Sterneck.Net



STERNECK.NET

Cybertribe-Archiv

Utopia  |  Politik  |  Ökologie  |  Gender  |  Sex  |  Cyber
Ritual  |  Drogen  |  Musik  |  Literatur  |  Vision  |  Projekte  |  English

Claus Sterneck / Claus in Iceland
Claus in Iceland  |  Pictures+Sounds  |  Ausstellungen  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

Wolfgang Sterneck
Artikel+Texte  |  Foto-Reportagen  |  Bücher  |  Workshops  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

Connecta
www.sterneck.net contact@sterneck.net


Wolfgang Sterneck

ALICE UND DIE ANTWORTEN

- Ritual, Konsum und Ayahuasca -

Der Schwerpunkt unserer Arbeit als "Alice - The Drug- and Culture-Project“ liegt liegt in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen bzw. manchmal auch älteren Erwachsenen. Unsere Ziele liegen dabei im Zusammenhang mit Drogen einerseits in der Entwicklung einer Drogenmündigkeit, das heißt in einem möglichst souveränen, bewussten und selbstbestimmten Verhältnis zu psychoaktiven Substanzen, das auf sachlichen Informationen basiert. Dies mag fast schon banal klingen. Ein Blick auf eine größere Techno-Party oder auf das Oktoberfest macht schnell deutlich, dass hier in Bezug auf legale wie illegale Substanzen oftmals kein mündiger Umgang gegeben ist.

Eine weitere Zielsetzung liegt in der kurzfristigen Risikominderung bei Jugendlichen, die zum Beispiel auf Parties Drogen nehmen - unter anderem über Safer-Use-Hinweise oder über die Ausgabe von Vitamin- und Mineraltabletten. Darüber hinaus gehen wir selbstverständlich bei Bedarf auf weitergreifende Probleme ein, wie psychische Problematiken im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum oder Suchtprobleme.

Uns ist dabei wichtig ist, dass wir nie nur auf die Drogen bzw. den Drogengebrauch blicken, sondern immer auch auf das persönliche Umfeld schauen, auf die direkte soziokulturelle Umgebung wie auch auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Keine Droge wird in einem bezugslosen Raum konsumiert, die Szene in der man sich bewegt hat genauso einen Einfluss wie gesellschaftliche Faktoren. So ist beispielsweise der Gebrauch von Alkohol sozial akzeptiert bzw. entsprechend verbreitet und bekanntlich nimmt der Alkoholkonsum in gesellschaftlichen Krisenzeiten zu.

Deshalb organisieren wir auch selbst alternative Parties oder Informationsveranstaltungen wie die heutige, die weit über eine reine Drogenaufklärung hinausgehen. Ebenso verteilen wir nicht nur Handzettel zu einzelnen Substanzen, sondern auch beispielsweise Infos zur Kommerzialisierung der Techno-Kultur oder Flyer mit antifaschistischen Inhalten, um Denkanstöße zu geben, die wiederum zu einer allgemein bewussteren Haltung beitragen können, die sich dann auch wieder im Verhältnis zu Drogen spiegelt.

Der Name unseres Projektes "Alice - The Drug- and Culture-Project" bezieht sich auf das Kinderbuch "Alice im Wunderland" von Lewis Carrolll. Dieser beschreibt darin fantasievoll die Abenteuer eines Mädchens in einer anderen Welt - einer anderen Wirklichkeit - die sie durch das Durchqueren eines Tunnels bzw. eines Spiegels erreicht. In dieser anderen Welt erlebt Alice verschiedene bizarre Abenteuer. Zum Teil trifft sie lustige Gestalten, durchstreift fantasievolle Gegenden und setzt sich auf ihre besondere Weise mit der eigenen Persönlichkeit auseinander. Sie macht aber auch verstörenden Erfahrungen, wird mit Bedrohungen, mit Angst und auch mit Todesgefahren konfrontiert.

Mit etwas Fantasie lässt sich "Alice im Wunderland" wie eine Sammlung verschiedener Drogenerfahrungen lesen. An manchen Stellen sind sie sogar ganz konkret beschrieben, wenn Alice beispielsweise an einem Pilz knabbert und ihre Größe verändert. Die etablierte Literaturforschung bestreitet allerdings bis heute derartige Zusammenhänge. - Wo kämen wir auch hin, wenn eingestanden würde, dass in einem der berühmtesten Kinderbücher aller Zeiten Drogen konsumiert werden?

Wir bei Alice legen großen Wert auf die Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Person. Wir stellen uns nicht mit erhobenen Zeigefinger hin und sagen den Leuten was richtig oder falsch ist. Vielmehr versuchen wir insbesondere über die Weitergabe von Informationen zu einer reflektierten Haltung beizutragen.

Vor diesem Hintergrund haben wir aus "Alice im Wunderland" folgenden Leitsatz abgeleitet:

"Die Antworten liegen in mir" sagte Alice als sie lächelnd durch den Spiegel trat.


Es gab keine Epoche in der Geschichte der Menschheit, in der nicht versucht wurde, den Spiegel zu durchschreiten und in andere Wirklichkeiten zu gelangen. Die Wege dorthin sind vielfältig, in einigen Kulturen ist es der trancehafte Tanz, in anderen sind es besondere Atemtechniken, Meditationen, die Sexualität oder der Gebrauch bestimmter psychoaktiver Substanzen.

Gegenwärtig werden psychoaktive Substanzen in unserer westlichen Kultur in zahlreichen Fällen unreflektiert und stark risikobehaftet gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen, individuelle Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung wesentliche Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische Faktoren, wie soziale Missstände, aber auch die Erfahrung zwischenmenschlicher Entfremdung als Folge eines Systems, welches Leistung und Profit über den einzelnen Menschen stellt.

Bei einigen Stämmen im Amazonas-Gebiet ist es Ayahuasca, das es ermöglicht den Spiegel zu durchschreiten und die Türen in diese anderen Wirklichkeiten öffnet. Der Ayahuasca-Trank besteht aus verschiedenen psychoaktiven Pflanzen, darunter insbesondere aus einer Liane. Der Hauptwirkstoff ist das DMT. Ayahuasca wird von Schamanen zur Heilung genutzt, es ermöglicht visionäre Wahrnehmungen und den Übergang in eine andere Welt, die von den Schamanen als die eigentliche verstanden wird. - Wir werden später insbesondere beim Beitrag von Christian Rätsch dazu noch genaueres hören.

Ayahuasca ist inzwischen auch in Westeuropa und den Vereinigten Staaten verbreitet. Dabei sind der Umgang mit der Substanz und die entsprechenden Definitionen sehr unterschiedlich. Ich möchte auf einige Ansätze eingehen.

Interessanter Weise findet Ayahuasca gerade in der Esoterik- und New-Age-Szene besondere Aufmerksamkeit. Hier zeigt sich ganz besonders die Bedeutung der Definition. Denn hier konsumieren viele Personen Ayahuasca, die die Substanz nie genommen hätten, wenn man ihnen gesagt hätte, dass Ayahuasca eine Droge ist. Vielmehr wird der Trank dort von Seminar-TeilnehmerInnen als schamanisches Heilmittel bzw. als Medizin gebraucht.

Eine andere Definition: Ayahuasca als der neue Kick. Gerade die Party-Szene und in einem gewissen Rahmen auch Teile der psychedelischen Bewegung, soweit man überhaupt davon sprechen kann, ist immer wieder auf der Suche nach neuen Reizen, nach neuen Kicks. Man kifft schon ewig, hat Ecstasy längst hinter sich, Erfahrungen mit LSD, mit psychoaktiven Pilzen und vielleicht auch mit Ketamin - und dann gibt es diese "neue" Droge Ayahuasca - ganz biologisch und irgendwie hat sie auch noch was mit Schamanismus zu tun - und Schamanen sind "in". "Dann probieren wir es halt mal ..."

Unterschätzt wird dabei vielfach, dass selbstverständlich auch biogene Sunstanzen hohe Risiken beinhalten. Ebenso unterschätzt wird, dass generell psychedelische bzw. entheogene Substanzen nicht nur Visionen eröffnen können, sondern auch die inneren Abgründe. Zudem wird unterschätzt, dass der unreflektierte Gebrauch von psychedelischen oder entheogenen Substanzen als Spaßdrogen die "halt mal die Optics verschieben" ihnen ihr Potential nimmt.

Es macht keinen Sinn eine solche Substanz unreflektiert in einem anderen kulturellen Kontext zu gebrauchen. Aber ebenso wenig macht es Sinn ein ursprüngliches Ritual beispielsweise von einem Stamm im Amazonas identisch zu übernehmen. Der kulturelle Background ist zu unterschiedlich. Zudem wird dies oftmals von denjenigen, denen diese Rituale in ihrem Kontext heilig sind, als respektlose Vereinnahmung empfunden

Notwendig ist vielmehr unter Achtung ursprünglicher Bezüge und vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen und kulturellen Bezüge eigene Rituale zu entwickeln. Sozusagen wie die Angehörigen eines Cybertribe, eines modernen Stammes der überliefertes Wissen genauso einbezieht wie die Entwicklungen der Gegenwart.

Wie schnell die Bedeutung der Definition zur Macht der Definition wird, zeigt sich im Zusammenhang mit dem rechtlichen Status von Ayahuasca in Deutschland. Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Körner, ein Experte in allen juristischen Fragen zu Drogen, teilte mir auf Anfrage mit, dass DMT, der Hauptwirkstoff des Ayahuasca, der Anlage 1 des Betäubungsmittelgesetzes untersteht. "Aufgrund der Klausel, die am letzten Spiegelstrich der Anlage 1 angefügt ist, unterliegen auch Pflanzen und Pflanzenteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, die in dieser oder einer anderen Anlage aufgeführten Stoffe enthalten, dem BtMG, wenn Missbrauch zu Rauschzwecken vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass der Umgang mit DMT-haltigen Pflanzen zu Konsumzwecken ohne eine Ausnahmegenehmigung verboten und strafbar ist. Die Zielsetzung des Umgangs: Medizinische Behandlung oder drogenhafte Berauschung spielt für die Einstufung als Betäubungsmittel keine Rolle."

Ganz anders wird definiert, wenn es um die Frage nach wirtschaftlichem Profit geht. Wir leben bekanntlich im Zeitalter der Globalisierung, wobei sich die Globalisierung vielfach auf die Bereiche kultureller Gleichschaltung und wirtschaftlicher Ausbeutung bezieht. Produziert wird dort wo es am billigsten ist und dies heißt konkret, wo die Löhne am niedrigsten sind, und am besten keine Gewerkschaften und Arbeitsschutzgesetze bestehen. Und vermarktet wird das, was Profit verspricht. Und so verwundert es auch nicht, dass sich das Unternehmen "International Plant Medicine Corporation" (IPMC) aus Kalifornien alle Patent-Rechte für die Ayahuasca-Liane erfolgreich sichern ließ - und dazu gehört die kommerzielle Verwertung als Medikament. Dieser Vorgang ist längst zu einem Symbol für Entrechtung indigener Völker geworden. So paradox es klingen mag, denkt man die Patenfrage zu Ende, dann muss der globalisierte Schamane für jedes Ayahuasca-Ritual Gebühren zahlen ...

Dieser Vorgang entspricht der Logik eines Denkens, das auf ein ständiges ökonomisches Wachstum und auf Fortschritt setzt, und dabei ignoriert, dass dieser Fortschritt tatsächlich oftmals zu Stillstand oder gar zerstörenden Rückschritt führt.

Oder anders formuliert - ich zitiere aus "Alice im Wunderland":

Erschöpft saß Alice am Boden. Sie war gerannt und gerannt und gerannt, aber irgendwie war sie trotzdem noch am Anfang. ”Es hat sich ja überhaupt nichts verändert!” sagte sie.
”Natürlich nicht!” antwortete die Königin. ”Hier bei uns musst du so schnell laufen wie du kannst, um an der gleichen Stelle zu bleiben. Und wenn du woanders hin willst, dann musst du mindestens doppelt so schnell sein...”


Wir stellen bei unserer Arbeit im Alice-Project immer wieder fest, dass gerade bei jüngeren Personen bis zum Alter von etwa 25 Jahre eine ausgeprägte Konsummentalität in Bezug auf Drogen weit verbreitet ist. Das Bestreben liegt vorrangig in dem Ziel, während der Party möglichst ”druff” zu sein. Es ist keine Seltenheit, das vier, fünf verschiedene Substanzen in einer Nacht in zum Teil hohen Dosierungen miteinander kombiniert werden.

Die Konsummentalität und die hohe Risikobereitschaft sind jedoch keineswegs auf den Drogenkonsum beschränkt, vielmehr sind sie eine Zeiterscheinung. In zahlreichen Bereichen geht es zunehmend darum, nicht aktiv zu gestalten, sondern passiv zu konsumieren - dies gilt für Jugendliche wie für Erwachsene. In Bezug auf Drogen und die dadurch angestrebten Erlebnisse geht es darum, am besten wie per Knopfdruck am Fernsehapparat einen bestimmten Zustand zu erreichen. Zum Beispiel durch das Einwerfen einer Ecstasy-Pille glücklich zu sein, durch LSD möglichst gleich zur Erleuchtung zu gelangen oder durch das Einnehmen einer Substanz wie Ayahuasca, scheinbar ohne größer etwas dafür tun zu müssen, zur inneren Heilung zu gelangen.

Ein solcher Ansatz führt in der Regel schnell in eine Sackgasse, wobei dafür dann nicht eine psychoaktive Substanz oder ein Ritual verantwortlich ist, sondern die einzelne Person selbst. Zu oft wird versucht die innere Leere, die in unserer Gesellschaft so verbreitet ist, durch eine Droge auszufüllen. Zu oft wird versucht durch Rituale, die unhinterfragt aus anderen Kulturen übernommen werden, etwas zu finden - ohne sich überhaupt zuvor klar zu sein, was man überhaupt sucht.

Oder - wie es in "Alice im Wunderland" heißt:

Alice fragte die Katze: "Würdest Du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?"
Die Katze antwortete: "Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin Du möchtest"
”Nun ja, eigentlich ist es mir ziemlich egal.” sagte Alice.
Die Katze erwiderte: ”Wenn du nicht weißt, wohin du willst - dann ist es auch egal, wie du weitergehst.”


Oftmals stellen wir uns schnell die Frage, was uns ein Ritual oder auch ein Seminar oder eine Party geben kann. Doch dies ist um Grunde erst die zweite oder dritte Fragestellung, die sich stellt. Die erste Frage sollte sein, wohin wir wollen. Und erst dann, wenn wir dazu eine Antwort gefunden haben und wir diese nicht nur für uns beantworteten, sondern auch etwas weiter schauen und sie in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellen, dann können wir schauen welches Ritual, welches Seminar, welche Party oder was auch immer uns dabei weiterhilft unser Ziel zu erreichen. Zuerst stellt sich die Frage, wohin wir wollen, erst dann, wie wir dorthin gelangen ...

Und so komme ich am Ende meiner Ausführungen wieder an den Anfang:

"Die Antworten liegen in mir" sagte Alice als sie lächelnd durch den Spiegel trat.


Manuskript eines Vortrages auf der Veranstaltung: "Ritual und Konsumgesellschaft am Beispiel der psychedelischen Substanz Ayahuasca" am 6.10.2004 in Frankfurt am Main.

Wolfgang Sterneck:
w.sterneck@sterneck.net


Zurück zur Übersicht