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Wolfgang Sterneck
DAS RICHTIGE LEBEN IM FALSCHEN -
INTERVIEW MIT WOLFGANG STERNECK
Die Fragen stellte Achim Zubke. Dezember 2005.
1. Du verfolgst als teilnehmender Aktivist seit Jahren die Entwicklung
der Techno-House-Goa-Trance-Szene. Oberflächlich betrachtet
scheint es sich heute um eine reine Feier-Kultur zu handeln, in
deren Zentrum zünftige Drogenparties mit elektronischer Tanzmusik
inklusive optisch stimulierender Lightshows und Deko stehen. Wenn
man sich mit Veteranen der Szene unterhält, ist immer wieder
vom Party-"Spirit" in der ersten Hälfte der 90er
Jahre die Rede, der heute irgendwie nicht mehr so da sei. Was hat
es mit diesem "Spirit" auf sich? Was ist gemeint?
Sterneck: Es ist nicht nur oberflächlich betrachtet eine „reine
Feier-Kultur“. Der Mainstream ist zweifellos von Kommerz und
Konsum geprägt. - Hauptsache Druff sein und „Spaaaß“
haben, nichts hinterfragen, am wenigsten sich selbst ... Fische
die mit dem Strom schwimmen
Wie alle Musikkulturen der letzten Jahrzehnte ist Techno mit einem
idealistischen Anspruch im Underground entstanden. Da ging es um
solche Aspekte wie Do It Yourself, um kreatives Experimentieren,
um die gemeinschaftliche Erfahrung anderer Wirklichkeiten. All dies
machte den besonderen Reiz der ersten Jahre aus. – Wobei diese
Elemente nicht gestorben sind, sondern im Underground weiterleben.
Doch im Mainstream gehen solche Ansätze zwangsläufig unter.
Ursprünglich ging es beispielsweise um eine gemeinschaftliche
Kultur ging, die keine Idole nötig hat. Inzwischen sind jedoch
längst die bekannten DJs zu egozentrischen Stars geworden,
die sich kaum von Rockstars unterscheiden und zu denen das Party-Volk
ergeben hinaufblickt...
2. Seit einigen Jahren kann man „Alice - The Drug- and Culture-Project“,
an dem du maßgeblich beteiligt bist, auf Parties und Festivals
mit elektronischer Tanzmusik antreffen. Ihr engagiert euch für
einen "mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen".
Was muss man sich unter "Drogenmündigkeit" vorstellen,
und auf welchem Weg kann diese nach euren Vorstellungen erreicht
werden?
Sterneck: Wir sind nicht nur auf Partys aktiv, sondern auch in Schulen
oder auf Tagungen anzutreffen. In Bezug auf Drogen versuchen wir
Drogenmündigkeit zu fördern. Dies beinhaltet einen möglichst
souveränen Umgang mit Drogen aller Art, die Fähigkeit
(aber nicht den Zwang) zur Abstinenz, ebenso die Fähigkeit
sich selbst bzw. den eigenen Umgang mit Drogen kritisch reflektieren
zu können.
Dieser Ansatz schließt im Grunde das ein, was man allgemein
als Suchtprävention bezeichnet, also das Vermeiden von Abhängigkeit.
Er geht aber noch viel weiter, indem er nicht nur negativ auf Probleme
konzentriert ist. Vielmehr versucht er die Person an sich zu stärken:
Mündigkeit durch Information, Reflexion durch kritische Auseinandersetzung,
Selbstbestimmung durch innere Stärke.
Vor diesem Hintergrund geht es uns nicht nur um Drogen. Vielmehr
versuchen wir generell über Veranstaltungen, kulturelle Projekte,
Flyer etc die Leute dazu anzuregen, aus der so weit verbreiteten
passiven Konsumhaltung auszubrechen und selbst aktiv bzw. kreativ
zu werden, um letztlich ihr Leben den Klauen von Fremdbestimmung
und Verwertung zu entreißen.
3. Was unterscheidet euch von "Eve & Rave", dem ebenfalls
aus der Techno-Szene erwachsenen Selbsthilfe-Projekt in Sachen bewussterem
Umgang mit psychoaktiven Substanzen?
Sterneck: Da gibt es im Grunde keine inhaltlichen Unterschiede in
Bezug auf den Umgang mit Drogen. Beiden Projekten geht es um möglichst
sachliche Aufklärung, um die Entwicklung von Bewusstsein und
um Hilfe bei Problemen. Uns verbindet das Ziel der Drogenmündigkeit
und zum Beispiel die Forderung nach der Einführung des Drug-Checking.
Mit anderen Projekten sind wir im Sonics-Cybertribe-Netzwerk zusammengeschlossen.
Uns verbindet jedoch auch, dass wir den von Dir benutzten Begriff
der „Selbsthilfe“ nicht gebrauchen. Dieser Begriff wurde
in der Anfangszeit oft genutzt, um uns zu schwächen bzw. in
eine bestimmte Ecke zu stellen: „Das sind die Technos, die
versuchen ihre Drogenprobleme selbst zu therapieren“. Dies
war und ist jedoch bei Alice nie der Fall gewesen. Vielmehr geht
es uns darum, Veränderungen zu bewirken, zumindest die Notwendigkeiten
aufzuzeigen: Veränderungen im Umgang mit Drogen auf einer persönlichen
wie gesellschaftlichen Ebene, aber auch unabhängig von der
Drogenthematik generell, um soziale und kulturelle Veränderungen.
4. In deinen Schriften ist immer wieder von kulturellen Freiräumen,
Visionen eines befreiten Lebens und einer konkreten Utopie die Rede.
Gefühlsmäßig habe ich da zwar gleich meine eigenen
Assoziationen, aber was genau meinst Du damit?
Sterneck: In Anbetracht der sozialen und ökologischen Entwicklungen
ist es eigentlich offensichtlich, dass es zu grundlegenden Veränderungen
kommen muss. Doch derartige Veränderungen in einem größeren
Maßstab erscheinen im Zeitalter von der Globalisierung geradezu
illusionär...
Dies heißt jedoch nicht, dass man den Kopf in den Sand stecken
sollte. Es ist auch im Hier und Jetzt möglich, Freiräume
zu schaffen in denen ein Leben möglich ist, das von Prinzipien
wie Gemeinschaftlichkeit, Kreativität, Selbstbestimmung, Balance
mit der natürlichen Umwelt etc geprägt ist.
Zum Beispiel ein besetztes Haus kann im Idealfall einen solchen
Freiraum bieten oder eine Underground-Party oder eine kleine Gruppe
von Leuten, die vor Ort in ihrem Bereich etwas verändern will
oder unzählige andere Möglichkeiten. Eine Volxküche
beispielsweise wie es sie in vielen linken Zentren gibt, in der
zum Selbstkostenpreis gekocht wird, damit sich jeder das Essen leisten
kann, aber auch um die Vereinzelung der Ein-Personen-Haushalte aufzubrechen.
Oder eine Party, die nicht am finanziellen Gewinn ausgerichtet ist,
sondern Gäste wie VeranstalterInnen gemeinsam etwas gestalten.
Oder eine politische Aktion, die der neoliberalen Globalisierung
eine solidarische Vernetzung von unten entgegensetzt.
Es gibt unzählige solcher Ansätze. Das Entscheidende ist
die innere Bereitschaft jedes Einzelnen in seinem Bereich solche
Türen zu öffnen. Mit einem Joint in der Hand endlos darüber
zu philosophieren, was man alles machen könnte und sollte und
müsste - und dann wird schon wieder der nächste gerollt
- ist einfach und bequem ... aber wer über das Philosophieren
nicht hinaus kommt, der ist ein Teil des Problems und nicht der
Lösung.
5. Innerhalb und aus der Techno- und Rave-Szene heraus haben sich
diverse kleinere Subkulturen entwickelt, von denen du in deinen
Büchern, z.B. in "Tanzende Sterne", berichtest, und
die sich vielleicht als "Cybertribes" subsummieren lassen.
Gibt es tatsächlich etwas, was all diese Szenen verbindet?
Sterneck: Egal auf welche Musikkultur man blickt oder in welcher
Stadt man sich gerade bewegt - wer genauer hinschaut wird immer
wieder auf Leute und Projekte stoßen, die versuchen andere
Wege zu gehen, die versuchen sich Kommerz und Vereinnahmung zu widersetzen.
Diese Leute findest Du im Free Jazz genauso wie im Punk, HipHop
oder Techno - allerdings in der Regel nur im Underground.
Die Rhythmen sind zum Teil andere, die Texte unterscheiden sich
in ihren Metaphern, aber im Grunde geht es immer wieder um Selbstbestimmung,
um Gemeinschaft, um Entfaltung, um eine innere Tiefe ...
6. Wenn man sich so umschaut, dann muss man doch feststellen, dass
der Boom der letzten großen, wirklich neuen Jugendkultur um
die Techno-Szene herum, lange schon vorbei ist. Die Kommerzialisierung
erfolgte weitestgehend bis Mitte der 90er, Deppentechno a la Blümchen
und Hyper Hyper, Sponsoren wie Camel und Jägermeister, Bier-Parade
und leere Phrasen a la Dr. Motte ließen grüßen.
Du bist ja ein profunder Kenner gegenkultureller Strömungen.
Siehst du irgendwo Pflänzchen der Hoffnung? Worauf sollte man
deines Erachtens sein Augenmerk richten? Was kann man selber tun?
Sterneck: Im Zuge der medialen Gleichschaltung vollzieht sich die
Vereinnahmung von Strömungen, die irgendwo im Underground als
zumindest potentiell subversive Gegenkultur entstanden sind, immer
schneller. Doch so verschlingend die Mechanismen der Gleichschaltung
auch sein mögen, ein letztes Stück innerer Lebendigkeit,
das Bedürfnis nach freier Entfaltung und Selbstbestimmung,
wird immer gegeben sein.
Die „Pflänzchen der Hoffnung“ von denen Du sprichst
kannst Du überall finden, wenn Du hinter die Fassaden der Nachrichtenshows
und der Plakatwände blickst. Mal ist es eine blühende
Sonnenblume, mal eine dornige Rose oder irgendein auf den ersten
Blick völlig unscheinbares Pflänzchen, das sich da zwischen
den Betonplatten widerspenstig seinen Weg bahnt. Es geht nicht um
die Frage, ob es diese „Pflänzchen“ gibt, sondern,
ob Du sie wahrnimmst, ob Du sie gießt - und letztlich, - um
in diesem Bild zu bleiben - ob Du selbst bereit bist, dem Heer der
künstlichen Plastikblumen einen eigenen verwilderten Garten,
so winzig er auch sein mag, entgegenzustellen.
7. Du hast ja mehrere Bände mit interessanten Texten zu verschiedenen
Themenschwerpunkten zusammengestellt. Was interessiert dich da besonders?
Worum geht es dir dabei?
Sterneck: Ein Aspekt ist, dass es mir darum geht Verbindungslinien
aufzuzeigen. Beispielsweise zu dokumentieren, dass man den Geist
der Revolte in der Hippie-Kultur, genauso wie im Punk, dem HipHop
oder im Techno finden kann.
Ein anderer Aspekt, der immer wieder auftaucht, ist die Verbindung
von innerer, persönlicher Entwicklung und äußerer,
gesellschaftlicher Veränderung. Isoliert führen beide
Wege schnell in eine Sackgasse, miteinander verknüpft eröffnen
sie neue Möglichkeiten.
Manchmal geht es mir auch darum, im Rahmen meiner Möglichkeiten
kleine „Denkmale“ zu schaffen. Zum Beispiel ein Projekt
oder einen Musiker zu beschreiben, der wichtiges bewegt hat, aber
zuvor kaum Beachtung fand.
Neben dieser ideellen bzw. politischen Ebene suche ich mir selbstverständlich
Themen aus, die mir irgendwie nah sind, die mich selbst beschäftigen.
Für mich gibt es in diesem Sinne keine Trennung von Arbeit
und Freizeit. Ich mache Dinge, von denen ich überzeugt bin,
und auf dieser Basis gehen Idealismus, Entfaltung und Vergnügen
ineinander über.
8. In dem Band "Erotika. Drogen und Sexualität" versammelst
du eine ganze Reihe Erzählungen, Autobiographisches, Geschichtchen
von bekannten und unbekannten Autoren, die alle mit Sexualität
und Drogen zu tun haben. Voyeuristisch gesehen fand ich persönlich
das zwar ganz interessant, was sich mir jedoch nicht so recht erschloss,
war die Intention dahinter. Was soll ich damit anfangen?
Sterneck: Die Antwort auf die Frage, was Du damit anfangen sollst,
ob Du einen Bezug findest oder nicht, die nehme ich Dir nicht ab.
Es gibt kaum andere Bereiche, die gesellschaftlich einerseits so
tabuisiert sind und mit denen andererseits so scheinbar locker umgegangen
wird, wie die Bereiche der Sexualität und der Drogen. Gleichzeitig
eröffnen beide Bereiche im Idealfall eine Tiefe ein „inneres
Fließen“ wie es ansonsten im Alltag kaum möglich
ist. Der Rausch der Sexualität gleicht im Idealfall einem veränderten
Bewusstseinszustand, gleicht einer Überwindung des blockierten
Alltagsbewusstseins. Ebenso können im Idealfall auch psychoaktive
Substanzen innere Räume eröffnen, die zuvor völlig
verschlossen waren. Sex und Drogen können aber auch auf sehr
vielfältige Weisen diese inneren Räume völlig verschließen.
Verbindet man nun Sex und Drogen, dann können sich diese Möglichkeiten
noch einmal potenzieren. Der viel beschworene, aber nur selten erlebte
„kosmische Orgasmus“ oder eine verschmelzende Zärtlichkeit
gehört genauso zu diesen Möglichkeiten wie völlig
verkrampfte Situationen, Impotenz oder gar Missbrauch.
Für mich persönlich war es spannend, all die verschiedenen
Zugänge zum Thema zusammenzutragen. Von wissenschaftlichen
und historischen Betrachtungen bis hin zu äußerst offenen
Erfahrungsberichten und Literaturauszügen. Nicht zuletzt sollte
solch ein Thema nicht nur trocken abgehandelt werden, sondern in
einem besonderen Maße auch eine im erotischen Sinne anregende
Wirkung haben...
9. Besteht nicht in jeder Subkultur das Risiko, dass sie sich zu
weit von den gesellschaftlichen Realitäten entfernt und sektiererische
Züge annimmt? Wie kann man dies vermeiden und die Bodenhaftung
behalten?
Sterneck: Klar, das ist immer eine Gefahr. Manchmal ist es wichtig
sich auf Inseln zurückzuziehen, aber man darf nie vergessen,
dass jede Insel von einem Meer umgeben ist. - Und dieses Meer prägt.
So idealistisch wir auch sein mögen, wir tragen alle unsere
schrägen Egos mit uns herum, die uns schon in der Kindheit
anerzogen wurden. Und auch als Erwachsener wird es nie möglich
sein, sich völlig dem umgebenden Meer zu verschließen.
Das muss uns immer bewusst sein.
Den perfekten Umgang mit diesen Strukturen gibt es nicht. Ein naheliegendes
und doch so selten gebrauchtes Mittel ist das der Hinterfragung
und Selbstreflexion, der Kritik und Selbstkritik. Sich neben sich
zu stellen und zu schauen, was geht überhaupt mit mir ab, ist
dies noch der Weg den ich bzw. wir einschlagen wollten?
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ hat Adorno
mal gesagt. Aber es besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit
sich diesem zumindest anzunähern.
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www.sterneck.net
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