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Wolfgang Sterneck
DROGENFACHGESCHÄFTE FÜR MÜNDIGE USER
Psychoaktive Substanzen sind seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil
aller Kulturen und Epochen. Beständig zeigt sich, dass der
Gebrauch der Substanzen durch repressive Maßnahmen höchstens
eingeschränkt werden kann. Doch auch wenn die Verfügbarkeit
reduziert wird, so bleibt das Bedürfnis vieler Menschen nach
anregen-den oder entspannenden Substanzen bestehen. Gleichzeitig
zeigt sich immer wieder, dass der Mensch auf der Basis von Information
und Reflektion grundsätzlich in der Lage ist, mündig mit
psychoaktiven Substanzen umzu-gehen und einen Nutzen daraus zu ziehen.
Aus diesen Erkenntnissen, die in Geschichte und Gegenwart in zahllosen
Erfahrungen und Untersuchungen be-legt wurden, ergibt sich in der
Gegenwart die Notwendigkeit veränderter gesellschaftlicher
Ansätze in Bezug auf Drogen. Dies gilt für eine drogenpolitische
Neuausrichtung bzw. eine Überwindung repressiver Strukturen
ebenso wie für Fragen des Umgangs mit Drogen.
Meist sind derartige Diskussionen jedoch auf Fachkreise oder einzelne
Szenen beschränkt. In der breiten Öffent-lichkeit, wie
auch auf der politischen Ebene sind derartige Fragen dagegen oftmals
völlig tabuisiert. Ansätze, die neue Wege aufzeigen, werden
in einigen Massenmedien, wie auch von den VertreterInnen konservativer
Positio-nen, schnell fälschlich als Verharmlosung von illegalen
Drogen diffamiert.
DROGENMÜNDIGKEIT ANSTATT REPRESSION
Eine wichtige Rolle hinsichtlich eines veränderten Verständnisses
nimmt der Begriff der „Drogenmündigkeit“ ein. Schon
sprachlich verweist er nicht automatisch auf vermeintliche Probleme
und Defizite beim Umgang mit Dro-gen, wie es der gängige Begriff
„Suchtprävention“ nahe legt. Vielmehr verweist
er über den Aspekt der Mündigkeit in einem ganzheitlichen
Sinne auf innere Stärke als Grundlage des Verhältnisses
zu psychoaktiven Substanzen. Drogenmündigkeit schließt
dabei auf der Basis von kritischer Selbstreflexion und grundlegenden
Informationen die Fähigkeit eines reflektierten Umgangs mit
Drogen ein, der als wesentliches Element auch die Fähigkeit,
aber nicht den Zwang zur Abstinenz beinhaltet.
Die Soziologin Gundula Barsch schreibt dazu: „Drogenmündigkeit
ist ein sehr komplexes Handeln, in das unter anderem Fähigkeiten
und Motivationen für Risikomanagement, Kritikfähigkeit,
Genussfähigkeit und Drogenwissen eingehen. Diese sehr verschiedenen
und facettenreichen Fähigkeiten und Verhaltensdispositionen
schaffen die Basis dafür, dass Menschen in den vielfältigsten
Alltagssituationen in Bezug auf Drogen autonom und kundig handeln.
Gerade mit dem Bezug auf Kritikfähigkeit und Risikomanagement
wird deutlich, dass Drogenmündigkeit nicht dem nur sich selbst
verpflichteten und damit egoistischen Individuum das Wort redet,
Drogenmündigkeit soll vielmehr ausdrücklich als Aspekt
der Gemeinschaftsfähigkeit verstanden werden.(...)“
Der Bewusstseinsforscher Hans Cousto knüpft daran an: „Drogenkonsum
ist nicht grundsätzlich ein Problem, dem entgegengewirkt werden
muss, sondern der Konsum psychoaktiver Substanzen ist als Phänomen
wahrzu-nehmen, das unter bestimmten Voraussetzungen in die Lebenswirklichkeiten
der Menschen integrierbar ist und dort einen berechtigten Platz
haben kann. Voraussetzungen hierfür sind Drogenkompetenz als
Basis eines auto-nom kontrollierten, sozial integrierten und vor
allem genussorientierten Konsums sowie Drogenmündigkeit als
Ausgangspunkt von Wert- und Handlungskriterien zur Partizipation
von Drogenkonsumenten am Kultur und Ge-sellschaftsleben.“
BEWUSSTSEIN, RAUSCH UND REFLEKTION
Auch der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann tritt für
ein neues Verständnis von Drogen und Rausch bzw. für die
Förderung von Risikokompetenz ein. Hurrelmann beschreibt dabei
Wege, um auf zunehmende ex-zessive Konsummuster wie das „Koma-Saufen“
von Jugendlichen einzuwirken und eine individuelle „Gesund-heits-Krankheits-Balance“
zu fördern. „In allen Fällen geht es darum, zusammen
mit den Konsumentinnen und Konsumenten von legalen und illegalen
psychoaktiven Substanzen Zielvorgaben für Abstinenz oder kontrollierten,
lustvollen Umgang mit der jeweiligen Droge zu entwickeln und gemeinsam
Muster der Umsetzung zu erproben.“
Das „Genussmittel-Modell“ und das Konzept der „Drogenfachgeschäfte“
zielen unter den gegebenen Bedingun-gen auf eine Legalisierung psychoaktiver
Substanzen. Ihnen gemeinsam sind eine Reihe begleitender Maßnah-men,
darunter Qualitätskontrollen, detaillierte Informationen, ausgewählte
Verkaufsstellen, Altersgrenzen und Werbeverbote. „Die Vorteile
einer solchen Handhabung der heute illegalen Drogen sind folgende:
Man erhält - im Gegensatz zur heutigen Situation - eine weitestgehende
Kontrolle über die verkauften Substanzen. Man erhält -
was in der Illegalität erfahrungsgemäß unmöglich
ist - eine umfassende Kontrolle über die Hersteller, Vertreiber
und Händler von Drogen. Man sichert die Autonomie der Konsumenten
sowohl in Hinblick auf die Entscheidung, welche Drogen konsumiert
werden, als auch in Hinblick auf die Entscheidung einer vom Konsumenten
für sinnvoll erachteten Beratung, Behandlung oder Therapie
durch einen Arzt oder eine Hilfsinstitution.“ (Henning Schmidt-Semisch).
Der verstorbene Bewusstseinsforscher Albert Hofmann und der Ethnobotaniker
Christian Rätsch setzten sich ebenfalls für einen veränderten
Umgang mit psychoaktiven Substanzen ein, der gezielt vermittelt
und erlernt wer-den sollte. Sie vertraten dabei jedoch nicht einen
jugendpädagogischem oder drogenpolitischen Ansatz, sondern
bezogen sich vielmehr auf Rituale verschiedener traditioneller Kulturen.
In diesen fand ein Gebrauch bestimmter psychoaktiver Substanzen
zum Teil unter schamanischen bzw. gezielt bewusstseinsverändernden
Gesichtspunk-ten statt und war in das gesellschaftliche Leben integriert.
„Die Schamanen der traditionellen Kulturen verwenden heilige
Pflanzen als Werkzeuge, mit denen sie Kranke heilen können.
Sie nehmen sie aber auch selbst ein, um mehr zu sehen, oder gemeinsam
mit dem Patienten, um mit ihm zusammen auf Reisen zu gehen. Sehr
wesent-lich ist es, dass der Schamane als eine Art Künstler
mit veränderten Bewusstseinszuständen umgehen kann. (...)“
(Christian Rätsch).
MÜNDIGE UND SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNGEN
Eine Legalisierung würde die mit Drogen verbundenen Probleme
selbstverständlich nicht völlig aufheben. Viel-mehr wird
es, wie in unzähligen anderen Bereichen, immer auch einen Missbrauch
geben, solange es nicht den perfekten Menschen gibt. Vermutlich
würde nach einer Legalisierung die Zahl der DrogenkonsumentInnen
an-fangs ansteigen, gleichzeitig käme es jedoch insbesondere
durch die Möglichkeiten reine Substanzen angemes-sen zu dosieren,
zu einer immensen Verringerung der gesundheitlichen Probleme. Insgesamt
würde sich die Gesamtsituation strukturell für die KonsumentInnen,
sowie unter anderem für Kliniken, Drogenhilfe und Behörden
wesentlich entschärfen.
Mit der Überwindung des Schwarzmarktes wäre zudem auch
die Ersparnis der immensen Kosten und Energien verbunden, die gegenwärtig
von öffentlicher Seite aufgebracht werden, um sisyphusartig
unablässig vergeblich gegen die damit verbundenen Strukturen
anzugehen. Der Staat würde nicht nur Kosten einsparen, sondern
wie auch mit der Alkohol- und Tabaksteuer enorme Mittel einnehmen,
wovon ein wesentlicher Teil in aufklärende Informationsprogramme
fließen sollte.
Eine weitere zentrale Folge wäre der Wegfall des umfassenden
Handels mit gestreckten Substanzen. Durch die Kontrolle der Reinheit
der Substanzen käme es unter anderem zu einer wesentlichen
Reduzierung von Notfällen bzw. zu einer Entlastung des Gesundheitswesens.
Vor allem käme auch hier ein Menschenbild zum Durchbruch, welches
die handelnde Person nicht auf vermeintliche oder potentiell mögliche
Probleme und Defizite reduziert. Vielmehr würden repressive
Strukturen durch einen Raum ersetzt, der selbstbestimmte und mündige
Entschei-dungen ermöglicht.
Wolfgang Sterneck
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Literaturhinweise / Zitatquellen: Gundula Barsch: „Impulse
setzen für die Entwicklung von Drogenmündigkeit“
(2000). Hans Cousto: „Drogenkompetenz und Drogenmündigkeit
- Psychonauten im Untergrund“ (2002). Albert Hofmann, Christian
Rätsch: „Schlüssel zum Unbewussten“ (2003).
Klaus Hurrelmann: „Rausch als Risiko und Herausforderung“
(2007). Max Plenert: „Das Drogenfachgeschäft - Modell
für eine alternative Drogenpolitik“ (2005). Henning Schmidt-Semisch:
„Ohne Legalisierung geht es nicht!“ (1993). Wolfgang
Sterneck: „Politische Drogen und Psychoaktive Utopien“
(2006).
- * -
www.sterneck.net

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