Verhaltenskodes stark unterscheiden. Nur ein Teil davon
bezog sich weiterhin auf die Loveparade. (Phase 6).
Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte die Techno-Kultur ihren Höhepunkt
überschritten. Die Loveparade war zwar zahlenmäßig
weiterhin ein Mega-Event, doch ein Rückgang der TeilnehmerInnen,
wie auch ein deutlicher Verlust der Bedeutung der Loveparade war
deutlich. Auf Grund verschärfter Auflagen und stark gesunkener
Einnahmen durch Sponsoren fiel die zuvor jährlich durchgeführte
Loveparade mehrfach aus. (Phase 7).
Zu einer Wiederbelebung der Loveparade kam es im Zuge des wieder
zunehmenden Interesses an der Electronic Dance Music bzw. an der
Party-Kultur. Die vorgebliche Modernisierung führte jedoch
zu einer völligen Kommerzialisierung, die wiederum 2010 auf
Grund katastrophaler organisatorischer Mängel zu mehreren Todesopfern
führte. Der Veranstalter erklärte daraufhin, dass es keine
Loveparade mehr geben wird. Voraussehbar ist jedoch, dass es in
einigen Jahren eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Loveparade
geben wird und eine noch ausstehende angemessene Anerkennung ihrer
Bedeutung. (Phase 8).
DIE VERKAUFTEN BEATS
Dancecult:
Wie hast Du ganz persönlich die Kommerzialisierung bzw. die
von Dir angesprochene Abkehr von den anfänglichen Idealen erlebt?
Sterneck:
Im Rückblick lassen sich die einzelnen Phasen relativ klar
deutlich machen. Als direkt Beteiligter erlebt man es meist eher
als fließende Übergänge. Spontan fallen mir zwei
Beispiele ein.
Marc Spoon war zeitweise einer der erfolgreichsten DJs und Produzenten
in Deutschland. Wie alle bekannten DJs zu dieser Zeit nahm auch
er an der Loveparade teil. Ich sehe noch sehr genau vor mir, wie
er auf einem Truck stand. Völlig betrunken brüllte er
immer wieder in ein Mikrophon 'Warum seid ihr alle so scheiße
leise?!'. Und die Leute um den Truck herum jubelten ihm zu. Das
wurde dann richtiggehend zu seinem Markenzeichen und wiederholte
sich unzählige Male auf den folgenden Loveparades. Und immer
mehr Leute versammelten sich dann um den Wagen von Marc Spoon, um
begeistert mitzugröhlen.
Für mich war dieses Verhalten der Gegenentwurf zu Techno. Oder
anders formuliert, es war die symbolhafte Wiederauferstehung dessen,
was Techno in seiner Anfangszeit überwinden wollte. Es war
die Wiedergeburt des prolligen, egozentrischen Rocktars.
Techno bedeutete in seinem Ursprung als Underground: Keine Stars,
sondern eine Party-Community, in der es verschiedene Aufgaben gibt,
aber letztlich ist keiner besser als der andere. Techno stand für
die gemeinsame Trance-Erfahrung und nicht dafür, dass man einem
DJ im wahrsten Sinne des Wortes hinterher läuft und bejubelt,
was immer er auch macht, so bescheuert es auch sein mag.
Ich fühlte mich bei derartigen Szenen an den Schriftsteller
George Orwell erinnert. Der beschrieb in seiner genialen 'Animal
Farm' parabelhaft die Russische Revolution. Die Tiere erhoben sich
erfolgreich gegen die Tyrannei der Menschen. Doch dann machten sie
die Schweine zu den neuen Anführern und am Ende war kein Unterschied
mehr zwischen den alten und den neuen Herrschern bzw. Leitfiguren
zu erkennen.
Ein anderes Beispiel. Dieser neue Musikstil ließ sich anfangs
nur eingeschränkt vermarkten. Die Leute tanzten dazu zwar nächtelang
auf den Dancefloors, aber größere Profite konnte man
damit erst machen, wenn die Stücke in den allgemeinen Charts
ganz oben sind.
Und da befand sich dann plötzlich Marusha mit 'Somewhere over
the Rainbow' auf Platz 1. Es war die perfekte Vermarktung. Die Grundlage
bildete ein stupider 'Techno-Beat', darauf wurden einige melodiöse
Elemente gelegt, sowie insbesondere der ohrwurm-artige Refrain aus
dem Titel 'Over the Rainbow', einem allgemein beliebten Stück
aus dem Spielfilm-Klassiker 'The Wizard of Oz'.
Veröffentlicht wurde das Stück nicht von einem Musik-Multi,
sondern von 'Low Spirit', einem Label, das aus der Szene heraus
entstanden war. Neue Vertriebs- und Produktionsstrukturen gepaart
mit einer neoliberalen Grundhaltung ermöglichten, dass sich
die Techno-Kultur stärker als all die Musikbewegungen zuvor,
die von den großen Musikkonzernen aufgekauft wurden, selbst
vermarktete.
Dancecult:
Du kritisiert immer wieder die Kommerzialisierung der Musik, aber
ist es nicht verständlich, dass ein Musiker auch von seiner
Musik leben will?
Sterneck:
Das ist selbstverständlich in Ordnung. Wir alle müssen
schauen, wie wir unter den gegebenen Bedingungen unser Leben finanzieren.
Ich habe kein Problem damit, dass Jemand als ein Angehöriger
einer Szene durch bestimmte Aktivitäten für sie lebt und
dann auch von ihr in einem angemessenen Rahmen lebt.
Es gibt aber auch Grenzen, wenn es beispielsweise nur noch um Profit
geht. Oder wenn die Party-Gäste nur noch über die Einnahmen
definiert werden. Oder wenn man sein Wissen über eine Szene
an Konzerne verkauft, denen es nicht um irgendeinen Szene-Spirit
geht, sondern nur um die bestmögliche Vermarktungsstrategie.
Oder anders herum gedacht, man kann zum Beispiel auch einen Teil
der Einnahmen von Parties nutzen, um ein Soundsystem zu kaufen,
das idealistischen Projekten zur Verfügung gestellt wird. Oder
man kann Gruppen unterstützen, die in der Szene über Drogen
aufklären oder sich gegen rechte Tendenzen stellen. Oder man
kann seine Popularität nutzen, indem man sich für ein
gutes Projekt öffentlich einsetzt. Für all dies gibt es
aus unterschiedlichsten Musikszenen gute Beispiele.
Grundlegend ist die Frage, ob es nur um den Egotrip geht oder ob
Aspekte der Verantwortung und der Solidarität eine wesentliche
Rolle einnehmen.
DIE PARADE DER DROGEN
Dancecult:
Welche Rolle nahmen Drogen bei der Loveparade ein?
Sterneck:
Die Loveparade entsprach einer gigantischen Demonstration für
eine Legalisierung von psychoaktiven Substanzen. Die VeranstalterInnen
haben dies nie beabsichtigt oder in diesem Sinne so thematisiert,
doch davon unabhängig entfaltete die Loveparade in dieser Hinsicht
ihre eigene Wirklichkeit.
Mindestens die Hälfte der TeilnehmerInnen nahm auf der Loveparade
illegalisierte Substanzen. Auf manchen Parties lag der Anteil am
frühen Morgen sicherlich bei nahezu hundert Prozent. Wenn sich
Menschen in solchen Massen über ein gesetzliches Verbot hinwegsetzen,
dann hat dies eine politische Dimension, auch wenn es von den Beteiligten
nicht ausdrücklich formuliert wird.
Am meisten verbreitet waren Cannabis, Ecstasy und Speed, sowie je
nach Party und Szene auch Kokain, LSD und eine Reihe weiterer Substanzen.
Hinzu kamen selbstverständlich die legalen Drogen Alkohol und
Zigaretten.
Alkohol spielte in den ersten Jahren keine Rolle. Lange war Bier
als dumpfe Droge alter Rock-Generationen geradezu out. Hinzu kommt,
dass Alkohol in größeren Mengen in Verbindung mit Ecstasy
ein eher matschiges Gefühl erzeugt. Dann gelang es jedoch der
Getränkeindustrie neue alkoholische Getränke auf dem Markt
zu etablieren und dem Bier ein neues Image als Party-Getränk
zu geben.
Auch die Etablierung der Energy-Drinks fiel in diese Zeit. Diese
wurden auf der Loveparade zum Teil kostenlos verteilt. Ziel war
es, bei den KonsumentInnen des neuen Getränkes, eine unbewusste
Verbindung zwischen der positiven Party-Erfahrung und dem Getränk
herzustellen. Trinkt man den Energy-Drink dann im Alltag wird unbewusst
an das Gefühl erinnert.
Zu den Hauptsponsoren der Loveparade gehörten immer wieder
auch Unternehmen der Tabakindustrie, die ihre Zigaretten-Marken
mit einen modernen, jugendgerechten Image versehen wollten.
Und so kam es zu eigentlich völlig widersinnigen, aber im Sinne
der herrschenden Ordnung legalen Situationen. Da wurden massenhaft
neue alkoholische Drinks und Zigaretten kostenlos als Promotion
verteilt. Immer wieder begegnete man Leuten, die betrunken durch
die Gegend fielen oder im Suff aggressiv wurden, und man tanzte
in einem gesundheitsschädlichen Zigaretten-Nebel. Gleichzeitig
wurden Leute wegen ein Paar Gramm Cannabis oder einigen Ecstasy-Pillen
verhaftet.
Drogenpolitik hatte schon immer nicht nur mit gesundheitlichen Aspekten
zu tun, sondern vor allem auch mit wirtschaftlichen Erwägungen,
sowie mit Macht und Kontrolle.
Drogen begleiten jedoch die Menschheit schon seit Jahrtausenden.
Verbote konnten daran nichts ändern, sie haben vielmehr indirekt
die schädlichen Aspekte verschärft.
Auch die Techno- bzw. Party-Kultur mit all ihren Subkulturen wäre
ohne Ecstasy und LSD nicht denkbar. Die Substanzen trugen maßgeblich
zur kreativen Entwicklung bei, wie auch zur Entwicklung des besonderen
Gemeinschaftsgefühls auf den Parties der ersten Jahre.
Allerdings war und ist gerade mit Ecstasy ein gesundheitliches Risiko
verbunden, da unter den Bedingungen des Schwarzmarktes auch zahlreiche
stark schädliche Substanzen fälschlicher Weise unter der
Bezeichnung gehandelt werden.
Mit Ecstasy war auch viel Oberfläche und Schein verbunden.
Auf E waren alle eine große Family, der DJ einfach göttlich
und die überhöhten Eintrittspreise doch irgendwie angemessen.
Im Alltag konnte man nüchtern dann oft doch nicht so viel miteinander
anfangen.
Dies war ok, wenn man rauschhafte Party-Welt und Alltagsrealität
trennen konnte und wollte. Wer jedoch einen engen Zusammenhang herstellen
wollte, wurde oftmals enttäuscht oder musste sich mit den Zusammenhängen
etwas tiefer greifend auseinandersetzen. Dies taten die Wenigsten
und daran krankte die Techno-Kultur und mit ihr die Loveparade.
DIE NEUE MÜNDIGKEIT
Dancecult:
Bestimmte Substanzen haben sicherlich immer wieder eine wichtige
Rolle eingenommen. Man denke zum Beispiel an Acid-House, wo schon
in der Bezeichnung ein Bezug hergestellt wird. Aber es gab auch
viele Probleme im Zusammenhang mit Drogen.
Sterneck:
Zweifellos gab es auch zahlreiche Probleme. Es gab zu wenig sachliche
Infos, es gab verunreinigte und gestreckte Substanzen, es gab Leute,
die mit bestimmten Substanzen nicht umgehen können oder sich
in eine Scheinwelt flüchteten.
Die Antwort kann aber nicht heißen: Verteufelung, Verbote
und Repression. Die Antwort liegt in der Stärkung der einzelnen
Person über die Entwicklung von Drogenmündigkeit. Drogenmündigkeit
schließt sachliche Informationen ein, genauso wie das Erkennen
und Respektieren eigener Potentiale und Grenzen. Und es schließt
als Zielsetzung eine Gesellschaft ein, in der jede Person frei und
bewusst entscheiden kann, ob sie eine psychoaktive Substanz für
sich in irgendeiner Weise nutzt oder nicht.
Anti-Drogen-Kampagnen wie 'Keine Macht den Drogen' waren innerhalb
der Techno-Kultur bestenfalls ein Lacherfolg. Auch Projekte der
akzeptierenden Drogenhilfe konnten innerhalb der Techno-Szene keinen
Fuß fassen, solange sie nur von Außen etwas in die Szenen
tragen wollten, ohne darin verankert zu sein oder Bezugspunkte zu
haben.
Äußerst erfolgreich waren dagegen Projekte, die in der
Szene entstanden und auf Parties sachlich ohne Dämonisierung
oder Verharmlosung über Drogen informierten bzw. Drogenmündigkeit
förderten. Das erste Projekt im deutschsprachigen Raum war
1994 Eve & Rave, später kamen unter anderen Eclipse, die
Drug Scouts und das Alice-Project hinzu.
Eve & Rave war auch immer wieder auf der Loveparade mit chilligen
Info-Bereichen vor Ort und verband so Aufklärung und Beratung
mit einem offenen kulturellen Ansatz. Eve & Rave initiierten
an den jährliche Loveparade-Wochenenden auch die ersten Vernetzungstreffen,
die dann 1999 zur Gründung des bis heute bestehenden Sonics-Netzwerks
führten. Sonics vereint Projekte, die von einem idealistischen
Ansatz ausgehend im Party-Bereich tätig sind, die meisten mit
dem Schwerpunkt 'Party und Drogen'.
Die Projekte zogen sich im Übrigen im Zuge der Verflachung
der Loveparade von ihr zurück und engagierten sich zum Teil
bei der Fuckparade, die weiterhin betont nichtkommerziell und politisch
ausgerichtet ist.
Dancecult:
In den Medien war in vielfach nicht nur von einer 'Drogen-Parade'
die Rede, sondern auch zum Teil von einer 'Sex-Parade'.
Sterneck:
Zum Teil tanzten Frauen und Männer leicht bekleidet auf den
Trucks. Ab und zu auch mit freiem Oberkörper. Diese Bilder
fanden dann den Weg in die Medien und prägten das Bild von
der freizügigen Loveparade.
Allerdings war der überwiegende Teil der TeilnehmerInnen zwar
durchaus bunt, manchmal auch schrill im Party-Look gekleidet, aber
durchaus den auch sonst gängigen Normen entsprechend. Solch
ein gängiges Outfit verblasst jedoch gegenüber einer leichtbekleideten,
sexy Schönheit - entsprechend wurden diese fotografiert und
in den Medien präsentiert.
Sex spielte im engeren Sinne zumeist keine Rolle. Da gab es sicherlich
Musikkulturen, die offener waren. Das lag aber nicht daran, dass
die Technos prüde waren. Vielmehr war das Erlebnis einer guten
Party, das Aufgehen in Ecstasy, Sound und Trance zum Teil eine derartig
tiefe sinnliche Erfahrung, dass das Bedürfnis nach Sex an Bedeutung
verlor und dann erst wieder langsam in einer chilligen Afterhour
zur Geltung kam.
DIE FUCKPARADE
Dancecult:
Als Gegengewicht zur kommerzialisierten Loveparade formierte sich
1997 die Fuckparade. War sie wirklich eine Alternative oder nur
eine Selbstdarstellung enttäuschter DJs, deren Sound bei der
Loveparade nicht mehr angesagt war?
Sterneck:
In den Anfangsjahren fand die Fuckparade als Gegenparade am gleichen
Tag wie die Loveparade statt. Sie definierte sich damals tatsächlich
vor allem über die Loveparade bzw. über die Kritik an
ihr. Gegen den Kommerz, gegen die Hierarchien, gegen die Verflachung
und gegen die Aussperrung härterer Musikstile wie Hardcore
und Gabber.
Auf der Loveparade hatte der idealistische und subversive Spirit
der FreeTekno-Szene wischen den Werbebannern für Zigaretten,
Handy-Verträge oder sogar in einem Jahr für eine neue
TV-Soup keinen Platz mehr.
Die Fuckparade war anfangs als konkrete Kritik und lebendige Gegenposition
wichtig. Auf Dauer wäre sie als reine Negation zur Loveparade
aber immer auch von ihr abhängig gewesen und wäre uninteressant
geworden.
Der Fuckparade gelang es jedoch über die Jahre hinweg zu einer
eigenständigen Veranstaltung zu werden, die sich nicht mehr
auf die Loveparade bezieht, sondern längst einen eigenständigen
Weg eingeschlagen hat. Im Grunde stand sie sogar schon bald den
ursprünglichen Idealen der Loveparade in einigen Bereichen
näher, als die Loveparade selbst.
Weiterhin findet die Fuckparade in der Regel einmal im Sommer in
Berlin statt. Sie ist in weiten Bereichen basisdemokratisch organisiert,
verzichtet als Ganzes ausdrücklich auf Sponsoren und positioniert
sich eindeutig politisch links.
Sie thematisiert weiterhin kulturelle Missstände, Club-Schließungen
und Razzien, sie blickt aber auch weit über die Party-Szenen
hinaus. In Redebeiträgen und über Banner wird insbesondere
auf den Kampf um soziale und kulturelle Freiräume eingegangen
bzw. gegen die zunehmende Gentrifikation Stellung bezogen. Im Mittelpunkt
stehen zudem antifaschistischen Positionen und eine Kritik an staatlicher
Überwachung und Repression.
Die Fuckparade steht in der Tradition der Reclaim-the-Streets-Aktionen.
Bei diesen geht es nicht nur darum, wie bei der Loveparade einige
Stunden auf den Straßen zu tanzen und Spaß zu haben.
Vielmehr werden Party und Politik eng miteinander verbunden. Die
Zurückeroberung der Straßen wird als Ausdruck einer lebensbejahenden
Kultur wie auch einer an grundsätzlichen Veränderungen
ausgerichteten politischen Praxis verstanden.
Auf Grund ihrer Ausrichtung und ihres Einflusses, sowie ihrer Geschichte,
Regelmäßigkeit und Größe, ist die Fuckparade
vermutlich weltweit die bedeutendste Reclaim-the-Streets-Aktion.
DAS ENDE DER LOVEPARADE
Dancecult:
Die Geschichte der Loveparade hat 2010 ein tragisches Ende gefunden.
Aus der Parade der Liebe wurde eine Parade des Todes. Wie kam es
dazu?
Sterneck:
Etwa ab 2000 ließ das Interesse an der Techno-Kultur, den
Parties und auch an der Loveparade nach. Diese war noch immer ein
Mega-Event mit sechsstelligen TeilnehmerInnen-Zahlen, aber die Sponsoreneinnahmen
gingen zurück und der Loveparade wurde gerichtlich der Demonstrationscharakter
abgesprochen. Dadurch musste sie für die gigantischen Reinigungskosten
selbst aufkommen.
Gleichzeitig hatte sie längst die herausragende Bedeutung verloren
und glich eher einem gigantischen, ausgelassenen Volksfest auf dem
inzwischen die Droge Alkohol dominierte.
Nachdem die Loveparade mehrfach auf Grund finanzieller und organisatorischer
Probleme abgesagt wurde, stieg Rainer Schaller ein. Sein Unternehmen
McFit gilt als größte Fitness-Kette in Deutschland, die
für vergleichsweise geringe Gebühren, aber auch für
ein reduziertes Angebot und minimalen Service bekannt ist.
Zuerst wurde McFit der Hauptsponsor der Loveparade, dann kaufte
Schaller die Marketingrechte bzw. die Loveparade GmbH komplett auf
und führte die Loveparade unter eigener Regie weiter. Offensichtlich
war von Anfang an, dass Schaller keinen Bezug zur Techno-Kultur
oder zum Spirit der Loveparade hat, sondern die Loveparade nur als
eine riesige Werbefläche für McFit ansah.
Im Zuge einer vorgeblichen Modernisierung der Loveparade wurde sie
auch anderen Musikstilen gegenüber geöffnet und anderen
Städten angeboten. Dr. Motte war inzwischen aus Protest gegen
die Entwicklung ausgestiegen und hatte seine Anteile an der Loveparade
verkauft.
Schaller entschied sich dann für eine Abkehr von Berlin. Die
Loveparade sollte nun ab 2007 nacheinander in fünf Städten
des Ruhrgebiets stattfinden. In Essen und Dortmund wurde die Loveparade
unter großer medialer Aufmerksamkeit durchgeführt, in
Bochum allerdings 2009 auf Grund einer befürchteten Überlastung
der Infrastruktur von der Stadt abgesagt. Auch die Durchführung
2010 in Duisburg, einer mittelgroßen Stadt, war aus ähnlichen
Gründen und finanzieller Probleme umstritten.
Durchgeführt wurde die Loveparade dann nicht, wie sonst üblich,
in den Straßen einer Stadt. Sie fand stattdessen auf dem Gelände
eines alten, stillgelegten Güterbahnhofs statt, das im Gegensatz
zu allen Loveparades zuvor eingezäunt wurde. Grund waren angeblich
Sicherheitsvorkehrungen. Tatsächlich ging es vermutlich eher
darum, den Getränkeverkauf zu kontrollieren. Die Veranstaltung
brach dadurch mit einem weiteren Wesensmerkmal der Loveparade, der
räumlich völlig offenen Zugänglichkeit.
Der einzige öffentliche Zugangsweg zum Loveparade-Gelände
war ein Tunnel, der gleichzeitig auch den einzigen Ausgang bildete.
In Anbetracht von zehntausenden BesucherInnen die in zwei Richtungen
in einem Tunnel strömen, war eigentlich schon im Vorfeld für
jeden Laien ersichtlich, dass dies zu großen Problemen führen
kann. Umso überraschender ist es, dass die entsprechenden Behörden
der Stadt Duisburg die Veranstaltung nach Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen
genehmigten.
In diesem Tunnel kam es dann zur Katastrophe. Zahlreiche Fotos und
Videos zeigen, dass ein unerträgliches Gedränge in dem
Tunnel herrschte, dass sich die BesucherInnen-Ströme gegenseitig
blockierten und die ohnehin kaum sichtbaren Sicherheitskräfte
völlig überfordert waren. In dem Gedränge kam es
zu panikartigen Zuständen. Zahlreiche Menschen wurden verletzt,
einundzwanzig Menschen starben.
Am Tag darauf kam es zu einer widerwärtigen Pressekonferenz,
auf der Veranstalter und Stadt eine Schuld von sich wiesen. Anfangs
hieß es sogar noch, dass alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten
worden wären und die Gäste selbst an dem Unglück
Schuld seinen. Gleichzeitig verkündete Schaller das Ende der
Loveparade.
Inzwischen gibt es eine Reihe von Erklärungen in denen der
Veranstalter, die Stadt bzw. die entsprechenden Behörden und
die Polizeikräfte sich gegenseitig die Schuld zuweisen. Langjährige
Gerichtsprozesse werden folgen.
Die juristische Klärung, welche organisatorischen Fehler im
Detail zu den Todesfällen geführt hat, ist eine Ebene.
Daneben gibt es jedoch noch eine grundlegende übergreifende
Verantwortung. Letztlich bildete die Gier nach Profit und Ruhm die
eigentliche Ursache der Loveparade-Katastrophe von Duisburg.
Auf der einen Seite wollte Rainer Schaller bzw. seine Lopavent GmbH
die Loveparade so kostengünstig wie nur möglich durchziehen.
Auf der anderen Seite wollte auch Adolf Sauerland, der konservative
Bürgermeister von Duisburg, unbedingt die Loveparade, um das
Image der Stadt und zweifellos auch sein eigenes Image aufzubessern.
Bezeichnender Weise gaben Veranstalter und Bürgermeister später
zu, dass die kompletten TeilnehmerInnen-Zahlen, die veröffentlicht
wurden, in gravierender Weise nicht der Realität entsprachen.
Im Zuge der Planung war der Bürgermeister informiert worden,
dass die veröffentlichten Angaben über die Zahl der TeilnehmerInnen
der vorangegangenen Loveparades in Essen und Dortmund, die offiziell
bei 1,2 Millionen und 1,6 Millionen langen, um ein vielfaches über
den tatsächlichen Zahlen lagen. Die veröffentlichten Angaben
würden nur der medialen Promotion dienen, während man
intern bei den Planungen mit wesentlich geringeren Zahlen arbeitet.
Selbst am Tag der Loveparade direkt vor der Tragödie sprachen
Veranstalter und Bürgermeister in TV-Interviews von 1,4 Millionen
TeilnehmerInnen in Duisburg. Als nach dem Unglück die Sicherheitsvorkehrungen
bzw. die entsprechenden Genehmigungen hinterfragt wurden, reduzierte
sich die Zahl der angeblichen TeilnehmerInnen plötzlich auf
höchstens 200.000, selbstverständlich entsprechend den
Genehmigungen. Alle anderen zuvor veröffentlichten Zahlen wären
auch hier nur Promotion gewesen.
Schon auf Grund dieser falschen Angaben hätte der Bürgermeister
zurücktreten müssen, aber mit Unterstützung seiner
Partei, der CDU, die einen Abwahlantrag überstimmte, ist er
noch immer im Amt.
DIE RHYTHMEN DER VERÄNDERUNG
Dancecult:
Stimmt es, dass Dr. Motte, als Begründer der Loveparade inzwischen
bei der Fuckparade aktiv ist, die ursprünglich als Gegenveranstaltung
zur Loveparade ins Leben gerufen wurde?
Sterneck:
Ja, inzwischen läuft Motte bei der Fuckparade mit. Er hat dort
auch schon einmal eine Rede gehalten und in diesem Jahr an der Schweigeminute
teilgenommen, die zu Beginn der Fuckparade in Gedenken an die Opfer
der Loveparade in Duisburg stattfand.
In Interviews hat Motte vielfach den Ausverkauf der Loveparade kritisiert.
Allerdings begann dieser Ausverkauf nicht erst mit der Übernahme
durch McFit, sondern schon lange zuvor unter Mottes Leitung in den
Neunziger Jahren.
Das Tanzen in den Straßen Berlins auf der Loveparade war anfangs
etwas neues, teilweise ein symbolhafter Tabu-Bruch, manchmal auch
ein Ausbruch aus den Fesseln verkrusteter Strukturen. Es war ein
wunderbares Feeling, verbunden mit vielfältigen Möglichkeiten
der Entfaltung und Gestaltung.
Aber die Loveparade hat trotz all ihrer positiven Energie gezeigt,
dass sich soetwas auch schnell integrieren lässt. Aus der aufbrechenden,
ekstatischen Feier einer neuen Kultur wurde eine konforme, völlig
kommerzialisierte Massenparade. Die Geschichte der Loveparade zeigte
einmal mehr, dass das losgelöste Feiern und einige nette Slogans
nicht ausreichen, wenn wirklich etwas verändern will.
Notwendig ist die vielfältige Verbindung von Party und Politik,
von Rhythmus und Veränderung nicht nur auf besonderen Events,
sondern in unserem alltäglichen Leben.
- Oktober 2010 -
Wolfgang Sterneck : www.sterneck.net
Dancecult - Journal of Electronic Dance Music Culture : http://dj.dancecult.net
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www.sterneck.net
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