|
|
Wolfgang Sterneck
FLIESSEND
Die innere Eclipse. - Ein Kreis der sich öffnet. Ein Kreis
der sich schließt. -
Der Beat treibt voran. - Bewegungen. Bilder. Lichtblitze in der
Dunkelheit. Und immer wieder der Rhythmus. - Der endlose Rhythmus.
-
Im Rückblick erscheint alles wie ein Traum. So seltsam und
doch so real. - Die Gesichter. Das veränderte Zeitgefühl.
Die Ekstase. - Das tiefe Gefühl im Innern. - Bis zum nächsten
Nachmittag. - In diesem Strudel. In diesem Fluss. - Ohne Unterbrechung.
- Für Außenstehende kaum zu verstehen. -
Wir sitzen auf einem Sofa und lassen unsere Gedanken treiben. -
Sprechen über fünf- und sechszackige Sterne. Über
Entwicklungen, die sich ergeben, wenn man loslässt. Räume,
die Platz für neues bieten, wenn man sie öffnet. Manche
erst dann, wenn andere durchquert wurden. - Sprechen über Reisen
in andere Realitäten. Wie sich danach die Wahrnehmung der Wirklichkeit
relativiert, die uns als die Einzige vermittelt wird. Und wie schnell
diese Erfahrung im Alltag oftmals wieder verdrängt wird. Sprechen
auch über die Vielen, die einst davon sprachen, dass diese
Erfahrung die Welt verändern wird. Und inzwischen diese Vorstellung
längst verdrängt haben. -
Irgendwann beginne ich zu tanzen. Metallische Klänge umgeben
mich. Spüre wie sich die Verkrampfung in meinen Schultern löst.
Der Rhythmus breitet sich in mir aus. Und doch dauert es lange bis
ich den Zugang finde, den ich eigentlich suche. -
Ein Film in dem ich spiele. Meinen Film den ich sehe. - Übergangsphase.
- Unscharf. - Zieht vorbei. - Der Moment ist nicht richtig greifbar.
- Und dann doch. - Spüre wie es kommt. - Nehme ihre Hand. -
Sie lächelt. - Aufsteigende Visionen. - Genieße die veränderte
Wahrnehmung. Die Möglichkeit diese in eine bestimmte Richtung
lenken zu können. - Es sind weniger die Konturen von Gegenständen
die sich bewegen. Vielmehr die Wahrnehmung an sich, die sich in
einem fließenden Zustand befindet. -
It all depends. - But. -
Es läuft ein eher durchschnittliches Stück. Lasse mich
darauf ein. Konzentriere mich mehr und mehr auf den Rhythmus. Spüre
ihn immer stärker. Genieße die Monotonie. Wünsche
mir nach einiger Zeit er würde niemals enden. - Die Musik als
umschließendes Element. Die Sounds die meinen Kopf ausfüllen,
bald die Gedanken verdrängen. Der Rhythmus den ich tief in
meiner Brust fühle. - Habe plötzlich das Gefühl darin
zu Hause zu sein. -
Vor mir eine Person, die mich tanzend berührt. Keine Haare,
weiches Gesicht, kaum Brust. Streift mit ihren Fingern über
meinen Arm. Streichele kurz über ihre Hand. - Androgyn. Einzig
der Stil lässt auf einen schwulen Mann schließen. - In
mir ein seltsam unklares, gleichzeitig anregendes Gefühl. -
Und doch entferne ich mich. Will in mir alleine sein. -
Betrachte den Raum. An den Wänden Video-Projektionen. Unzählige
bunte Motive. Zusammenhangslos nebeneinander gestellt. Die Beliebigkeit
ist zum Konzept geworden. Zeitgemäß. Post-Modernismus.
-
Einst war in dieser Halle eine Fabrik. Die Vorstellung, dass hier
täglich an Maschinen gearbeitet wurde. Die Atmosphäre,
die dabei diese Räume bestimmte. - An diesem Ort zu einer anderen
Zeit. An diesem Ort zu dieser Zeit. -
Jasmine mit geschlossenen Augen am Rande der Tanzfläche hockend.
Ich frage, wie es ihr geht. Ein Gespräch entwickelt sich, so
selbstverständlich, obwohl wir uns noch nie zuvor unterhalten
haben. - Ich würde so nüchtern wirken, meint sie, ob ich
denn keine Drogen nehme. -
Begegnungen und Gespräche. - Willis kreative Entspannung, wenn
er bei sich zu Hause Platten mixt. - Tibos Gedanken über die
Widersprüchlichkeit der Party-Kultur. - Und Chris sieht es
einmal anders. Nicht überrascht, dass solch ein politischer
Kopfmensch auf Partys geht, sondern verblüfft, dass jemand,
der so feiert, zu Hause an Büchern schreibt. - Alex auf der
Suche nach ihrem Weg. Alles ausprobieren. Alles mitnehmen. Drogen,
Partys, Freundschaften, Erfahrungen. -
Partys haben andere Bezugsysteme. Veränderte Bedingungen. Manchmal
eine eigene Welt, die mit der Realität des Alltags nicht viel
zu tun hat. - So war es zumindest einmal. Der DJ der sich wie ein
Star feiern lässt, erinnert mich daran, dass ich in vielem
in der Vergangenheit denke. -
Ein Sample durchdringt den Raum: ”Happy People, Sunshine People”.
- Längst hat sich ein veränderter Tanzstil durchgesetzt.
Auf House-Partys genauso wie in der Goa-Szene. Die vorgebliche Selbstsicherheit.
Das betont glückliche Lächeln. Das Tanzen nach außen
wie in den alten Discos. Das Ziel heißt nicht länger
ekstatische Trance. Es geht vor allem darum, sich selbst zu präsentieren.
- Rollen in die geschlüpft wird, ohne sie auszufüllen.
Eine Kopie. - Fließend gleiten meine Gedanken zur heutigen
Punk-Generation. Irokesen-Haarschnitt. Nietengürtel. Band-Aufnäher.
- Wie damals. - Und schon damals war es ein Gestern. - Die Frage
inwieweit all diese Rollen einem wirklichen Lebensgefühl entsprechen.
Wie viel davon übernommenes Image ist. - Soziale Parallel-Universen.
-
Diskussionen mit Annekatrin und Stefan über den Weg von Soluna.
- Einst ein kleiner wachsender Cybertribe. - Die Schritte sind nicht
vorgegeben. Das Ziel offen. Es liegt an uns. - Die Suche nach dem
gelebten Party-Utopia. - Der Austausch der Erfahrungen. Gemeinsames
Erleben. Experimente. Einen Bezug spüren. Anregungen geben.
Etwas bewegen. Verändern. - Energien. - Unsere Party hatte
eine Energie. Die Broschüre. Wie wir auftraten. - Und wir erreichten
dabei bei viel mehr, als wir anfangs auch nur ansatzweise erwarteten.
- Innere Entwicklung und äußere Veränderung. - Die
Sterne sind erreichbar, aber nur wenn wir es wirklich wollen. -
Denke an die Love-Parade-Nacht im Tresor. Als die Luft so schlecht
war, dass die Feuerzeuge nicht ansprangen. Und trotzdem unablässig
Leute für den vollen Eintrittspreis auf das Gelände gelassen
wurden. - Denke an die Clubs in denen die Kaltwasser-Hähne
abgedreht werden, damit die Leute mehr Getränke kaufen. - Denke
an die DJs, die für ein paar Stunden Größenwahn
zigtausend Mark verdienen. - Und ich denke an die Raver, die all
dies brav hinnehmen und sich in die Schlange drängen. -
Es gab Generationen die für ihre Ideale gekämpft haben.
Generationen, die neues aufgebaut haben. Generationen, die auf der
Suche waren. Die Rave-Generation in ihrer Hauptströmung gehört
keiner von diesen an. - ”Ich bin so kopfleer” scheint
er ihr zuzurufen. Aber sie versteht ihn nicht. -
Und dennoch. Es gibt den anderen Weg. - Die Kraft einer Party, die
sich Kommerz und Starkult widersetzt. Als gemeinschaftliches Erlebnis
gestaltet. - Ausdruck einer anderen Kultur. Ein Freiraum. Musik
und Veränderung. Rhythmus und Widerstand. -
Ein Foto von der Nacht-Tanz-Demo. Reclaim the Streets. Fröhliche
tanzende Party-People. Daneben Polizisten mit Schlagstöcken
in Kampfanzügen. Den Gesichtsschutz herunter geklappt. Zum
Einsatz bereit. - Wenig später prügelten sie los. - ”Lärm
gegen Ausgrenzung sogenannter Randgruppen. Lärm gegen die Privatisierung
öffentlichen Raums. Lärm gegen Sicherheitswahn und Rassismus.
Ich will meinen Club, will tanzen, meine Droge, will meine Nacht,
meine Stadt!” hieß es im Aufruf. -
Another Screen. - Riot Sounds. Hacked Reality. Looped Dreams. -
Cybertribe-Visions. -
Gespräche und Erholung bei Michi hinterm Mischpult. - Ein Break,
der Beat setzt mit neuer Heftigkeit ein. Wir lächeln uns zufrieden
zu. -
The moon inside. - Erinnerungen an die Begegnung mit Nathaly vor
einigen Wochen. - Unsere Körper auf einer Wand. Als Schatten
berührten sich unsere Hände. - Lange standen wir dort.
Tanzten zusammen. Ahmten die Geräusche der Musik nach. Redeten
und lachten miteinander. Umarmten und küssten uns. - Verzauberten
uns. - Nun sehe ich sie wieder. - Doch schnell stelle ich fest,
dass es tatsächlich vorbei ist. - Das Gefühl ist in mir
verschwunden. - Noch immer spüre ich ihre Energie. Doch es
sind die Momente des Verweilens, die mir fehlen. - Denke zurück
an den anfänglichen Fluss unserer Begegnungen. Zum Abschied:
”A last kiss.” - Schlussstrich. -
Als ich alleine an einer Säule stehe, kommt ein besonders Glücklicher
zu mir zu mir. - Blasses Gesicht, völlig verschwitzt, ein breites
Grinsen. - Auf solch einer Party könne er nicht mit ansehen,
dass jemand allein ist. Deshalb will er mir nun Gesellschaft leisten,
sagt er voller Mitgefühl. - Erinnere mich an Markus. Der sprach
nach einer Party auf E einmal davon, dass man in den Straßen
viel mehr Bänke aufstellen sollte, damit die Menschen zueinander
finden. -
Im ”futurologischen Kongress” beschreibt Stanislav Lem
die ”Bemben” als ”Bomben menschlicher Brüderlichkeit”.
Ohne es zu beabsichtigen ist es die Entsprechung einer abgedrehten
Ecstasy-Vision. - ”Es erwischte die Polizei, die uns bewachte.
Vor meinen Augen rissen sich die Polizisten die Masken vom Gesicht,
zerflossen in heiße Reuetränen, flehten die Demonstranten
kniend um Vergebung an. Und nach neuen Bemben-Treffern stürzten
alle Polizisten wild durcheinander, um alles zu liebkosen und anzuhimmeln,
was ihnen unterkam.” -
Shee gelingt es nun doch sich fallen zu lassen. Barfuss tanzt sie
mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen. - Wir stehen
kaum zusammen, nur ab und zu kreuzen sich unsere Wege. Manchmal
sehe ich sie aus der Ferne tanzend oder sich unterhaltend. Dann
begegnen wir uns wieder, wechseln ein paar Worte oder bringen uns
etwas zu trinken. Schauen uns in die Augen, berühren uns. -
Zunehmend wird die Wahrnehmung abstrakter. - Laboratorien in denen
mit Tönen und Geräuschen experimentiert wird. Vertov hätte
einst seine Freude daran gehabt. -
Die Musik verändert in mir weiter ihren Charakter. Hat nichts
mehr mit irgendwelchen Musikern zu tun, die einmal diese Klänge
erzeugten. Sie erscheint vielmehr wie ein eigenes Element. Etwas
umschließendes, tief in mich hineingehendes, mich ausfüllendes.
-
Über Stunden hinweg tanze ich nun fast ununterbrochen. Zeit
hat ihre Bedeutung verloren. - Reinigend wenn es gelingt die inneren
Schranken zu öffnen. Und es gelingt. - Tauche ein. - Immer
tiefer. - Im Herzschlag. Kodo. - Der Beat. Die Sounds. Der Rhythmus.
- Eine eigene Welt. -
Liquid. - Liquid. Time. - Liquid. Time. Chrome. - Liquid. Time.
Chrome. Acid. -
Spuren im inneren Niemandsland. - Vielschichtige Rhythmen in einem
dunklen Raum. - Radikale Transzendenz. -
Place with no name. - Sich im Jetzt verlieren. - Sich darin finden.
-
Die Stimmung steigt unaufhörlich, explodiert geradezu bei einigen
Stücken, erreicht ein Level, das kaum zu beschreiben ist. -
Viele schreien bei den Breaks laut auf. Manchmal ist es auch nur
ein kaum merkliches Element, welches zu neuen Höhepunkten führt.
-
Ein Schatten umgibt meine Hand. - Gestalten im flackernden Licht.
- Fraktale Körper. - Nexus. - Aufgehen im Nexus. - You are.
We are. -
”Am geilsten ist es, wenn du merkst, dass du verloren hast”
sagt Oli und meint damit das E. - Verloren und gleichzeitig gewonnen.
- Wir tanzen zusammen. Genießen die Nähe zwischen uns.
-
Erfahrung von innerer Wärme und Glück. Ein wunderbares
Gefühl in meiner Brust. Der Zustand des Fließens.
- Oder wie es Mischa in Bologna einmal formulierte: ”Es gibt
weniger Zeit, die nicht jetzt ist.” -
Der schwarze Raum in mir. - Ausgefüllt. - Kaleidoskopartige
Bilder von farbigen Rhythmen. - Augen. - Innere Bilder. Assoziativen.
Scheinbar absurd und doch voller Bezüge. Traumbilder. - Die
Musik als Element, entfernt vergleichbar mit Wasser. Bewegt sich
über Bücher hinweg, die nebeneinander stehen. Ich sortiere
die Bände eines Lexikons. Dabei fällt mir auf, dass einige
Bücher fehlen. - Etwas in dem Vorgefundenen entdecken. - Mit
dem Bild das Ereignis hervorrufen. - Deep Space Imaginations. -
Werde wieder beim Tanzen angesprochen: ”Der DJ ist ja so geil!”
- Er spricht weiter. Doch ich bin zu sehr mit mir beschäftigt,
als dass ich darauf eingehen wollte. Im Grunde meint er ohnehin
nicht wirklich mich. - Schließe wieder die Augen. - Der Geruch
des Nebels, der mich umhüllt. -
Aus zwei Stücken ein neues drittes kreieren. Konstruktion und
Dekonstruktion. Einzelne Elemente werden eingespielt, verschwinden
wieder, um dann doch noch einmal aufzutauchen. - Sounds und Beats
als Materialien, die der DJ neu zusammenfügt. Genau das war
die musikalische Idee von Techno. -
Die Location wird zum Energiefeld. Weder greifbar noch sichtbar,
aber trotzdem sinnlich für alle spürbar. Überall
tanzende Körper. Die Grenzen zwischen Dancefloor und den übrigen
Bereichen verschwinden. - Im Innern breitet sich eine positive Leere
aus. Nur durch den Rhythmus ausgefüllt. Die Wahrnehmung ist
völlig auf dem Moment konzentriert. - Musik und Farben werden
zu einer Einheit. Ein Gefühl der Gemeinsamkeit und der Verbindung.
Alles befindet sich im Fluss. - Die Party als Trance-Ritual. Techno-Schamanismus.
-
Conni auf der Bühne. Lava 303. - Female Acid. - Erneut durchzieht
ein Aufschrei den Raum als sich der Sound steigert. Ein Geräuschwall
der alles umgibt. In alles eindringt. Bis er sich wieder im Rhythmus
auflöst. -
Tanze zwischen zwei erhöhten Boxen. Die Verbindungslinie als
blaugrüne Welle. Ähnlich wie elektronische Geräte
die Schwingungen anzeigen. Medizinische Apparate die den Herzschlag
wiedergeben. - Die Rhythmen bestimmen den Ausschlag. - Die Welle
dringt direkt in meinen Kopf. Fließt durch meinen Körper.
Durch mein Bewusstsein. -
Gemeinsam lassen wir uns in der Chill-Area nieder. - Ein großes
Podest auf dem sich die Live-Acts befinden. Rundherum einige Stände.
- Dutzende technoide Gestalten auf Matratzen, Sofas und Teppichen.
Glücklich verpeilt grinsende. Erschöpfte. Aneinander Vorbeiredende.
Schmunzelnde. Runtergekommene. Abhängende. Genießende.
Schmusende. Tanzende. - Acid und E haben sich in längst liebevoll
umarmt. -
Der Verkauf von Lachgas in Luftballons wird zum Renner. Überall
wird genussvoll eingeatmet und sich dann zurückgelegt. Shee
vergleicht das Gefühl mit Watte die alles umgibt. - Es scheint
bei allen zu wirken, nur bei mir nicht. -
Wir finden einen Platz auf einem Sofa. Umarmt aneinander gelehnt.
- Zerfließend. - Und sie sagt es mir. -
In einem Glas spiegeln sich Bewegungen. Ein junger Raver mit langen
bunten Papierschleifen, die er zur Musik umher gleiten lässt.
- Die Gedanken schweifen umher. Die Frage nach dem was dahinter
ist. - ”Who is who and which is which?” -
Nein, die Frau die neben uns sitzt, studiert entgegen meiner Vermutungen
nicht Germanistik. Shee hat sie gefragt. Sie studiert überhaupt
nicht, sondern besitzt eine Metzgerei, hat zwei Kinder und ist seit
sechs Jahren verheiratet. - Das eigentlich weiche Brötchen
fühlt sich in meinem Mund wie Gips an. - ”Wir sind auch
nicht mehr Frischesten.” meint der Freak, der sich kurz zu
uns setzt. -
Zwei junge Frauen vor uns auf einer Matratze. Die bereitwillige
Reduzierung auf die Rolle des Techno-Püppchens. Die gepiercte
Barbie als Ideal. - Während die Typen hinter uns über
die Musik sprechen. Und davon träumen selbst DJ zu sein. Der
Rockstar ist hier ein Relikt der Vergangenheit. -
Sich in einem Turmzimmer auf E Gedanken machen, wie man im nüchternen
Zustand einer ebenfalls nüchternen, aber in Bezug auf E unerfahrenen
Person klar macht, wie es ist auf E zu sein. - Ein Kay läuft
vorbei. - Wann kommt Tibo? -
Coustos klingende Moleküle scheinen durch den Raum zu schwirren.
-
Als wäre. - Wenn. -
Das Wesen der Zeit. - Die Wesen der Zeit. -
In dieser Nacht. An diesem Morgen. - Und die Musik. - Schwebend.
- Träumend. - Vielleicht ist es die Musik selbst, die uns träumt.
-
”Die Antworten liegen in mir” sagt Alice als sie mit
einem Lächeln durch den Spiegel tritt. -
In diesem Moment. Die Augen schließen. Und hören. Bewusst
hören. - Bewusst sein. -
Wieder auf der Tanzfläche. - Mich umgeben die scheinbar endlosen
morgendlichen Stücke. Spüre tief im Innern wie sie sich
in ihren sphärischen Phasen fast unmerklich steigern. - Oli
umarmt mich von hinten. Ein öffnendes Gefühl. -
Tanzende auf den Podesten. Wild und hektisch bewegen sie sich irgendwie
im Takt der Musik. Weitgehend starrer Blick, ein fratzenhaftes Grinsen,
krampfhaft Kaugummi kauend. - In den aufgerissenen Augen ein Hauch
von Sehnsucht. Auf der Suche. - Ohne sich darüber bewusst zu
sein. Oder gar zu wissen was sie überhaupt suchen. -
Bilder im Innern. - Ein Morgen, das schon im Jetzt beginnt. - Auf
Sans Rücken schreiben. Diese Worte auf ihren Rücken schreiben.
Genau diese Worte auf ihren Rücken schreiben. - Mutierte Worte.
- Ritualhaft. - In Liebe werden wir eintauchen in einen endlosen
roten Rhythmus. - Dissidenten in dieser Welt, die nicht unsere ist.
- San wie sie die Arme von sich streckt. Wie sie alles umarmt. In
diesem Meer roter Mohnblumen. - Mohnkuss. - Mondkuss. - Kiss you
dark and long. - Ein aufgehender Stern einer anderen Welt. - Ich
werde darin aufgehen, werde darin erfrieren. - Ein dunkler und doch
so leuchtender Stern. -
Durch einen winzigen Ritz an der Fluchttür dringt ein Lichtstrahl
hinein. Kaum sichtbar. - Er erinnert mich an die Vorstellung, dass
dort draußen längst Tag ist. - Doch in der Dunkelheit
dieses Raumes erscheint dieses Bild völlig fremd. In der Realität
in der ich mich bewege. -
Der Traum dieser Realität. Die Realität dieses Traumes.
-
Die Frage nach. -
Eine These in den Raum gestellt. - Gespräche mit Untertiteln.
- Reale Bezugssysteme. - Und Sven. - Die Zeit vergeht unmerklich.
-
Und dann doch irgendwann. - Noch einige Zugaben. Und noch einmal
die Augen schließen. - Eintauchen. - Das letzte Stück.
Ein Ambient-Track, der sich im Nichts auflöst. -
Langsam nimmt sich die Helligkeit den Raum zurück. - Ein zerknüllter
Flyer auf dem Boden. Ich kann das Om noch erkennen. Daneben eine
zerquetschte Bierdose. -
Scheinbar endloses Verabschieden. - Und bis bald. - Der Weg zum
Bahnhof. Das grelle Licht blendet. - Ich bewundere die Leichtigkeit
in der sich Shee mit dem Taxifahrer unterhält. In mir dagegen
vibriert noch alles. -
Die Stadt im Regenglanz. In jedem Tropfen eine Welt. - Die Gebäude
erscheinen in ihren Formen unwirklich. - Die Vorstellung alle Häuser
würden farbig angestrichen. Aber was nützen bunte Farben
wenn die Menschen im Innern genauso phantasielos sind wie die Häuser
in denen sie leben. - Eine grüne Landschaft auf einem Wahlplakat
der SPD. Im Zentrum ein bequemer Stuhl auf einer Wiese. Text: ”Es
gibt viele schöne Plätze in Deutschland. Aber am liebsten
sind uns Arbeitsplätze.” - Der Markt als höchste
Maxime. Arbeit als wichtigster Lebensinhalt. - Nein, es gibt tatsächlich
unzählige Plätze, die mir lieber sind als Arbeitsplätze.
-
Im Zug sitzen wir im gleichen Abteil, in dem ich auch schon eine
Ewigkeit zuvor gesessen habe. Ich erkenne es an der Bananenschale,
die noch im Müllbehälter liegt. - Doch uns wundert in
diesen Momenten nichts. -
Ein Blick in die Süddeutsche Zeitung. Auflistung des neuen
japanischen Kabinetts: ”Äußeres: Masahiko Komura
(56), Inneres: Mamoru Nishida (70), Soziales: Sohei Miyashita (70).”
- Kreuzworträtsel: ”Tatsachenmensch: Realist.”
”Abk. Normalnull: NN.” ”Jederzeit: Immer.”
- Auf dem Heimweg vorbei am Laden von ”Gotthold Zitterbart,
Schuhmachermeister”. - ”Es ist alles ziemlich fragwürdig.”
fügt Shee an. -
Wieder zu Hause. - Die Katzen haben den Küchenschrank ausgeräumt.
Der Müll muss noch raus. - Eine CD auflegen. - Und sie tanzt
auf der Terrasse weiter. Und ich schaue ihr zu. -
Drei Löffel Joghurt und eine halbe Banane. Der routinemäßige
Blick in den Bildschirmtext. Und das Wasser in die Badewanne einlassen.
- Schwimmende Sektgläser. -
Die warme Hand, die sie im Bett auf meine legt. Die Augenwimpern,
die mich streicheln. Das Lächeln, so weich und sanft. -
Sprunghafte Gespräche über die Erlebnisse der letzten
Stunden. Daneben die wortlose Nähe. - Shee murmelt etwas vor
sich hin. Ich frage nach. ”Das war ein Satzbaustein, der aus
dem Regel gefallen ist.” antwortet sie. ”Der gehört
eigentlich gar nicht hierher.” -
Sinan kann sich erst lange nicht entscheiden, ob sie mit unter die
Decke will oder nicht. Dann kriecht sie doch hinein und beginnt
leise zu schnurren. - Mishou liegt irgendwie quer auf unseren Beinen.
Beharrlich bleibt er auch dann so liegen, wenn wir uns bewegen wollen.
-
Überall Kleidungsstücke und Handtücher. Stapel mit
Flyern. Zettel mit Notizen und Adressen. Kleine Tütchen mit
den Überresten. Meine Armbänder. Teller und umgeworfene
Gläser. Von den Katzen angefressene Brotreste. CD-Cover und
Kassettenhüllen. -
Zärtliche Berührungen die intensiver werden. - Shee vergleicht
uns mit zwei Cyber-Figuren aus einem Video. Sie finden darin immer
näher zusammen, werden zu einer Einheit. Verschmelzen in ihrem
Liebesspiel. - Die Zunge öffnet, streichelt, massiert. Immer
fester und bestimmter. - Dringt ein. - Sex als erotische Komposition.
Die Musik klingt in uns weiter. -
Es ist eine eigene Welt, die wir uns ritualhaft geschaffen haben,
ständig erweitern und wieder neu entdecken. - Der Fantasie
freien Lauf lassen. - Rotes Licht. Kerzen. Der Sekt, der über
den Körper fließt. - Vertrauen. -
Sich fallen lassen. Aufgehen. In diesen Fluss der Lust eintauchen.
- Seine zärtlichen und leidenschaftlichen, seine lustvoll schmerzlichen
Elemente. - Momente. -
Der leicht geöffnete Mund. Der Atem. Die geschlossenen Augen.
- Wir finden einen Rhythmus. Die Grenzen verschwinden. - Ich will
dich hören. - Spüre dich. Spüre uns. -
Die Anspannung der Körper. - Immer stärker. - Wellenförmig.
- Nichts als. - Wir. - Und. - Und wie sie sich bebend lösen.
- Gemeinsam. -
Der schwarze Raum. - Ihre Hand auf meiner Brust. - Erschöpft
und glücklich schauen wir uns an. Dankbar für diese Inseln
der Nähe. Eingeschlossen in einem Meer in dem die Ferne so
selbstverständlich ist. -
Gedanken, die sich tanzen lassen. Grenzen, die sich auflösen.
Auflösen in Rhythmus, Licht und Bewegung. - Die Ekstase einer
Nacht. - Ohne Worte. Ohne Zeit. - Die Erotik einer Nacht. - Die
Poesie unserer Nacht. -
Träumende Sterne. - Kämpfende Sterne. - Tanzende Sterne.
-
Den CD-Player auf Repeat gestellt. - Und wieder der Beat. Der endlose
Beat. Der unaufhörliche Rhythmus der Musik. - Der Rhythmus
der Körper. -
Scheinbar endlos. -
Fließend. -
- * -
( Reality Remix / 94-99).
www.sterneck.net
- * -
|