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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

DIE GLEICHSCHALTUNG DER BEDÜRFNISSE
- DIE BEWUSSTSEINSINDUSTRIE -

- Ablenkung und Manipulation -
- Der künstliche Geschmack -
- Manipulierte Bedürfnisse -

Längst hat die Macht der Unterhaltungs- bzw. der Bewußtseinsindustrie gigantische Ausmaße erreicht. Die Übergänge zwischen einer Beeinflußung, die aus der Sicht der ErzeugerInnen einzig dem Profit dient, und einer gezielten Manipulation in einem gesellschaftspolitischen Sinne, sind dabei fließend.

ABLENKUNG UND MANIPULATION

Der Mensch wird wesentlich von den Bedingungen und Verhältnissen geformt, die ihn umgeben. Der Großteil der Bevölkerung in den westlichen Staaten ist subjektiv in das bestehende System integriert, denkt und handelt weitgehend in dessen Sinne und ist zumeist gleichzeitig überzeugt frei und unabhängig zu sein. Die Bewußtseinsindustrie vertieft diesen Verinnerlichungsprozeß in vielfältiger Weise. Einer offenen Repression bedarf es, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur noch dort, wo sich meist kleine Gruppen den herrschenden Strukturen widersetzen und versuchen einen selbstbestimmten Weg zu gehen.

Schon unter der faschistischen Herrschaft kam es in Deutschland zu einer gezielten politischen Nutzung der manipulierenden Möglichkeiten der Unterhaltungsindustrie. Während Millionen in den Konzentrationslagern ermordet wurden und der Krieg täglich Opfer forderte, täuschten Filme und Schlager den Normalzustand vor, lenkten von der grausamen Barbarei ab und stärkten damit die faschistische Diktatur. Gerade die scheinbar unpolitische Unterhaltung erfüllte diese Aufgabe. Deutlich wurde hierbei, daß es keine Musik ohne gesellschaftliche Funktion, ohne politische Tendenz gibt. Am einflußreichsten sind vielfach gerade die Spielfilme, Fernsehshows oder Musikstücke, welche vorgeben, keine zu haben.

Gegenwärtig werden vor allem über das Fernsehen, aber auch über die populäre Musik, weltweit wesentliche Bereiche der Willensbildung und der Wahrnehmung kontrolliert. Vielfach äußerst subtil und schwer durchschaubar werden systemtragende Grundlagen, wie zum Beispiel der Konsumzwang, das Leistungsprinzip oder sexistische Haltungen, weitergetragen. Die Beeinflußung des Bewußtseins ist fast allgegenwärtig und wird sich im Zuge der technischen Entwicklungen und der politischen Gleichschaltung noch weiter verschärfen. Den Konzernen der Musikindustrie geht es vorrangig um die Erwirtschaftung von Profit und damit um den Verkauf des Produktes Musik, wobei es in vielerlei Hinsicht zu einer Manipulation der Bedürfnisse kommt. In einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gesehen, lenkt die Pop- und Rockmusik in ihrer Gesamtheit von den eigentlichen Problemen und deren Ursachen ab, selbst wenn dies von den entsprechenden MusikerInnen nicht beabsichtigt ist. Sie erhält dadurch einen systemstabilisierenden Charakter.

DER KÜNSTLICHE GESCHMACK

Im Rahmen des bestehenden Systems ist Musik eine Ware. Phil Collins ist dabei genauso ein Produkt, wie ein Waschmittel oder eine Packung Zigaretten. Entscheidend für den Verkauf ist nicht nur, ob das Produkt an sich anspricht oder ob es überhaupt benötigt wird, sondern in einem wesentlichen Maße bestimmt das insbesondere über die Medien vermittelte Image des Produktes über den Kauf. Unbewußt werden beispielsweise einige Seifenmarken mit Südseestränden assoziiert, bestimmten Parfüm-Marken mit sexuellen Kontakten oder verschiedene Getränken mit glücklichen Jugendlichen. Die Verbindungen lösen positive Gefühle aus und sprechen entsprechende Bedürfnisse an, die dann den Kauf und den Verbrauch entscheidend beeinflussen.

Das gleiche Prinzip wird auch im Musikgeschäft angewandt. Auf eine Zielgruppe ausgerichtet wird langfristig ein Image aufgebaut, das beispielsweise auf den Skandalen der ”rebellischen” Rockband, dem ”erotischen” Auftreten der Popsängerin oder dem ”idyllischen” Privatleben des Schlagerstars basiert. Vermittelt wird dieses Bild durch die Berichterstattung in den Medien und seit einigen Jahren insbesondere durch Videoclips. Die TV-Musiksendungen und die speziellen Musikkanäle, die ausschließlich Videos ausstrahlen, sind dabei nichts anderes als Werbesendungen für das Produkt Musik. Sobald sich das Image festgesetzt hat, wird das Musikstück unbewußt mit diesem Bild und den entsprechenden Gefühlen in Verbindung gebracht. Dann entscheidet nicht nur die Eingängigkeit des Stückes, sondern vorrangig das Image über Gefallen und Kauf. Vielfach findet eine Identifikation mit den Stars statt, die sich dann neben dem Kauf von Schallplatten auch zum Beispiel im Tragen von T-Shirts mit entsprechenden Motiven oder weitergehend in der Übernahme von Verhaltens- und Denkmustern ausdrückt. Eine persönliche Vorliebe für ein bestimmtes Musikstück oder eine Band kann sich unter diesen Bedingungen nicht frei entwickeln. Dementsprechend ist der Geschmack nicht Ergebnis einer unabhängigen Entscheidung, sondern in einem wesentlichen Ausmaße die Folgevon gezielten Beeinflussungen.

In Bezug auf das Ausmaß der unterschwelligen Manipulation geht die sogenannte Muzak noch einen Schritt weiter als die herkömmlichen Musikproduktionen. An einzelnen Zielgruppen ausgerichtet bietet die weltweit operierende Muzak-Cooperation spezielle Programme an, bei denen gezielt Tonfrequenzen genutzt werden, die im Unterbewußtsein psychische Prozesse auslösen. So wird Muzak als funktionelle Hintergrundmusik, die von den Betroffenen zumeist nur unbewußt wahrgenommen wird, unter anderem in Krankenhäusern zur Entspannung, in Fabriken und Büros zur Arbeitssteigerung und in Supermärkten zur Kaufstimulierung, sowie bei Schlachtungen zur Beruhigung der Tiere eingesetzt.

Die Verkaufsstrategien für die Pop- und Rockveröffentlichungen der Musikindustrie werden in den sogenannten Artist-and-Repertoire-Abteilungen von einem Team aus Werbe-, Wirtschafts- und MusikexpertInnen langfristig aufgebaut, nicht selten in enger Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsunternehmen, wie zum Beispiel mit Bekleidungs- und Getränkekonzernen. Nach Aussage von Managern werden weit über 500.000 DM benötigt um einen Musiker oder eine Musikerin als Star in einem Land zu etablieren. Für die neuen Produkte von Bands wie Pink Floyd oder den Rolling Stones werden trotz deren Bekanntheitsgrad sogar bis zu einer Million Dollar in die Werbung investiert.

Der so oft beschworene Aufstieg vom unbekannten Sessionmusiker zum gefeierten Superstar, die sogenannte musikalische Tellerwäscherkarriere, ist in der Regel nur ein wohlgepflegter Mythos, der kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Auch viele Superstars arbeiteten schon lange vor ihrem großen kommerziellen Durchbruch mit Managern zusammen, die das entsprechende Image entwickelten und vermarkteten. Bezeichnender Weise wurden beispielsweise die Skandale der wegweisenden Punk-Band Sex Pistols von deren Manager gezielt inszeniert, um die Medien zu gelangen und damit ein größeres Publikum auf die Band aufmerksam zu machen. Noch deutlicher lassen sich entsprechende Prozesse an Gruppen wie die Bay City Rollers, Take That oder den Backstreet Boys aufzeigen, drei zeitweise äußerst erfolgreichen, marionettenhaften Kunstprodukten aus den Fabriken der Bewußtseinsindustrie. Die Bandmitglieder schrieben in der Regel weder ihre Stücke selbst, noch spielten sie ein Instrument. In einigen Fällen stammt bei derartigen Retortenbands nicht einmal der Gesang von den angeblichen SängerInnen. Die beiden Mitglieder des Pop-Duos Milli Vanilli, die öffentlich zugeben mußten, bei ihren Aufnahmen und Auftritten nie selbst gesungen zu haben, bilden keineswegs ein Ausnahme. Vielmehr ist es im Musikgeschäft nicht ungewöhnlich, daß vorgebliche MusikerInnen und SängerInnen im Grunde nur das Aussehen beisteuern. Sie sind dabei nicht mehr als ein umsatzsteigerndes Bild auf einer Schallplattenhülle oder in einem Video.

MANIPULIERTE BEDÜRFNISSE

Das Image der aktuellen Pop- und Rock-Stars und die damit verbundene Kleidung, die Frisur oder auch die Art sich zu schminken wird regelmäßig zur Mode stilisiert und in Folge millionenfach kopiert bzw. produziert und verkauft. Wesentlich ist dabei, daß nicht nur das Aussehen übernommen wird, sondern auch eine bestimmte Lebenseinstellung und Sichtweise, die in der Regel nicht zu einer Hinterfragung bestehender Probleme oder Zustände anregt. Vielmehr werden diese gefestigt, indem zum Beispiel oftmals über Liebeslieder traditionelle Rollenklischees und Beziehungsmuster vermittelt werden. Unterdrückte und unbefriedigte Bedürfnisse, sei es nach zwischenmenschlicher Wärme, nach einer freien Sexualität, nach selbstbestimmter Entfaltung oder nach einem gewissen Wohlstand, werden in die Traumwelten der Stars, in denen scheinbar alle Wünsche Wirklichkeit werden, projiziert und so künstlich befriedigt. Unterschwellig wird vermittelt, daß es möglich ist, durch den Kauf und den Besitz des entsprechenden Produktes den Scheinwelten näher zu kommen. Die Bewußtseinsindustrie führt so einen ständigen Kampf um die Träume der Menschen.

Aus der Sicht vieler Fans besteht der leicht nachvollziehbare Wunsch aus dem entfremdeten Alltag in die Scheinwelten der Stars zu flüchten. In einem größeren Zusammenhang gesehen, entlarvt sich dieses scheinbar freiwillige Bestreben jedoch als ein unbewußter Zwang. Denn die Sehnsucht nach gesellschaftlichen Bedingungen, in denen eine Befriedigung der eigentlichen Bedürfnisse möglich wäre, wird zugunsten einer künstlichen Ersatzbefriedigung manipuliert. Es ist äußerst schwer, sich diesen Mechanismen zu entziehen. Der Prozeß der zwanghaften Verinnerlichung bestimmter psychologischer Strukturen läßt sich nur bis zu einer gewissen, allerdings weitmöglichst anzustrebenden Grenze, aufheben. Sich jedoch zu zwingen, ein kommerziell erfolgreiches Stück, unabhängig davon, ob es individuell anspricht oder nicht, oder einen Besuch eines Konzertes aus gesellschaftspolitischen Gründen abzulehnen, ist zwar in einigen Fällen notwendig, läßt aber die psychologischen Wurzeln unberührt. Eine bewußt hinterfragende Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und der eigenen Persönlichkeit über Fragestellungen wie ”Warum spricht mich gerade dieses Lied oder diese Band an?” und ”Was bewirkt diese Musik in mir?” kann zu einem bewußten Umgang mit eigenen Bedürfnissen und den Verlockungen der Bewußtseinsindustrie führen. Oftmals wird schon durch das Erkennen bestimmter Zusammenhänger zumindest ein kritischer Umgang und ein bewußtes Einlassen auf einzelne Erscheinungen möglich.

Wie alle gesellschaftlichen Bereiche ist auch die Musik von den grundlegenden patriarchalen und autoritären Strukturen geprägt. So läßt sich auch der Star- und Personenkult auf entsprechende Charakterstrukturen zurückführen. Die Pop- und Rockstars werden vielfach von den Medien, insbesondere von den sogenannten Jugendzeitschriften, und den KonsumentInnen völlig verherrlicht und teilweise geradezu angebetet. Nur selten läßt sich ein Zimmer eines Jugendlichen finden, in dem nicht ein oder mehrere Poster hängen, von denen die Stars ihrem Image entsprechend herunterblicken. Diese Haltung spiegeln auch die Pop- und Rockkonzerte, bei denen es oftmals zu einer Form von Massenhysterie kommt. Alles was der Star auf der Bühne macht oder sagt wird fanatisch bejubelt, egal was er damit ausdrückt. Längst hat sich in den westlichen Staaten, in denen vordergründig der politische Personenkult scharf kritisiert wird, ein Personenkult um die Medienstars etabliert.

Vor diesem Hintergrund bilden die Medienstars und die mit ihnen verbundenen Inhalte einen Faktor für die Aufrechterhaltung des bestehenden Herrschaftssystems, welches hinter einer demokratischen Fassade seine totalitären Tendenzen verbirgt. Basierend auf langfristig erzeugten Charakterstrukturen und durch die gezielte Verankerung bestimmter Inhalte im Bewußtsein, erhält dieses System der Manipulation und Unterdrückung eine weitaus größere Stärke als jedes andere, das rein auf politischer oder militärischer Macht beruht. Michael Jackson wird in diesem Zusammenhang zum Symbol eines modernen, Grenzen überschreitenden Imperialismus, der verstärkt auch die populäre Kultur und die Medien zur Erhaltung und zur Ausweitung seiner Macht nutzt.


Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).

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