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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck

DER TRAUM VON DER REVOLUTION AUF ACID

Weit über den reinen Drogengebrauch hinausgehend entwickelte sich in den späten sechziger Jahren das Verständnis eines psychedelischen Lebensentwurfs. So zog der Schriftsteller Ken Kesey als Kopf der ’Merry Pranksters’ mit einem in psychedelischen Farben bemalten ”Further”-Bus durch die USA und sprach auf den Acid-Test-Partys von LSD als Wegbereiter einer besseren Welt. John Sinclair, der später als Manager der einflussreichen Polit-Rock-Band MC5 auf Grund des Verschenkens von zwei Joints zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sprach schon 1964 von der Entwicklung ”bewusster Gemeinschaften von KünstlerInnen und Liebenden, die zusammen leben und alles miteinander teilen, die zusammen Dope rauchen, tanzen, ficken und gemeinsam die Botschaft der Veränderung verbreiten.”

Derartige Visionen bildeten die Grundlage der Yippies, dem radikalisierten Flügel der Hippie-Kultur, die den Gebrauch von Psychedelika als Teil einer gelebten Widerstandskultur verstanden: ”Unsere Politik sind unsere Musik, unser Haar, unsere warmen Körper, unsere Drogen, unsere Underground-Zeitungen; unsere Politik ist unsere Energie, unsere Vision.” (Jerry Rubin). Im viel beschworenen ”Summer of Love” des Jahres 1967 schienen diese Träume greifbar zu werden und nicht zuletzt das längst legendäre Woodstock-Festival im folgenden Jahr machte zumindest in Ansätzen deutlich, dass das psychedelische Utopia im Hier und Jetzt verwirklichbar ist. ”Es ist kaum möglich dieses Gefühl einer friedlichen Gemeinschaft von 400.000 Menschen zu beschreiben, in der alle irgendwie high sind.” (Abbie Hoffman).

Doch langfristig überlebten derartige kulturrevolutionären Vorstellungen eines selbstbestimmten Lebens nur in einigen gesellschaftlichen Nischen. Auch wenn die gegenkulturellen Bewegungen der späten sechziger Jahre viele Bereiche nachhaltig veränderten, darunter das Verhältnis zur Sexualität, das Verständnis der Erziehung und nicht zuletzt den Umgang mit Autoritäten, so scheiterten sie als Ganzes in ihrem umfassenden Ziel einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung. Das System reagierte zum einen mit repressiven Maßnahmen, die sich in den Versuchen niederschlugen einflussreiche Organisationen der Gegenkultur bzw. darüber hinausgehend die Praxis eines anderen Lebens zu zerschlagen. Der ohnehin repressive Charakter der Drogenpolitik wurde dabei durch das Verbot von LSD weiter verschärft.

Zugleich setzte der Prozess der Vereinnahmung und Entschärfung kritischer Inhalte im Zuge der Kommerzialisierung weiter Teile der Bewegungen ein. Bezeichnender Weise empfahl schon 1968 sogar das Wall Street Magazine in einen Leitartikel seinen LeserInnen ”Nennen Sie ihre Ware psychedelisch und sie verkauft sich rasend”. Die vormals zutiefst verurteilte Jugendkultur war inzwischen in ihrem kommerziellen Potenzial als neuer Absatzmarkt erkannt worden. Die farbenfrohe psychedelisch inspirierte Kleidung wurde genauso wie entsprechende Musikveröffentlichungen zu einer auf das Klischee reduzierten, industriell produzierten Massenware. Bis heute lebt Haight-Ashbury, das einstige Zentrum der Hippie-Bewegung im Herzen von San Francisco, von der profitablen Ausschlachtung des psychedelischen Mythos. Das System, das selbst seine Antithese zu einer Ware macht, hatte sich in seiner verschlingenden Dynamik einmal mehr als stärker erwiesen.

Es war jedoch nicht nur der Druck von außen der die psychedelische Bewegung wie auch die Gegenkultur der späten sechziger Jahre als Ganzes scheitern ließ. Ein beträchtlicher Teil derer, die daran glaubten, dass LSD die Welt befreien würde, verlor sich später in persönlichen Widersprüchen. Der Gebrauch von Psychedelika macht die andere Welt nur sichtbar, sich darin zu bewegen und die Erfahrungen über einen längeren Zeitraum im eigenen Alltag zu integrieren oder gar eine soziale Alternative zu entwickeln, setzt wesentlich mehr voraus als das Einwerfen eines Trips oder das Verfassen eines Flugblattes. So ließen sich immer mehr der einstigen Blumenkinder und Polit-AktivistInnen auf Kompromisse mit dem ehemals bekämpften System ein. ”Wir sind die vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben” lautete der längst sprichwörtliche Titel eines zeitgenössischen Buches über die Gegenkultur der späten sechziger Jahre. ”Wir gehören nun zu denen, die wir einst bekämpften” hätte es rund zwei Jahrzehnte später vielfach heißen können.


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