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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

ZWISCHEN ’DRAUF-SEIN’ UND DROGENMÜNDIGKEIT
- Basisorganisationen und Cybertribes in der Party-Kultur -

1) Die Techno-Kultur
2) Drogen und Party
3) Basisorganisationen und Cybertribes
4) Safer-Use und Chill-Out
5) Kultur und Drogenmündigkeit
6) Das Alice-Projekt



Das persönliche Verhältnis zu Drogen entsteht nicht in einem bezugslosen Raum, es wird vielmehr von individuellen Faktoren wie auch von kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen wesentlich geprägt. So entwickelte sich im Zusammenhang mit der Techno-Kultur als wichtigster Jugendbewegung des letzten Jahrzehnts ein spezifischer Umgang mit Drogen. Gleichzeitig wurden wiederum einzelne Ausdrucksformen der Techno-Kultur durch verschiedene psychoaktive Substanzen entscheidend geprägt. Davon ausgehend entstanden Projekte, die einen eigenständigen Weg der Drogenaufklärung einschlugen und dabei bis heute ihre Aktivitäten bewusst in einen kulturellen Zusammenhang stellen.


1) DIE TECHNO-KULTUR

In den neunziger Jahren fand das Lebensgefühl eines großen Teils der Jugend insbesondere in der Techno-Kultur einen Ausdruck. Zu den wesentlichen Merkmalen gehörte die Entwicklung einer zeitgemäßen, stark rhythmusbetonten elektronischen Musik und anfangs die Abkehr von den kommerziellen Strukturen der der Rock-Kultur, sowie insbesondere das ausgeprägte Bedürfnis nach Entfaltung und Selbstbestimmung. Eine herausragende Rolle nahm dabei die Suche nach Ekstase und veränderten Bewusstseinszuständen ein, die ansonsten in einer von Kontrolle und Rationalität bestimmten Welt keinen Platz haben. Um 1992 setzte in einer zunehmenden Stärke ein Prozess der kommerziellen Verwertung ein, der zur Reduzierung der Techno-Kultur in ihrer Hauptströmung auf eine marktorientierte und weitgehend inhaltslose Stilrichtung führte. Dieser Entwicklung steht allerdings ein vielfältig ausgerichteter Underground gegenüber, der in einigen Fällen noch immer eine musikalisch und inhaltlich wegweisende Rolle einnimmt. Dabei reicht das Spektrum von Projekten, die ihre Arbeit vorrangig am Ziel des kommerziellen Durchbruchs orientieren, über VeranstalterInnen, denen es vor allem um das gemeinsame Feiern geht, bis zu Gruppen, die einen klaren gegenkulturellen Ansatz vertreten.

Die Entwicklung der Berliner Love Parade, dem bedeutendsten und symbolträchtigsten Ereignis der Techno-Kultur, beschreibt wie kein anderes Ereignis den Aufstieg von einer reinen Underground-Szene zu einer vielschichtigen Jugendbewegung. Im Zeitraum von zehn Jahren stieg die Zahl der teilnehmenden Personen von hundertfünfzig auf rund 1,5 Millionen Menschen. Die umzugsartige Massenparty, die der Liebe und der Musik gewidmet ist, wurde in den letzten Jahren weltweit im Fernsehen übertragen und von Industrieunternehmen gesponsert. Gleichzeitig schmückten sich auch die PolitikerInnen der Stadt nach anfänglichem Widerwillen mit dem Großereignis und hoffen auf ein jugendfreundliches Image. Demgegenüber steht die Fuck-Parade, welche die Kommerzialisierung der Love Parade bzw. der Techno-Kultur insgesamt entschieden kritisiert.

Charakteristisch für die Techno-Kultur in ihrer Hauptströmung ist das weitgehende Fehlen einer kritischen Reflexion der Entwicklungen innerhalb der Szene. Deutlich wird dies unter anderem am Beispiel der Techno-Magazine, die fast ausschließlich auf den Bereich der Musik fixiert sind und selbst in diesem Rahmen nur selten über eine Darstellung der neuesten Veröffentlichungen und der aktuellen Stars hinausgehen. Gleichzeitig werden kommerzielle Auswüchse wie völlig überteuerte Eintrittspreise bei einem mangelhaften Angebot von großen Teilen der Szene weitgehend kritiklos hingenommen. Das Prinzip des ”Do it yourself”, das anfangs die Techno-Kultur bestimmte, ist längst einer passiven Konsumhaltung gewichen. Im wesentlichen geht es nur darum Spaß zu haben und sich jeglicher tiefergehenden Auseinandersetzung zu entziehen. Politische Aktivitäten werden gleichzeitig vielfach als sinnlos eingeschätzt, eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung erscheint völlig unrealistisch, vielfach aber auch gar nicht erstrebenswert. Die Techno-Bewegung ist in diesem Sinne, von einigen Ansätzen abgesehen, keine Kultur der Rebellion oder der Verweigerung wie viele Jugendbewegungen zuvor, sondern vielmehr im wesentlichen eine hedonistische Kultur der Ablenkung und des Rückzugs.


2) DROGEN UND PARTY

Mit der Techno-Kultur entwickelten sich nicht nur eigenständige musikalische Ausdrucksformen, sondern auch bestimmte Lebenseinstellungen und Umgangsformen. Genau genommen lässt sich dabei jedoch schon lange nicht mehr von einer Techno-Szene sprechen. Vielmehr kam es im Laufe der Jahre zu einer von Außenstehenden kaum zu durchschauenden Aufspaltung in verschiedene Szenen und Entwicklungen, die sich wiederum in ihren Kodes und nicht zuletzt auch hinsichtlich ihres Umgangs mit Drogen zum Teil wesentlich unterscheiden. Durchgängig lässt sich jedoch über die Aufspaltungen der Szenen hinweg feststellen, dass der Gebrauch von Drogen selbstverständlich ist. So sind Parties auf denen 75% aller Anwesenden psychoaktive Substanzen konsumieren keine Seltenheit. In Bezug auf die Love Parade 2000 ging die Gewerkschaft der Polizei davon aus, dass etwa die Hälfte der rund 1,3 Millionen TeilnehmerInnen illegale Drogen gebrauchten.

Am häufigsten wird neben Alkohol und Nikotin durchgängig in allen Szenen Cannabis konsumiert, wobei sich in der Regel von einem kontrollierten Gebrauch sprechen lässt. Für alle anderen Drogen in der Szene verbreiteten Substanzen gilt, dass vielfach ein gravierender Informationsmangel hinsichtlich der Wirkungen vorhanden ist, so dass es immer wieder zur Einnahme gesundheitsgefährdender Dosierungen und insbesondere zu einem risikoreichen Mischkonsum verschiedener Drogen kommt. Ein grundlegendes Gefahrenelement aller illegal produzierten Drogen bilden daneben Verunreinigungen und der zum Teil stark schwankende Wirkstoffgehalte. Durchgängig weit verbreitet ist Speed als aufputschende Substanz, sowie in einigen Szenen Kokain auf Grund seiner psychisch ”coolen” Wirkungen und des Images der Nobel-Droge. In anderen Szenen haben psychedelische Substanzen wie LSD und psilocybinhaltige Pilze eine besondere Bedeutung erlangt. Eine Renaissance erlebten Nachtschattendrogen (insbesondere Engelstrompeten) mit ihrem Ruf als natürliche und deshalb vermeintlich relativ ungefährliche Substanzen. Auf Grund der nur schwer einschätzbaren Dosierung bzw. des hohen psychoaktiven und toxischen Wirksamkeit ist mit ihnen jedoch ein äußerst hohes psychisches und physisches Gefahrenpotential verbunden.

Am Beispiel von Yaba (Methamphetamin) lässt sich aufzeigen, welche Auswirkungen eine sensationsgierige Berichterstattung haben kann. Im Frühjahr 2000 häuften sich in den Medien Berichte über die explosionsartige Verbreitung einer angeblich äußerst potenten ”neuen Horror-Droge” mit dem Namen Yaba, die insbesondere in der (Frankfurter) Techno-Szene eine große Bedeutung erlangt habe. Tatsächlich ließ sich von einer Verbreitung, die mit der der klassischen Techno-Drogen vergleichbar wäre, in keinster Weise sprechen. In Folge der Berichterstattung stieg jedoch die Nachfrage nach der Substanz enorm, während gleichzeitig großteils sachlich völlig falsch über die Wirkungsweisen berichtet wurde.

Auf Grund ihrer großen Bedeutung für die Entwicklung der Techno-Kultur ist Ecstasy (MDMA bzw. MDA und MDEA) noch immer die wichtigste Droge, auch wenn sie innerhalb der Szenen nicht mehr die herausragende Rolle einnimmt wie bis in die zweite Hälfte der neunziger Jahre. Zumeist in Pillenform eingenommen löst die Substanz ein tiefes Glücksgefühl aus, die Umgebung wird positiv wahrgenommen, anderen Menschen wird offen entgegengetreten und Probleme erscheinen unbedeutend. Zudem setzt Ecstasy Energiereserven frei, verdeckt körperliche Schwächeerscheinungen und ermöglicht dadurch ein stundenlanges Tanzen bzw. den Übergang in einen tranceartigen Zustand. Die harmonische Ecstasy-Erfahrung fand nicht zuletzt im Leitsatz ”Love, Peace, Unity” einen Ausdruck. Auch wenn diese Formulierung vielfach zu einer inhaltslosen Floskel verkam ist die Techno-Kultur dennoch eine der friedlichsten und tolerantesten Jugendkulturen überhaupt. Jedes Rockkonzert, Fußballspiel oder Bierfest in einer vergleichbaren Größe ist in der Regel von einer höheren Gewaltrate begleitet als ein Techno-Rave. Dass sich dieses Verhältnis in den letzten Jahren angenähert hat, steht im Zusammenhang mit der Ausweitung der Szene, die sich wiederum auch im Drogenkonsum widerspiegelte. So ist der Konsum von ehemals verpönten alkoholischen Getränken in der Szene enorm gestiegen, zudem nahm die Verbreitung der Ego-Droge Kokain zu.

Ecstasy entsprach dem Lebensgefühl bzw. dem gesellschaftlichen Klima, welches die Techno-Kultur als ganzes prägte. Nachdem in den achtziger Jahren die neuen sozialen Bewegungen und mit ihnen ein nach außen gerichtetes gesellschaftliches Engagement an Grenzen gestoßen war, kam es zu einer Orientierung nach Innen, auf die eigene Entwicklung und das eigene Vergnügen. Die rauschhaften Techno-Parties sind dabei bis heute gleichermaßen ein Weg Körper und Bewusstsein neu zu erfahren wie auch eine hedonistische Flucht aus der Alltagsrealität in ein harmonisches, weitgehend unkritisches Party-Gefühl. Gleichzeitig gelingt es dabei nur wenigen die Ecstasy-Erfahrung in den Alltag zu integrieren. Ein Gefühl der Leere und der Sinnlosigkeit entsteht oftmals am Tag nach den Parties, wenn nach den schillernden Momenten der Ekstase und des Glücks das Grau des Alltags wieder in seiner vollen Intensität empfunden wird.

Die Langzeitwirkungen von MDMA auf den Körper sind bis heute nicht ausreichend geklärt. Die meisten Untersuchungen die in letzter Zeit veröffentlicht wurden stimmen darüber ein, dass ein hochfrequenter Konsum zu schwerwiegenden Schädigungen verschiedener Hirnfunktionen führt. Aufgeführt werden insbesondere Beeinträchtigungen der Denk- und Gedächtnisleistungen, sowie der Serotoninproduktion. Hinsichtlich der Dosierungen und der Konsumdauer, die zu diesen Erscheinungen führen, sowie deren Irreversibilität werden jedoch unterschiedliche Angaben gemacht. Zudem erscheinen bei genauerer Betrachtung mehrere Studien fragwürdig, die in jüngster Zeit ohne interdisziplinären Austausch bzw. ohne die Einbeziehung von szeneerfahrenen Personen erarbeitet wurden. So kommt beispielsweise eine in den Medien vielfach zitierte Studie der Universität Aachen zu dem Ergebnis, dass Ecstasy-KonsumentInnen gegenüber reinen Cannabis-KonsumentInnen und AbstinenzlerInnen bei kognitiven Tests wesentlich schlechter abschneiden. Sie ignoriert jedoch, dass es den reinen Ecstasy-User in der Szene nicht gibt und die entsprechenden Pillen vielfach verunreinigt sind bzw. die eigentlichen Ecstasy-Wirkstoffe nur in geringen Anteilen beinhalten. Von daher können die schlechten Ergebnisse auf den Konsum von Ecstasy-Wirkstoffen zurückzuführen sein, sie können aber auch durch andere Substanzen oder durch Wechselwirkungen verursacht werden.


3) BASISORGANISATIONEN UND CYBERTRIBES

In der Mitte der neunziger Jahre begannen selbstorganisierte Gruppen aus der Techno-Kultur sich mit dem Drogenkonsum in der Szene auseinanderzusetzen, sowie weitergehend die zu diesem Zeitpunkt nur schwer zugänglichen Informationen über die entsprechenden Substanzen auszuwerten und zu verbreiten. Bis heute soll der Gebrauch dabei weder tabuisiert noch beschönigt werden, vielmehr sollen die Informationeneinen selbstbestimmten und bewussten Umgang ermöglichen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen Stände auf Techno-Veranstaltungen, wobei neben der Drogenarbeit auch die HIV-Prävention eine wesentliche Rolle einnimmt. Die Materialkosten werden dabei über Spenden finanziert, die eigentliche Arbeit erfolgt in der Regel ohne finanzielle Vergütung. In der kommerzialisierten Techno-Kultur entspricht dieser Ansatz nicht zuletzt auch einem symbolhaften Gegenpol, der an die Ursprünge der Bewegung anknüpft. Bei den offenen Treffen der Basisorganisationen stehen neben der Drogenthematik Diskussionen über persönliche Erfahrungen wie auch über das Selbstverständnis der Szene im Zentrum. Angesichts des weitgehenden Fehlens einer reflektierenden Haltung innerhalb der Techno-Kultur bilden diese Treffen eine der seltenen Möglichkeiten, sich über derartige Aspekte auszutauschen. Der kulturelle Ansatz der Gruppen spiegelt sich zudem in der Organisation von Veranstaltungen, die von Film- und Diskussionsabenden bis zu nichtkommerziellen Techno-Parties und Festivals reichen.

Im deutschsprachigen Raum erlangte insbesondere das Berliner Projekt Eve & Rave als ”Verein zur Förderung der Party-Kultur und zur Minderung der Drogenproblematik” eine Vorbildfunktion für viele andere Basisorganisationen. Im Grunde gehen derartige Entwicklungen jedoch nie von einer Person oder einer Gruppe aus, sondern sind bei genauerer Betrachtung ein Ergebnis der umgebenden Bedingungen. So bildeten sich unabhängig voneinander in allen Ländern, in denen die Techno-Kultur eine nennenswerte Größe erlangte, mit dem Bedürfnis nach Information, Reflexion und nicht zuletzt auch nach akzeptablen Bedingungen auf Parties und Raves vergleichbare Organisationen. Dazu gehören beispielsweise die Projekte Alice (Frankfurt am Main), Drug Scouts (Leipzig), Eclipse (Berlin) und sowie Crew 2000 (Edinburgh, Laboratorio Antiproibizionista L57 (Bologna) und Techno Plus (Paris). Auf europäischer Ebene wurde der Zusammenschluss ”Basics - Network for dance culture and drug awareness” gegründet.

Rückblickend wird deutlich, dass diese Gruppen einen zum Teil äußerst großen Einfluss auf eine reflektiertere Haltung hinsichtlich des Gebrauchs von Drogen in der Szene, aber zum Teil auch auf die kulturelle Entwicklung der Techno-Bewegung hatten bzw. noch haben. Sie wurden in vielen Städten zu einem Bezugspunkt der Szene und gaben über ihre Projekte und Veröffentlichungen wichtige Anstöße. Von offizieller Seite wurden die Basisorganisationen lange fälschlicher Weise als ”Selbsthilfegruppen” abgetan und in ihrer Arbeit nicht ernst genommen. Inzwischen wird die fachliche Kompetenz in Verbindung mit der langjährigen Praxiserfahrung zunehmend anerkannt. Entsprechend besteht in mehreren Städten eine Zusammenarbeit zwischen Drogenberatungsstellen und den Basisorganisationen, daneben erarbeiteten beispielsweise einige der genannten Gruppen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit ein Konzept zum Drug-Checking und auf europäischer Ebene kommt es inzwischen in ersten Ansätzen zu einer Förderung des Basics-Netzwerks durch die EU. Davon unberührt müssen jedoch die Tätigkeiten in den meisten Basisorganisationen mangels finanzieller Unterstützung auf einer rein ehrenamtlichen Grundlage durchgeführt werden. Es ist absehbar, dass dieser Zustand für die Gruppen nur noch über einen begrenzten Zeitraum hinweg tragbar ist. Die internen Diskussionen über die ”Grenzen der Selbstausbeutung” wie auch die zunehmende Fluktuation der Mitglieder und das schwindende Engagement sprechen für sich. In Anbetracht der Bedeutung der Basisorganisationen bzw. der wachsenden Drogenproblematik innerhalb der vielfältigen Jugendkulturen ist die Notwendigkeit einer angemessenen Förderung mit öffentlichen Mittel offensichtlich.

Die meisten Basisorganisationen entsprechen in ihrer dezentralen und nicht-hierarchischen Organisationsform wie auch in ihrer idealistischen und gemeinschaftlichen Ausrichtung dem Cybertribe-Konzept. Grundlegend wird die Entwicklung vielfältiger Freiräume angestrebt, in denen ein Leben möglich ist, dessen Mittelpunkt das Streben nach persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Veränderung bildet. Dies schließt auch die Möglichkeit eines bewussten und selbstbestimmten Gebrauchs von Drogen ein, wobei ein unreflektierter Umgang immer wieder kritisiert wird. 1999 kam es zur Gründung des Zusammenschlusses ”Sonics- Cybertribe-Netzwerk für Rhythmus und Veränderung”, dem rund 35 Gruppen angehören, darunter neben den genannten Basisorganisationen auch vorrangig kulturell oder politisch ausgerichtete Projekte, sowie Musikgruppen und Verlage. Hinsichtlich der Techno-Kultur versucht das Netzwerk an deren Ursprünge anzuknüpfen, wobei dem ein weitreichender politischer Ansatz zu Grunde liegt. Demzufolge wird der politische Charakter einer Party keineswegs nur Flugblätter oder Gespräche über entsprechende Themen definiert, vielmehr kommt er auf ganz unterschiedlichen Ebenen innerhalb der Veranstaltung an sich zum Ausdruck. So haben beispielsweise Eintrittspreise, die Rolle von ”Stars“, die Organisationsstruktur, bei Open-Airs das Verhältnis zur Natur und auch der Umgang mit Drogen einen politischen Charakter. Nicht zuletzt ist dabei die Abkehr von der durch Rationalität und Fremdbestimmung geprägten Welt des Alltags in eine durch Trance und Ekstase geprägte Erfahrung in einem weit gefassten Sinne eine politische Aussage, auch wenn sie nur selten als solche verstanden wird. Entsprechend tief greift die Kritik an der Kommerzialisierung der Techno-Kultur wie auch an der weit verbreiteten passiven Konsumhaltung und der Oberflächlichkeit innerhalb der Szene.

Zu den wichtigsten Aktivitäten des Sonics-Netzwerks gehörte die Organisation des nichtkommerziellen ”Join the Cybertribe“-Festivals. Neben einem vielfältigen Musikpogramm, an dem sich in Rahmen einer zeitweisen ”Playground”-Session alle Anwesenden beteiligen konnten, gab es mehrere Workshops, die sich unter anderem mit Trance-Tanz, Drug-Checking, Holotropen Atmen und gegenkulturellen Aspekten der Techno-Kultur befaßten. Insbesondere über diese Angebote wurde die sonst übliche Aufteilung zwischen aktiven KünstlerInnen und VeranstalterInnen auf der einen Seite und passivem Publikum auf der anderen aufgebrochen. Die offene Struktur der Basisorganisationen bzw. der Cybertribes wie auch des Netzwerks an sich, in der es meist weder feste Bestimmungen zur Mitgliedschaft noch hierarchische Entscheidungsstrukturen gibt, bildet gleichermaßen eine Stärke dieser Projekte wie auch ein ständiges Problem. In einer Zeit in der sich kaum ein Jugendlicher in Vereinen oder Parteien organisiert, bieten die flexiblen, im Grunde postmodernen Cybertribes die Möglichkeit sich den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu engagieren ohne sich fest binden zu müssen. Dies führt jedoch anderseits zu einer relativ hohen Unverbindlichkeit und Fluktuation. Das Netzwerk leidet zudem darunter, dass die Kräfte der beteiligten Personen und Gruppen meist lokal gebunden und weitgehend ausgeschöpft sind, so dass eine weitere rein idealistische und in keinster Weise finanziell getragene Aktivität den Rahmen des Möglichen oft weit übersteigt. Entsprechend konzentriert sich die Arbeit des Netzwerks derzeit insbesondere auf den inhaltlichen Austausch im Rahmen einer Mailingliste, wobei der Drogen-Bereich eine besondere Rolle einnimmt. Wie wichtig ein derartiges Forum ist, zeigte sich im Zusammenhang mit dem medialen Yaba-Hype als die Netzwerk-Projekte innerhalb kurzer Zeit Einschätzungen und eigene Berichte aus verschiedenen Städten austauschten und dadurch schneller als jede andere Institution oder Einrichtung der völlig überzogenen Berichterstattung sachliche und praxisbezogene Informationen entgegenstellten.

Die klassische Drogenhilfe steht bis heute der Techno-Kultur mit ihren vielfältigen Ausprägungen bzw. den sogenannten neuen Drogen oftmals konzeptlos gegenüber. Therapie-Einrichtungen die auf die spezifischen Problemstellungen angemessen eingehen bilden eine Ausnahme. Grundlegend bedarf es einer Diskussion bereits bestehender Konzepte bzw. der Entwicklung neuer Ansätze, wobei sich der Bezug auf die Erfahrungen der psycholytischen Therapie anbietet. In den Großstädten finden bis heute die vielfach vor allem auf die Heroin-Problematik spezialisierten Drogenberatungsstellen keinen Zugang zur Szene, sofern die Entwicklungen überhaupt ausreichend realisiert wurden. Zudem zeigt sich an Hand zahlreicher Informationsmaterialien, dass es nicht ausreicht den vermeintlichen Jugendjargon zu imitieren und mit bunten Bildern zu unterlegen. Derartige zum Teil kostspielig von Agenturen erstellte Broschüren, Handzettel und Plakate werden in der Szene als Anbiederung verstanden und finden kaum einen nennenswerten Anklang. Gleichzeitig wurden Initiativen wie ”Keine Macht den Drogen”, die mit großen Ständen auf einigen Raves vertreten waren, bestenfalls belächelt, wenn nicht völlig ignoriert. Die dort verteilten Materialien hatten aus der Sicht der RaverInnen mit ihren eigenen Erfahrungen nichts zu tun. Ein Versuch von außen suchtpräventive Inhalte in die Techno-Kultur zu tragen, kann nur dort von einem längerfristigen Erfolg begeleitet sein, wenn die entsprechenden Einrichtungen mit Projekten aus der Szene kooperieren und gemeinsam Projekte entwickeln.

Als völlig widersprüchlich wurde der ”Union-Move“ angesehen, der Münchener Entsprechung der Love Parade, an dem zeitweise mehrere zehntausend Menschen teilnehmen. Das offizielle Motto ”Music is the only drug”, welches nicht zuletzt als Zugeständnis gegenüber der konservativen Kritik an der Techno-Kultur gewählt wurde, verlor durch die Bier- und Zigarettenkonzerne, die als Hauptsponsoren auftraten, jegliche Glaubwürdigkeit. Die hohe Zahl der TeilnehmerInnen, die offensichtlich illegale Drogen konsumierten, zeigte, dass der Move zwar als Party, aber keineswegs als Zeichen gegen den Drogenkonsum verstanden wurde. Tatsächlich machte die Masse der bewussten Überschreitungen juristischer und gesellschaftlicher Vorgaben hinsichtlich des Drogenkonsums den Union-Move genauso wie die Love Parade zu einer unterschwelligen Demonstration für einen selbstbestimmten Drogengebrauch.


4) SAFER-USE UND CHILL-OUT

Die Basisorganisationen erarbeiteten eine Vielzahl verschiedener Handzettel und Broschüren, die über die Wirkungen der in der Techno-Kultur verbreiteten Substanzen aufklärten. Sie erweisen sich bis heute zumeist als äußerst effektiv, da sie Informationen meist relativ kurz und verständlich bzw. ”party-tauglich“ zusammenfassen. Im Mittelpunkt stehen zumeist Safer-Use-Botschaften, die aufzeigen wie das Risiko beim Gebrauch minimiert werden kann, aber auch die Verantwortung der KonsumentInnen für ihr eigenes Handeln betonen. Deutlich wird dabei immer wieder wie wichtig es ist, die KonsumentInnen mit ihren Bedürfnissen und Erfahrungen ernst zu nehmen und möglichst objektive Informationen weiterzugeben. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist zeigen die oftmals rein an einer Abstinenz orientierten herkömmlichen Materialien. Wenn beispielsweise die Wirkung von LSD oder psilocybinhaltigen Pilzen auf die Erzeugung von Halluzinationen reduziert wird, dann werden die vielfältigen psychologischen Prozesse ignoriert, die mit psychedelischen Substanzen verbunden sind. Eine solche Aussage widerspricht in ihrer Oberflächlichkeit nicht nur dem Safer-Use-Gedanken, sie verhindert auch eine reflektierende Auseinandersetzung. Denn nur wenn deutlich wird, dass nicht die Droge für die inneren Abläufe primär verantwortlich ist, sondern die Substanz nur im übertragenden Sinne Räume öffnet, die in der entsprechenden Person bereits vorhanden sind, dann ist auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum bzw. der eigenen Persönlichkeit möglich.

Ein weiterer entscheidender Beitrag zur Risikoverminderung des Drogengebrauchs in der Techno-Kultur wäre die Ermöglichung des Testens der unterschiedlichen Ecstasy-Pillen und anderer Substanzen im Rahmen des sogenannten Drug-Checking. Während in Deutschland auf Grund der (nicht völlig geklärten) rechtlichen Situation das Drug-Checking nicht angeboten wird, führen im benachbarten Ausland einige Basisorganisationen wie auch öffentliche Institutionen Laboranalysen durch und veröffentlichen sie im Internet. Selbstverständlich bietet das Drug-Checking unter den Bedingungen einer illegalen, unkontrollierten Produktion keine Gewähr, dass sich in einer zweiten Pille mit den gleichen äußeren Merkmalen (Symbolaufdruck etc.) auch die gleichen Inhaltsstoffe befinden. Es können jedoch zumindest tendenziell Entwicklungen aufgezeigt werden, über Dosierungen informiert und insbesondere vor Pillen mit besonders gefährlichen Wirkstoffen gewarnt werden. Entsprechende Handzettel, die von Basisorganisationen verteilt wurden erzielten eine große Wirkung. Im Grunde belegt derzeit jeder einzelne Notfall, der sich auf die Unklarheit über die Inhaltsstoffe zurückführen lässt, die Notwendigkeit des Drug-Checking. In einem im Frühjahr 2000 von Mitgliedern verschiedener Basisorganisationen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erarbeiteten umfangreichen Konzept zum Drug-Checking heißt es entsprechend: ”Es ist der Gesichtspunkt der Gesundheitsfürsorge, der die ersten Modellversuche des Drug-Checking intendierte, weil aus der Einsicht, dass Drogengebrauch nicht zu verhindern ist, die logische Folgerung erwuchs, im Sinne einer "harm reduction" durch Information und Aufklärung auf einen reflektierten Gebrauch hinzuwirken bzw. durch Analyse der illegalisierten Substanzen, Erkenntnisse über die Qualität der Schwarzmarktprodukte zu gewinnen.”

Einen wesentlichen Faktor hinsichtlich des Risikos beim Drogenkonsum bilden zudem in vielen Fällen die Bedingungen in den Clubs und auf Raves. Zu nennen sind hierbei insbesondere unzureichende Belüftungssysteme bzw. völlig überhitzte Räumlichkeiten oder auch die für das meist jugendliche Publikum extrem hohen Getränkepreise, wobei bei einigen Veranstaltungen der Zugang zu kühlem Wasser auf den Toiletten verwehrt wird, damit sich die Gäste dort nicht erfrischen können. Die von den Basisorganisationen verteilten Safer-Use-Regeln beim Drogengebrauch, wie zum Beispiel ”Trinke viel alkoholfreie Getränke auch wenn Du keinen Durst verspürst”, sind vor diesem Hintergrund realistisch nur sehr eingeschränkt umsetzbar. Deutlich wird dabei immer wieder, dass bei vielen kommerziellen Veranstaltern eine verantwortungsvolle Haltung gegenüber dem zahlenden Publikum nur dort zu erkennen ist, wo sie den Einnahmen dient. In diesem Zusammenhang treten die Basisorganisationen über den Motto Safer House für die verbindliche Einführung von Mindeststandards für größere Clubs und Raves ein. Zu den Forderungen gehören unter anderem: Gute Belüftung und Klimatisierung der Räumlichkeiten, freier Zugang zu kühlem Trinkwasser, deutlich billigere Abgabe von vitamin- und mineralhaltigen Getränken im Vergleich zu Alkohol, Stände mit Informations- und Beratungsangeboten zu ’Party-Drogen’ und zur HIV-Problematik, Möglichkeit der Durchführung von Drogen-Schnell-Tests, Schulung des Personals hinsichtlich des Umgangs mit Notfällen, korrektes Verhalten des Sicherheitspersonals.

Durchgängig betonen die Basisorganisationen zudem die Bedeutung von Chill-Out-Bereichen für Techno-Veranstaltungen. Im Gegensatz zum Tanzbereich, der von starken akustischen und visuellen Reizen geprägt ist, steht Chill-Out für eine Räumlichkeit, die Entspannung und Erholung ermöglicht. Sie bietet Sitz- und Liegegelegenheiten in einer angenehmen Atmosphäre, sowie ruhige Musik in einer Lautstärke, die Gespräche erlaubt, und bildet damit auch ein ideales Umfeld für die Stände der Basisorganisationen. Erfahrungsgemäß findet bei Veranstaltungen, in denen nur ein Dancefloor vorhanden ist, ein wesentlich risikoreicherer Drogenkonsum statt als bei Parties auf denen auch ein Chill-Out angeboten wird, der das Umfeld für ein vergleichsweise sanftes Ausklingen einer Drogenwirkung bilden kann. Insbesondere im Umfeld von Eve & Rave wurden verschiedene Chill-Out-Konzepte erarbeitet und zum Teil auch umgesetzt, die vom Angebot verschiedener Gesprächsrunden (”Talk-Out”) über einen von besonderen optischen und akustischen Stimulationen bestimmten psychoaktiven Erlebnisraum (”Orpheus-Brain-Box”) bis zum Aufbau eines ”Chill-Out-Centers” als Verbindung von Party-Kultur, Selbstorganisation und Drogenhilfe reichen.


5) KULTUR UND DROGENMÜNDIGKEIT

In Bezug auf das offene Verhältnis zu Drogen ist die Techno-Kultur keineswegs eine Ausnahmeerscheinung. Tatsächlich diente der Gebrauch von Drogen Menschen unterschiedlichster Epochen und Kulturen zur Erlangung entspannender oder anregender Gefühlszustände und oftmals in Verbindung mit Ritualen zur Veränderung des Bewusstseins. Die Gründe dafür, dass heute innerhalb der Techno-Kultur wie auch generell innerhalb der westlichen Gesellschaften der Gebrauch von Drogen in zahlreichen Fällen einer Flucht entspricht sind vielfältig. Mangelnde Aufklärung bildet ebenso einen wesentlichen Faktor wie persönliche Defizite und die weitverbreitete Konsummentalität. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische Faktoren wie die Erfahrung zwischenmenschlicher Kälte als Folge eines Systems, das Leistung und Profit über den einzelnen Menschen stellt. Entsprechend darf der Gebrauch von Drogen nicht als isolierte, rein auf die einzelne Person reduzierte Erscheinung betrachtet werden. Die Bedeutung von psychoaktiven Substanzen steht vielmehr in einer engen Beziehung, teilweise sogar in einer Wechselwirkung zu den umgebenden gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen.

In der Hauptströmung der Techno-Kultur ist gerade bei jüngeren Personen bis zum Alter von etwa 20 Jahre eine ausgeprägte Konsummentalität weit verbreitet. Das Bestreben liegt vorrangig in dem Ziel, während der Party möglichst ”druff” zu sein. Drogen werden dabei in vielfältigen Varianten und Dosierungen miteinander kombiniert, was zu völlig uneinschätzbaren Wechselwirkungen führen kann. Die Konsummentalität und die hohe Risikobereitschaft sind jedoch keineswegs auf den Drogenkonsum beschränkt, vielmehr sind sie eine Zeiterscheinung. Als grundlegende Lebenseinstellung vieler Personen aus der Party-Kultur lassen sich diese Haltungen zweifellos nicht im Rahmen eines Gesprächs oder durch eine Broschüre aufheben. Die Basisorganisationen versuchen über ihre Arbeit jedoch immer wieder zumindest an einzelnen Punkten zu einer kritischeren Haltung anzuregen und die auf Passivität und Konsum beruhenden Verhaltensmuster aufzubrechen. Dies bezieht sich keineswegs ausschließlich auf den Drogenkonsum, sondern schließt auch allgemeinere Fragen zur Situation auf den Parties oder weitergehend zur Lebensgestaltung ein. Eine Person, die sich kritisch und reflektiert mit dem eigenen Leben auseinandersetzt, wird auch bewusster mit Drogen umgehen. In diesem Sinne ist Drogenberatung auch immer ein Stück Lebensberatung.

In der Goa-Szene, einer der inzwischen populärsten Strömungen innerhalb der Techno-Kultur, ist meist ein differenzierterer Umgang mit Drogen festzustellen als in den Mainstream-Clubs. Beeinflußt von der psychedelischen Hippie-Kultur der späten sechziger Jahre, sowie zum Teil auch von einer eher spirituell ausgerichteten Auseinandersetzung mit der eigenen Person entwickelte sich ein vergleichsweise reflektiertes Verhältnis zu Drogen, welches stärker am Ziel der Bewusstseinsentwicklung ausgerichtet ist als in anderen Szenen. Dementsprechend arbeitet der Mushroom, das wichtigste Magazin dieser Szene, mit Eve & Rave, Alice und anderen Cybertribe-Projekten zusammen und veröffentlicht Artikel, die sich mit dem Themenbereich Drogen kritisch auseinandersetzen, während viele andere Techno-Magazine diese Thematik ignorieren. Deutlich wird dabei, wie wichtig das kulturelle Umfeld für die Entwicklung eines bewussten Umgangs mit Drogen ist. Eine rein substanzorientierte Aufklärung, welche gerade in den Jugendszenen auf die enge Beziehung zwischen Kultur und Drogenkonsum nicht angemessen eingeht, verliert entscheidend an Wirkung.

Ein unverschleierter Blick auf die gesellschaftliche Realität zeigt schnell, dass es längst nicht mehr um die Frage geht, ob Drogen genommen werden sollten. Pragmatisch betrachtet stellt sich im Grunde nur noch die Frage, wie ein möglichst kontrollierter Konsum gefördert werden kann. Notwendig ist dabei die Entwicklung einer umfassenden Drogenmündigkeit: ”Es geht darum, einen möglichst souveränen Umgang mit Drogen sowie das rechtzeitige Signalisieren von Hilfebedarf im Prozess des ’Lernens’ von Drogenkonsum gesellschaftlich zu fördern und zu unterstützen. Drogenmündigkeit setzt geeignete Rahmenbedingungen und die individuelle Befähigung zu genußorientierten und autonom kontrollierten Drogenkonsum voraus. Nach diesem Grundsatz hat die Drogenpolitik Lebensbedingungen und Unterstützungssysteme zu schaffen, die die möglichen Risiken beim Gebrauch psychoaktiver Substanzen vermindern, dem Einstieg in zerstörerische, abhängige Lebensweisen entgegenwirken und dadurch die Entwicklung von Drogenmündigkeit fördern.” (Akzept, Eve & Rave, JES u.a.: ”Die Drogenpolitik in Deutschland braucht eine neue Logik”; 1998). Die Entwicklung einer Drogenmündigkeit ist Voraussetzung für die Entwicklung einer in mehrfacher Hinsicht psychoaktiven Kultur. Zum einen im Sinne einer Kultur in der eine frei gewählte Position der Abstinenz genauso respektiert wird wie ein bewusster und selbstbestimmter Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Zum anderen im Sinne einer generellen Überwindung von Passivität und Unmündigkeit hin zu einer aktiven Gestaltung persönlicher und gesellschaftlicher Prozesse. Auch wenn diese Vorstellung in Anbetracht der gesellschaftlichen Realität bzw. der vielfältigen Probleme, die gegenwärtig mit dem Gebrauch von Drogen unterschiedlichster Art verbunden sind, nahezu utopisch erscheint, so bleibt doch gerade unter Berücksichtigung dieser Problematiken die Notwendigkeit bestehen, sich diesem Ziel zumindest schrittweise zu nähern.


6) DAS ALICE-PROJEKT

Beispielhaft für die erfolgreiche Einbeziehung einer Basisorganisation in das bestehende Drogenhilfssystem ohne Aufgabe ihrer Eigenständigkeit ist ”Alice - The Drug- and Culture-Project”. Der Name des Projekts bezieht sich auf das Buch ”Alice im Wunderland”, in dem Lewis Carroll die fantastischen, teilweise aber auch sehr bedrohlichen Abenteuer von Alice in einer anderen Wirklichkeit beschreibt. Gegründet wurde das Projekt 1995 in Frankfurt / Main unter dem Namen Safe Party People. Das primäre Ziel liegt in der Aufklärung und der Förderung eines Bewusstseins hinsichtlich des Umgangs mit Drogen in der Techno-Kultur mit dem Ziel der ”Drogenmündigkeit”, wobei kulturelle Aspekte eine zunehmende Bedeutung erlangen. Nachdem über Jahre hinweg die Aktivitäten ehrenamtlich durchgeführt wurden, wird das Projekt seit 1999 vom Drogenreferat bzw. vom Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt finanziell unterstützt. Parallel dazu schloss sich das Projekt dem Frankfurter Drogennotruf e.V. an. Das Alice-Projekt versteht sich gleichermaßen als Teil der Techno-Kultur wie auch als Bestandteil des Frankfurter Drogenhilfesystems. Alice ist Mitglied in verschiedenen lokalen Gremien, daneben im bundesweiten Arbeitskreis Healthy Nightlife der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA), sowie Gründungsmitglied der Netzwerke ”Sonics - Cybertribe-Netzwerk für Rhythmus und Veränderung” und dem europaweiten ”Basics - Network for dance culture and drug awareness”.

Zu den wichtigsten Aktivitäten gehören Info-Stände auf Veranstaltungen, eine Telefon- und Online-Beratung, die Erstellung von Informationsmaterialien und die Durchführung von Diskussionsabenden. Wesentlicher Bezugspunkt ist der Alice-Bus, der als mobile Drogenberatung wöchentlich in Absprache mit den Betreibern Clubs und Open Airs anfährt. Zur Ausstattung des auffällig gestalteten ehemaligen Wohnmobils bzw. der damit verbundenen Stände gehören zahlreiche Faltblätter zu den in der Szene verbreiteten Drogen, aber auch Flyer mit kritischen Anmerkungen zur Party-Kultur, zu Trance-Erfahrungen oder mit antifaschistischen Texten. Vor dem Hintergrund des sinkenden Risikobewusstseins insbesondere bei jungen Männern in der Techno-Kultur nehmen auch Safer-Sex-Infos eine wesentliche Rolle ein. In einer Party-Nacht in einem der großen Clubs oder auf Raves werden in der Regel mehrere hundert Handzettel mitgenommen, wobei die Materialien bewusst nicht beliebig verteilt oder ausgelegt werden, sondern am Stand von den Gästen selbst gezielt ausgewählt werden. Daneben werden verschiedene Safer-Use-Leistungen angeboten, darunter Vitamin- und Mineraldrinks, teilweise Obst, Gehörschutz-Utensilien und Kondome. Zudem können sich interessierte Personen in ausliegenden Büchern zum Themenbereich Drogen tiefergehend informieren. Im Innenraum des Busses befindet sich eine Sitzecke, die für Gespräche genutzt werden kann, aber auch für Kriseninterventionen zur Verfügung steht.

Neben dem Bereich Drogen bilden szenespezifische Aspekte wie die Situation in den Clubs und insbesondere die Lebenssituation der entsprechenden Personen zentrale Gesprächsthemen. Charakteristisch ist immer wieder, dass Personen aus der Szene, die den Alice-Bus gezielt wegen ihrer Probleme aufsuchen, Hinweise auf Angebote herkömmlicher Drogenberatungsstellen fast durchgängig schnell ablehnen, da das in der Szene verbreitete Bild einer Beratungsstelle nicht ihren Anliegen entspricht. So liegt es an den Alice-Mitgliedern in dem konkreten Gespräch vor Ort problematische Erscheinungen wie auch sinnvolle Perspektiven aufzuzeigen. Für diese Personen bilden die Mitarbeiter des Bus-Teams meist die einzigen AnsprechpartnerInnen.

Eine Umfrage unter Party-Gästen, die sich mit vergleichbaren Untersuchungen zur Akzeptanz von Basisorganisationen tendenziell deckt, ergab, dass rund 75% der Befragten viel Vertrauen in die Informationen des Busses bzw. des Bus-Teams setzen, in die herkömmliche Jugend- und Dogenberatung dagegen nur knapp 40%, in den eigenen Freundeskreis 60%. Über 90% fanden das Angebot des Busses ”gut” oder ”sehr gut”. Ebenfalls rund 90% der Befragten wollen den Bus wieder aufsuchen. Als Begründung wurden insbesondere das ”unaufdringliche Angebot an Beratung und wichtigen Infos” und die ”aufgeschlossenen Mitarbeiter” genannt, aber auch Aspekte wie ”das coole Design” und insbesondere ”die Möglichkeit zum chillen”. (Aus dem ”Zwischenbericht der mobilen Drogenberatung Alice”; Juli 2000).

Im Zentrum der Initiativen von Alice steht insbesondere die Betonung der Verantwortung des Einzelnen für sein Verhalten. Einen Anknüpfungspunkt bildet dabei das Motto des Alice-Projektes ”'Die Antworten liegen in mir' sagte Alice als sie lächelnd durch den Spiegel trat...” Dieses Motto soll darauf hinweisen, dass die Verantwortung der einzelnen Person für ihr Handeln nicht bei FreundInnen, Eltern oder auch DrogenberaterInnen liegt, sondern jeweils bei der Person selbst. Deutlich soll auch werden, dass es in erster Linie nicht die Droge ist, die abhängig macht. Vielmehr begibt sich eine Person selbst über bestimmte Konsumformen in eine risikoreiche Situation bzw. gegebenenfalls weiterführend in eine Abhängigkeit. Dabei besteht jederzeit die Möglichkeit ”Nein” bzw. ”Halt” zu sagen und eigene Verhaltensmuster zu hinterfragen und zu verändern. Dazu bedarf es in vielen Fällen eines Anstoßes von außenstehenden Personen. Allerdings werden von außen aufgedrängte und erzwungene Veränderungen in Bezug auf einen Drogenkonsum in der Regel höchstens vorübergehend übernommen, wenn sie nicht von einer inneren Einsicht begleitet werden.

Inzwischen konzentriert sich Alice nicht mehr ausschließlich auf die Party-Kultur sondern spricht mit seinem Ansatz generell Jugendliche und junge Erwachsene an. So wird derzeit ein besonderes Konzept zur Drogenaufklärung und Suchtprävention für Schulen erarbeitet. An den Alice-Ständen auf Parties und Veranstaltungen, sowie an Schulen werden Infos angeboten und nicht etwa mit einem erhoben Zeigefinger aufgedrängt. Die Flyer ist an den Bedürfnissen ausgerichtet, die innerhalb der Jugendkulturen gegeben sind. Entsprechend ist der inhaltliche Ansatz von Alice ein lebensweltbezogener, der Aufklärung und Hilfsangebote einschließt. Ausgerichtet ist er an den Zielen einer kurzfristigen Risikominderung und einer Bewusstseinsentwicklung. Vor diesem Hintergrund gelang es dem Alice-Projekt anerkanntermaßen die Drogenproblematik in der Party-Szene zu reduzieren und zu einem Bezugspunkt vieler Jugendlicher zu werden, die ansonsten nicht erreicht werden bzw. ihren eigenen Aussagen gemäß nicht mit Erwachsenen über Drogen reden.

Da das Verhältnis zu Drogen in einem wesentlichen Maße in den umgebenden Bedingungen wurzelt, bezieht Alice verstärkt soziokulturelle Aspekte in die Arbeit mit ein. Entsprechend ist Alice ist keineswegs ausschließlich auf den Umgang mit problematischen Erscheinungen konzentriert. Vielmehr soll neben der grundlegenden Aufklärungsarbeit zu einer Auseinandersetzung mit relevanten kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen anregt werden. Dazu gehören so unterschiedliche Aspekte wie die Entwicklung von Jugendkulturen, die Bedeutung veränderter Bewusstseinszustände oder auch die Selbstorganisation in kleinen Gruppen.

Das Alice-Projekt wirkt selbst an der Durchführung von Parties und anderen Veranstaltungen mit, wobei immer wieder versucht wird Elemente zu integrieren, welche die weitverbreitete Konsummentalität etwas aufbrechen und zu einer kritischen Auseinandersetzung anregen. Von einer vorrangig idealistischen Basis ausgehend gehört zu den zentralen Aspekten die Verbindung verschiedener Ausdruckformen. So werden neben dem Musikprogramm auch Lesungen, Performances und Filme, sowie teilweise auch Workshops oder ein spezielles Kinderprogramm angeboten - und nicht zuletzt ein gemütlicher Alice-Chill-Raum, der Platz bietet sich mit den Alice-Infos zu beschäftigen, sich mit den MitarbeiterInnen zu unterhalten und nicht zuletzt zu entspannen bzw. zu chillen, um dabei die Atmosphäre der Party zu genießen.

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