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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

PSYCHOAKTIVE RHYTHMEN -
SELBSTORGANISATION IN DER PARTY-KULTUR

Club Health Conference - Zürich, 8.6.2010.

- Wie erreicht man die Jugend von Heute?
- Die Loveparade als Demo für die Legalisierung von Drogen
- Anti-Drogen-Botschaften auf rauschaften Partys
- Initiativ-Gruppen und Drogenmündigkeit
- Nicht über die Szene sprechen, sondern mit ihr
- Rhythmen der Veränderung

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PSYCHOAKTIVE RHYTHMEN -
SELBSTORGANISATION IN DER PARTY-KULTUR


WIE ERREICHT MAN DIE JUGEND VON HEUTE?

Ich möchte mit einer Frage beginnen:
Wie erreicht man die Jugend bzw. die jungen Erwachsenen von Heute?

Es ist eine zentrale Frage, die unterschwellig oder direkt auf solchen Konferenzen wie "Club Health" immer im Raum schwebt.

Beständig entwickeln sich neue Musik- oder Jugendkulturen mit vielfältigen Ausdrucksformen. Darunter in der Regel auch mit einem eigenständigen Drogenkonsum - vielleicht sogar in Verbindung mit (vermeintlich) neuen Drogen ...

Parallel dazu besteht in vielen Ländern inzwischen ein erfreulich umfangreiches System aus SozialarbeiterInnen, Drogenberatungen, PsychologInnen usw., das geschaffen wurde um auf problematische soziale Entwicklungen im Einzelfall einzugehen.

Zumeist versucht dieses Hilfssystem auf die neuen Entwicklungen einzugehen, weil von einem Bedarf ausgegangen wird - der allerdings keineswegs immer gegeben ist. Die Institutionen des Hilfssystems stellen dann aber zumeist ziemlich schnell fest, dass die bestehenden Angebote einen wesentlichen Teil dieses Personenkreises nicht ansprechen - und stellen sich die Frage:
Wie erreicht man die Jugend von Heute?


DIE LOVEPARADE ALS DEMO FÜR DIE LEGALISIERUNG VON DROGEN

Ein besonders anschauliches Beispiel für derartige Abläufe war die Entwicklung der Techno- bzw. Party-Kultur in den Neunziger Jahren. Mit Techno waren insbesondere neue kreative und innovative Ausdrucksformen im Musikbereich verbunden, sowie ekstatische, anfangs betont gemeinschaftlich ausgerichtete Partys.

Innerhalb eines kurzen Zeitraums kam es zur Entwicklung von einer Underground-Kultur zur wichtigsten Jugendkultur des Jahrzehnts. An der Loveparade in Berlin, dem herausragenden Ereignis nahmen erst nur eine handvoll Leute teil, dann einige Tausend und in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre über eine Million Menschen. Die subversiven Inhalte wurden dabei jedoch zugunsten einer völlig kommerzialisierten Ausrichtung zunehmend an den Rand gedrängt.

Ein wesentlicher Teil der Millionen Menschen, die an der Loveparade teilnahmen, konsumierten dort illegalisierte Drogen - zumeist Ecstasy, Speed und Kokain, sowie in einigen Fällen auch psychedelische Substanzen.

Vor diesem Hintergrund entsprach die Loveparade einer gigantischen Demonstration für eine Legalisierung von psychoaktiven Substanzen. Es wurde von den VeranstalterInnen so nie auch nur ansatzweise formuliert, aber in der gelebten Praxis vor Ort traten die Teilnehmerinnen durch ihren Konsum für einen selbstbestimmten und entkriminalisierten Umgang mit psychoaktiven Substanzen ein.

Das Establishment blickte mit Sorge und Entrüstung auf diese Entwicklung. Wie bei fast allen neuen Jugend- und Musikkulturen wurde versucht anfangs erfolglos über repressive Maßnahmen und über Entwertungen ("Das ist doch keine Musik") die Kultur unter Kontrolle zu bekommen. Am effektivsten erwies sich dann einmal mehr die kommerzielle Vereinnahmung.


ANTI-DROGEN-BOTSCHAFTEN AUF RAUSCHHAFTEN PARTYS

Das Hilfssystem bzw. insbesondere die Drogenberatungsstellen realisierten den ausgeprägten Drogenkonsum auf den ekstatischen Partys und gingen oftmals automatisch von einer umfangreichen Problematik aus. Entsprechend stand einmal mehr die Frage im Raum: Wie erreicht man die Jugend von Heute?

Im Grunde wurde jedoch zuerst gar nicht weiter darüber nachgedacht, sondern man griff als Antwort nach den alten Konzepten.

Die vorherrschende, von staatlicher Seiten mit hohen Beträgen geförderte Kampagne trug den Namen "Keine Macht den Drogen" - und war nicht nur in der Party-Kultur ein völliger Flop. Sie sprach mit ihrer platten Botschaft niemanden direkt an und wurde unter anderem durch Sportstars unglaubwürdig, welche die Kampagne öffentlichkeitswirksam unterstützen und gleichzeitig Werbung für Bierbrauereien machten.

Bald wurde deutlich wurde, dass die KonsumentInnen der "neuen Party-Drogen" keine Drogenberatungsstellen aufsuchen, auch wenn sie selbst eine Konsumproblematik wahrnehmen. Einige Drogenberatungsstellen begaben sich deshalb mit Beratungsangeboten vor Ort auf die Partys und Raves, um dort direkt die entsprechenden Personen ansprechen zu können.

Dieser grundsätzlich richtige Ansatz erwies sich jedoch in der speziellen Durchführung als wirkungslos. Die Anti-Drogen-Botschaften führten im Kontext rauschhafter Partys oftmals höchstens zu einem Lacherfolg, sofern sie überhaupt beachtet wurden.

Zumeist wurden zudem die Infomaterialien in ihrer unsachlichen Einseitigkeit kaum beachtet. Wenn nur in einer zum Teil überzogenen Weise auf potentielle Gefahren hingewiesen und beispielsweise nicht auf das Glücksgefühl bei Konsum von MDMA-Pillen (Ecstasy) angemessen eingegangen wird, dann werden die Materialien von den KonsumentInnen nicht angenommen.

Auch die Aufarbeitung der Botschaften durch Kommunikationsagenturen in einer vermeintlich jugendgerechten Sprache und einem zeitgemäßen Layout führt nicht zum Erfolg, da auch diese Materialien berechtigter Weise als nicht authentisch wahrgenommen wurden.

Daneben offenbarte sich eine kulturelle Barriere. Die meisten DrogenberaterInnen wuchsen mit der Rockmusik auf. Zumeist beginnt ein entsprechendes Konzert abends und dauert rund zwei Stunden. Als Gast trinkt man danach vielleicht noch ein, zwei Bier und begibt sich dann nach Hause.

Im Gegensatz dazu beginnt eine Techno-Party frühestens um 24.00 und im Zentrum steht nicht ein Sänger, sondern ein DJ der "nur" Schallplatten auflegt. Entsprechend bewegten sich viele DrogenberaterInnen in einem kulturellen Kontext, zu dem sie keinen Zugang fanden, was wiederum dazu führte, dass sie auf Partys als Fremdkörper wahrgenommen wurden.

Und so stellte sich erneut die Frage:
Wie erreicht man die Jugend von Heute?


INITIATIV-GRUPPEN UND DROGENMÜNDIGKEIT

Die Antwort findet sich wenn man nicht von außen auf eine Kultur blickt und dann meist zwangsläufig nur die Oberfläche wahrnimmt. Mögliche Antworten eröffnen sich vielmehr dann, wenn man sich in die Szenen begibt und schaut, was es dort an Ansätzen und Strukturen gibt.

Etwa in der Mitte der Neunziger Jahre begannen sich Szene-Angehörige zu kleinen Projekten zusammenzuschließen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des Verhältnisses von Party-Kultur und Drogen zu beschäftigten. Den persönliche Ausgang bildeten meist Fragen wie "Was werfe ich da überhaupt ein und was macht es in mir?".

Noch vor der Verbreitung des Internets begangen diese Projekte auf idealistischer Basis damit, Erfahrungsberichte genauso wie wissenschaftliche Veröffentlichungen auszuwerten. Die Informationen wurden zusammengetragen und über Party-taugliche, zumeist kopierte Flyer bzw. kleine Broschüren in den Szenen weiterverbreitet. Inhaltlich wurden in einer möglichst objektiven Weise die Wirkungsweisen beschreiben. Zumeist wurde daneben Safer-Use-Hinweise aufgeführt.

Es geht diesen Projekten um eine umfassende Drogenmündigkeit, die selbstverständlich keineswegs einen Konsum einschließen muss, aber auch genauso wenig zwangsweise untersagt. Drogenmündigkeit schließt auf der persönlichen Ebene eine Auseinandersetzung mit den inneren Potentialen und Grenzen ein. Auf der gesellschaftlichen Ebene zielt sie auf eine Legalisierung aller Drogen im Rahmen begleitender Maßnahmen, wie Qualitätskontrollen, Altersgrenzen, besonderen Abgabestellen und bei Bedarf Hilfsangeboten. Die Grundlage bildet das Ziel einer Gesellschaft die eine freie, solidarische Entfaltung ermöglicht.

Die Infomaterialien der Projekte wurden zu einem großen Erfolg. Kurz- und langfristig bewirkten sie in der Party-Kultur einen bewussteren Umgang mit psychoaktiven Substanzen und verhinderten so unzählige gesundheitliche Schädigungen bzw. ermöglichten eine Vertiefung vieler positiver Party-Erfahrungen. Die Arbeit der Projekte entspricht einer soziokulturellen Gesundheitsförderung.



NICHT ÜBER DIE SZENE SPRECHEN, SONDERN MIT IHR

Die Frage "Wie erreicht man die Jugend von Heute?" stellt sich in diesen Projekten im Grunde nicht. Die besonderen Ausdrucksformen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Probleme und Potentiale innerhalb der Party-Kultur müssen von diesen Projekten nicht erst evaluiert werden. Als Teil der Kultur haben diese Projekte einen direkten Zugang zu ihnen, sie verkörpern diese zum Teil selbst, auch wenn sie gleichzeitig auch kritische Positionen gegenüber einigen Entwicklungen in den Szenen einnehmen. Letztlich ist es die Verbindung von authentischer Nähe, kritischer Reflexion und verändernden Impuls, welche den Erfolg der Szene-Projekte und Initiativ-Gruppen begründete.

Wie sich immer wieder gezeigt hat, ist dagegen ein Hilfsangebot zum Scheitern verurteilt, das von Außen etwas in eine Szene hineintragen will, ohne diese wirklich zu verstehen, so gut es auch gemeint ist.

Ein soziales Projekt, das in einer Szene einen Veränderungsbedarf erkannt hat, kann erst dann wirklich erfolgreich werden, wenn es nicht nur für, sondern mit einer Szene agiert. Notwendig ist es, zu erkennen, welche Projekte und Ansätze in der entsprechenden Szene bereits bestehen, wo kann man lernen, anknüpften, unterstützen und kooperieren kann.

Gleichermaßen ist es auch notwendig, nicht nur über eine Kultur zu sprechen, sondern mit ihr bzw. sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Diesem Ansatz völlig entgegen, stehen beispielsweise hier auf der "Club Health Conference" die Eintrittspreise. Ein Szene-Angehöriger kann und will in der Regel nicht 300 bis 400 Euro für eine Konferenz zahlen, so dass auch hier oftmals über eine Szene gesprochen und nicht direkt mit ihr. Die Folge sind zum Teil Betrachtungsweisen, die zwar tendenziell richtig sein mögen, aber aus der Sicht der Szene-AktivistInnen doch nicht den eigentlichen Kern treffen.


RHYTHMEN DER VERÄNDERUNG

Einige der Projekte, die in den neunziger Jahren entstanden sind noch immer aktiv. Einige sind eingeschlafen, andere sind dazugekommen. Im deutschsprachigen Raum sind es anderem der Autonome Drogeninfostand, Awaredance, Drug Scouts, Eclipse, Eve & Rave und Alice-Project, die im Sonics-Cybertribe-Netzwerk zusammengeschlossen sind. Auf europäischer Ebene sind einige Projekte im Basics-Network tätig.

Die meisten Projekte haben über die Drogeninformation hinausgehend noch unterschiedlich stark ausgeprägten kulturellen Ansatz. Keine Droge wird in einem bezugslosen Raum gebraucht. Vielmehr spielt das Set und Setting, also die innere Verfassung und die umgebenden Bedingungen eine besondere Rolle. Entsprechend sind viele der Initiativ-Gruppen beispielsweise an der Gestaltung von Chill-Out-Areas beteiligt, bieten kostenloses Trinkwasser und Obst an oder helfen Personen bei problematischen Drogenerfahrungen durch Angebote wie der "Psychedelischen Ambulanz" ohne beruhigende Substanzen einzusetzen.

Darüber hinaus ist es jedoch wesentlich auch das gesellschaftliche Set und Setting zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht um Fragen nach Wirkungen und Dosierungen einzelner Substanzen, sondern um grundlegende Fragestellungen wie "In welcher Welt will ich leben?" und "In welcher Kultur will ich welche Erfahrungen machen?". Oftmals hängt mit der Beantwortung dieser Fragen auch der konkrete Umgang mit psychoaktiven Substanzen zusammen.

Ein Gesellschaftssystem, das unablässig auf Leistung, Profit, und Konkurrenz basiert, fördert auch entsprechende Persönlichkeitsstrukturen und einen entsprechenden Drogenkonsum, auch wenn es auf einer anderen Ebene versucht, den Gebrauch einzelner Substanzen zu unterbinden.

Unserem ganzheitlichen Ansatz entsprechend haben wir nicht nur Flyer zu Drogen an unseren Alice-Ständen, sondern auch Infos zu kulturellen, sozialen und politischen Themen. Zudem organisieren wir Events auf denen wir Party und Politik miteinander verbinden, unter anderem durch Workshops, Filme und Ausstellungen oder auch durch Tanz-Demonstrationen.

Diese Aktivitäten verstehen sich als Impuls auf einer persönlichen wie soziokulturellen Ebene zur kritischen Reflexion, Veränderung und Entfaltung. Und letztlich wirkt sich solch ein Prozess in der Regel auch positiv auf das Verhältnis zu psychoaktiven Substanzen aus.

Unabhängig davon, ob sich die beschriebenen Initiativ-Gruppen auf die Entwicklung von Drogenmündigkeit konzentrieren oder eine weitergehenden soziokulturellen Ansatz haben, sind sie in der Regel von einem idealistischen, gemeinschaftlichen und auch kritischen Ansatz geprägt. Sie bilden dadurch einen Gegenpol zur in der Gesellschaft wie auch in den Party-Szenen vorherrschenden egozentrischen Haltung des Kommerz und Konsums. Letztlich zeigen sie, welche Potentiale in der Party-Kultur bestehen.

In diesem Sinne möchte ich symbolhaft enden: Die Sterne sind erreichbar, wenn wir es wirklich wollen.

Vielen Dank

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