|
 |
English Version
Wolfgang Sterneck:
INSELN - PARTY, TRIBES UND WIDERSTAND
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Anfang der neunziger Jahre bin ich zum ersten Mal auf eine Techno-Party
gegangen. Es war eine dieser legendären Nächte mit Sven
Väth im Frankfurter Omen. Als ich damals die Räume betrat,
war ich war völlig verblüfft: Der ganze Club war in Bewegung
und überall wurde getanzt, selbst auf den Tischen. Zum Teil
liefen scheinbar völlig monotone, endlose Stücke und als
irgendein eher unscheinbares Element neu hinzu kam, da ging ein
Aufschrei durch den ganzen Club. In keiner Szene in der ich mich
zuvor bewegte, hatte ich solch eine euphorische und ekstatische
Stimmung erlebt
In dieser Nacht war ich noch weitgehend Beobachter. Doch auf den
Partys, die danach folgten, wurde ich zunehmend zu einem Teil der
Party. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur selten getanzt. Auf
Indie- und Wave-Partys ging ich in einer Nacht höchstens bei
zwei, drei Stücken auf die Tanzfläche, die mir besonders
gefielen. Und ich tanzte sozusagen mit dem Kopf, das heißt
ich überlegte mir mehr oder weniger genau, wie ich mich bewege,
wie ich auf die anderen wirke. Auf den Techno-Partys begann ich
nun zu tanzen und hörte gar nicht mehr auf. Anfangs tanzte
ich noch mit dem Kopf, dachte an irgendetwas alltägliches,
doch dann ging ich mehr und mehr in der Musik auf. Mein Körper
bewegte sich von alleine und in meinem Kopf breitete sich eine Leere
aus, eine positive Leere, und ich begab mich immer weiter in einen
tranceartigen Zustand.
Dadurch begab ich mich in eine Tradition, die seit Jahrtausenden
besteht. In Kulturen aller Zeiten haben sich Menschen durch den
Tanz zu monotonen Rhythmen in Trance versetzt, um in einer Zustand
des Fließens zu gelangen. Es sind bis heute die gleichen Mechanismen,
auch wenn heute zumeist keine Holztrommeln mehr benutzt werden,
sondern elektronische Instrumente.
Bis dahin hatte ich die Vorstellung, dass Techno keine Botschaft
hat, dass Techno einfach nur ein Produkt der Musikindustrie sei.
Doch durch das Tanzen wurde mir eine ganz andere Ebene klar: Wir
leben in einer Gesellschaft, die auf Kontrolle und Rationalität
basiert, in der Gefühl und Körper unter den Verstand gestellt
sind. Vor diesem Hintergrund kann solch eine trancehafte Nacht zum
persönlichen Ausbruch werden, kann zu einer Politik des Körpers
werden.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Um 1992 geschah mit Techno das, was charakteristisch für fast
alle Jugendbewegungen der letzten Jahrzehnte und deren Musik ist.
Wenn das kommerzielle Potential einer neuen Strömung deutlich
wird, dann wird sie von der Musikindustrie und den ganzen Zigaretten-,
Bekleidungs- und Getränkekonzernen ausgeschlachtet. Diese Entwicklung
führt dann wiederum zu einer Reduzierung der Kultur in ihrer
Hauptströmung auf eine modische, inhaltslose Stilrichtung.
Die gegenkulturellen Ansätze der Anfangszeit werden an den
Rand gedrängt oder völlig geschluckt. Durch den beständig
anwachsenden Einfluss der Medien vollzieht sich dieser Prozess immer
schneller. Die Gleichschaltung von Bedürfnissen und Bewusstsein,
die Manipulation von Sehnsüchten und Träumen wird dabei
immer perfekter.
Egal ob Punk oder Techno, ob HipHop oder der frühe Rock, all
diese Strömungen haben im Underground begonnen. Als Gegenkultur,
als Abgrenzung zur Mainstream-Culture. Und immer ging es um Freiräume,
um die Möglichkeit sich entfalten zu können, kreativ zu
sein, um gemeinschaftliche Projekte, letztlich um ein selbstbestimmtes
Leben. Und immer dort, wo diese Gegenkultur bestimmte vorgegebene
Grenzen nicht mehr beachtete, wurde von Seiten des Staates, von
Seiten des Establishments zurückgeschlagen.
Symbolhaft für die Entwicklung vom Underground zur Vereinnahmung
und kommerziellen Ausschlachtung ist die Entwicklung von Elvis.
Anfangs galt er als Rebell, der mit seiner Interpretation des Rock’n’Roll
und insbesondere auch mit seinen erotisierten Hüftbewegungen
die Eltern-Generation schockte. Dann erkannte ein geschickter Manager
das Potential von Elvis und vermarktete es äußerst erfolgreich.
Schnell wurden die Kanten etwas abgeschliffen und dem Image von
Elvis seine rebellische Schgärfe genommen. In Folge war dann
Elvis plötzlich in den TV-Shows zu sehen und es war kein Zufall,
dass der Bildausschnitt erst oberhalb der Hüfte einsetzte.
In den folgenden Jahren wurde aus dem Rebell ein aufgeschwemmter
Schnulzensänger, den die Schwiegermutter inzwischen genauso
sympathisch fand, wie der Sohn der einst über die Strenge schlug.
Genauso beispielhaft sind auf ihre Weise die Geschichten unzähliger
Punk- und Underground-Bands, die anfangs zu Verweigerung und Widerstand
aufriefen, dann aber vom Musikkonzernen unter Vertrag genommen wurden
und sich zu oberflächlichen Rockbands mit banalen Texten wandelten.
Beispielhaft ist auch die Entwicklung von Techno. Am Anfang stand
die betonte Abkehr von gängigen musikalischen Aufbauschemen,
von Starkult und Kommerz. Doch es dauerte nicht lange und die Industrie
hatte das kommerzielle Potential erkannt. Und plötzlich landete
Marusha mit ”Somewhere over the rainbow” auf Platz 1
der Hitparaden. Ein Stück ohne Kanten mit einem eingängigen
Refrain und einem Aufbau wie ein Pop-Song. Bald darauf wurden auf
der Suche nach neuen Absatzmärkten auch die Kids entdeckt und
so trällerte Schlumpf-Techno durch die Kinderzimmer. Die Plattenbosse
rieben sich die Hände, während die Fans den neuen Stars
auf der Bühne zujubelten.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Charakteristisch für viele Clubs und Raves sind längst
überhöhte Eintrittspreise, arrogant auftretende Türsteher
und fehlende Chill-Out-Bereiche. Zum Teil werden sogar die Kaltwasserhähne
auf den Toiletten abgedreht, um zu verhindern, dass die Gäste
Leitungswasser anstatt der überteuerten Getränke zu sich
nehmen. Die Gewinne aus den Veranstaltungen erzielten dabei zumeist
Personen, die mit der Szene nichts oder nur noch am Rande zu tun
haben. Gleichzeitig kommt es bis heute nur in Ausnahmen zu einer
Reflexion der Entwicklung durch die Party-Kultur selbst. Deutlich
wird dies nicht zuletzt am Beispiel der entsprechenden Magazine,
die fast ausschließlich auf den Bereich der Musik fixiert
sind und selbst in diesem Rahmen nur selten über die neuesten
Veröffentlichungen bzw. die aktuellen Stars hinausgehen.
In seiner gegenwärtigen Hauptströmung entspricht die Party-Kultur
der hedonistischen Grundhaltung großer Teile der Jugend, die
weitgehend von einem Desinteresse an gesellschaftlichen Entwicklungen
geprägt ist. Sie ist in diesem Sinne, von einigen Ansätzen
abgesehen, längst nicht mehr eine Kultur der Entfaltung und
der Kreativität oder gar der Rebellion oder der Verweigerung,
sondern vielmehr eine Kultur des Rückzugs und der Vermarktung.
Meist geht es darum, am Wochenende den Ballast des Alltags zu vergessen,
ohne ihn in Frage zu stellen. Möglichst auf Knopfdruck glücklich
sein und Spaß haben, wobei dies scheinbar mit einigen Ecstasy-Pillen
besonders leicht gelingt. Psychoaktive Substanzen dienen hier längst
nicht mehr zur Eröffnung anderer Realitäten, sondern schlicht
um aus dem Alltag zu flüchten. - Und schnell noch einmal nachlegen,
um noch glücklicher zu sein und noch mehr Spaaaß zu haben.
Und dann noch eine Pille, noch eine Line, noch ein Bier, bis man
letztlich nur noch druff und verpeilt durch den Club schwankt.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Eine Alternative zu unpersönlichen Massen-Raves stellen die
Goa-Parties dar. Die Psychedelic-Trance- bzw. Goa-Szene entspricht
einer Verbindung von Elementen der westlichen und der indischen
Kultur, wobei die Hippie-Bewegung als Verknüpfungspunkt dient.
Charakteristisch für die Partys sind die besondere Betonung
der Deko bzw. der gesamten Atmosphäre, der oftmals freundliche
Umgang und nicht zuletzt auch die Suche nach veränderten Bewusstseinszuständen,
sowie die unterschwellige Spiritualität.
Zum Symbol wurde das Om als ein altes spirituelles Zeichen des kosmischen
Urklanges, der alles wie ein Fluss durchzieht und weder Anfang noch
Ende kennt. Ein mystisches Bild, das bemerkenswerte Entsprechungen
in der modernen Physik findet. Dort hat sich längst die Erkenntnis
durchgesetzt, dass es im Grunde keinen Zustand des Stillstandes
gibt. Vielmehr setzt sich auch jeder scheinbar feste Gegenstand
aus unzähligen minimalen Teilchen zusammen, die sich in ständiger
fließender Bewegung befinden.
Die Verbindung der Kulturen führte in der psychedelischen Szene
jedoch auch zu vielen Klischees und oberflächlichen Betrachtungsweisen.
Wer beispielsweise bei seinen Erzählungen vom Urlaubstrip nach
Goa nur von Partys und der vermeintlich überall spürbaren
Spiritualität erzählt, der hat dabei irgendwie übersehen,
dass in Indien zigtausende Menschen hungern. Und wer beständig
Bilder hinduistischer Gottheiten auf seine Party-Flyer druckt, weil
sie so schön mystisch und bunt wirken, der ignoriert, dass
diese Symbole zum Teil für äußerst repressive Strukturen,
für das Kastensystem und für die Diskriminierung von Frauen
stehen. Und wer davon spricht, dass die Psy-Trance-Szene so anders
ist, der sollte sich einmal nüchtern die Ego-Trips von diversen
DJs, Veranstaltern oder den vorgeblich ganz besonders erleuchteten
Party-Freaks betrachten.
Und wenn dann irgendwann morgens über dem Dancefloor die Sonne
aufgeht und alle trancehaft in der Musik versunken sind, dann liegen
längst die zerknüllten Flyer mit dem psychedelisch-leuchtenden
Om zwischen unzähligen Bierdosen - doch wer schaut schon nach
unten.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Auch wenn die Mechanismen der Vereinnahmung und der medialen Gleichschaltung
längst global sind, so entwickeln sich immer wieder im Underground
Projekte, die einen anderen Weg gehen und sich widersetzen. So schlossen
sich in den frühen neunziger Jahren in England einige Leute
zu einer Gruppe zusammen und nannten sich Spiral Tribe. Sie lebten
in großen ehemaligen Armee-Fahrzeugen, die sie zu Wohnräumen
ausgebaut hatten und zogen von Ort zu Ort. Überall dort, wo
sie hielten und ein paar Leute zusammen kamen, organisierten sie
mit ihren Soundsystems Partys, meist ohne Eintritt, nur auf Spendenbasis.
Einer der Spirals erzählte mir zu dieser Zeit, dass die Lebensphilosophie
des Spiral Tribe auf drei Begriffen basiert. Der erste Begriff lautet
Marxismus. Marxismus im Sinne von linker, kritischer Theorie, im
Sinne einer Ablehnung von Ausbeutung und Unterdrückung, im
Sinne des Ideals einer klassenlosen freien Gesellschaft. Nun ist
der gute Marx aber schon etwas in die Jahre gekommen, etwas ergraut
und da liegt es nahe ihn in etwas bunteren Farben zu sehen. Daran
knüpft der zweite Begriff an: Psychedelika. Marx liest sich
einfach lockerer mit einem Joint in der Hand und entfaltet mit ein
paar Magic Mushrooms oder Trips ganz neue Ebenen. Der dritte Begriff,
der alles zusammenhält lautet Tribe bzw. Stammeskultur, also
eine gemeinschaftliche autonome Form des Zusammenlebens. Im Grunde
ist der Spiral Tribe ein Cybertribe, also ein moderner Stamm, der
altes Wissen mit den Entwicklungen der Gegenwart verbindet.
Der Spiral Tribe wurde in England immer bekannter und die Leute
reisten von Überall zu den Partys an. Den Höhepunkt bildete
ein Festival in Castlemorton zu dem höchstens ein paar tausend
Menschen erwartet wurden, dann aber etwa 50.000 Menschen kamen.
Und die feierten mehrere Tage lang ohne besondere Zwischenfälle,
ohne Security, ohne Eintritt, ohne autoritäre Struktur, ohne
kommerzielle Absichten, ohne Star-DJs. Einige Tage lang war das
Festival ein gemeinschaftlicher Freiraum.
Um zu verhindern, dass dies ein zweites Mal passiert, wurde der
Spiral Tribe mit Anzeigen und verfahren überhäuft. Den
Mitgliedern wurde die Missachtung behördlicher Auflagen und
Vergehen gegen die Drogengesetzgebung vorgeworfen. Aber der Spiral
Tribe ließ sich nicht einschüchtern und kündigte
eine Party mitten in London an: Ein Fest direkt auf einem Bauplatz
für ein neues Bankgebäude ein Festival als Ausdruck eines
anderen Lebens. Vor dem Beginn wurde jedoch der gesamte Stadtteil
von der Polizei abgesperrt und die Spirals mit Haftbefehl gesucht.
Um den Prozessen zu entgehen, zogen die Spirals in Folge auf das
europäische Festland und dort nomadenhaft von einem Ort zum
nächsten. Die damalige Torry-Regierung erließ einige
Zeit später ein Gesetz, das sogenannte Criminal Justice Bill,
das im Grunde alles verbietet was mit einer alternativen Lebenseinstellung
zu tun hat, darunter auch das Organisieren von Partys und Raves
ohne ausdrückliche behördliche Genehmigung.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Wenn sich eine Gruppe von Leuten trifft, um gemeinschaftlich feiernd
aus den Fesseln des Alltags mit seinem Konkurrenz- und Profitwahn
auszusteigen, dann kann für einige Stunden ein Freiraum entstehen.
Ein Freiraum in dem zumindest der Ansatz eines anderen Lebens möglich
ist. Eine ’Temporäre Autonome Zone’, wie es Hakim
Bey in seinem legendären TAZ-Essay einmal beschrieben hat.
In diesem Sinne ist jede Party ist politisch. Dabei muss nicht unbedingt
irgendwo ein Transparent mit einer politischen Forderung hängen,
es sind ganz unterschiedliche Aspekte die den Charakter einer Party
ausmachen. Zu den Party-Politics gehört zum Beispiel die Frage,
wer an einer Party verdient. Ist es eine einzelne Person, die ihren
Gewinn aus überhöhten Eintrittspreisen zieht? Oder ist
es eine Gruppe von Leuten, denen es hauptsächlich um eine gute
Party geht?
Zu den Party-Politics gehört auch das Verhältnis zur Natur
bei einem Open-Air. Wird sich darum bemüht den Platz vernünftig
zu nutzen oder werden Müllberge hinterlassen? Politisch ist
ebenso, wie die Leute auf der Party miteinander umgehen. Eher gemeinschaftlich
oder sind alle auf einem Ego-Trip? Politisch ist wie auf einer Party
mit Drogen umgegangen wird. Politisch ist es beispielsweise auch,
wenn alle ehrfürchtig zum DJ hinauf blicken und ihn bejubeln,
was immer er auch macht. Politisch ist die Frage, ob nur Männer
auf der Bühne stehen oder sich Frauen als KünstlerInnen
wie als Gast gleichberechtigt einbringen können. Politisch
ist mehr als die Frage, ob ein Track einen politischen Text hat.
Politik ist auch mehr als die Programme von Parteien und die Entscheidungen
von Ministern. Politik ist das Verhältnis zwischen uns. Politik
ist unser tägliches Handeln.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Der Playground hat seine Wurzeln in den Michael-Barrax, einer ehemaligen
Militärkaserne in Frankfurt. Nach dem Abzug der US-Army entstand
dort ein Freiraum, der vielfältige Ansätze bot, die Grenzen
zwischen Wohnen, Arbeiten und kreativer Entfaltung aufzuheben. Zeitweise
lebten dort rund achtzig Personen, die diesen Freiraum gemeinschaftlich
gestalteten, wobei die Struktur jedoch auch viel Platz für
Chaos und Ignoranz eröffnete. Die Geschichte der Barrax als
buntes Wohn- und Kulturprojekt endete als die Gebäude nacheinander
mit Polizeikräften geräumt und bald darauf abgerissen
wurden, um dort neue gleichförmige Wohnblocks zu errichten.
In den Barrax entstand die Idee des Playgrounds als ein kreativer
Spielplatz, der auf Partys genauso möglich ist wie in Fußgängerzonen.
In der Regel werden dabei Musikinstrumente, Jongliergegenstände
und Dekomaterialien ausgelegt, die von allen Anwesenden und Vorbeikommenden
nach Lust und Laune genutzt werden können. Meist entwickelt
sich dann eine Session, in der sich die Beteiligten anfangs eher
auf sich bezogen auszudrücken, um dann aber doch einen gemeinsamen
Rhythmus zu finden. Die ansonsten selbstverständliche Aufteilung
zwischen aktiven KünstlerInnen und VeranstalterInnen auf der
einen Seite und passivem Publikum wird so immer wieder aufgebrochen.
Letztlich besitzt jeder Mensch ein kreatives Potential, das aber
in unserer Gesellschaft meinst verdrängt und verschüttet
wird.
”Be your own live-act - Sei Dein eigener Live-Act! Mach´s
dir selbst, nimm dein Leben in die Hand!” verkündet der
Playground immer wieder. ”Anstatt TV zu schauen, sind wir
die aktiven Produzenten unserer eigenen Filme, unserer Wirklichkeit,
unseres Lebens! Es geht hier nicht um eine künstlerische Leistung,
sondern um eine gemeinsame Erfahrung, um das Feiern im ursprünglichen
Sinne. Nicht irgendein verwertbares Produkt, sondern der Prozess
des Spielens und der Spaß stehen im Vordergrund, und auch
die Erkenntnis, dass man gerade aus Fehlern und ’Missklängen’
lernen kann.”
Im Spätsommer 2000 reiste die erweiterte Playground-Crew in
den Kosovo, um dort Kontakte zu knüpfen und die Musik als verbindende
Kraft zu nutzen. Eine improvisierte Reise in ein in vielen Teilen
durch den Krieg gespaltenes und zerstörtes Land. Dabei ging
es um gemeinsame Aktivitäten vor Ort mit den betroffenen Menschen,
die weit über einen Auftritt auf Benefit-Veranstaltung hinausgeht,
der vielleicht gut gemeint ist, aber oftmals doch nur vorrangig
zur Image-Förderung genutzt wird.
Und so entwickelten sich in verschiedenen Etappen über Jahre
hinweg spontane Sessions genauso wie das verbindende Crossing-Bridges-Festival.
Bei den ’Road to Peace’-Partys feierten AlbanerInnen,
SerbInnen, Roma und viele andere gemeinsam auf einem bunt gestalteten
Zug, der durch den Kosovo fuhr. Deutlich wurde aber auch immer wieder,
dass viele Grenzen in den Menschen tief verankert sind und auch
durch die Kraft der Musik nicht zu überwinden sind. ”Im
Workshop malten wir zusammen mit den Kids Masken aus Maschendraht
und Papier an. Eine Gruppe Roma-Kids kam hinzu und das Zusammentreffen
zwischen den Kindern wurde immer problematischer. Aus netten Prinzessinnen,
die vor meiner Kamera posierten, wurden plötzlich kleine Furien,
die mit weit aufgerissenen Augen ’Nein, mit denen spielen
wir nicht!’ schrieen.”
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
In Frankfurt findet jährlich die NachtTanzDemo statt. Ihren
Ursprung hat sie in der Kritik an Einschränkungen der Party-Kultur
in der Stadt. Im Protest gegen die Schließung von Clubs, gegen
kaum erfüllbaren Auflagen für die Eröffnung von neuen
Locations, gegen Sperrstunden und gegen Polizeirazzien.
Bei der dritten Nachttanzdemo wurden diese Inhalte erweitert. Es
wurde deutlich, dass die Politik, die sich gegen die Party-Szene
richtet, nicht isoliert steht, sondern Teil eines Konzeptes
ist, das auf einer neoliberalen Grundhaltung basiert. Dabei geht
es um den Standort Frankfurt und um die Frage wie noch mehr Kapital
in die Bankenstadt gezogen wird. In dieses Weltbild passen keine
Underground-Partys, auch keine besetzten Häuser oder autonomen
Zentren, selbstverständlich auch keine Junkies und keine Obdachlosen,
die Geschäftsleute am Hauptbahnhof anschnorren.
Als dieser Zusammenhang klar wurde, da veränderten sich die
Parolen und da hörte sich der Aufruf plötzlich ganz anders
an. Und da reagierte auch das System bzw. der Magistrat mit all
seinen Polizeikräften ganz anders. Bisher ließ man die
Leute eine Nacht lang auf der Straße tanzen, doch nun ging
nicht nur um Party, sondern auch im engeren Sinne um Politik. Entsprechend
groß war das Aufgebot: Wasserwerfer, Polizeihunde und Polizisten
in Kampfanzügen, wie sie die meisten nur aus Science-Fiction-Filmen
kennen. Und dann gab es dieses bizarre Bild: Auf der einen Seite
die verbissenen Polizisten in ihren Kampfanzügen und auf der
anderen Seite fröhlich tanzende Party-People. Doch irgendwann
erhielten die Polizisten den Befehl zuzuschlagen, die Tanzenden
wurden verprügelt und die Wagen mit den Soundsystems gestürmt.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Es ließen sich noch viele Geschichten erzählen. Es gibt
viel mehr derartige Erfahrungen und Projekte als die meisten wohl
denken. Aber es geht gar nicht darum den Blick nur auf andere Geschichten
zu richten. Denn jede und jeder trägt die ersten Worte einer
solchen Geschichte in sich selbst. Denn jeder und jede von uns ist
ein Samen aus dem ein solches Projekt wachsen kann, jeder und jede
von uns ist eine Zelle eines Cybertribes, wie auch immer der dann
im einzelnen aussehen mag.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei, doch
viele übersehen dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben
ist.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und übersehen
dabei, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist, doch einige öffnen
die Augen und sie beginnen zu sehen.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei und sie
öffnen die Augen und sie beginnen zu tanzen - nicht nur auf
den Dancefloors, sondern auch überall in den Straßen,
in den Klassenzimmern, in den Büroräumen, in den Supermärkten,
in den Parlamenten und auf den Treffen der Weltbanken. Und Tanzen
steht dabei für Veränderung, für radikale Veränderung.
Manche Leute denken, dass die Party-Kultur eine Insel sei. Und sie
verstehen. Und sie tanzen. Und sie träumen. Und sie kämpfen.
Und sie lachen. Und sie lieben. Und sie verändern.
Wolfgang Sterneck
w.sterneck@sterneck.net - www.sterneck.net
Remixes: Sonics-Netzwerk-Treffen (Berlin 1999), Gathering
of the Tribes (Los Angeles, 2001), NachtTanzDemo (Frankfurt/Main,
2003), u.a.
www.sterneck.net
- * -

|