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Wolfgang Sterneck
ALICE, AYAHUASCA UND DIE ANTWORTEN
”Alice - The Drug- and Culture-Project”, der Name unseres
Projektes bezieht sich auf das Kinderbuch ”Alice im Wunderland”
von Lewis Carroll. Es geht darin phantasievoll um die Abenteuer
eines Mädchens in einer anderen Welt - einer anderen Wirklichkeit
- die sie durch das Durchqueren eines Tunnels bzw. eines Spiegels
erreicht. In dieser anderen Welt erlebt Alice verschiedene bizarre
Abenteuer. Zum Teil trifft sie lustige Gestalten, durchstreift fantasievolle
Gegenden und setzt sich auf ihre besondere Weise mit der eigenen
Persönlichkeit auseinander. Sie macht aber auch verstörenden
Erfahrungen, wird mit Bedrohungen, mit Angst und auch mit Todesgefahren
konfrontiert.
Mit etwas Phantasie lässt sich ”Alice im Wunderland”
wie eine Sammlung verschiedener Drogenerfahrungen lesen. An manchen
Stellen sind sie sogar ganz konkret beschrieben, wenn Alice beispielsweise
an einem Pilz knabbert und ihre Größe verändert.
Die etablierte Literaturforschung bestreitet allerdings bis heute
derartige Zusammenhänge. - Wo kämen wir auch hin, wenn
eingestanden wird, dass in einem der berühmtesten Kinderbücher
aller Zeiten Drogen konsumiert werden?
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit als Alice-Project liegt in der Entwicklung
einer Drogenmündigkeit, das heißt in einem möglichst
souveränen, bewussten und selbstbestimmten Verhältnis
zu psychoaktiven Substanzen, das auf sachlichen Informationen basiert.
Dies mag fast schon banal klingen. Ein Blick auf eine größere
Techno-Party oder auf das Oktoberfest macht schnell deutlich, dass
in Bezug auf legale wie illegale Substanzen oftmals alles andere
als ein mündiger Umgang gegeben ist.
Eine weitere Zielsetzung liegt in der kurzfristigen Risikominderung
bei Personen, die Drogen konsumieren - unter anderem über Safer-Use-Hinweise
oder beispielsweise über die Ausgabe von Vitamin- und Mineraltabletten
auf Partys. Darüber hinaus gehen wir selbstverständlich
bei Bedarf auf psychische Problematiken im Zusammenhang mit dem
Drogenkonsum oder Abhängigkeitsprobleme ein.
Uns ist dabei wichtig ist, dass wir nie nur auf die Drogen bzw.
den Drogengebrauch blicken, sondern immer auch auf das persönliche
Umfeld schauen, auf die direkte soziokulturelle Umgebung wie auch
auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Keine Droge wird in einem
bezugslosen Raum konsumiert, die Szene in der man sich bewegt hat
genauso einen Einfluss wie gesellschaftliche Faktoren. So ist beispielsweise
der Gebrauch von Alkohol sozial akzeptiert bzw. entsprechend verbreitet
und bekanntlich nimmt der Alkoholkonsum in gesellschaftlichen Krisenzeiten
zu.
Deshalb organisieren wir unter dem Titel ”Connecta”
auch selbst alternative Partys oder Informationsveranstaltungen,
die weit über eine reine Drogenaufklärung hinausgehen.
Ebenso verteilen wir nicht nur Handzettel zu einzelnen Substanzen,
sondern auch beispielsweise Infos zur Kommerzialisierung der Techno-Kultur
oder Flyer mit kritischen, politischen Inhalten, um Denkanstöße
zu geben. Diese können wiederum zu einer allgemein bewussteren
Haltung beitragen, die sich dann auch im Verhältnis zu Drogen
spiegelt.
Wir legen großen Wert auf die Eigenverantwortlichkeit der
einzelnen Person. Entsprechend stellen wir uns nicht mit erhobenen
Zeigefinger in einen Club oder vor eine Schulklasse. Vielmehr versuchen
wir insbesondere über die Weitergabe von Informationen und
Gespräche zu einer reflektierten Haltung beizutragen. Vor diesem
Hintergrund haben wir aus ”Alice im Wunderland” folgendes
Motto für unsere Projekte abgeleitet:
”Die Antworten liegen in mir”
sagte Alice als sie lächelnd durch den Spiegel trat.
Es gab keine Epoche in der Geschichte der Menschheit, in der nicht
versucht wurde, den symbolhaften Spiegel zu durchschreiten und in
andere Wirklichkeiten zu gelangen. Die Wege dorthin sind vielfältig:
In einigen Kulturen ist es der trancehafte Tanz, in anderen sind
es besondere Atemtechniken, Meditationen, die Sexualität oder
der Gebrauch bestimmter psychoaktiver Substanzen.
Gegenwärtig werden psychoaktive Substanzen in unserer westlichen
Kultur in vielen Fällen unreflektiert und mit zahlreichen Risiken
gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe hierfür
sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen, individuelle
Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung wesentliche
Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische
Faktoren, wie soziale Missstände, aber auch die Erfahrung zwischenmenschlicher
Entfremdung als Folge eines Systems, welches Leistung und Profit
über den einzelnen Menschen stellt.
Bei einigen Stämmen im Amazonas-Gebiet ist es Ayahuasca, das
es ermöglicht den Spiegel zu durchschreiten und die Türen
in diese anderen Wirklichkeiten öffnet. Der Ayahuasca-Trank
besteht aus verschiedenen psychoaktiven Pflanzen, darunter insbesondere
aus einer Liane, wobei das DMT den Hauptwirkstoff bildet. Ayahuasca
wird von Schamanen zur Heilung genutzt, es ermöglicht visionäre
Wahrnehmungen und den Übergang in eine andere Welt, die von
den Schamanen als die eigentliche verstanden wird.
Ayahuasca ist inzwischen auch in Westeuropa und den Vereinigten
Staaten verbreitet. Dabei sind der Umgang mit der Substanz und die
entsprechenden Definitionen sehr unterschiedlich. Gerade in Teilen
der Esoterik- und New-Age-Szene findet Ayahuasca besondere Aufmerksamkeit.
Dabei zeigt sich ganz besonders die Bedeutung der Definition. Denn
hier konsumieren viele Personen Ayahuasca, die die Substanz nie
genommen hätten, wenn man ihnen gesagt hätte, dass Ayahuasca
eine Droge ist. Vielmehr wird der Trank dort von Seminar-TeilnehmerInnen
als schamanisches Heilmittel bzw. als Medizin gebraucht. Auch in
Teile der psychedelischen Bewegung stößt Ayahuasca auf
wachsendes Interesse. Hier bildet zum einen die Auseinandersetzung
mit bewusstseinsverändernden Erfahrungen den Ausgangspunkt,
teilweise aber auch die Suche nach neuen Kicks.
Unterschätzt wird dabei vielfach, dass generell psychedelische
bzw. entheogene Substanzen nicht nur Visionen eröffnen können,
sondern auch innere Abgründe. Gerade ein unreflektierter, vorrangig
konsumorientierter Gebrauch von psychedelischen Substanzen birgt
vor diesem Hintergrund vielfältige Gefahren.
Es macht jedoch keinen Sinn ein ursprüngliches Ritual, beispielsweise
von einem Stamm im Amazonas, weitgehend identisch zu übernehmen,
um die Risiken zu entschärfen oder gar Erfahrungen zu machen,
die denen eines Schamanen gleichen. Der kulturelle Background ist
dafür viel zu unterschiedlich. Zudem wird diese Übernahme
oftmals von denjenigen, denen diese Rituale in ihrem traditionellen
Kontext heilig sind, als respektlose Vereinnahmung empfunden. Notwendig
ist vielmehr unter Achtung ursprünglicher Bezüge und vor
dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen und kulturellen Bezüge
eigene Rituale zu entwickeln. Wie die Angehörigen eines Cybertribes,
eines modernen Stammes, der überliefertes Wissen genauso einbezieht
wie die Entwicklungen der Gegenwart.
Wie schnell die Bedeutung der Definition zur Macht der Definition
wird, zeigt sich im Zusammenhang mit dem rechtlichen Status von
Ayahuasca in Deutschland. Der Frankfurter Oberstaatsanwalt teilte
uns auf Anfrage mit, dass DMT der Anlage des Betäubungsmittelgesetzes
untersteht. ”Dies bedeutet, dass der Umgang mit DMT-haltigen
Pflanzen zu Konsumzwecken ohne eine Ausnahmegenehmigung verboten
und strafbar ist. Die Zielsetzung des Umgangs: Medizinische Behandlung
oder drogenhafte Berauschung spielt für die Einstufung als
Betäubungsmittel keine Rolle.”
Eine ganz andere Definition wird international angelegt, wenn es
um die Fragen nach wirtschaftlichem Profit geht. Im Zeitalter der
Globalisierung wird im Grunde alles vermarktet, was Gewinn verspricht.
Und so verwundert es auch nicht, dass sich ein Unternehmen aus Kalifornien
die Patentrechte für Ayahuasca sichern ließ, darunter
auch die kommerzielle Verwertung als Medikament. Dieser Vorgang
ist längst zu einem Symbol für Entrechtung indigener Völker
geworden. So paradox es klingen mag, denkt man die Patenfrage zu
Ende, dann muss formal betrachtet der globalisierte Schamane für
jedes Ayahuasca-Ritual Gebühren zahlen.
Dieser Vorgang entspricht der Logik eines Denkens, das auf ein ständiges
ökonomisches Wachstum setzt und dabei ignoriert, dass dieser
vermeintliche Fortschritt tatsächlich oftmals zu Stillstand
oder gar zerstörenden Rückschritt führt. Oder anders
formuliert - ein Zitat aus ”Alice im Wunderland”:
Erschöpft saß Alice am Boden. Sie war gerannt und gerannt
und gerannt,
aber irgendwie war sie trotzdem noch am Anfang.
”Es hat sich ja überhaupt nichts verändert!”
sagte sie.
”Natürlich nicht!” antwortete die Königin.
”Hier bei uns musst du so schnell laufen wie du kannst, um
an der gleichen Stelle zu bleiben.
Und wenn du woanders hin willst, dann musst du
mindestens doppelt so schnell sein...”
Wir stellen bei unserer Arbeit im Alice-Project immer wieder fest,
dass gerade bei jüngeren Personen eine ausgeprägte Konsummentalität
in Bezug auf Drogen weit verbreitet ist. Das Bestreben liegt vorrangig
in dem Ziel, während der Party möglichst ”druff”
zu sein. Es ist keine Seltenheit, dass vier, fünf verschiedene
Substanzen in einer Nacht in zum Teil hohen Dosierungen miteinander
kombiniert werden.
Die Konsummentalität und die hohe Risikobereitschaft sind jedoch
keineswegs auf den Drogenkonsum beschränkt, vielmehr sind sie
eine Zeiterscheinung. Zahlreiche Bereiche sind davon bestimmt, nicht
aktiv zu gestalten, sondern meist nur noch möglichst passiv
zu konsumieren - dies gilt für Jugendliche wie für Erwachsene.
In Bezug auf Drogen und die dadurch angestrebten Erlebnisse geht
es oftmals darum, am besten wie per Knopfdruck am Fernsehapparat
einen bestimmten Zustand zu erreichen. So liegt die Zielsetzung
beim Einwerfen einer Ecstasy-Pille darin, möglichst schnell
glücklich zu sein und Spaß zu haben, LSD soll entsprechend
schnell und einfachzu einer Bewusstseinserweiterung führen,
während Ayahuasca mit der Hoffnung verbunden ist, zur inneren
Heilung zu gelangen, ohne weitergehend etwas dafür tun zu müssen,
.
Solche Ansätze führen in der Regel schnell in eine Sackgasse,
wobei dafür dann nicht eine psychoaktive Substanz oder ein
Ritual verantwortlich ist, sondern im wesentlichen die einzelne
Person selbst. Zu oft wird versucht die innere Leere, die in unserer
Gesellschaft so verbreitet ist, durch eine Droge auszufüllen.
Zu oft wird versucht durch Rituale, die unhinterfragt aus anderen
Kulturen übernommen werden, etwas zu finden - ohne sich überhaupt
zuvor klar zu sein, was man überhaupt sucht. In ”Alice
im Wunderland” heißt es dazu:
Alice fragte die Katze: ”Würdest Du mir bitte sagen,
wie ich von hier aus weitergehen soll?”
Die Katze antwortete: ”Das hängt zum großen Teil
davon ab,
wohin Du möchtest”
”Nun ja, eigentlich ist es mir ziemlich egal.” sagte
Alice.
Die Katze erwiderte: ”Wenn du nicht weißt, wohin du
willst,
dann ist es auch egal, wie du weitergehst...”
Oftmals stellen wir uns schnell die Frage, was uns ein Ritual oder
auch ein Seminar oder eine Party geben kann. Doch dies ist um Grunde
erst die zweite oder dritte Fragestellung. Die erste Frage sollte
sein, wohin wir wollen. Und erst wenn wir dazu eine Antwort gefunden
haben und wir diese nicht nur für uns beantworteten, sondern
diese in einen übergeordneten Zusammenhang stellen, dann können
wir schauen welches Ritual, welches Seminar, welche Party oder was
auch immer uns dabei weiterhilft unser Ziel zu erreichen. Zuerst
stellt sich die Frage, wohin wir wollen, erst dann, wie wir dorthin
gelangen. Und so komme ich am Ende meiner Ausführungen wieder
an den Anfang:
”Die Antworten liegen in mir”
sagte Alice als sie lächelnd durch den Spiegel trat.
- * -
Redebeitrag auf der Veranstaltung "Ritual und Konsumgesellschaft
am Beispiel der psychedelischen Substanz Ayahuasca"
am 6.10.2004 in Frankfurt am Main.
- * -
www.sterneck.net

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