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DIE FUSION UND DIE PARTY-UTOPIE
Interview des Psychonautischen Rundbriefs mit
Ralf Wischnewski und Wolfgang Sterneck auf dem Fusion-Festival am
26.6.1999
PR: Was bedeutet für euch der politische und gesellschaftliche
Anspruch - oder auch die Utopie, die oft mit sogenannten gegenkulturellen
Veranstaltungen in Zusammenhang gebracht wird ?
WOLFGANG: Mit dem Begriff von linker Utopie verbinde ich Herrschaftsfreiheit,
Gleichberechtigung, Gemeinschaftlichkeit, freie Entfaltung, Selbstbestimmung,
usw. In dem Zusammenhang will ich aber lieber von Ideal sprechen,
denn Utopie hat immer den Beigeschmack des Nicht Erreichbaren. Ich
denke hierbei geht es um Ideale und die sind durchaus möglich
zu realisieren, auch wenn es ein ziemlich weiter Weg dahin ist.
Es gibt die Möglichkeit und Notwendigkeit einer weitmöglichsten
Annäherung. Ich sehe es als Aufgabe eines jeden Menschen zu
versuchen, diesen Idealen einer besseren gemeinschaftlichen Gesellschaft
näher zu kommen.
PR: Das ist für dich also auch der Anspruch an eine gute Party:
wo der Raum geschaffen wird, in dem man diesem Ideal näher
kommt?
WOLFGANG: Hier dreht es sich ja um das Thema Party und Politik und
da will ich zwei Ansätze unterscheiden. Der eine Politikansatz
ist der gängige, wonach eine Party dann politisch ist, wenn
da ein Transparent hängt oder Flugblätter ausliegen, wobei
das oft ziemlich von aussen aufgesetzt ist. Der andere Politikbegriff
setzt viel früher an. Ob eine Party politisch ist oder nicht
ist auch ein Frage vom Eintrittspreis, wer verdient an der Party,
wie teuer ist Wasser, wie wird auf einer Party mit Drogen umgegangen,
gibt es Türsteher oder einen sehr offenen Umgang. Politisch
ist auch die Frage, wie die Leute tanzen – nur auf den DJ-Star
ausgerichtet oder jeder wie er will und der DJ garnicht diese zentrale
Position hat...
PR: ...bzw. auch jeder DJ sein kann...
WOLFGANG: Ob eine Party politisch ist oder nicht liegt im wsentlichen
an der Struktur der Party selbst.
PR: Erfüllt die Fusion jetzt diese Ansprüche ?
RALF: Auf etlichen Goaparties gab es vom Veranstalter aus den Anspruch
politisch zu sein, ich habe es aber nicht wirklich gesehen. Hier
finde ich es sehr klasse gelungen: die Ruhe und Offenheit der vielen
Mitwirkenden, der Organisation, der Umgang mit Drogen inclusive
der Zusammenarbeit mit dem Eclipse-Team, der Eintrittspreis, der
Umgang mit Müll, die Selbstverantwortung der Leute.
WOLFGANG: Ich glaube, daß man an der Fusion im Ganzen aber
auch in ganz vielen Details merkt, dass die Veranstalter keinen
Profit rausziehen wollen, sondern dass sie Spass an der Sache haben,
ein gewisses Kulturverständnis und Lebensgefühl weitertragen
wollen.
PR: Ist einer der Ansprüche an Parties, daß wir auch
Ideen und Gedanken raustragen wollen oder ist die Party primär
ein Raum, wo wir feiern und eine schöne Zeit haben wollen?
WOLFGANG: Ist doch am Schönsten, wenn beides zusammenkommt!
Wenn ich mit Leuten gemeinschaftlich Feier, dann ist das für
mich ein politischer Ausdruck. Denn jeder der von außen dazukommt,
merkt ja, wie die Leute miteinander umgehen und wie die Party organisiert
ist. Es geht nicht drum, eine Fahne aufzuhängen, sondern wir
feiern einfach so wie wir es für richtig halten und dann strahlt
es auch nach außen.
PR: Findet ihr, dass hier Raum geschaffen wird, um über das
Spannungsfeld von Konsum und alternativem Lebensstil nachzudenken
und zu reflektieren, sodass tatsächlich Veränderung in
den Köpfen stattfindet? Auf dem Fusionflyer wurde gegen den
Natokrieg protestiert, aber Papier ist so geduldig. Sich auf die
Fahnen schreiben kann man viel, aber kann man wirklich gegen den
Krieg tanzen und Drogen konsumieren? Wäre es nicht vielleicht
konsequenter gewesen 5 Mark von jeder Karte für einen Hilfskonvoi
zu verwenden?
RALF: Also bewußt ist hier kein Raum geschaffen worden, um
sich über die Dinge auseinanderzusetzen, aber ich denke hier
ist der Raum, damit wir vier Tage zusammen wohnen, feiern, diskutieren,
leben und das dadurch die Möglichkeit zu Auseinandersetzung
geschaffen wird. Aber ich fände es sehr schön, wenn dieser
ausgedrückte Anspruch auch inhaltlich klarer ausgefüllt
würde, indem man Räume schafft, um sich über persönliche
und politische Themen direkter auseinanderzusetzen. Wie hier getanzt
und gelebt wird ist für mich noch nicht direkt politisch sondern
hat eher etwas mit selbstbestimmt feiern gehen zu tun. Politischer
Anspruch bedeutet dann für mich noch aus der Selbstbestimmung
heraus gesellschaftlich aktiv zu werden und dann etwas zu tun, was
wir ja teilweise mit unseren Projekten tun, um auf Veränderung
nicht nur persönlich sondern auch gesellschaftlich hinzu wirken.
Sonst wird es sehr schnell egoistisch und hedonistisch, ein selbstbestimmter
Anspruch wird draufgeschrieben, der aber nur für den eigenen
Hedonismus herhalten soll und da stimmen Anspruch und Wirklichkeit
oft nicht überein.
WOLFGANG: Diese Räume für gesellschaftliche Auseinandersetzung
wurden hier vom Veranstalter nicht direkt geschaffen, aber es ist
vielleicht auch die Verantwortung von uns allen, diese Inhalte stärker
einzubringen. Eine andere Sache ist, dass sowas auch in der gegenkutlturellen
Partykultur sowas ziemlich unterentwickelt ist und wir uns erstmal
auf die Suche begeben müssen nach Diskussionsformen, die unseren
Bedürfnissen angepasst sind. Denn mit den traditionellen linken
Politik- und Diskussionsstrukturen können und wollen wir ja
nicht weiterkommen. Denn wenn wir aus linken oder autonomen Hintergründen
kommen, genießen wir das ja auch aus diesen festen Strukturen
loszukommen, aber etwas richtig Neues entwickelt wurde noch nicht.
PR: Hedonismus ist ja auch gerade so ein bißchen Selbsttherapie
der Linken. Wir lernen jetzt gerade, dass man nicht alles diskutieren
muss, habe ich das Gefühl....
WOLFGANG: Wie die Frankfurter Nachttanzdemos: man geht endlich nicht
mehr auf die Demos, weil man vom Kopf her meint dass es wichtig
ist, eigentlich aber gar keine Lust hat, sondern es war eine Form,
in der man für gewisse Inhalte auf die Strasse geht und dabei
Spaß hat und ein Stück weit sein eigenes Lebensgefühl
auf die Strasse trägt und dadurch etwas vermittelt.
PR: Wir haben da gerade eine schön formulierte Kritik aus England,
dass Reclaim the Streets eine Sache von weissen Mittelstandskids
ist, die einfach ihren Spaß haben und nur durch den öffentlichen
Raum nicht die Reflexion oder der politische Anspruch gelebt und
ausgedrückt wird, der reininterpretiert wird...
WOLFGANG: Aber große Veränderungen werden ja auch nicht
durch eine Demo oder ein Buch gemacht, sondern wenn ganz viele Faktoren
zusammenkommen gibt es auf der großen gesellschaftlichen Ebene
Veränderungen. Deswegen würde ich das auch nicht als eine
Sache der weißen Mittelstandsleute sehen, sondern als einen
kleinen von vielen Teilen, wo man schauen muss, wo es da Verbindungslinien
gibt und wie man die zusammenfügen kann.
Was man aus linker Geschichte aber lernen kann, ist dass es nicht
den einzig wahren Weg gibt, sondern ganz viele und dass es vielleicht
wichtiger ist nach den Gemeinsamkeiten zu suchen als sich untereinander
zu bekämpfen. Wie kann man gemeinsam etwas entwickeln, um irgendwie
diesem Ideal näher zu kommen. Das ist im Grunde ja auch die
Idee vom Cybertribe: unterschiedliche Ansätze, die aber ganz
ähnliche Ziele haben, versuchen stärker zu verknüpfen.
RALF: Aber ich denke es wird schon sehr viel mit Mythen gearbeitet
und wenn man mal dahinterkuckt und schaut was passiert, seh ich
da manchmal doch recht wenig. Natürlich kann man einen Mythos,
etwas Gedrucktes auch politisch sehr gut nutzen, aber ich fände
es schon schöner, wenn er auch mit Leben und Inhalten der einzelnen
Leute und Gruppen gefüllt würde.
PR: Empfindet ihr die Party oft als eine virtuelle Realität,
wo man hingeht, weil sie schön ist, weil man schöne Drogen
hat und weil wieder alle da sind und einfach nur Spaß hat,
um dann am Sonntag wieder nach Hause zu fahren und das gleiche von
Montag bis Freitag zu tun, was man immer tut, aber eigentlich gar
nichts mitgenommen hat. Und den Raum bewusst nicht so ernst schafft,
um nichts mitnehmen zu müssen, sondern einfach nur eine schöne
Zeit hat.
RALF: Das sind für mich zwei Aspekte. Ich nehm aus dieser Party
bestimmt was mit, was ich auch in mein Leben integriere, was mein
Leben und auch meine nächste Party verändert. Aber ich
ganz oft auch auf Parties, um bewusst nur Spaß zu haben und
von der Woche abzuschalten und Kontraste zu setzen. Um bewusst in
eine andere virtuelle Realität, eine Traumwelt einzutauchen,
um Kraft zu sammeln und dann wieder in meinem Alltag was machen
zu können. Und ich glaube ich brauche diese Kontraste momentan
auch und will das auch beibehalten.
PR: Läßt sich das aufrechterhalten, dass wir hier gegen
die bürgerliche Gesellschaft antanzen oder sind wir nur ein
Teil der Kontraste, die das ganze immer in Bewegung halten und permanent
verändern.
RALF: Ja aber wir klinken uns hier schon ein Stück weit aus
dem Alltag der bürgerlichen Gesellschaft aus - aus unserem
Alltag - und ich will da von mir auch nichts anderes behaupten,
ich weiss, dass ich ein Teil dessen bin... und im tiefen Herzen
auch ein kleiner Spießer und mir das auch aufrechterhalten
will.
WOLFGANG: Meine Ideale versuche ich aber genauso am Mittwoch beim
Arbeiten umzusetzen wie am Samstag beim Tanzen; so groß würde
ich die Unterscheidung der Realität da nicht machen.
RALF: Aber trittst du bei der Party nicht mehr aus dir heraus ?
WOLFGANG: Sicherlich...
RALF: Und das ist dann schon ein Kontrast zum Wochentag, das Feiern
an sich, denn das ist ja der Sinn des Feierns, aus dem rauszukommen
wo man normalerweise ist, abzuschalten, neue Kraft und Ideen zu
bekommen. Was Kontraste angeht gilt das auch für den Drogenkonsum;
daß man die Kontraste von Nüchternheit und Rausch klarer
kriegt und genauer weiß, wann man eins von beidem haben möchte
und wann nicht, denn da sind die Kontraste und die Reflexion über
die eigenen Konsummuster ganz wichtig. Daß man wieder versucht
mehr Rituale in den Rausch zu bekommen, um ihn wie jeden Zustand
als etwas besonderes und nichts alltägliches wahrzunehmen.
Vielleicht mit einer Broschüre damit stärker zur Selbstreflexion
anzuregen ohne den Zeigefinger, wobei ich weiß wie schwierig
das ist aber ich denke daran schon lange...
PR: Also auch mehr Raum, in dem etwas bewußt geschaffen und
zum eigenen Schaffen angeregt wird und Impulse und Angebote zu schaffen,
um über das was auf der Party passiert und was einen beschäftigt,
sich Gedanken machen und mit anderen austauschen kann.
RALF: Oder Partybücher aufzulegen, Schreibmaschinen im Chillout
aufzustellen, ein riesiges Plakat mit der Überschrift "Rausch
ist:..." aufzuhängen und Stifte daneben. So was fördert
Reflexion ohne mit dem Zeigefinger zu kommen und in der Richtung
da suche ich noch Ideen, weil ich das gerne auch stärker auf
Parties hätte, weil man enorm viel scheinbar nebenher an Auseinandersetzung
schaffen kann.
PR: Und den Leuten vielleicht auch Anregung bietet, sich Gedanken
über den sogenannten Freiraum Party zu machen und ihn stärker
mitzugestalten, ihn bewusster zu verändern und eher etwas selber
zu machen als sich nach ein paar Sommern frustriert zurückzuziehen,
weil es langweilig und kommerziell wird.
RALF: Und denen, die ins Partyleben nachwachsen auch eine Struktur
bietest, in die sie einsteigen und weiterentwickeln können
und sich die nicht völlig neu aufbauen müssen, wie etwa
den Umgang mit Ritualen.
PR: Das ist der Anspruch eigentlich, dass jeder zu jedem Zeitpunkt
eigentlich das machen muss, was seiner oder ihrer Ansicht nach fehlt,
in welchen Kontexten auch immer. Das also auch, wenn eine Sache
ziemlich gefestigt ist, wie jetzt hier die U-Site, dass dann auch
schon wieder Fragen gestellt und Alternativen geboten werden müssen.
Vielleicht brauchen wir auch mehr Feuerteufel, die konsequenter
hinterfragen und das was ist stärker dekonstruieren, mehr zündeln...
WOLFGANG: Wenn man erkannt hat, dass irgendwas schief läuft
ist der erste Schritt die Verneinung und Verweigerung aber dann
muss auch der zweite Schritt kommen und da müssen dann Alternativen
geschaffen werden, was anderes und neues aufzubauen. Und warum ziehen
sich die Leute denn frustriert zurück anstatt den Raum selber
zu gestalten und zu verändern. Irgendeinen Punkt rauszunehmen
und etwas eigenes zu machen, das man besser findet. Denn dann verändert
sich auch etwas.
RALF: Gerade aber, wenn es dann nicht mehr nur um schöne Worte
und den Mythos Gegenkultur geht, sondern darum etwas zu machen und
zu arbeiten und Verbindlichkeiten einzuhalten, dann stimmen oft
Anspruch und Wirklichkeit kein Stück mehr überein. Wäre
es denn vielleicht nicht konsequenter in einer Fabrikhalle zu feiern,
anstatt hier die ganze Natur plattzutrampeln und die Schwalben in
den Hangars mit entsprechenden Bässen aus ihren Nestern zu
schmeissen...
PR: Und das geht noch ein ganzes Stück weiter, denn was den
großen Teil auch der politisierten Trance-Cybertribeszene
ausmacht ist ja eine starke Szenen- und Hierarchienausbildung, was
sich überall in der Gesellschaft finden läßt und
nur die Anwendung dieser Strukturen auf eine andere Szene bedeutet.
Und dieser Teil in einem viel stärkeren Maße garnicht
gegenkulturell ist.
RALF: Für mich bedeutet Gegenkultur auch immer nur eine Zeit
lang Gegenkultur, denn nachdem du es kritisierst und etwas anderes
machst, dich dann aber wieder institutionalisierst und strukturierst
und es vielleicht zu deinem Beruf und damit wieder kommerzieller
machst und es dann auch schon wieder Zeit ist, um etwas dagegen
zu machen und Veränderung zu schaffen. Aber dieser Kreislauf
ist so vielleicht auch richtig und gar nicht zu ändern. Und
wenn man sich das bewußt macht, ist auch der Frust nicht mehr
so groß, weil dann nicht alles immer schlechter und kommerzieller
wird, sondern die ganze Zeit etwas Neues entsteht.
PR: Was leitet sich daraus jetzt für uns ab; welche Konsequenzen
sollten wir aus dem ziehen, was wir auf den Parties und in unserer
Umgebung beobachten; wie sollten wir Parties anders organisieren,
was ist denn das was fehlt und falsch läuft ?
WOLFGANG: Ganz zentral immer wieder der Punkt der Reflexion. Die
bewußte Auseinandersetzung mit dem was passiert. Kritisch-solidarisch
auch mit Projekten wie der Fusion sich auseinanderzusetzen und zu
schauen, was nicht paßt und was fehlt und daraus dann Anregungen
und Vorschläge zu entwickeln oder es selber zu machen. Denn
oft ist man ja mit dem was man selber zu tun hat schon so beschäftigt,
daß man von außen die Sachen viel besser sehen kann
und dankbar für die Anregungen ist. Und gerade Projekte wie
die U-Site sind ja sehr offen für neue Ideen und Vorschläge.
Es geht immer wieder um Reflexion, Kritik und Selbstkritik. Und
es geht dabei selbstverständlich auch darum neue Formen der
inhaltlichen Auseinandersetzung zu suchen, die unseren Bedürfnissen
erntsprechen. Und es geht letztlich darum, nicht nur Freiräume
zu fordern, sondern sie auch gemeinschaftlich zu entwickeln und
zu nutzen...
www.sterneck.net
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